Vereinfachungen des Vergaberechts sind der falsche Weg

Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) formuliert Grundsatzkritik an der Beschleunigung von Vergabeverfahren ebenso wie konkrete Forderungen – von der weiteren Forcierung der E-Vergabe bis zur Nutzung der funktionalen Leistungsbeschreibung. Gewarnt wird vor einer weiteren Flucht aus dem Vergaberecht durch Ausnahmen, Erleichterungen und Beschleunigungen.

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Realistischer Blick auf Vergaberecht

Das Positionspapier mit dem Titel „Beschleunigung von Vergabeverfahren – Grundsatzkritik, Stellschrauben und Grenzen“ wirft einen bemerkenswert realistischen Blick auf Vergaberecht und -praxis. So wird einleitend konstatiert, dass die Durchführung von Vergabeverfahren nur einen geringen zeitlichen Anteil am gesamten Beschaffungsprozess habe.

Aus Sicht der Industrie gebe es folglich weitaus wirksamere Hebel zur Verfahrensbeschleunigung als Eingriffe in das geltende Vergaberecht. Genannt werden dem Vergabeverfahren vorgelagerten Prozesse wie die Bedarfsermittlung, Fähigkeitsanforderungen, Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie interne Abstimmungen.

Vergaberecht konsequent anwenden

Geht es jedoch um das Vergaberecht selbst, so plädiert der Verband vor allem für dessen konsequente Anwendung und für weitere Vereinheitlichungen und Standardisierungen. Das geltende Vergaberecht halte bereits ausreichende Möglichkeiten bereit, um Vergabeverfahren in besonders dringenden Fällen zu beschleunigen. Dies hat auch Norbert Dippel, Syndikus der cosinex unlängst im Podcast Vergabe kompakt unterstrichen:

Weiterhin sollte die E-Vergabe durch die Einigung auf eine Plattform und einen Standard vereinheitlicht werden und bestehende Landesregelungen abgeschafft und das Vergaberecht des Bundes als abschließende Regelung im Vergaberecht ausgestaltet werden. Formblätter und Formulare sind nach dem Willen des Industrieverbandes auf „das unbedingt erforderliche Maß“ zu reduzieren und zu standardisieren.

Der BDI spricht sich zudem klar für den Einkauf bereits marktverfügbarer Lösungen und die Anwendung der funktionalen Leistungsbeschreibung aus: Durch sie könne der Auftraggeber Planungsaufgaben auf Bieter verlagern und somit auf die Entwicklung eigener technischer Lösungen verzichten. Das ermögliche zeitliche Vorteile im Vergabeverfahren.

Strukturreform der Vergabejustiz

Als „zu lang“ wird dem BDI zufolge die Dauer von Nachprüfungsverfahren in bestimmten Bundesländern, bei manchen Vergabekammern und bei einigen Oberlandesgerichten empfunden. Im Rahmen einer möglichen Strukturreform der Vergabejustiz wird in dem Positionspapier daher neben Personalaufwuchs die Einführung zentraler Vergabekammern oder Gerichte vorgeschlagen. Diese sollten „entsprechende Personalausstattung und eine Spezialisierung auf das Vergaberecht“ aufweisen.

Rechtsschutz auf Unterschwellenbereich ausweiten

Äußerst kritisch sieht der Verband die jüngst eingeführten Beschleunigungen des Vergaberechts – insbesondere hinsichtlich der Beschaffung für die Bundeswehr und des Aufbaus von LNG-Terminals. Hier sei der bestehende effektive Rechtsschutz eingeschränkt worden:

Als wirksames Korrektiv bei rechtswidrigen Vergaben ist der effektive Rechtsschutz im Oberschwellenbereich unerlässlich und trägt bereits allein durch seine Existenz dazu bei, dass Beschaffungen rechtskonform durchgeführt werden.

Weitere Eingriffe in den effektiven Rechtsschutz seien „nicht hinnehmbar“. Vielmehr müsse dieser auf den Unterschwellenbereich ausgeweitet werden, damit auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren, die sich häufig an geringvolumigen öffentlichen Aufträgen beteiligen.

Weitere Vereinfachung und Beschleunigung „verbietet sich“

Ebenso kritisiert der BDI die „Flucht aus dem Vergaberecht“ durch steigende Wertgrenzen sowie Ausnahmevorschriften von der Anwendung des Vergaberechts. Beispielhaft genannt werden hier die Flüchtlingskrise, Covid-Beschaffungen, die Flutkrise und der Krieg in der Ukraine.

Verstoßen werde in diesen Fällen gegen Gewährleistung von Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung – sämtlich wichtige Funktionen des Vergaberechts. Im Ergebnis leide der Wettbewerb und der Anreiz für Unternehmen, sich an Vergabeverfahren der öffentlichen Hand zu beteiligen, sinke weiter. Verwiesen wird auch hier auf die bestehenden Möglichkeiten des Vergaberechts, auf plötzlich auftretende, unvorhersehbare Sondersituationen adäquat und schnell zu reagieren.

» Das Papier „Beschleunigung von Vergabeverfahren – Grundsatzkritik, Stellschrauben und Grenzen“ herunterladen (PDF, 5 Seiten)

Titelbild: Karsten Würth – Unsplash