Angesichts der aktuellen Preisentwicklungen sieht der Freistaat Bayern dringenden Handlungsbedarf bei den EU-Schwellenwerten. In einem Entschließungsantrag an den Bundesrat wird neben einer inflationsbedingten Erhöhung der Schwellenwerte auch ein jährlicher Turnus bei deren Anpassung gefordert. Für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen soll ein Sonderschwellenwert eingeführt werden. Die Länderkammer hat den Antrag verabschiedet.
EU-Schwellenwerte: Hintergrund und Reformforderungen
Das Vergaberecht nach dem 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) findet nur Anwendung auf öffentliche Aufträge, deren Netto-Auftragswert die EU-weit einheitlichen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Diese Schwellenwerte werden alle zwei Jahre gemäß den Vorgaben des Übereinkommens der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (Agreement on Government Procurement, GPA) neu festgesetzt. Beschrieben ist das Verfahren in Artikel 9 Neufestsetzung des Schwellenwerts der Richtlinie 2014/23/EU. Die jüngste Anpassung erfolgte vor einem Jahr.
Schon im Maßnahmenpaket „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“, das im Oktober veröffentlicht wurde, war die Forderung von Ländern und Kommunen an den Bund enthalten, „sich bei der EU für eine Erhöhung der Oberschwellenvergabegrenze“ einzusetzen. Dort wurde dieser Vorstoß mit dem – zutreffenden – Hinweis abgetan, dass sich „die EU-Schwellenwerte aus dem völkerrechtlich verbindlichen WTO-Beschaffungsabkommen (GPA) ergeben“. Der vorliegende Antrag aus Bayern kann wiederum als Antwort auf diesen Hinweis aufgefasst werden, zumal er den zugrundeliegenden Mechanismus einschließlich der Beschränkung auf die Anpassung an Wechselkursentwicklungen detailliert erläutert und einen Inflationsausgleich klar als Novum benennt.
Marktpreisbereinigt sinkende Schwellenwerte
Eingeleitet wird der Entschließungsantrag vom 22. November mit dem Hinweis, dass sich die Schwellenwerte für Liefer- und Dienstleistungen (derzeit 215.000 Euro für öffentliche Auftraggeber) sowie Bauleistungen (5.382.000 Euro) seit 1994 nahezu nicht verändert hätten. Marktpreise seien im gleichen Zeitraum hingegen deutlich gestiegen.
Marktpreisbereinigt würden die Schwellenwerte seit 1994 demnach faktisch kontinuierlich sinken; Leistungen, die im Jahr 1994 noch nicht als binnenmarktrelevant bewertet worden wären, müssten inzwischen europaweit ausgeschrieben werden. Der Antrag wirbt daher für eine „angemessene marktpreisgerechte Erhöhung der EU-Schwellenwerte“.
„Viele kleine Auftraggeber“ durch föderale Struktur?
Begründet wird die Erhöhung auch mit der föderalen Struktur Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich. Sie führe zu vielen kleineren öffentlichen Auftraggebern, die aufgrund fehlenden qualifizierten Personals bei der Ausschreibung aufwändiger Oberschwellenvergaben benachteiligt seien.
Unverzügliche Erhöhung und jährlicher Turnus
Mit dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich „auf europäischer Ebene unverzüglich für eine inflationsbedingte Erhöhung der EU-Schwellenwerte einzusetzen“. Entsprechende Verhandlungen müssten durch die EU-Kommission mit der Welthandelsorganisation im Rahmen des Government Procurement Agreement (GPA) geführt werden. Ferner wird die Bundesregierung aufgefordert, sich für einen inflationsbedingten jährlichen Anpassungsturnus (statt bisher zweijährig) der EU-Schwellenwerte einzusetzen.
Sonderschwellenwert für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen
Überdies soll sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass ein Sonderschwellenwert für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen eingeführt wird. Derzeit müssten diese Leistungen schon ab einem geringen Auftragswert europaweit ausgeschrieben werden, was für die staatlichen und kommunalen Bauämter eine enorme Mehrbelastung bedeuten würde.
In der Praxis seien Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen in der Regel nicht binnenmarktrelevant, so dass bei europaweiten Ausschreibungen kaum Angebote aus dem Ausland eingingen.
Zudem führe die Systematik der unterschiedlich hohen EU-Schwellenwerte für Dienstleistungen und Bauleistungen zu einem Wertungswiderspruch bei Infrastruktur- und Bauprojekten:
Bauleistungen müssen erst ab einem Wert von 5.382.000 € europaweit ausgeschrieben werden. Für die zugehörigen Planungsleistungen ist dies aufgrund der Abhängigkeit der Honorare von den Baukosten dagegen bereits bei Bausummen ab 2,3 Mio. € der Fall.
Alternativ: Erfassung als soziale und andere besondere Dienstleistungen
Für den Fall, dass die Einführung eines solchen Sonderschwellenwerts für Planungsleistungen und freiberufliche Leistungen nicht umsetzbar ist, wird die Bundesregierung gebeten, auf eine Erfassung solcher Leistungen als soziale und andere besondere Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber gemäß Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU hinzuwirken.
Dadurch würde die Anzahl der europaweit auszuschreibenden Aufträge aufgrund des für diese Dienstleistungen geltenden höheren Schwellenwerts in Höhe von derzeit 750.000 Euro deutlich verringert.
Bundesrat: In allen Punkten zugestimmt
In ihrer Sitzung am 10. Februar 2023 hat die Länderkammer dem Antrag in praktisch allen Punkten zugestimmt. Mehr dazu lesen Sie hier.
Quellen und Links
- Antrag des Freistaates Bayern: Entschließung des Bundesrates – Dringender Handlungsbedarf bei der Anhebung der Schwellenwerte der Europäischen Union im Vergaberecht
- Beratungsvorgang zum Antrag
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Titelbild: pilot_micha – flickr