Narrative liegen im Trend. Eines, das im Kontext der öffentlichen Beschaffung oft bemüht wird, rankt sich um Kaufentscheidungen der öffentlichen Hand, die im Technologie-Kontext überdurchschnittlich lange dauern sollen. Auch eine vielfach aufgegriffene Umfrage des Marktforschungsunternehmens Gartner gelangt zu diesem Schluss. Bei näherer Betrachtung scheint deren Aussagekraft für Deutschland und Europa aber bestenfalls gering.

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Internationale Umfrage mit wenig Aussagekraft

Laut dem 2022 Gartner Technology Buying Behavior Survey weist der öffentliche Sektor mit 22 Monaten den längsten durchschnittlichen Kaufzyklus für Technologiekäufe im Vergleich zu anderen Branchen auf.

Befragt wurden im Rahmen der Umfrage 1.120 Führungskräfte, die mit der Bewertung oder Auswahl von Technologien befasst seien. Von diesen stammen lediglich 13 % aus Deutschland. Insgesamt setzt sich das Panel folgendermaßen zusammen:

  • USA 36 %
  • Kanada 7 %
  • Frankreich 12%
  • Deutschland 13 %
  • Großbritannien 20 %
  • Australien 6 %
  • Singapur 5%

Die Umfrage umfasste auch 79 Befragte aus dem öffentlichen Sektor sowie aus Regierungsorganisationen. Deren Zusammensetzung hat Gartner jedoch auch auf unsere Nachfrage unter Verweis auf die geringe Samplegröße nicht offengelegt.

Kernaussagen der Studie

Mit diesen Zahlen im Hinterkopf sind die Kernaussagen der Umfrage knapp zusammengefasst folgende:

Einkaufsteams im öffentlichen Sektor sind groß und komplex: Sie bestehen typischerweise aus zwölf Mitgliedern. Dabei sind Führungskräfte der öffentlichen Hand in der Regel weniger als ihre Kollegen aus der Privatwirtschaft in Technologiebeschaffungen involviert, um nicht mit dem Prozess in Verbindung gebracht zu werden und den Eindruck einer politischen Einflussnahme auf das Ergebnis zu erwecken.

Mehrere Faktoren tragen zu Verzögerungen im Kaufzyklus bei:

  • Die Entwicklung des Business Case (74 %),
  • Änderungen des Umfangs, die zusätzliche Untersuchungen und Bewertungen erfordern (76 %) und
  • die Einigung über die Budgetierung (75 %).

Bessere Informationen von Technologieanbietern können helfen: So gaben 68 % der Befragten aus dem öffentlichen Sektor an, dass es zu einer mäßigen bis erheblichen Verzögerung kommt, weil sie nicht in der Lage sind, von den Anbietern Details zu spezifischen Produkt- oder Implementierungsanforderungen zu erhalten.

Die öffentliche Hand ist keine Branche!

Irritieren muss – mindestens aus deutscher und EU-Perspektive – die Bewertung der Zahlen durch den VP-Analysten von Gartner, Dean Lacheca. Ihm zufolge stelle die Technologiebeschaffung „den öffentlichen Sektor vor Herausforderungen, die in anderen Branchen nicht üblich sind1.

Das liegt natürlich daran, dass der öffentliche Sektor vielerorts einem Vergaberecht unterliegt, weshalb der Vergleich mit jeglichen Branchen eigentlich fehlgeht. Das weiß auch Lacheca: „Jede Gerichtsbarkeit hat ihre eigenen Beschaffungsgesetze und -richtlinien2. Bewertet werden diese aber lediglich hinsichtlich ihrer Sanktionen und Folgen (unerwünschte Publicity, Strafverfolgung3) und nicht mit Blick auf ihre rechtsstaatlichen Grundlagen und Zwecke – beispielsweise Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsprävention, Regionalität oder Mittelstandsförderung.

Zerrbild der öffentlichen Beschaffung

So wird einmal mehr das Bild einer vorgeblich überbürokratisierten und behäbigen öffentlichen Beschaffung gezeichnet, die mit ihrem privatwirtschaftlichen Zwilling in der Regel nicht konkurrieren kann – was sie aber auch nicht soll.

Natürlich kann man die Effizienz öffentlicher Beschaffung untersuchen und im Ergebnis kritisieren – etwa im Vergleich verschiedener Nationalstaaten und Rechtsräume oder als Veränderung im Zeitverlauf. Die Gartner-Umfrage liefert hierfür aber jedenfalls keine hinreichend empirisch relevanten Daten, um entsprechende Schlussfolgerungen ziehen oder eine entsprechende Kritik formulieren zu können.

Titelbild: Towfiqu barbhuiya – Unsplash 

Fussnoten

  1. Im Original: Technology acquisition brings challenges to the public sector that do not commonly exist in other industries.
  2. Each jurisdiction has its own procurement laws and policies.
  3. A failure to conform to the rules can have serious consequences, from unwanted publicity to personal risk of prosecution