Ein Beschluss der Vergabekammer Südbayern sorgt für Klarheit hinsichtlich der Frage, welche Aufgaben an Beschaffungsdienstleister übertragen werden dürfen.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
§ 55 Abs. 2 VgV ist klar formuliert:
Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchgeführt.
Ob Vertreter des öffentlichen Auftraggebers auch externe Dienstleister sein können, war durchaus umstritten. Letztlich wird eine wesentliche Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers in die Hände von Beschaffungsdienstleistern wie Rechtsanwälten, Architekten oder einer Projektsteuerung gelegt.
Die Vergabekammer Südbayern hat in einem jüngeren Beschluss (vom 03.05.2022, Geschäftszeichen: 3194.Z3-3_01-21-62) die rechtlichen Grundsätze für die Einschaltung externer Beschaffungsdienstleister erläutert und sich dabei insbesondere der Durchführung der Angebotseröffnung gewidmet. Da diese Ausführungen von hoher praktischer Bedeutung sind, werden sie im Folgenden zum Teil wörtlich wiedergegeben.
I. Der Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag für Apothekenleistungen zur Krankenhausversorgung EU-weit aus. Zur Durchführung des Vergabeverfahrens bediente sie sich einer externen Beschaffungsstelle, die auch die Angebotseröffnung durchgeführt hat.
Im weiteren Verlauf wurde der späteren Antragstellerin mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB mitgeteilt, dass eine Wettbewerberin den Zuschlag erhalten soll. Sie rügte daraufhin neben verschiedenen vermeintlichen Vergabefehlern auch den Umstand, dass die Angebotseröffnung durch eine externe Beschaffungsstelle und nicht durch die Vergabestelle selbst durchgeführt worden sei.
Die Vergabestelle wies die Rüge mit der Begründung zurück, sie habe sich zwar einer externen Beschaffungsstelle bedient, dabei jedoch alle wesentlichen Ermessensentscheidungen eigenständig getroffen. Aus der Vergabeakte ging hervor, dass die Vergabestelle die unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen in wesentlichen Bereichen selbst getroffen und ihr Beschaffungsdienstleister lediglich die verwaltungstechnische Tätigkeit der Beschaffung übernommen hat.
II. Die Entscheidung
Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag als unzulässig und unbegründet zurück.
1. Grundsätzliches zum Beschaffungsdienstleister
Im Einzelnen führt sie zunächst grundsätzlich aus:
Der Auftraggeber muss sich als „Herr des Verfahrens“ mit den im Vergabeverfahren getroffenen Entscheidungen ausreichend befasst haben. Um dies zu gewährleisten und um zu verhindern, dass die Entscheidungszuständigkeit nur formal bei der Vergabestelle verbleibt und zur leeren Hülle verkommt, kann der Auftraggeber nur bestimmte Aspekte an einen externen sogenannten Beschaffungsdienstleister übergeben (vgl. OLG Naumburg Beschl. v. 26.2.2004 – Verg 17/03).
Der Beschaffungsdienstleister darf lediglich rein verwaltungstechnische Tätigkeiten, wie beispielsweise das Zusammenstellen und Prüfen von Unterlagen und das Protokollieren des Vergabeverfahrens, durchführen. Unmittelbar das Vergabeverfahren betreffende Entscheidungen, wie beispielsweise die Fassung des Leistungsverzeichnisses, die Entscheidung ob und welche Unterlagen nachgefordert werden und die Angebotswertung obliegen dem Auftraggeber selbst und können nicht vollständig auf den Beschaffungsdienstleister übertragen werden (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 16.10.2019 – VII-Verg 6/19).
2. Auf den Fall bezogen
Anhand dieser Grundsätze hat die Vergabekammer die eingereichte Vergabedokumentation geprüft. Aus dieser gehe hervor, dass die Vergabestelle die unmittelbar das Vergabeverfahren betreffenden Entscheidungen in ausreichendem Maße selbst getroffen habe und ihre Beschaffungsdienstleiterin lediglich die verwaltungstechnischen Tätigkeiten der Beschaffung übernommen habe.
Insbesondere sei die Freigabe der Vergabeunterlagen zur Veröffentlichung durch Mitarbeiter der Vergabestelle erteilt worden, nachdem diese die Unterlagen überprüft hatten. Die von der Beschaffungsdienstleisterin vorbereitete Angebotsliste sowie ein Preisspiegel über alle Positionen und Angebote aller Bieter sei ebenfalls durch einen Oberarzt des öffentlichen Auftraggebers fachlich geprüft worden. Schließlich sei auch die Zuschlagsentscheidung selbst, der ein reiner Preisentscheid zugrunde liegt, durch die Freigabe der Bieterschreiben zum Versand nachvollzogen und genehmigt worden.
3. Die Angebotseröffnung
Ausdrücklich weist die Vergabekammer darauf hin, dass sie für mit elektronischen Mitteln nach § 10 und 11 VgV geführte Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17 (zu einem in Papier durchgeführten Vergabeverfahren) geäußerten Rechtsauffassung festhält. Damals hatte die Vergabekammer entschieden:
Die Öffnung darf nicht ausschließlich von Mitarbeitern eines beauftragten Büros durchgeführt werden. Sie ist ebenso wie die Wertung ureignene Aufgabe des öffentlichen Auftraggebers).
Demgegenüber führt sie nunmehr im Einzelnen aus: Die Vergabekammer …
… schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf aus dem Beschluss vom 14.11.2018 – Verg 31/18 an, da durch die inzwischen im absoluten Regelfall durchzuführende elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens, insbesondere durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, auf Grund der umfassenden elektronischen Protokollierung der Angebotsschritte die Gefahr von Manipulationen verschwindend gering ist.
Die Vergabekammer Südbayern sieht im vorliegenden Verfahren keinerlei Hinweise auf eine Manipulationsgefahr bei der Angebotseröffnung, so dass die Vertreter des Auftraggebers im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV auch Mitarbeiter eines von dem öffentlichen Auftraggeber hierzu ermächtigten Beschaffungsdienstleister sein können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2018 – Verg 31/18).
Noch mehr Vergabewissen von Praktikern für Praktiker erhalten Sie in der cosinex Akademie. Dies sind die anstehenden Seminare von Norbert Dippel:
- 5. Februar: Einführung in das Vergaberecht »
- 25. Februar: Neu in der Vergabestelle »
- 4. Juni: Ausschluss im Vergaberecht »
III. Hinweise zur Praxis
Vertreter des Auftraggebers im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV können von ihm hierzu ermächtigte Personen sein, etwa Mitarbeiter oder externe Berater. Diesen Grundsatz hat der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf in der vorzitierten Entscheidung schon 2018 getroffen. Gleichwohl hält in der Praxis die Unsicherheit an, welche Aufgaben an Beschaffungsdienstleister übertragen werden dürfen. Insoweit halte ich es für angebracht, auf den Beschluss der Vergabekammer Südbayern hinzuweisen.
Aus Sicht eines Lösungsanbieters im Bereich der E-Vergabe ist positiv hervorzuheben, dass die Vergabekammer insbesondere auf die geringen Manipulationsmöglichkeiten in einem elektronischen Vergabeverfahren abstellt. Vielleicht ist es an der Zeit, unter diesem Blickwinkel auch andere Regelungen des Vergaberechts auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.
Beispielsweise könnte mit dem gleichen Argument das 4-Augen-Prinzip bei der Angebotseröffnung infrage gestellt werden. Im Gegensatz zum Angebot in Papierform bringt das 4-Augen-Prinzip bei der Angebotseröffnung digitaler Angebote keinen Mehrwert in Sachen Korruptionsprävention, denn die elektronisch eingegangenen Angebote sind unveränderbar gespeichert, sodass Hinzufügungen oder Änderungen ausgeschlossen sind. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus eine sachlich gerechtfertigte Entlastung der Vergabestelle, wenn die Angebote auch durch einen Mitarbeiter geöffnet werden könnten.
Verwandte Beiträge
Zum Praxishinweis: „Vielleicht ist es an der Zeit, unter diesem Blickwinkel auch andere Regelungen des Vergaberechts auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.
Beispielsweise könnte mit dem gleichen Argument das 4-Augen-Prinzip bei der Angebotseröffnung infrage gestellt werden. Im Gegensatz zum Angebot in Papierform bringt das 4-Augen-Prinzip bei der Angebotseröffnung digitaler Angebote keinen Mehrwert in Sachen Korruptionsprävention, denn die elektronisch eingegangenen Angebote sind unveränderbar gespeichert, sodass Hinzufügungen oder Änderungen ausgeschlossen sind. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus eine sachlich gerechtfertigte Entlastung der Vergabestelle, wenn die Angebote auch durch einen Mitarbeiter geöffnet werden könnten.“
Eine derartige Änderung würde m.E. sogar zu mehr Korruptionsschutz führen und gleichzeitig eine Arbeitsentlastung für die Vergabestellen, die Vergabeverantwortlichen und die Bieter mit sich bringen. Angebotsanfragen, die aktuell per E-Mail erfolgen dürfen, könnten dann sehr transparent und sicher über die Vergabeplattformen durchgeführt werden. Damit wäre auch eine Vereinheitlichung der Vorgehensweise gegeben. Ein routiniertes Verfahren für alle Formen der Angebotseinholung sollte letztlich auch zur Fehlerreduktion beitragen.