Neben der Rückforderung von Zuwendungen gehört der Schadensersatz unterlegener Bieter wohl zu den größten und am meisten unterschätzten Herausforderungen bei Vergabeverfahren. Welche Voraussetzungen für den sogenannten kleinen Schadensersatz bestehen und welche Fallkonstellationen typisch sind, schildern wir in diesem Auftakt unserer zweiteiligen Reihe.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Die Einführung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes hat zu einem erheblichen Wandel in der Beschaffungspraxis geführt. Denn letztlich kann im Wege des Nachprüfungsverfahrens grundsätzlich die Vergaberechtskonformität eines jeden Vergabeverfahrens oberhalb der Schwellenwerte überprüft werden. Mit der Folge, dass Vergabeverfahren durch die drohenden Nachprüfungsverfahren inzwischen formaler und sehr stark rechtlich geprägt sind. Beispielsweise betreiben Vergabestellen oftmals erheblichen Aufwand bei der Verfahrensdokumentation sowie in der Begründung der einzelnen Verfahrensschritte.

Dabei bestehen für die Vergabestelle die Folgen eines verlorenen Nachprüfungsverfahrens in der Regel die Wiederholung bestimmter Verfahrensschritte oder des gesamten Vergabeverfahrens. Das ist ärgerlich, aber in aller Regel verkraftbar.

Im Vergleich dazu sind die wirtschaftlichen Folgen von Schadensersatzansprüchen unterlegener Bieter in aller Regel deutlich gravierender. Dabei sind die sich hieraus ergebenden Risiken – anders als etwa die Rückforderung von Zuwendungen bei Vergabeverstößen –noch nicht im Fokus vieler Vergabestellen, wohl weil die Anzahl solcher Schadensersatzforderungen in der Praxis noch nicht so häufig erfolgen. Gerade die zunehmende Anzahl entsprechender Beschlüsse zeigt die Praxisrelevanz. Im Folgenden werden die Grundzüge und Fallkonstellationen von Schadensersatzansprüchen im Zuge von Vergabeverstößen darstellen.

In diesem Artikel werden zunächst die Voraussetzungen des kleinen Schadensersatzes gem. § 181 GWB erläutert, bevor darauf aufbauend in einem Folgeartikel den Schadensersatz gem. culpa in contrahendo darstellen, der insbesondere bei dem großen Schadensersatz Anwendung findet.

I. Voraussetzungen des „kleinen“ Schadensersatzes nach § 181 GWB

§ 181 Satz 1 GWB vermittelt den an einem Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen einen Anspruch auf Schadensersatz für den Fall, dass sie durch einen Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers in einer vergaberechtlich geschützten Rechtsposition verletzt werden.

Der Höhe nach ist dieser Anspruch auf den Vertrauensschaden (negatives Interesse) beschränkt. Hierunter fallen die Angebotserstellungskosten sowie die weiteren Kosten, die durch die Teilnahme an dem Vergabeverfahren verursacht wurden. Die Voraussetzungen dieses Schadensersatzanspruches werden im Folgenden dargestellt.

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1. EU-Vergaberecht anwendbar

Das Vergabeverfahren muss dem 4. Teil des GWB unterfallen. Dies ist der Fall, wenn ein öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber einen öffentlichen Auftrag oder eine Konzession oberhalb des entsprechenden EU-Schwellenwertes vergibt.

2. Verstoß gegen eine unternehmensschützende Vorschrift

Nach dem Wortlaut des § 181 Satz 1 GWB setzt der Schadensersatzanspruch den Verstoß des Auftraggebers „gegen eine den Schutz von Unternehmen bezweckende Vorschrift“ voraus. Welche Vorschriften hierzu im Einzelnen zählen, enthält die Bestimmung nicht. Grundsätzlich zählen dazu Vorschriften des vierten Teils des GWB und der Vergabeverordnungen (VgV, SektVO, KonzVO, VSVgV) sowie der VOB/A-EG und der VOB/A VS.

Ob eine Vorschrift unternehmensschützend ist, muss anhand des wettbewerbsschützenden Charakters des Vergaberechts beurteilt werden. Ein Verstoß gegen reine Ordnungsvorschriften begründet demgegenüber keine Schadensersatzansprüche.

Zu dem Kreis der bieterschützenden Bestimmungen gehören beispielsweise die Grundsätze der Vergabe, die Wahl der richtigen Vergabeart, die Aufhebung der Ausschreibung nur bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sowie die ordnungsgemäße Prüfung und Wertung der Angebote.

3. „Echte Chance“

Als weitere Voraussetzung ist zu prüfen, ob der Anspruchsteller ohne den Vergabeverstoß eine „echte Chance“ auf Erteilen des Zuschlags gehabt hätte.

In der Rechtsprechung wird eine echte Chance dann angenommen, wenn die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers für oder gegen das Angebot lediglich noch von Wertungen abhängt, deren Beurteilungsspielraum nicht mehr gerichtlich nachprüfbar ist. Damit muss zumindest ein Angebot vorliegen, das den Zuschlag hätte erhalten können.

Hieran fehlt es, wenn beispielsweise ein Ausschlussgrund wegen mangelnder Eignung vorliegt, oder das Angebot etwa aufgrund von Formfehlern hätte ausgeschlossen werden müssen. Auch wenn die Ausschreibung so fehlerhaft ist, dass eine ordnungsgemäße Wertung gar nicht möglich ist, kann der Nachweis einer echten Chance nicht erbracht werden. Denn dann fehlt es an der Vergleichbarkeit der Angebote auf der letzten Wertungsstufe.

In der Praxis heißt das, dass damit ein Schadensersatzanspruch nach § 181 Satz 1 GWB ausscheidet, wenn beispielsweise die Leistungsbeschreibung oder auch die Wertungsmatrix erheblich fehlerhaft sind. Dass auch bei derartigen „kranken“ Vergabeverfahren der Bieter einen Aufwand bei der Angebotserstellung hatte, ihm der Schadensersatzanspruch gem. § 181 Satz 1 GWB aber verwehrt ist, bleibt unbefriedigend. Ein entsprechender Erstattungsanspruch könnte aber aus dem „Verschulden bei Vertragsschluss“ (culpa in contrahendo) resultieren. Dazu erfahren Sie in der Fortsetzung dieses Beitrags mehr.

4. Kausalität

Nach § 181 Satz 1 GWB muss der Unternehmer als Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität belegen, dass der Vergabeverstoß seine Chancen auf den Erhalt des Zuschlages beeinträchtigt hat. Der Vergaberechtsverstoß muss somit kausal für die Beeinträchtigung der echten Chance gewesen sein. Der Unternehmer trägt die Beweislast für diesen Umstand.

Von der Kausalität ist auszugehen, wenn der Vergaberechtsverstoß nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Beeinträchtigung der echten Chance in ihrer konkreten Gestalt entfiele.

Folglich kann es an der Kausalität fehlen, wenn der Unternehmer aus anderen Gründen den Zuschlag nicht hätte erhalten dürfen, etwa, wenn er nicht geeignet ist, ein zwingender Ausschlussgrund vorliegt oder der Verstoß der Vergabestelle im Nachprüfungsverfahren beseitigt wird.

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5. Umfang des Schadensersatzanspruchs

Der Schadensersatzanspruch gem. § 181 Satz 1 GWB ist begrenzt auf den Vertrauensschaden. Dieser umfasst nach dem Wortlaut der Vorschrift die Kosten für die Vorbereitung des Angebots oder der Teilnahme an einem Vergabeverfahren. Die Verwendung des Wortes „oder“ ist hier nicht in einem alternativen Sinne zu verstehen. Damit erstreckt sich der Anspruch auf den Aufwand für die Teilnahme am Vergabeverfahren und für die Ausarbeitung der Angebote.

Zu den erstattungsfähigen Kosten gehören alle Aufwendungen in Geld, die ein Unternehmen eingesetzt hat, um den betreffenden öffentlichen Auftrag zu erhalten, und die es ansonsten nicht gehabt hätte. Hierzu gehören beispielsweise innerbetriebliche Materialkosten, Personallohnkosten, Kosten für Ortsbesichtigungen und Kosten für Verhandlungen mit Nachunternehmern, soweit diese durch die Teilnahme am Vergabeverfahren beziehungsweise der Angebotsausarbeitung verursacht worden sind sowie Kosten für die Teilnahme an Aufklärungsgesprächen.

Hinsichtlich der Geltendmachung von Personalkosten hat es aufgrund einer neueren Entscheidung des (BGH-Urteil vom 8.12.2020, XIII ZR 19/19) eine gravierende Änderung gegeben. Demnach sind

„Personalkosten für die Angebotserstellung auch ohne konkreten Nachweis des Bieters, dass er seine Mitarbeiter anderweitig hätte einsetzen können und dadurch Einnahmen erwirtschaftet hätte, die ihm entgangen sind, ersatzfähig, da die eingesetzte Arbeitskraft typischerweise einen Marktwert hat und bei wertender Betrachtung vom Schadensersatz nicht auszugrenzen ist.“

Die gerade im Umfeld von öffentlichen Auftraggebern vertretene Auffassung zu den sogenannten „Sowieso-Kosten“ ist damit nicht mehr haltbar. Früher war argumentiert worden, dass ein Vermögensschaden nur dann entstanden wäre, wenn das Unternehmen die Mitarbeiter alternativ für einen anderen Zweck als die Angebotserstellung hätte einsetzen können und in diesem Fall Gewinne erzielt worden wären, die ihm nun entgehen.

6. Mitverschulden bei unterbliebener Rüge

Nach dem Wortlaut der in Rede stehenden Anspruchsgrundlage ist eine Rüge nicht erforderlich. Allerdings kann der Schadensersatzanspruch nach § 181 GWB durch ein Mitverschulden des Anspruchstellers gemindert sein.

Nach § 254 Abs. 1 BGB wäre dies der Fall, wenn der Anspruchsteller bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hätte. Dann hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab, unter denen der Schaden von dem Anspruchsteller oder der Vergabestelle verursacht wurde.

Hier wird zum Teil auf die grundlegende Funktion eine Rüge abgestellt: Mir ihr kann die Vergabestelle eventuelle Fehler korrigieren und so verhindern, dass sich etwaige Schäden manifestieren oder weitere Investitionen in die Weiterführung des Vergabeverfahrens im Nachhinein als sinnlos herausstellen.

Dieser Grundgedanke kommt auch beim Schadensersatz zum Tragen: Durch die Einleitung eines Vergabeverfahrens wird ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis zwischen Bieter und öffentlichem Auftraggeber begründet. Hieraus resultieren auch bestimmte Verhaltenspflichten, darunter der Hinweis auf etwaige Fehler im Vergabeverfahren. Rügt der spätere Anspruchsteller nicht, fällt ihm deshalb ein Mitverschulden zur Last. Seine Schadensersatzforderung ist nicht in Gänze versagt, allerdings ist sie zu mindern.

II. Fallkonstellationen

Die wohl häufigste Fallkonstellation betrifft die Aufhebung, weil angeblich keine wirtschaftlichen Angebote eingegangen seien. Letztlich ist dann die Frage, wie valide die Schätzung des Auftragswertes war. Kann der Nachweis durch den Bieter geführt werden, dass der Schätzpreis sachwidrig niedrig war, läge ein Vergabefehler vor, der grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch gem. § 181 Satz 1 GWB begründen kann.

Eine ähnliche Fallkonstellation ist gegeben, wenn vor der Bezuschlagung noch die Genehmigung bestimmter Gremien eingeholt werden muss. Sollte diese sachwidrig verweigert werden, kann es ebenfalls Schadensersatzansprüche begründen.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com