Unter welchen Umständen und in welcher Form muss ein öffentlicher Auftraggeber das Leistungsversprechen eines Bieters überprüfen? Die Vergabekammer Südbayern hat den Rahmen abgesteckt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Folgende Grundkonstellation dürfte in der Praxis öfter vorkommen: Der zweitplatzierte Bieter behauptet, dass der erstplatzierte Bieter die Leistung nicht zum genannten, geringeren Preis anbieten könne. Deshalb könne mit dem Konkurrenzangebot etwas nicht stimmen, was oftmals mit einer Fülle von Mutmaßungen, Herleitungen und Verdachtsmomenten begründet wird.

Für die Vergabestelle steckt dahinter eine veritable Herausforderung: Sie muss entscheiden, ob es sich hierbei lediglich um substanzlose Vermutungen handelt, oder ob eine erneute Aufklärung hinsichtlich des Angebotsinhaltes notwendig ist. Da diese Sachverhalte regelmäßig erst nach Erhalt des Informationsschreibens gem. § 134 GWB auftreten, ist das Vergabeverfahren dann schon weit fortgeschritten. Die Vergabestelle steht dann oftmals unter Druck, den Zuschlag nunmehr auch zügig zu erteilen.

Die Vergabekammer Südbayern nimmt in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 30.05.2022, 3194 . Z 3 – 3 / 01 – 21 – 61) zu der Frage Stellung, wann ein Leistungsversprechen in Form eines Angebotes aufgrund von Hinweisen des Wettbewerbers vertieft aufgeklärt werden muss.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle hat einen Lieferauftrag über Catering für Asylsuchende im Wege eines offenen Verfahrens ausgeschrieben.

Die spätere Antragstellerin wurde mit dem Informationsschreiben gem. § 134 GWB von der Vergabestelle darüber informiert, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der späteren Beigeladenen zu erteilen.

Daraufhin rügte die Antragstellerin die Vergabeentscheidung. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie selbst sehr eng kalkuliert habe und die Beigeladene mit ihren immensen Transportkosten (Anfahrt von ca. 350 km) bei einem noch niedrigeren Preis nicht mehr vertragskonform leisten könne.

In ihrer Zurückweisung der Rüge wertete die Vergabestelle das Vorbringen der Antragstellerin als spekulative Annahme und willkürlichen Vortrag „ins Blaue hinein“. Das Angebot der Beigeladenen sei auskömmlich und eine Preisprüfung nicht erforderlich gewesen, da die über die Rechtsprechung begründete Aufgreifschwelle nicht erreicht sei.

In dem daraufhin gestellten Nachprüfungsantrag führte die Antragstellerin weiter aus, dass das Angebot der Beigeladenen den Qualitätsvorgaben nicht entsprechen könne, weil die vorgekochten Mahlzeiten im warm gehaltenen Zustand zu lange transportiert würden.

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II. Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält den Nachprüfungsantrag für begründet. Die Vergabestelle habe gegen die in § 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GWB niedergelegten Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung verstoßen.

1. Vertrauen versus Prüfungspflicht

Zur Begründung verweist die Vergabekammer darauf, dass Angebote gem. § 56 Abs. 1 VgV auf Vollständigkeit sowie fachliche und rechnerische Richtigkeit zu prüfen sind.

Die Richtigkeitsprüfung der Angebote beziehe sich auf den fachlichen Inhalt der von den Bietern eingereichten Unterlagen. Sie umfasse überdies regelmäßig die Prüfung, ob die angebotene Leistung den Anforderungen der Ausschreibung, insbesondere der Leistungsbeschreibung und den technischen Spezifikationen entspreche. Ein öffentlicher Auftraggeber sei jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden; vielmehr dürfe er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen.

Eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergebe sich aber dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen ließen. In diesen Fällen müsse der öffentliche Auftraggeber aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen des Bieters effektiv zu verifizieren.

2. Prüfpflicht bei funktionaler Leistungsbeschreibung

Zunächst stellt die Vergabekammer fest, dass der Auftragsgegenstand zulässigerweise in weiten Teilen funktional geschrieben worden war. Gleichwohl erfordere nicht zuletzt die Kalkulation eines konkreten Angebotspreises, vorab detaillierte Vorstellungen über die Art und Weise der Leistungserbringung sowie sämtliche kalkulationsrelevanten Parameter zu bilden.

Daher beinhalte das Leistungsversprechen eines Bieters auch bei einer überwiegend funktional gehaltenen Leistungsbeschreibung regelmäßig eine konkrete Art und Weise der Auftragsausführung, die mittelbar über den angebotenen Preis zum Ausdruck gebracht werde. Öffentliche Auftraggeber seien in derartigen Konstellationen berechtigt, Aufklärung über den Angebotsinhalt zu verlangen, um sich mit dem konkreten Inhalt der abgegebenen Angebote vertraut zu machen.

Vorliegend habe die Beigeladene im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens erklärt, den streitgegenständlichen Auftrag mittels des von ihr für die Zubereitung von Speisekomponenten entwickelten Konzepts „Fahrzeit gleich Garzeit“ auszuführen. Damit habe sie ihr mit dem Angebot abgegebenes Leistungsversprechen auf dieses Konzept konkretisiert.

3. Notwendigkeit der Überprüfung

Nach Ansicht der Vergabekammer habe die Antragstellerin allerdings vorliegend konkrete Umstände vorgetragen, die das Leistungsversprechen der Beigeladenen infrage stellen und den Antragsgegner zu einer Überprüfung dieses Leistungsversprechens verpflichten würden.

Insbesondere habe die Antragstellerin dargelegt, weshalb es der Beigeladen nicht möglich sei, das Konzept „Fahrzeit gleich Garzeit“ im streitgegenständlichen Auftrag umzusetzen. So habe sie vorgerechnet, dass die Beigeladene für die Regeneration der benötigten Mittagessen für 1.000 Verpflegungsteilnehmer auf dem LKW 25 Regenerationsgeräte benötige und der hierfür erforderliche Strombedarf 88 kW betrage.

Allein um eine ausreichende Strommenge erzeugen zu können, wäre ein Stromaggregat mit den Abmessungen 3.760 x 1.400 x 2.500 mm und einem Gewicht von ca. 4,35 Tonnen notwendig. Abgesehen davon wäre es aus Platzgründen nicht möglich, zusätzlich zu einem solchen Stromaggregat die zur Versorgung von 1.000 Verpflegungsteilnehmern notwendigen 25 Regenerationsgeräte auf einem einzigen LKW zu verladen.

Die von der Antragstellerin dargelegten technischen Gegebenheiten seien nach Überzeugung der Vergabekammer geeignet, das Leistungsversprechen der Beigeladenen als nicht plausibel erscheinen zu lassen. Durch die fehlende Überprüfung des Leistungsversprechens der Beigeladenen sei die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt, da eine objektive und transparente Bewertung der Angebote voraussetze, dass der öffentliche Auftraggeber in der Lage sei, deren Inhalt anhand der von den Bietern gelieferten Angaben und Unterlagen effektiv zu überprüfen (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 04.12.2003 – C-448/01).

Die Vergabestelle habe sich im streitgegenständlichen Vergabeverfahren folglich davon zu überzeugen, dass die Ausführung des streitgegenständlichen Auftrags durch die Beigeladene mittels ihres Konzepts „Fahrzeit gleich Garzeit“ möglich ist. Dabei werde sie auch zu prüfen haben, wie viele LKW mit Stromversorgung die Beigeladene zur Auftragsausführung benötige und ob ihr diese für die Auftragsausführung zur Verfügung stehen.

4. Die notwendige Form der Überprüfung

Die Vergabekammer stellt klar, dass es der Vergabestelle überlassen bleibt, wie sie die Umsetzbarkeit des Konzepts „Fahrzeit gleich Garzeit“ im streitgegenständlichen Auftrag überprüft. Der öffentliche Auftraggeber sei in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei und im Interesse einer zügigen Umsetzung der Beschaffungsabsicht und einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens und aus Gründen seiner begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt (unter Hinweis auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.01.2020 – Verg 20/19 m. w. N.). Das vom Auftraggeber gewählte Mittel zur Überprüfung müsse jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein.

Dementsprechend hat die Vergabekammer der Vergabestelle untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Vergabestelle wird bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht verpflichtet, die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Die Vergabekammer hat den Rahmen einer etwaigen Aufklärungspflicht klar abgesteckt: Grundsätzlich ist ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet, im Vergabeverfahren zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden; vielmehr darf dieser sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen.

Hat sich ein Bieter allerdings auf eine Ausführungsvariante festgelegt und bringt ein Mitbewerber gegen diese Art der Ausführung konkrete, substantiierte und auf den Einzelfall bezogene Einwände vor, die das Leistungsversprechen dieses Bieters als zweifelhaft erscheinen lassen, muss der öffentliche Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen des Bieters effektiv zu verifizieren.

Aber: Wie er diese Überprüfung vornimmt, ist Sache des öffentlichen Auftraggebers. Er ist in der Wahl seiner Überprüfungsmittel grundsätzlich frei und nicht auf eine bestimmte Methode oder bestimmte Mittel der fachlichen Prüfung festgelegt. Das vom Auftraggeber gewählte Mittel zur Überprüfung muss jedoch geeignet und die Mittelauswahl frei von sachwidrigen Erwägungen getroffen worden sein.

Am Rande sei angemerkt, dass Erläuterungen des Zuschlagskandidaten zu der Frage, ob die von ihm angebotene Leistung auch den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entspricht, noch im laufenden Nachprüfungsverfahren eingebracht werden können (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.06.2016 – 1 U 151/15; VK Südbayern, Beschluss vom 03.06.2014 – Z3-3-3194-1-14-03/14).