Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Unter dem Begriff der „Schulnotenrechtsprechung“ wurde in der Vergangenheit äußerst differenziert diskutiert, wie weit sich Bekanntmachungspflichten auch auf die Wertungskriterien, etwaige Unterkriterien und insbesondere auf die Bewertungsmethode sowie die Bewertungsmatrix erstrecken.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Nachdem auf diesem Gebiet Ruhe eingekehrt zu sein schien, hat nunmehr der Vergabesenat bei dem OLG Frankfurt a.M. in einem jüngeren Beschluss (vom 12.04.2022, 11 Verg 11 / 21) die wesentlichen Grundzüge der Rechtslage noch einmal zusammengefasst und insbesondere zu der Frage Stellung genommen, ob sich die allgemein anerkannten Transparenzpflichten auch auf die Bewertungsmethode erstrecken.

I. Der Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Reinigungsleistungen für eine Hochschule im offenen Verfahren aus.

Das wirtschaftlichste Angebot sollte anhand des Preises (50 %) sowie der Leistungsbewertung gemäß dem Kriterienkatalog (ebenfalls 50 %) ermittelt werden. Die Bieter sollten Fragen zu den drei folgenden Wirtschaftlichkeitskriterien in einem Fragebogen beantworten. Die Fragen betrafen

  • die Reinigungstechnik (untergliedert in „Obenarbeiten“ und „Untenarbeiten“),
  • die Objektorganisation (untergliedert in „Einarbeitungsplan“ und „Objektbetreuung“) und
  • die Qualitätssicherung (untergliedert in „Qualitätscheck“ und „Schulungen“).

Die konkrete Punktevergabe richtete sich nach den in einem Kriterienkatalog detailliert aufgeführten Wertungsstufen.

Die für die Leistungskriterien vergebenen Punkte wurden von dem Auftraggeber anhand der Angaben der Bieter in den Fragebögen ermittelt. Bei der Bewertung verwendete der Auftraggeber eine Bewertungsmatrix. Diese war den Bietern zuvor nicht als Teil der Vergabeunterlagen bekannt gegeben worden.

Nachdem der späteren Antragstellerin mitgeteilt wurde, dass ihr Angebot nicht bezuschlagt werde, stellte diese einen Nachprüfungsantrag. Darin wendete sie sich insbesondere gegen die angeblich intransparente Angebotswertung.

Hierüber hatte in zweiter Instanz der Vergabesenat des OLG Frankfurt zu entscheiden.

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II. Die Entscheidung

Der Vergabesenat hält die zulässige sofortige Beschwerde für begründet.

1. Zur vermeintlichen Rügepräklusion

Die Antragstellerin hat die fehlende Angabe tatsächlich verwendeter Unterkriterien und ihrer Gewichtung nicht bereits vor Einreichung des Nachprüfungantrages gerügt. Hierin sieht der Vergabesenat allerdings keinen Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge, da sie den Vergabefehler nicht vorher positiv erkannt hatte.

Die Frage der Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes sei objektiv zu beurteilen und müsse sich sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Ein sorgfältig handelndes Unternehmen müsse demnach den Vergabeverstoß erkennen können, ohne besonderen Rechtsrat einholen zu müssen. Von einem durchschnittlichen Bieter könne der in Rede stehende Transparenzverstoß ohne anwaltlichen Rat bei Anwendung üblicher Sorgfalt und bei üblichen Vergaberechtskenntnissen nicht erkannt werden.

Die Unterkriterien sowie deren Gewichtung selbst seien zwar bereits den Vergabeunterlagen zu entnehmen gewesen. Eine Zusammenschau dieser umfangreichen Unterlagen führe aber allein zur Tatsachenkenntnis. Damit sei vorliegend nicht die Kenntnis der gerügten Vergabewidrigkeit verbunden gewesen. Die Transparenzanforderungen – insbesondere auch bei Verwendung von Bewertungssystemen – könnten vielmehr dem Gesetz selbst nicht entnommen werden. Sie würden allein durch die Rechtsprechung unter Rückgriff auf den allgemeinen Transparenzgrundsatz in § 97 Abs. 1 GWB ausgeformt, die überdies im Fluss sei. Von einem durchschnittlich erfahrenen Bieter könne nach Einschätzung des Senats keine Kenntnis der sich noch entwickelnden Rechtsprechung zur Transparenz von Bewertungsmaßstäben verlangt werden.

2. Zur Bekanntgabe der Unterkriterien

Aus Sicht des Vergabesenats habe der Auftraggeber die verwendeten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung ordnungsgemäß bekannt gemacht.

Gemäß § 127 Abs. 5 GWB seien die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufzuführen. Neben diesen Vorgaben zur Bekanntmachung gem. § 127 Abs. 5 GWB werde dem Transparenzgrundsatz aus § 97 Absatz 1 S. 1 GWB nach ganz herrschender Meinung auch die Verpflichtung zur Veröffentlichung von bei der Bekanntmachung bereits aufgestellten Unterkriterien und deren Gewichtung entnommen (u.a. unter Hinweis auf die sog. Dimarso-Entscheidung des EuGH (Beschluss vom 14.7.2016 – C-6/15; BGH, Beschluss vom 4.4.2017 – X ZB 3/17 – Postdienstleistungen)).

Diesen Anforderungen genüge die Ausschreibung, da sowohl die Zuschlagskriterien, deren paritätische Gewichtung von jeweils 50 %, die drei jeweiligen Unterkriterien sowie deren jeweilige mögliche Bepunktung der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen zu entnehmen gewesen sei. Damit liege eine hinreichende Transparenz hinsichtlich der Unterkriterien vor.

3. Zur Bekanntmachung der Bewertungsmethode

Nach Ansicht des Vergabesenats sei es nicht erforderlich, auch die angewandte Bewertungsmethode bekannt zu machen.

Gemäß § 127 Abs. 5 GWB beziehe sich die gesetzliche Transparenzpflicht auf die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung. Soweit – wie ausgeführt – auch Unter- bzw. Unterunterkriterien zur Verdeutlichung des Beschaffungsbedarfs des Auftraggebers bekannt zu machen seien, erstrecke sich dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur jedoch nicht gleichermaßen auch auf die jeweils angewandte Bewertungsmethode.

So habe der EuGH (Urteil vom 14.07.2016 – C-6/15 – Dimarso) ausdrücklich betont, dass zwar auch die Unterkriterien zwingend bekanntzumachen seien, sofern sie bei der Bewertung berücksichtigt werden sollten. Dies gelte auch für das Gewicht der Zuschlagskriterien – und damit auch für Unterkriterien. Gewichtungskoeffizienten (die Bewertungsmethoden) seien dagegen von dieser Verpflichtung nicht umfasst; sie könnten auch später festgelegt werden, sofern sie die Zuschlagskriterien nicht änderten, sie nichts enthalten würden, was die Vorbereitung des Angebots hätte beeinflussen können und keine Diskriminierung zu besorgen sei. Entsprechend habe auch der BGH nachfolgend ausgeführt, dass eine Bewertungsmatrix selbst nicht bekannt gemacht werden müsse (BGH, Beschluss vom 4. 4. 2017-X ZB 3/17 – Postdienstleistungen).

4. Keine Sonderregelungen bei funktionalen Ausschreibungen

Diese Grundsätze würden unabhängig davon gelten, ob eine funktionale Ausschreibung zu beurteilen sei oder nicht.

Der geforderte Detaillierungsgrad der Bekanntgabe richtet sich nach seiner Funktion, dies sei im konkreten Einzelfall zu beurteilen. Der Transparenzgrundsatz solle es dem Bieter ermöglichen, zu erkennen, auf welche Gesichtspunkte es dem Auftraggeber in welchem Maße ankomme, sodass er sein Angebot nach den Bedürfnissen des Auftraggebers optimal gestalten könne. Hierzu müsse der Bieter aber nicht im Vorhinein erkennen können, welchen bestimmten Erfüllungsgrad sein Angebot auf der Grundlage der Zuschlagskriterien erreichen muss, um mit einer bestimmten Notenstufe beziehungsweise Punktzahl eines Notensystems bewertet zu werden. Die Grenze, ab der das Offenlassen von Bewertungsmaßstäben vergaberechtlich unzulässig sei, werde erreicht, wenn die aufgestellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt seien, dass sich der Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informieren könne, anhand derer das wirtschaftlichste Angebot ermittelt werde.

Ausgehend hiervon war der Auftraggeber angesichts der vorhandenen Informationen über die Zuschlagskriterien, Unter- und Unterunterkriterien sowie deren Gewichtung nicht verpflichtet, auch das von ihm verwendete Bewertungsschema für die Bewertung der Fragebögen im Vorfeld bekannt zu machen. Die dort vorgenommene Bewertung beruhe auf der bekannt gemachten Vorgabe für die Verteilung der Leistungspunkte.

Ausdrücklich verweist der Vergabesenat darauf, dass in Einzelfällen bei komplexen Auftragsgegenständen und vielschichtigen Wertungskriterien gegebenenfalls der Auftraggeber aus Transparenzgründen verpflichtet sein könnte, seine Vorstellungen oder Präferenzen zum denkbaren Zielerreichungsgrad zu erläutern und bekannt zu geben. Solch eine Situation liege hier aber nicht vor. Die Antragstellerin verweise selbst darauf, dass es sich im Wesentlichen um ein binär durch Ja-Nein-Fragen abgefragtes Leistungsspektrum handele. Als zertifiziertes Unternehmen verfüge die Antragstellerin auch über Kenntnisse hinsichtlich des Stands der Reinigungstechnik.

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III. Hinweise für die Praxis

Auch Unterkriterien und ihre Gewichtung sind aus Transparenzgründen bekanntzugeben. Eine Veröffentlichung der Bewertungsmethode ist dagegen, sofern die vom EuGH (Urteil vom 14.7.2016 – C-6/15 – Dimarso) aufgezeigten Grenzen eingehalten werden, unabhängig vom Vorliegen einer funktionalen Ausschreibung nicht erforderlich.

Ausdrücklich hat der Vergabesenat bei dem OLG Frankfurt darauf hingewiesen, dass auch der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf seine ursprünglich anderslautende Entscheidungspraxis angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH seit 2017 dementsprechend abgeändert hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.2017 – VII Verg 39/16). In Übereinstimmung mit EuGH und BGH vertritt auch das OLG Düsseldorf nunmehr ebenfalls die Ansicht, dass die Bewertungsmethode selbst den Bietern nicht zur Kenntnis gebracht werden muss, sofern sie an den bekannt gemachten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung keine Veränderung bewirkt.

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