Statistik

Welche Trends lassen sich aus der Vergabestatistik ablesen? In diesem Beitrag nehmen wir die bis 2021 veröffentlichten Zahlen in den Blick.

Seit der Betriebsaufnahme der bundesweiten Vergabestatistik am 01.10.2020 hat in Deutschland die flächendeckende statistische Erfassung von grundlegenden Daten zu öffentlichen Aufträgen Einzug in den Vergabealltag erhalten.

Der Autor

Dr. Stefan Marinus Krusenbaum ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und verantwortet das Controlling der cosinex. Der der Experte für Wertungsmethoden bietet das beliebte Seminar Grundlagen und Auswahl geeigneter Wertungsmethoden in der cosinex Akademie an.

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Die 2016 ins Leben gerufene Vergabestatistikverordnung (VergStatVO) verpflichtet insbesondere für den Oberschwellenbereich alle Auftraggeber nach § 98 GWB, Daten zu Beschaffungsvorgängen an die Vergabestatistik zu übersenden. Mit Blick auf die bereits in dieser ersten Phase gemeldeten Zahlen und die nun neu veröffentlichten Zahlen bis 2021 zeichnen sich erste Trends ab.

Generell sind Auftraggeber mit Inkrafttreten der Vergabestatistikverordnung gemäß § 1 VergStatVO verpflichtet, Daten über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder Konzessionen sowohl ab Erreichen der EU-Schwellenwerte (im Oberschwellenbereich) als auch unterhalb der EU-Schwellenwerte (im Unterschwellenbereich) ab einem Auftragswert über 25.000 EUR ohne Umsatzsteuer zu übermitteln.

Aus den verschiedenen Veröffentlichungspflichten lassen sich daher hauptsächlich aggregierte Daten zu Anzahl und Volumen der vergebenen Aufträge ableiten, wobei sich in den Veröffentlichungen auf Bundesebene auch Informationen bezogen auf die einzelnen Ministerien, sowie nach Ländern aufgeteilte Informationen finden.

Gesamtzahl und Volumen der Vergabeverfahren

Gemäß § 8 VergStatVO ist eine jährliche statistische Gesamtaufstellung zu bilden. Hierbei wird zwischen Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen unterschieden.

Das Volumen der Lieferaufträge in Deutschland ist gemäß den Veröffentlichungen im Oberschwellenbereich von 3.479 Aufträgen in 2016 mit einem Gesamtwert von gut 5 Milliarden Euro auf 3.810 (Wert: 5,6 Milliarden Euro) in 2017, 4.231 (Wert 6 Milliarden Euro) in 2018 und 5.100 (7,5 Milliarden Euro) in 2019 gestiegen. Von Januar bis September 2020 lag der Wert mit 3.658 Verfahren und einem Auftragswert von etwa 6,2 Milliarden Euro auf das Gesamtjahr hochgerechnet ebenfalls oberhalb des bisherigen Volumens.

Bezüglich des Dienstleistungsbereichs verlief die Entwicklung im Oberschwellenbereich ähnlich. Von ausgangs 4.072 gemeldeten Verfahren mit einem Gesamtvolumen von 9,4 Milliarden Euro in 2016, erhöhte sich der Wert über 4.975 Verfahren (10,5 Milliarden Euro) in 2017 und 6.372 Verfahren (13 Milliarden Euro) in 2018 auf 6.893 Verfahren (21,5 Milliarden Euro) in 2019. Hier erfolgte aber – vermutlich aufgrund der Corona-Pandemie – ein spürbarer Rückgang. Im Neunmonatszeitraum von Januar bis September 2020 wurden lediglich 4324 Verfahren mit einem Gesamtvolumen von 7,2 Milliarden Euro gemeldet, was auch bei einer Hochrechnung auf das Gesamtjahr zu einem Rückgang gegenüber dem Vorjahreswert führt.

Im Hinblick auf die Bauaufträge hat sich deren Zahl von 4935 Aufträgen im Oberschwellenbereich mit einem Volumen von 5,6 Milliarden Euro in 2016 auf 4234 Aufträge (7,8 Milliarden Euro) in 2018, 6094 Aufträge (13,1 Milliarden Euro) in 2019 und 7303 Aufträge (50,6 Milliarden Euro) in 2020 erhöht. Auch hier gab es mit 5454 Aufträgen im Berichtszeitraum Januar bis September 2020 einen leichten Rückgang bei der Anzahl der Verfahren und mit 10,2 Milliarden Euro einen erheblichen Rückgang beim Volumen.

Nicht in dieser Länderstatistik aufgeführt sind die Entwicklungen der Aufträge durch den Bund beziehungsweise die Bundesministerien, die in den jährlichen statistischen Gesamtaufstellungen gesondert ausgewiesen werden.

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Statistik zu Nachprüfungsinstanzen

Neben einem Überblick über die generell durchgeführten Verfahren ist auch auf die – nicht im Rahmen der Vergabestatistikordnung, aber auf Basis von § 184 GWB, Unterrichtungspflichten der Nachprüfungsinstanzen, zu erfassenden – Informationen zu Nachprüfungsinstanzen ein besonderes Augenmerk zu legen. Die Zahl gibt Aufschluss darüber, wie viele Verfahren vor der Vergabekammer und – in zweiter Instanz – vor einem OLG verhandelt werden und ob eine Entscheidung zugunsten von Antragssteller oder Antragsgegner erfolgt ist.

Beachtenswert ist, dass die Quote der für den Antragssteller, also in der Regel einen unterlegenen Bieter, erfolgreichen Nachprüfungsverfahren vor Vergabekammern bundesweit in den letzten Dekaden nahezu immer zwischen 10 % und 20 % der verhandelten Verfahren lag. In den übrigen Verfahren kam es zu einer Entscheidung zugunsten des Antragsgegners, also in der Regel der ausschreibenden Stelle, oder aber zu einer Rücknahme des Antrags.

Mit Blick auf die Verhaltensweise der unterlegenen Seite fällt auf, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten jeweils zwischen 70 und 80 % der Verfahren vor der nächsthöheren Instanz, also vor einem OLG, von den (unterlegenen) Antragsstellern eröffnet wurden. Lediglich 10 bis 25 % der Verfahren sind dagegen von Antragsgegnern eröffnet worden, also i.d.R. von Vergabestellen, die vor einer Vergabekammer unterlegen waren. Die Eröffnung der übrigen Verfahren ist in der Regel von Beigeladenen herbeigeführt worden.

In lediglich 20 bis 30 % der Verfahren der zweiten Instanz kam es zu einer Entscheidung zugunsten des Antragsstellers, was somit zwar signifikant oberhalb der in der ersten Instanz erfolgten Entscheidungen liegt, allerdings absolut gesehen nicht vielen Verfahren entspricht, da es sich hierbei ja lediglich um eine Teilmenge der in der ersten Instanz abgewiesenen Anträge handelt.

Die Interpretation der Zahlen ist gleichwohl nur sehr bedingt möglich, da eine Unterteilung in für den Antragssteller erfolgreiche und überwiegend erfolgreiche Entscheidungen vorgenommen wird. Zählt man derartige Verfahren hinzu, wird in der Nachprüfungsinstanz vor dem OLG regelmäßig weiteren 20 bis 30 % der Anträge zumindest überwiegend stattgegeben.

Auffällig ist, dass die Prozentzahlen von Verfahren, die erfolgreich oder nicht erfolgreich klassifiziert werden können, über Jahrzehnte hinweg etwa gleich hoch bleibt genauer gesagt sich in ähnlichen Größenordnungen bewegt.

Die Gesamtzahl der vor Vergabekammern und OLG verhandelten Verfahren korreliert hingegen nur bedingt mit den insgesamt gemäß § 8 VergStatVO gemeldeten Verfahren. So ist die Zahl der verhandelten Verfahren zwar bis in die Jahre 2016 bis 2019 insgesamt leicht gestiegen, ging aber im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren zurück. Denkbar ist, dass es Bietern aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation aktuell nicht mehr wirtschaftlich attraktiv genug erscheint, verlorenen Ausschreibungen „hinterherzulaufen“.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Erschwerte Interpretation der Statistiken

Aufgrund der hohen Aggregationsebene der erfassten und veröffentlichten Daten ist es bei den Statistiken zu Vergabeverfahren leider immer nur bedingt möglich, die Ursachen für die jeweiligen Entwicklungen zu eruieren. Im Hinblick auf die Zahl durchgeführter Verfahren und deren Umfang sind diese zudem oftmals in makroökonomischen Entwicklungen begründet oder damit verwoben. Zudem kann eine Vielzahl von Faktoren, einschließlich politisch angeregter Wirtschaftsförderprogramme, die Zahl der durchgeführten Verfahren einmalig oder über die Dauer einer bestimmten Legislaturperiode beeinflussen.

Neben solchen externen Einflussfaktoren, deren Einfluss nur schwer aus der grundsätzlichen Entwicklung herauszurechnen ist, existieren darüber hinaus Verzerrungen, etwa weil die Schwellenwerte und Berichtszeiträume in den veröffentlichten Daten leicht verändert wurden. Auch hierdurch wird der direkte Vergleich zwischen den einzelnen Berichtsjahren im Hinblick auf das Erkennen von Entwicklungen erschwert.

Eine weitere signifikante Verzerrung der Datengrundlage kann darin bestehen, dass über die Jahre immer mehr öffentliche Auftraggeber die Durchführung von Vergabeverfahren gemäß der VergStatVO gemeldet haben, die bislang noch nicht im eigentlich erforderlichen Maße dazu in der Lage waren, was vor allem für kleinere Vergabestellen gelten dürfte. Nutzer der cosinex Lösungen profitieren von einer automatischen Übermittlung der relevanten Vergabedaten gemäß der Vergabestatistikverordnung.

Spannend bleibt mit Blick auf die kommenden Jahre, ob der trotzdem leicht erkennbare stellenweise Rückgang von Aufträgen während der Corona-Pandemie in den kommenden Jahren wieder ausgeglichen wird und inwieweit sich die gestiegene Inflationsrate auf die Zahl der Verfahren und das Volumen der öffentlichen Aufträge auswirkt.

Quellen und Links

Einen Überblick über die Entwicklungen hinsichtlich der Zahl und des Volumens im öffentlichen Auftragswesen seit Einführung der Vergabestatistikverordnung finden Sie hier.

Die Zahlen zu den Nachprüfungsverfahren in den letzten Dekaden können Sie hier abrufen.