Die Fragen rund um Auskunftsersuchen nach Informationsfreiheitsgesetzen oder dem Presserecht scheinen Dauerbrenner zu bleiben. Das VG Karlsruhe hat in einem erst kürzlich erschienenen Urteil einen Auskunftsanspruch auf Ergebnisse von zwanzig Jahre alten Vergabeverfahren für rechtmäßig erklärt.
I. Transparenzpflicht: grundsätzlich positiv
Für Vergabepraktiker wirken Transparenz– und Veröffentlichungspflichten prinzipiell positiv: Sie führen häufig zu mehr Angeboten, dokumentieren das eigene Bemühen um einen offenen Wettbewerb und sorgen im Zusammenwirken mit der Rügeobliegenheit von Vergabeverstößen für mehr Rechtssicherheit gegenüber Verfahren ohne entsprechende Bekanntmachung.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Etwas anderes kann gelten, wenn vermeintliche Transparenz mithilfe von Auskünften nach Presserecht oder den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern hergestellt werden soll.
Während das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Jahr 2019 in einem Fall den Auskunftsanspruch eines Informationsdienstleisters aufgrund presserechtlicher Ansprüche verneint hat, hat in einem erst jüngst veröffentlichten Urteil das VG Karlsruhe (vom 13.08.2020, 13 K 4994 / 19) im dort entschiedenen Fall einen Auskunftsanspruch aus dem Landesinformationsfreiheitsgesetz für Vergabeverfahren eines bestimmten Gewerks für immerhin zwanzig Jahre rückwirkend bejaht.
II. Der Sachverhalt
Die Klägerin, ein im Stadtgebiet der beklagten Gemeinde ansässiges Ingenieurbüro, begehrte Auskunft über deren Vergabepraxis von nach der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) vergüteten Tragwerksplanungsleistungen der letzten zwanzig Jahre.
Die Beklagte übersandte der Klägerin eine Tabelle, in der neben dem Namen der Klägerin ein weiterer Name „N.N.“ und für beide Namen Rechnungsgesamtbeträge und Teilbeträge für die Zeit vom 01.01.1999 bis 12.11.2015 aufgeführt waren.
Daraufhin begehrte die Klägerin eine Aufschlüsselung der Einzelhonorare zu einzelnen Bauvorhaben mit den jeweiligen anrechenbaren Kosten der Kostengruppen 300 und 400 nach DIN 276, der jeweiligen Honorarzone und der ausgezahlten Honorare sowie Einsicht in die Honorarberechnung der Beigeladenen bezüglich eines konkreten Bauvorhabens.
Nachdem die Beklagte die Informationen nicht zur Verfügung stellte, reichte die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht ein.
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III. Der Klageinhalt
Zur Begründung trug sie vor, ihr stehe ein Anspruch auf Auskunftserteilung nach § 1 Abs. 2 Landesinformationsfreiheitsgesetz (LIFG) zu. Sie beabsichtige, unter Auswertung der Vergabepraxis der Beklagten der letzten zwanzig Jahre herauszufinden, ob ein Ingenieurbüro vermehrt bei Bauvorhaben der Beklagten den Zuschlag erhalten habe und ob es zu überdurchschnittlich hohen oder niedrigen Zahlungen an die jeweiligen Auftragnehmer gekommen sei.
Die Klägerin beantragte zuletzt,
„die Beklagte zu verpflichten, ihr darüber Auskunft zu erteilen, für welche Bauvorhaben die Beklagte zwischen dem 1.1.1999 und dem 31.12.2019 Leistungen für Tragwerksplanungen, die nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vergütet wurden, vergeben hat, an wen diese Leistungen vergeben wurden, hilfsweise unter Schwärzung des Namens und Zuweisung eines Pseudonyms, und welches Honorar an den jeweiligen Auftragnehmer gezahlt wurde.“
IV. Das Urteil
Das Verwaltungsgericht hält die zulässige Klage auch für begründet. Die Unterlassung der Beklagten, der Klägerin Zugang zu den begehrten Informationen zu gewähren, sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin sei § 1 Abs. 2 LIFG. Danach habe ein Antragsberechtigter nach Maßgabe des Landesinformationsfreiheitsgesetzes gegenüber den informationspflichtigen Stellen einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die Antragsberechtigung der Klägerin folgt aus § 3 Nr. 1 LIFG, wonach unter anderem alle juristischen Personen des Privatrechts antragsberechtigt sind. Die beklagte Gemeinde ist eine gemäß § 3 Nr. 2 in Verbindung mit § 2 Abs.1 Nr. 2 LIFG informationspflichtige Stelle.
1. Bestimmtheit des Antrags
Zunächst stellt das Verwaltungsgericht fest, dass die begehrten Informationen in dem oben zitierten Klageantrag hinreichend präzise beantragt worden seien (§ 7 Abs. 2 LIFG).
2. Amtliche Informationen
Bei den begehrten Informationen handele es sich um amtliche Informationen im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes. Davon sei jede bei einer informationspflichtigen Stelle bereits vorhandene, amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung unabhängig von der Art ihrer Speicherung erfasst. Ausgenommen seien Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollten.
Dass solche Aufzeichnungen zu HOAI-Tragwerksplanungsvergaben und den zugehörigen Endsummenhonoraren bei der Beklagten in Listenform vorhanden seien oder derart zusammengestellt werden könnten, ergebe sich für die Kammer bereits aus den in der Behördenakte vorhandenen Zusammenstellungen sowie den zugrundeliegenden Verwaltungsvorgängen.
3. Kein Schutz personenbezogener Daten
Ausdrücklich weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass dem Informationsanspruch der Schutz personenbezogener Daten nach § 5 Abs. 1 LIFG im konkreten Fall nicht entgegensteht.
Als Ausgangspunkt stellt es fest, dass die geforderten Informationen auch personenbezogene Daten (etwa Vor- und Zunamen als Honorarempfänger) im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO enthalten würden. Die Rechtmäßigkeit des Zugangs zu diesen hänge unter anderem von einer Abwägung ab. Dabei überwiege das öffentliche Informationsinteresse an der Bekanntgabe der Informationen, das schutzwürdige Interesse am Ausschluss des Informationszugangs.
Zugunsten der Klägerin spreche im vorliegenden Fall ein öffentliches Informationsinteresse. Die Klägerin wolle auf Grundlage der begehrten Auskunft die Auftragsvergabepraxis der Beklagten im Bereich der Tragwerksplanung überblicken und ergründen, ob nach der vorzulegenden Liste bestimmte Tragwerksplaner entgegen dem Mittelstandsförderungsgebot übermäßig häufig zum Zuge gekommen seien. Dieses Anliegen fördere den Grundgedanken einer transparenten und verantwortlichen Verwaltung, deren sachgerechte Verwendung öffentlicher Gelder die Klägerin nachvollziehen möchte, und sei damit von dem in § 1 Abs. 1 LIFG formulierten Gesetzeszweck umfasst.
Diesem Interesse unterlägen vorliegend unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls die schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen der als natürliche Personen betroffenen Mitbewerber. Im Rahmen einer umfangreichen Interessenabwägung stellt das Verwaltungsgericht vorwiegend darauf ab, dass die betreffende Information keinen Bereich privater Lebensführung betreffe, sondern allein den beruflichen Bereich, in dem die Betroffenen bewusst nach außen agieren würden. Die späteren Auftragnehmer träten mit ihren Angeboten freiwillig an die öffentliche Verwaltung heran und setzten sich dem Wettbewerb aus. Die Daten, die den begehrten Informationen zugrunde lägen, gäben sie freiwillig in Form eines Angebots an die Verwaltung weiter. Vertragspartner der öffentlichen Hand setzten sich damit dem Risiko aus, dass gewisse Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.
4. Keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse
Dem Auskunftsanspruch der Klägerin könne auch nicht der Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen gemäß § 6 S. 2 LIFG entgegengehalten werden.
Unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen seien mangels Legaldefinition nach dem in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten und darin soweit ersichtlich einhellig vertretenen Begriffsverständnis alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge zu verstehen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich seien und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse habe. Ein Interesse an der Nichtverbreitung werde anerkannt, wenn die Offenlegung der Information geeignet sei, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Konkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund stellt das Verwaltungsgericht zunächst darauf ab, dass mit der Preisgabe der vorliegend begehrten Informationen keine schutzbedürftigen Vertragswerke selbst oder Bestandteile derselben zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus würden diese Informationen keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf die von den geschützten Personen im Einzelnen vorzunehmenden Preiskalkulationen im Bereich der HOAI-Tragwerksplanung zulassen und seien daher auch nicht geeignet, die Wettbewerbspositionen der geschützten Personen zu beeinträchtigen.
Selbst wenn die Klägerin für alle in den Jahren 1999 bis 2019 erfolgten Vergaben der Beklagten die Ausschreibung oder die Aufforderungen zu Angebotsabgaben kennen würde, könnte sie im Abgleich der Endhonorarsummen mit den nach der HOAI anrechenbaren Kosten (im Folgenden: Honorare nach HOAI) lediglich eine Differenz beziffern, die den nicht feststehenden Bestandteil des ausgezahlten Endhonorars ausmachen würde.
Dieser Bestandteil setze sich aus Kosten für andere fachtechnisch notwendige und ergänzende Leistungen oder besondere Leistungen und Nebenkosten im Sinne des § 14 HOAI (im Folgenden: zusätzliche Kosten) zusammen. Auf welcher Grundlage die Auftragnehmer diese Kosten kalkuliert haben, also welche weiteren Leistungen und in § 14 Abs. 2 HOAI nicht abschließend aufgezählten Nebenkosten in Rechnung gestellt wurden, erführe die Klägerin hierdurch nicht.
V. Hinweise für die Praxis
Der Kernsatz des vorstehend besprochenen Urteils lautet:
„Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, für welche Bauvorhaben die Beklagte zwischen dem 1.1.1999 und dem 31.12.2019 Leistungen für Tragwerksplanungen, die nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vergütet wurden, vergeben hat, an wen diese Leistungen vergeben wurden und welches Honorar an den jeweiligen Auftragnehmer gezahlt wurde.“
Öffentliche Auftraggeber müssen dementsprechend noch lange Jahre nach einem Vergabeverfahren damit rechnen, dass ihre Entscheidungen Gegenstand von Auskunftsersuchen werden.
Ein Grund mehr, Vergabeverfahren auf rechtlich sichere Beine zu stellen. In organisatorischer Hinsicht dürften die Nutzer von elektronischen Vergabemanagementsystemen deutlich im Vorteil sein. Denn entsprechende Zusammenstellungen lassen sich meist mit dem sprichwörtlichen Knopfdruck sehr einfach erzeugen.
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