
Christian Heuking ist Rechtsanwalt in Düsseldorf und Fachexperte für Wirtschaftsstrafrecht. Im zweiten Teil unserer Diskussion mit ihm und cosinex Geschäftsführer Carsten Klipstein geht es um die Flucht in intransparente Verhandlungsvergaben und deren Korruptionsanfälligkeit. Der Leiter der Arbeitsgruppe Vergabe von Transparency International Deutschland gibt Hinweise zur Frage, wie man Vergabe korruptionsfester machen kann. Zu Teil 1 der Diskussion gelangen Sie hier.
Herr Heuking, ist das Vergaberecht an einigen Stellen zu lax?
Christian Heuking: Vor allem der Umgang mit dem Vergaberecht ist zu lax. Konkret haben wir ein Anwendungs- und Durchsetzungsdefizit. Man könnte das ändern und beispielsweise beschließen, die De facto-Vergabe zum Gegenstand eines Straftatbestandes zu machen, weil das ihr immanente Risiko, zu teuer zu kaufen, zu hoch ist. Aber das wird in der Politik letztlich keiner tun wollen. Denn die Politik bringt letztlich immer wieder zum Ausdruck, dass sie das Vergaberecht gar nicht will. Warum sollte sie also dessen Nichtbeachtung pönalisieren?
Carsten Klipstein: Und dann sind wir beim Thema Vorbildfunktion: Was lernt der Bürgermeister? Was lernt der Mitarbeiter der Vergabestelle, wenn Vergaberecht erkennbar politisch nicht gewollt ist? Hinzu kommt: bei jedem Vorfall ist das Vergaberecht schuld. Wenn ein Vorhaben gut läuft, haben Politik und Fachbereiche einen guten Job gemacht; wenn irgendwas in die Hose geht, ist die Vergabestelle oder das Vergaberecht schuld.
Im Grunde müsste die Grundhaltung der politisch Verantwortlichen die gleiche sein, wie in der Privatwirtschaft. Dort gilt für jeden Geschäftsführer, der nicht Alleingesellschafter ist: Verhalten Sie sich wie der Treuhänder fremden Geldes, der Sie sind, wenn Ihnen auch nur 0,1 Prozent der Gesellschaft nicht gehören.
Heuking: Richtig. Im Grunde genommen müssten die strafrechtlichen Regelungen, die für Unternehmensverantwortliche gelten, spiegelbildlich auch im öffentlichen Raum angewendet werden. Das bedeutet, dass Bürgermeister und zuständige Beigeordnete für Projekte letztlich verantwortlich sind und verantwortlich unterschreiben, um so zu dokumentieren, dass die Entscheidung verantwortlich vorbereitet und geprüft wurde.
Aber ich weiß jetzt schon, dass es viele gibt, die dann sagen, es übernimmt keiner mehr solche Ämter und die, die in der Verantwortung sind, treffen auch keine Entscheidungen mehr. Allerdings sehe ich gegenwärtig nicht, mit welchen Mitteln man hier zu besseren Entscheidungen und Entscheidungsprozessen kommen soll.
Sie hatten im Vorgespräch die These formuliert, dass vergabefremde Aspekte die Flucht in intransparente Verhandlungsvergaben und in die Korruptionsanfälligkeit fördern.
Heuking: Es gibt entsprechende Kausalzusammenhänge, die das meines Erachtens belegen. Versetzen wir uns mal die Situation einer Vergabestelle. Je stärker ich die Anforderungen an die letztlich zu treffende Vergabeentscheidung erhöhe, desto schwieriger wird das Ganze, zumal wenn die Verstöße rechtsschutzbewehrt sind.
Problematisch ist es daher, wenn man die Beschaffung, also den Auftragsgegenstand oder die Anforderungen an den Auftragnehmer, mit einer Vielzahl von Anforderungen auflädt, welche die Vergabestellen dann sachgerecht und rechtssicher im Verfahren platzieren müssen. Solche Vorgaben formuliert die Politik seit Jahren, weil sie jenseits der Bedarfsdeckung über die Auftragsvergabe politische Interessen durchsetzen will.

Es kommt hinzu: Die Mitarbeiter in der Vergabestelle werden mit diesen Anforderungen schlicht überfordert. Man lässt sie mit der steigenden Komplexität der Beschaffung und den Anforderungen des Vergaberechts sowie mit den damit verbundenen Risiken völlig alleine, statt die Vergabestellen angemessen auszustatten und die Mitarbeiter fortzubilden.
Das sollten sie mal in privatwirtschaftlichen Unternehmen machen. Wissen Sie wie die Staatsanwaltschaften da vorgehen, wenn an der Stelle strafrechtlich was schief geht? Die erste Frage lautet dann ‚Haben sie interne Richtlinien zum Thema Compliance? ‘ – ‚Ja, haben wir. ‘ – ‚Und wann ist da zuletzt geschult worden? ‘ Das nötige Wissen ist in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen eine Bringschuld der Unternehmensverantwortlichen. Das wird im öffentlichen Bereich völlig anders praktiziert.
Was ist aus Sicht der Korruptionsbekämpfung schlimmer: Die wachsende Komplexität des Vergaberechts, oder die Lockerungen?
Heuking: Das Schlimmste sind die Lockerungen, auch wenn sie ihre Ursache zum großen Teil in der wachsenden Komplexität haben. Die Lockerungen sind so schlimm, weil sie immer wieder ausdrücken, dass das Vergaberecht angeblich eine praxistaugliche Beschaffung hindert. Das führt zu einem Schlechtreden des Vergaberechtes.
Klipstein: Ich bin umgefallen, als wir das für unseren Blog verarbeitet haben: Kennen Sie die Wertgrenzen in Sachsen-Anhalt und in Thüringen im Baubereich? In Sachsen-Anhalt können Sie für 5 Mio. Euro Aufträge im Baubereich ohne öffentliche Ausschreibungen vergeben. In Thüringen für 3 Mio. Euro. Das scheint mir auch unter haushalterischen Aspekten schon bedenklich.
Heuking: So ist es: Diese ganzen Lockerungen führen vor allem dazu, dass man unstrukturiert und in der Folge meist zu teuer kauft. Der Einkauf wird dadurch erfahrungsgemäß auch korruptionsanfälliger. Der Bundesrechnungshof hat das in einer Untersuchung im Zuge des Konjunkturpaketes II sehr schön herausgearbeitet: im Durchschnitt 13 Prozent Mehrkosten im Rahmen nicht öffentlicher Vergabearten. Das interessiert aber kaum einen. Es ist ja der Bundesrechnungshof, aus Sicht vieler eine wenig geschätzte Behörde, die irgendwo sitzt und Berichte schreibt. Das ist traurig, weil dort und in den Rechnungshöfen der Länder sehr viel Kompetenz sitzt, die auch aus diesem Grund viel mehr Beachtung verdient.
Zum Abschluss, Herr Heuking, wo sehen Sie Ansatzpunkte, um das Vergaberecht korruptionsfester zu machen?
Heuking: An erster Stelle steht für mich die Entpolitisierung des Vergaberechts, und zwar in jeder Hinsicht. Sowohl allgemein von der immer wieder festzustellenden Einflussnahme der Politik auf konkrete Vergabeverfahren, bis zu den Forderungen nach Lockerung des Vergaberechts. Transparenz hilft hier sicher.
Ganz wichtig ist es, das Vergaberecht möglichst einfach zu gestalten. Ferner müssen die Mitarbeiter der Vergabestellen angemessen qualifiziert werden. Sie müssen die Vergabestellen in die Lage versetzen, einen vernünftigen Job zu machen. Dazu gehören auch gut strukturierte Verfahren, die sicher gehandhabt werden und Bündelungen ermöglichen.
Und der letzte Aspekt ist natürlich Kontrolle. Wir brauchen dazu Transparenz in den Verfahren – von der Beschaffungsentscheidung bis zur Leistungserbringung – und sodann Kontrolle sowohl durch Klageverfahren als auch die Rechnungshöfe. Insgesamt müssen für Verstöße angemessene Entdeckungsrisiken generiert werden. Auf festgestellte Verstöße muss dann mit entsprechenden Sanktionen reagiert werden.
Klipstein: Herr Heuking, herzlichen Dank für das Gespräch.
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Sehr geehrter Herr Loschelder,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Einschätzungen teile ich in jeder Hinsicht.
Das Vergaberecht weist aufgrund der diversen politischen Einflussnahmen und der dabei nicht gelösten Konflikte viele Unklarheiten auf, die sich zunächst und vor allem bei den Vergabestellen niederschlagen. Denn diese haben die Verfahren verantwortlich zu gestalten und sind letztlich diejenigen, die für ein – warum letztlich auch immer – gescheitertes oder auch nur verzögertes Verfahren verantwortlich gemacht werden. Das ist vollkommen unakzeptabel. Es ist vornehmlich der Gesetz- und Verordnungsgeber, der in seinem Tun Zurückhaltung üben und für Klarheit sorgen sollte. Daher befürworte ich eine Ausrichtung der Beschaffung an dem zu deckenden Bedarf und unter Beachtung des Wettbewerbs. In dieser Reihenfolge und mit den gebotenen Konsequenzen. Auf dieser Grundlage strukturierte Vergabeverfahren bieten dann auch hinreichende Möglichkeiten für angemessene Kontrollen. Damit wäre für die sachgerechte Mittelbewirtschaftung, den Wettbewerb, die Korruptionsprävention und in angemessenen Rahmen für die Innovationsförderung sehr viel erreicht.
Sehr geehrter Herr Heuking,
lieben Dank für das Interview. Ich habe es mit Interesse gelesen.
Ihr Fazit, ich darf zitieren: An erster Stelle steht [ …] die Entpolitisierung des Vergaberechts, und zwar in jeder Hinsicht. Sowohl allgemein von der immer wieder festzustellenden Einflussnahme der Politik auf konkrete Vergabeverfahren, bis zu den Forderungen nach Lockerung des Vergaberechts. Transparenz hilft hier sicher.
Ganz wichtig ist es, das Vergaberecht möglichst einfach zu gestalten. Ferner müssen die Mitarbeiter der Vergabestellen angemessen qualifiziert werden. Sie müssen die Vergabestellen in die Lage versetzen, einen vernünftigen Job zu machen. Dazu gehören auch gut strukturierte Verfahren, die sicher gehandhabt werden und Bündelungen ermöglichen.
Und der letzte Aspekt ist natürlich Kontrolle. Wir brauchen dazu Transparenz in den Verfahren – von der Beschaffungsentscheidung bis zur Leistungserbringung – und sodann Kontrolle sowohl durch Klageverfahren als auch die Rechnungshöfe. (Zitat Ende) würde ich sofort unterschreiben.
Aber einfache Verfahren und Klage sind nach meiner Erfahrung sich widersprechende Tatbestände. Für Sie als Rechtsanwalt gut, für die Vergabestelle wäre es Gift. Wenn jeder Bieter, der auf Platz 9 einer Rangliste steht nur aus „bösem Willen“ oder „weil er sich beschwert fühlt“ vor den Kadi ziehen kann und das z. B. ab 25.000,- €, wird kein Verfahren mehr zu Ende gebracht. Ein Rechtsschutz in dieser Größenordnung könnte m. E. nur gelingen, wenn man das Instrument der Widerspruchsstellen, z.B. angesiedelt bei der Innenrevision einer Einrichtung oder den Gemeindeprüfungsämtern stärker beleben würde. Eine so eingebaute Innenrevision würde auch gut als Korruptionsschutz dienen können.
Bei all der Diskussion kommt mir immer ein Aspekt zu kurz, nämlich das Ergebnis eines Verfahrens oder anders ausgedrückt, dass was aus Sicht einer Vergabestelle, einer Einrichtung „hinter herauskommen“ soll.. Als Vergabestelle bin ich zum einem dem Recht, dann dem Verfahren und zu guter Letzt dem Erfolg verpflichtet. Der Erfolg kommt aber in den Vorschriften gar nicht vor, sondern wird impliziert vorausgesetzt. Festmachen kann man das sehr gut an der Diskussion über produktneutrale Ausschreibung vers. Leistungsbestimmungsrecht. Hier wird m. E. insbesondere von den rechtsberatenden Stellen der produktneutralen Beschreibung zu sehr das Wort geredet.
Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, nämlich das Zuwendungsvergaberecht. Hier treffen die Interessen der Mittelbewirtschaftung und die der Anwendung des Vergaberechts oft unversöhnlich aufeinander. Zwar wird in den Bewilligungsbescheiden verfügt, das Vergaberecht anzuwenden sei, aber ein Zuwendungsgeber will sich bei seiner Mittel-Bewirtschaftung nicht von den möglichen Auswirkungen reinreden lassen. Wenn ein Zuwendungsbescheid Vergabeverfahren sei es im Baubereich, sei es im Liefer- und Leistungsbereich über der EU Schwelle fordert und entsprechende Beschaffungen fördert, aber schon zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides der Bewirtschaftungszeitraum so knapp bemessen ist, dass eine ordentliche Vorbereitung, ein fristgerechtes Verfahren, eine unumgängliche Lieferfrist, eine notwendige Montage und Abnahme nicht mehr passen (ein mögliches Rügeverfahren unterschlagen wir bei unserer Zeitplanung mal ganz) und sich dann in Verhandlungen nicht flexibel gezeigt wird, dann kommt eine Vergabestelle an ihre Grenzen. Ich habe ihn einmal in einem Urteil des VG Münster gelesen, den Satz, „Wer die Anwendung des Vergaberechts verfügt, muss sich auch die Konsequenzen anrechnen lassen.“ Der Satz wird von den zuständigen Haushaltstellen quasi nicht beachtet.
Daher wenn Vergaberecht funktionieren soll, muss es wie von Ihnen gefordert, entpolitisiert, möglichst einfach mit gut strukturierte Verfahren gestaltet, ferner die Mitarbeiter der Vergabestellen angemessen qualifiziert und in die Lage versetzen werden, einen vernünftigen Job zu machen und es muss endlich auch eine Lösung dafür gefunden werden, dass das was hinten herauskommen soll vom Vergaberecht mit abgedeckt wird.