Der Deutsche Bundestag wird am 26. September 2021 neu gewählt. Was fordern die Parteien zum Vergaberecht?

Mit dem „Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (Bundeswehr­beschaffungs­beschleunigungs­gesetz; nachfolgend: BwBBG- E)“ verfolgt die Ampelkoalition das Ziel, Vergabeverfahren zu beschleunigen, damit die Bundeswehr schneller mit Ausrüstung versorgt werden kann. Wir stellen die wesentlichen Zielsetzungen des Gesetzes vor, das am 7. Juli abschließend im Bundestag beraten werden soll.

I. Problem und Ziel des Gesetzesentwurfs

Eingangs wird in dem Gesetzentwurf (Drucksache 20/2353 vom 21.06.2022) die besondere Situation betont. Sie sei entstanden durch den „völkerrechtswidrigen und durch nichts zu rechtfertigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ und die dadurch hervorgerufene „Zeitenwende für unseren Kontinent“. Als erste Reaktion habe die Bundesregierung zur unmittelbaren und effektiven Stärkung der Landes- und Bündnisverteidigung ein Sondervermögen von 100 Milliarden EURO zur Verfügung gestellt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Ein maßgeblicher Aspekt für eine unverzüglich und schnellstmögliche Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sei die Beschleunigung der Beschaffungsmaßnahmen. Dem diene auch die Beschleunigung der entsprechenden Vergabeverfahren als Teil des gesamten Beschaffungsprozesses.

Aufgrund der veränderten Sicherheitsaktarchitektur solle zukünftig auch die gemeinsame Beschaffung mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine noch größere Rolle spielen.

Der Klimawandel erfordere zudem die Einbeziehung von Umweltbelangen in die Beschaffung von Verteidigungsgütern, nicht zuletzt des CO2-Ausstoßes, insbesondere bei besonders materialintensiven Gütern.

Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage im Rahmen der Vergabeverfahren sei zudem verstärkt Vorsorge zu treffen, dass Informationen nicht in die Hände von nicht vertrauenswürdigen Staaten gelangen können.

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II. Die Lösung

Dem Verteidigungsministerium (BMVg) und seinem Geschäftsbereich als Auftraggeber werde durch das Gesetz ermöglicht, für einen beschränkten Zeitraum, der für eine zeitnahe Erhöhung der Einsatzfähigkeit erforderlich sei, vergaberechtliche Erleichterungen zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden.

Damit sollen Vergabeverfahren schneller durchgeführt werden, als dies nach der aktuellen Rechtslage möglich sei. Auch Kooperationsprogramme mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen vereinfacht genutzt werden können. Um die schnellstmögliche Umsetzung effektiv zu gewährleisten, würden parallel auch die Nachprüfungsverfahren beschleunigt und gestärkt. Zusätzlich sollen Sicherheitsinteressen im Vergabeverfahren verstärkt berücksichtigt werden können.

Als letzter Hinweis zu den Lösungsansätzen wird erklärt:

„In dieser Legislaturperiode wird die Bundesregierung außerdem, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, das Vergaberecht reformieren und die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen. Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidung zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen. Dadurch sollen nicht zuletzt grüne Leitmärkte auch für eine nachhaltige Verteidigungsindustrie entstehen.“

Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über die wesentlichen Regelungen des Gesetzentwurfes gegeben werden. Der vergaberechtliche „Feinschmecker“ dieser doch sehr eigenen Materie sei auf den Gesetzesentwurf verwiesen.

Der insgesamt neun Paragrafen umfassende Entwurf hat folgende wesentliche Inhalte:

1. Zweck

Das Gesetz soll dem zeitnahen Erreichen eines breiten, modernen und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr und damit der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit dienen. Die Durchführung von Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die dem vorstehenden Zweck dienen, soll beschleunigt werden. Zudem sollen Sicherheitsinteressen im Vergabeverfahren vereinfacht berücksichtigt werden können (s. § 1 BwBBG-E).

2. Anwendungsbereich

Das Gesetz soll Anwendung finden auf verteidigungsspezifische Aufträge im Sinne des § 104 Abs. 2 GWB, die durch das Bundesministerium der Verteidigung, durch die Behörden in seinen Geschäftsbereich sowie bundeseigene Gesellschaften oder Einrichtungen der Länder, denen die Erledigung von Bauaufgaben Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung übertragen wurde, gelten (§ 2 BwBBG-E).

3. Sonderregelungen zur losweisen Vergabe

Eine gravierende Änderung wird mit dem Gesetzentwurf vollzogen, indem nunmehr mehrere Teil -oder Fachlose zusammen vergeben werden dürfen, „wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen“. Gleiches soll auch für den Fall gelten, dass ein Unternehmen, das nicht selbst öffentlicher Auftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Vergabe betraut wurde (s. § 3 Abs. 1 BwBBG-E).

Zunächst wird durch diese Regelung der Kreis der Gründe, die eine Gesamtvergabe rechtfertigen können, um die zeitlichen Gründe erweitert. Nach der Gesetzesbegründung soll hierbei insbesondere die Eilbedürftigkeit einer Vergabe zu berücksichtigen sein – explizit ohne Vorliegen einer Dringlichkeit im Sinne des Vergaberechts. Insoweit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Losvergabe zu einem erhöhten zeitlichen Aufwand führt, da der Koordinierungsaufwand – anders als bei Gesamtvergaben – in solchen Fällen beim öffentlichen Auftraggeber liegt.

Außerdem wird sprachlich von der bisherigen Regelung in § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB abgewichen, indem nicht mehr die hohe Hürde der Begründung des Erfordernisses einer Gesamtvergabe nötig ist, sondern lediglich noch die Rechtfertigung.

§ 10 Abs. 1 VSVgV, der das Verbot der losweisen Vergabe für den sicherheits- und verteidigungsspezifischen Bereich umgesetzt hat, wird entsprechend angepasst. (§ 3 Abs. 2 BwBBG-E). Ebenso wird eine entsprechende Regelung für Bauaufträge eingefügt (§ 3 Abs. 3 BwBBG-E).

Diese Neuregelung zur losweisen Vergabe soll auch auf gemeinsame europäische Beschaffungsprojekte ausgedehnt werden (§ 4 Abs. 2 BWBBG-E).

4. Keine Unwirksamkeit bei de facto Vergabe etc.

Abweichend von § 135 Absatz 1 GWB soll selbst bei gravierenden Verstößen auf Antrag des Auftraggebers ein Vertrag nicht als unwirksam erachtet werden, wenn nach Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des Zwecks im Sinne des § 1 BwBBG-E der besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sowie der unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es ausnahmsweise rechtfertigen, die Wirkung des Vertrages zu erhalten.

In diesem Fall hat die Vergabekammer oder das Beschwerdegericht alternative Sanktionen zur Feststellung der Unwirksamkeit zu erlassen (§ 3 Abs. 4 BwBBG-E). Diese alternativen Sanktionen können in der Verhängung einer Geldsanktion gegen den Auftraggeber oder der Verkürzung der Laufzeit des Vertrages liegen, wobei die Geldsanktion höchstens 15 % des Auftragswertes betragen darf (§ 3 Abs. 5 BwBBG-E). Bislang war im deutschen Vergaberecht die unter Abs. 1 des Artikels 60 der Richtlinie 2009/81/EG vorgesehene Möglichkeit, dass die Nachprüfungsinstanzen statt der Unwirksamkeitsfolge auch alternative Sanktionen treffen können, nicht vorgesehen.

Neben der Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Grundlage wird gleichzeitig geregelt, dass die Eilbedürftigkeit der in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallenden Vergaben bei dieser Abwägung einzubeziehen ist.

Nach der Gesetzesbegründung soll somit ein Spagat zwischen effektivem Rechtsschutz und abschreckende Wirkung bei Vergabeverstößen erhalten bleiben. Durch die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatz durch das mit seinem Nachprüfungsantrag erfolgreiche Unternehmen würden auf der einen Seite die Bieterinteressen berücksichtigt. Auf der anderen Seite soll die zwingend benötigte Beschleunigung bei der Ausstattung der Bundeswehr nicht eingeschränkt werden.

5. Bevorzugung der am Markt verfügbaren Leistungen

Zur Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben sollen grundsätzlich im Rahmen der Markterkundung am Markt verfügbare Leistungen und Produkte identifiziert werden. Wird eine nicht bereits am Markt verfügbare Leistung beschafft, soll die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung auch die Gründe umfassen, aus denen eine nicht auf dem Markt verfügbare Leistung beschafft wird. Zusätzlich muss aufgeführt werden, inwieweit welcher zusätzliche Nutzen damit im Zusammenhang stehende Zusatzkosten rechtfertigt (§ 3 Abs. 7 BwBBG-E).

6. Gemeinsame europäische Beschaffung

Die Gemeinsame europäische Beschaffung soll gestärkt und beschleunigt werden. Hierzu soll es möglich sein, die Teilnahme am Vergabeverfahren an Kooperationsprogrammen auf diejenigen Bewerber oder Bieter zu beschränken, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig sind. Ausnahmen gibt es für Bewerber oder Bieter aus dem europäischen Wirtschaftsraum und andere die europäische Union bindenden internationalen Übereinkommen.

Für diese Projekte wird auch das Gebot der losweisen Vergabe, wie oben beschrieben, abgeändert.

Bei der im Rahmen der Vorabgestattung des Zuschlags i. S. d. § 169 Abs. 2 GWB und § 176 Abs. 1 GWB vorzunehmenden Abwägung sollen die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen in der Regel überwiegen, wenn die gemeinsame Durchführung des Kooperationsprogramms sonst von einem Mitgliedstaat abgebrochen würde. Entsprechendes soll für den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung (§ 173 Abs. 2 GWB) gelten.

Ein technisches Alleinstellungsmerkmal im Sinne des § 12 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c der VgV könne auch dann vorliegen, wenn die Beschaffung von Ausrüstung, die bereits bei einem Mitgliedstaat im Einsatz ist, die einzige ist, welche die gemeinsame Durchführung des öffentlichen Auftrags ermöglicht.

7. Beschleunigte Verfahren im Rechtsschutz

Sowohl die Verfahren vor der Vergabekammer als auch vor dem Vergabesenat sollen mit diesem geplanten Gesetz beschleunigt werden. So soll beispielsweise die mündliche Verhandlung auch im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO durchgeführt werden. Der Vergabesenat soll im Ausnahmefall sogar nach Lage der Akten entscheiden können, insbesondere, wenn dies der Beschleunigung dient und kein unmittelbarer Eindruck der Parteien oder direkter Austausch des tatsächlichen und rechtlichen Vortrags erforderlich ist.

Bei der Auswahl der geeigneten Maßnahmen, die zur Abstellung des Vergabefehlers ergriffen werden, sollen der Zweck dieses Gesetzes, die besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sowie die unmittelbare Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr berücksichtigt werden.

8. Verstärkte Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen im Vergabeverfahren

Nach dem Entwurf des Gesetzes sollen Auftraggeber einen Bewerber oder Bieter von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen dürfen, wenn dieser in einem Staat außerhalb der EU ansässig ist, der nicht die Gewähr für die Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland bietet. Gleiches soll für Unterauftragnehmer gelten. Auch hier gibt es Sonderregelungen für den europäischen Wirtschaftsraum und Drittstaaten, die dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen beigetreten sind.

9. Übergangsregelungen

Die Regelungen dieses Gesetzes sind auf vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren anzuwenden, die die Vergabe öffentlicher Aufträge nach dem Anwendungsbereich des Gesetzentwurfes zum Gegenstand haben.

10. Laufzeit

Wie üblich soll das Gesetz am Tag nach der Verkündigung in Kraft treten. Es soll mit Ablauf des 31. Dezember 2025 außer Kraft treten (s. § 9 BwBBG-E).

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Einschätzung des Gesetzentwurfs

Im Rahmen des cosinex Blogs informieren wir üblicherweise über Rechtsentwicklungen und halten uns mit Meinungsaussagen zurück. Ungeachtet dessen lässt sich nach einer ersten Einschätzung feststellen, dass viele Elemente des Gesetzes schon heute auf der Grundlage der bestehenden Regelungen möglich sind. Von einem „Giftschrank“ der Möglichkeiten zu schreiben – wie es teilweise zu lesen war – ist übertrieben.

Ob die angestrebten Änderungen tatsächlich zu einer Beschleunigung führen, bleibt indes abzuwarten.

Ebenso kann man die Beantwortung der übergeordneten Frage, ob in dem gesamten Zeitablauf der Beschaffung und der Nutzungsphase die gegebenenfalls erzielten Beschleunigungen überhaupt einen relevanten Vorteil begründen, durchaus skeptisch sehen.

Beispielsweise steigt durch den faktischen Wegfall des Gebots der losweisen Vergabe die Abhängigkeit von großen Monopolanbietern. Wie entsprechende Vorhaben in der Vergangenheit zeigten, führt dies in der Nutzungsphase oftmals zu Engpässen. Bei verschiedenen Waffensystemen liegt die Knappheit nicht darin begründet, dass zu wenige Systeme beschafft wurden. Vielmehr sind insbesondere die Abhängigkeiten so, dass der öffentliche Auftraggeber keinen Druck auf die Monopolanbieter entfalten kann, weil er schlichtweg keine Alternative hat.

Der Gesetzgeber scheint den Weg zu verfolgen, dass weniger Wettbewerb zu Schnelligkeit führt. Denkbar wäre aber auch, mit Entschlossenheit die Idee zu verfolgen, dass mehr Wettbewerb zu mehr Wirtschaftlichkeit und besseren qualitativen Angeboten führt.