Jüngst hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass die Bewilligung einer finanziellen Zuwendung nicht von der Abgabe einer Erklärung zu ihrer Religion oder Weltanschauung („Scientology-Erklärung“) abhängig sei. Hat die Entscheidung Auswirkungen auf das Vergaberecht?
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Der Ausschluss von einer umweltbezogenen Förderung wegen Verweigerung einer Distanzierung von Scientology durch eine Kommune ist unzulässig. Nicht nur ist diese nicht zuständig, weil das Verlangen keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt, die Vorgehensweise verstößt auch gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 sowie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (BVerwG, Urteil vom 06.04.2022 – 8 C 9.21).
Sachverhalt
Die beklagte Landeshauptstadt München hat im Rahmen des „Integrierten Handlungsprogramms zur Förderung der Elektromobilität in München“ (IHFEM 2018) die Förderrichtlinie Elektromobilität erlassen, mit der unter anderem der Erwerb von Pedelecs durch Gewerbetreibende gefördert wurde.
Nach den städtischen Vorgaben war die Zuwendungsempfängerin verpflichtet, eine Schutzerklärung in Bezug auf die Lehre von L. Ron Hubbard (allgemein bekannt als Scientology-Erklärung) abzugeben. Mit ihrer Unterschrift sollte sie erklären, dass sie keine Inhalte oder Methoden und auch keine Technologie von L. Ron Hubbard anwendet, lehrt oder in sonstiger Weise verbreitet und keine Kurse oder Seminare nach dieser Technologie besucht.
Die Klägerin hat eine derartige Förderung beantragt und einen entsprechenden Antrag vorgelegt, jedoch ohne Scientology-Erklärung. Daraufhin hat die Beklagte den Antrag unter Verweis auf die fehlende Abgabe der Schutzerklärung abgelehnt.
Das Verwaltungsgericht wies daraufhin die Klage ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie den Ablehnungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin entsprechend ihrem Antrag eine Förderzusage zu erteilen. Dagegen ging die Beklagte in Revision, welche vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr für unbegründet erklärt wurde. Die Forderung einer entsprechenden Schutzerklärung verstoße gegen Grundrechte der Klägerin.
Begründung
Als Ausgangspunkt der Begründung verweist das BVerwG auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Demnach muss den Gemeinden das Recht gewährleistet werden, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.
Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft seien diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam seien, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der politischen Gemeinde betreffen. Das Grundgesetz beschränkt dieses Zugriffsrecht gegenständlich auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und verwehrt den Gemeinden so, unter Berufung auf ihre Allzuständigkeit auch allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit zu machen.
Hieran gemessen fehle es an einer Zuständigkeit der Beklagten. Die Einforderung von Erklärungen zu Religion und Weltanschauung ist ihr weder durch Gesetz zugewiesen noch handele es sich dabei um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
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Außerdem verweist das BVerwG darauf, dass die Forderung nach der Scientology Erklärung ein zielgerichteter Eingriff in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete negative Bekenntnisfreiheit darstelle. Eine derartige beabsichtigte Schlechterstellung von Angehörigen einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft – bereits durch ihre Aufdeckung unter den Förderantragstellern und erst recht durch deren Ausschluss von der Förderung – stellt einen Grundrechtseingriff dar.
Letztlich verweist das Gericht darauf, dass das Verlangen nach der Abgabe der Schutzerklärung auf eine unzulässige, von Sachgründen nicht getragene Differenzierung im Rahmen der Fördertatbestände abziele. Die Abfrage weise keinen inhaltlichen Bezug zu den umweltpolitischen Zielen der Förderrichtlinie Elektromobilität auf. Zudem fehle ein legitimer Sachgrund, da sie auf einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die negative Bekenntnisfreiheit zielt und damit an ein nach Art. 3 Abs. 3 GG (Diskriminierungsverbot) grundsätzlich unzulässiges Kriterium anknüpft.
Keine Auswirkung auf das Vergaberecht?
Da die Verwendung von Scientology-Erklärungen im vergaberechtlichen Kontext nach wie vor üblich und teilweise sogar vorgeschrieben ist, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen die Entscheidung für Ausschreibungen entfaltet.
Der wesentliche Unterschied zwischen der Verwendung der Scientology-Erklärung im Bereich des Förderrechts und des Vergaberechts dürfte in der sachlichen Begründung der Forderung liegen.
Wie oben dargestellt, ist es sachwidrig im Rahmen einer Förderung zur E-Mobilität auf das Bekenntnis des Antragstellers abzustellen. Anders kann dies beurteilt werden, wenn im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge die Gefahr besteht, dass Scientologen im Sinne der Lehre von L. Ron Hubbard tätig werden. Insoweit ist hier die Eignungsebene betroffen.
Dabei wird man sachlich differenzieren müssen: Handelt es sich beispielsweise um einen reinen Lieferauftrag, bei dem keine Gefahr der Beeinflussung besteht, dürfte die Abforderung der Erklärung unzulässig sein. Anders mag es bei Schulungs- oder Beratungsleistungen sein. Üblicherweise enthalten die Bestimmungen zur Verwendung der Scientology-Erklärungen eine entsprechende Differenzierung, so etwa in Nordrhein-Westfalen.
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Titelbild: Romain Dancre – Unsplash