Manch ein Privatkäufer mag sich freuen, wenn er ungewöhnlich niedrige Angebote erhält und diese gern annehmen. Der an das öffentliche Vergaberecht gebundene Beschaffer ist durch § 60 VgV bei ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angeboten hingegen an feste Regelungen gebunden. Sie schreiben ihm unter anderem vor, wie er diese Angebote zu prüfen hat und wann er sie bezuschlagen kann, beziehungsweise ausschließen muss.

§ 60 VgV weist dabei den ‑ nachfolgend vereinfacht dargestellten ‑ Weg: Zunächst muss der Auftraggeber feststellen, dass ein Angebotspreis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig ist. Ist dies der Fall, verlangt er vom Bieter Aufklärung. Die daraufhin übermittelten Unterlagen muss der Auftraggeber prüfen und auf dieser Grundlage entscheiden, ob er das Angebot bezuschlagen kann oder nicht.

Nachfolgend werden die in der jüngeren Zeit ergangenen Beschlüsse der Nachprüfungsinstanzen überblicksartig vorgestellt. Abschließend wird erläutert, wie das Vergabemanagementsystem von cosinex hierbei unterstützen kann.

I. Wann ist ein Angebot unauskömmlich?

Die Frage der Auskömmlichkeit ist in der Praxis eng mit der Diskussion um die sogenannte „Aufgreifschwelle“ verbunden. Denn eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, den ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebotspreis aufzuklären, besteht erst ab einem bestimmten Missverhältnis von Preis und Leistung.

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1. 20 %-Abweichung

Nach einer Entscheidung der VK Bund (Beschluss vom 20.01.2022, VK 2 – 135 / 21) seien einem Vergabewettbewerb grundsätzlich – auch deutliche – Preisabstände zwischen Angeboten immanent. Eine Preisprüfung nach § 60 VgV komme daher nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte für eine Unauskömmlichkeit bestünden.

Dies sei der Fall, wenn sich einzelne Angebote erheblich von anderen Angeboten oder von der Kostenschätzung des Auftraggebers absetzen würden. Dabei verweist die Vergabekammer auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, wonach diese Aufgreifschwelle für den Regelfall plausibel bei einem Abstand von mindestens 20 % des betroffenen zum nächsthöheren Angebot liege (unter Verweis auf: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. Mai 2020, VII-Verg 26/19 m.w.N.; VK Bund VK2-13/21, Beschluss vom 26. März 2021; VK2-109/20, Beschluss vom 19. Januar 2021).

Diese 20 %-Grenze zum nächsthöheren Angebot ist in der Praxis allerdings nicht ganz unproblematisch. Denn letztlich entscheidet dann der Preisabstand vom erst- zum zweitplatzierten Bieter, ob eine weitere Aufklärung des Preises angezeigt ist. Gibt der zweitplatzierte Bieter – aus welchen Gründen auch immer – ein überteuertes Angebot ab, kann die 20 %-Aufgreifschwelle überschritten sein, obwohl es sich um einen evident auskömmlichen Preis handelt. Auch scheint die 20 %-Schwelle bei der Nachfrage standardisierter Güter oder Dienstleistungen sehr hoch.

2. Andere Aufgreifschwellen

Vor diesem Hintergrund hat die VK Bund (Beschluss vom 03.03.2022, VK 1 – 15 / 22) entschieden, dass eine Überprüfung des Angebotspreises auch dann erfolgen darf, wenn hausinterne Aufgreifschwellen überschritten, oder die entsprechenden Anforderungen erfüllt sind. In dem konkreten Fall war dies ein bestimmter prozentualer Abstand des Angebotspreises von dem Schätzpreis des Auftraggebers.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die 20 %-Aufgreifschwelle lediglich den Regelfall darstellt. Werden beispielsweise standardisierte Güter beschafft, kann die Aufgreifschwelle auch darunter liegen, weil die Unauskömmlichkeit schon bei geringeren prozentualen Abweichungen der Angebote möglich erscheint.

Ebenso geht das BayObLG (Beschluss vom 09.04.2021, Verg 3 / 21) davon aus, dass eine Aufklärung nach § 60 VgV auch dann geboten sein kann, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots erheblich unterhalb einer qualifizierten Kostenschätzung oder Erfahrungswerten des Auftraggebers mit wettbewerblicher Preisbildung aus anderen Ausschreibungen liegen.

II. Mangelnde Aufklärung als Verfahrensfehler

Das OLG Schleswig (Beschlüsse vom 05.07.2021, 54 Verg 4 / 21 und 54 Verg 5 / 21) hatte unlängst über einen Fall zu entscheiden, bei dem strittig war, ob Bieter einen im Wege des Nachprüfungsverfahrens einklagbaren Anspruch haben, dass der öffentliche Auftraggeber das Angebot des Mitbewerbers gemäß § 60 Abs. 2 VgV prüft beziehungsweise aufklärt.

Dabei führte der Vergabesenat aus:

„Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Zulässigkeit eines auf § 160 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB gestützten Nachprüfungsantrags erforderlich, dass ein Unternehmen mit Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB schlüssig aufzeigt. Zu der schlüssigen Darlegung einer Rechtsverletzung bei dem Drohen des Zuschlags auf ein Angebot mit einem Preis, den der Antragsteller nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 VgV für unangemessen niedrig hält, gehört die Darlegung von die Unangemessenheit des Preises indizierender Umstände, wobei es sich hierbei regelmäßig um die Höhe des beanstandeten Preises und dessen Abstand zum nächstgünstigen Angebot handeln wird (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – X ZB 10/16, Rn. 12, 13 f, 21). Eine durch einen ungewöhnlich niedrigen Preis begründete Aufklärungsverpflichtung des Auftraggebers besteht nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung der Vergabesenate erst bei Erreichen einer Aufgreifschwelle. Diese Aufgreifschwelle liegt nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung der Vergabesenate der Oberlandesgerichte regelmäßig, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls Aufklärungsbedarf auch bei einem geringeren Abstand begründen, bei einem Abstand von 20 % der Gesamtauftragssumme zum nächstplatzierten Bieter (unter Hinweis auf: vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2012 – Verg 61/11; OLG München, Beschluss vom 25. September 2014 – Verg 10/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom VII Verg 17/17, juris Rn. 42; OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2019 – 17 Verg 6/18, juris Rn. 40 f.: Untergrenze von 20 % im Hinblick auf besondere Umstände, die auch bei geringeren Abständen im Einzelfall Aufklärungsbedarf indizieren könnten; bei einer Differenz von 30 % offen gelassen von: BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – X ZB 10/16, Rn. 15).“

Wichtig für das Verständnis der Norm ist, dass die Rechtsprechung von einer Aufklärungsverpflichtung ausgeht, wenn die entsprechende Aufgreifschwelle überschritten wurde. Dies bedeutet aber nicht, dass es verboten ist, auch unterhalb der Aufgreifschwelle von 20 % die Auskömmlichkeit aufzuklären. Für Verwirrung sorgen in diesem Zusammenhang die mitunter unsauber formulierten redaktionellen Leitsätze in den Datenbanken. Beispielsweise wurde zu der vorstehenden Entscheidung formuliert: „Eine Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV ist nur zulässig, wenn hierfür ein Anlass besteht, weil die Aufgreifschwelle erreicht wird.“ Dies lässt sich dem Beschluss aber nicht entnehmen.

III. Inhalt der Aufklärung

Zu der Frage, wie die Aufklärung zu erfolgen hat und insbesondere in welcher Tiefe der öffentliche Auftraggeber die Auskömmlichkeit der Preise aufklären muss, sind ebenfalls verschiedene jüngere Entscheidungen ergangen.

Die Vergabekammer Berlin hat (Beschluss vom 13.08.2021, VK – B 1 – 62 / 20) die Grundsätze für eine Aufklärung der unauskömmlich scheinenden Angebotspreise festgelegt. Dabei hat sie unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 31.1.2017 – X ZB 10/16) ausgeführt:

„Die Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV muss darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die nach § 60 Abs. 3 VgV zu treffende Entscheidung über die Ablehnung eines Angebots zu schaffen und hat sich insofern auf die bedeutsamen Einzelfallumstände zu erstrecken, die Aussagen über die Auskömmlichkeit des Gesamtpreises erlauben, wenngleich den Anforderungen an den zu erreichenden Grad der Erkenntnissicherheit durch den Grundsatz der Zumutbarkeit Grenzen gesetzt sind (…).“

Die aufzuklärenden Einzelfallumstände müssen somit aussagekräftig im Hinblick auf die Auskömmlichkeit des Angebotspreises sein.

Der Frage, welche Umstände das genau sind, ist die VK Bund (Beschluss vom 26.10.2021, VK 1 – 108 / 21) nachgegangen. Dabei hat sie es als ausreichend erachtet, dass die Kalkulationsgrundlagen übermittelt und von dem betreffenden Bieter erläutert sowie preisrelevante inhaltliche Aspekte des Angebots erklärt wurden.

Allerdings darf man sich bei der Aufklärung nach der VK Berlin (Beschluss vom 08.02.2021, VK – B 2 – 17 / 20) nicht allein auf Erläuterungen des Bieters zur Angemessenheit seines Angebotspreises stützen. Vielmehr muss der Auftraggeber bei der Prüfung der Angemessenheit von Ansätzen eines Bieters auch eigene Schätzungen zum Aufwand einbeziehen. Der Auftraggeber kann eine gebotene kritische Prüfung der Kalkulationssätze eines Unternehmens auch noch im Nachprüfungsverfahren nachholen und dokumentieren.

1. Mitwirkungspflicht des Auftraggebers

Aus Sicht des Bieters führt ein Aufklärungsersuchen des Auftraggebers dazu, dass er seiner Mitwirkungspflicht im Rahmen der Preisaufklärung hinreichend nachkommen muss. Wie die VK Bund (Beschluss vom 07.06.2022, VK 2 – 40 / 22) zutreffend ausführt, kann auf eine pauschale Anfrage des Auftraggebers zur Auskömmlichkeit der Preise seinerseits recht pauschal geantwortet werden. Dies gelte erst recht, wenn dem Auftraggeber die Grundlagen der Kalkulation bereits vorliegen.

Soweit die Gründe für den niedrigen Angebotspreis dargelegt werden und dabei auf Effizienzen, kalkulierte Krankheitstage, eingesetzte Gerätschaften und Verbrauchsmaterial eingegangen werde, sei der Mitwirkungspflicht im Rahmen der Kreisaufklärung Genüge getan. Dies gelte umso mehr, wenn keine konkreten Fragen hinsichtlich der Auskömmlichkeit gestellt worden seien.

Wird im Rahmen der Aufklärung eines erheblichen Preisabstandes durch den Auftraggeber festgestellt, dass eine Kostenersparnis auf ein innovatives Umsetzungskonzept eines Bieters zurückzuführen ist, ist dies ebenfalls ein ordnungsgemäßes Ergebnis seiner Aufklärung (VK Bund, Beschluss vom 18.05.2021, VK 2 – 15 / 21).

2. Ausschluss liegt im Ermessen

Nach einer Entscheidung der VK Bund (Beschluss vom 26.10.2021, VK 1 – 108 / 21) gilt hinsichtlich der Aufklärung:

„Bei der Aufklärung des Angebotspreises kommt dem Auftraggeber ein dem Beurteilungsspielraum ähnlicher Wertungsspielraum zu, der von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur dahin überprüfbar ist, ob er seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu seinem Ergebnis gelangt ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020, VII-Verg 26/19). Die Antragsgegnerin ist hier beurteilungsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass keine Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Beigeladenen bestehen. Die Beigeladene hat im Rahmen der Übermittlung ihrer Kalkulationsgrundlagen ihre Rechnung erläutert und preisrelevante inhaltlichen Aspekte des Angebots erklärt (u. a. Kalkulation der Fahrerlohns, Erläuterung der durchschnittlichen Kosten pro Autobus). Die Antragsgegnerin kam daraufhin zu dem Ergebnis, dass die Kalkulation der Beigeladenen plausibel sei und auskömmlich erscheine. Zu weiteren Aufklärungen war die Antragsgegnerin nicht verpflichtet.“

In eine ähnliche Richtung weist eine Entscheidung der VK Berlin (Beschluss vom 13.08.2021, VK – B 1 – 62 / 20):

„Dem Auftraggeber steht nach § 60 Abs. 3 VgV ein Ermessen zu, auch bei verbleibenden Restzweifeln an der Auskömmlichkeit des Angebots den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, das möglicherweise nicht auskömmlich ist (…). Entscheidend ist die fehlerfreie Beurteilung durch den Auftraggeber, ob durch eine Unauskömmlichkeit des Angebots Gefahren für die wettbewerbsgerechte Durchführung des Auftrags entstehen (…). Unangemessen niedrige Angebotspreise bergen insoweit gesteigerte Risiken, die sich in vielfältiger Weise verwirklichen können. Dies gilt etwa für die in der Rechtsprechung der Vergabesenate angeführte Möglichkeit, dass der Auftragnehmer infolge der zu geringen Vergütung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und den Auftrag deshalb nicht vollständig ausführen kann. Der Schutz der öffentlichen Interessen setzt aber nicht erst bei derart gravierenden Gefährdungen ein. Öffentliche Interessen sind in schützenswerter Weise auch dadurch gefährdet, dass der betreffende Anbieter in Anbetracht des zu niedrigen Preises versuchen könnte, sich des Auftrags so unaufwändig wie möglich und insoweit auch nicht vertragsgerecht zu entledigen, durch möglichst viele Nachträge Kompensation zu erhalten oder die Ressourcen seines Unternehmens auf besser bezahlte Aufträge zu verlagern, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet (…).

Bei der Beurteilung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung berücksichtigt der Auftraggeber Art und Umfang der im konkreten Fall drohenden Gefahren für eine wettbewerbskonforme Auftragserledigung. Dabei gilt für die Darlegungstiefe des Auftraggebers, dass diese umso höher sein muss, je eher die Art des Auftrages für den Auftragnehmer Risiken für die Erbringung des Auftrags birgt. Umgekehrt sinkt die Darlegungstiefe, je geringere Gefahren für die ordnungsgemäße Durchführung des Auftrags folgen können.“

Mit Blick auf ein etwaiges Nachprüfungsverfahren weist die VK Berlin (Beschluss vom 08.02.2021, VK – B 2 – 17 / 20) darauf hin, dass der Auftraggeber eine gebotene kritische Prüfung der Kalkulationssätze eines Unternehmens auch noch im Nachprüfungsverfahren nachholen und dokumentieren kann.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

IV. Umsetzung im VMS

Wie das cosinex Vergabemanagementsystem Vergabestellen bei der Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote unterstützt, beleuchten wir in diesem Beitrag: