Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Gerade bei wiederkehrenden Beschaffungsaufträgen werden oftmals Wege gesucht, um den Aufwand der Einzelvergabe zu reduzieren. Eine mögliche Lösung besteht in der Nutzung eines „Dienstleisters“, der einen Teil des eigentlichen Vergabeprozesses übernimmt. Der Vergabesenat bei dem OLG Frankfurt a.M. nimmt in einem aktuellen Beschluss (vom 17.02.2022, 11 Verg 8 / 21) zu der Frage Stellung, inwieweit eine derartige Delegation vergaberechtlich zulässig ist.

I. Der Sachverhalt

Bislang hat die Vergabestelle Rahmenverträge für die Erbringung von angeordneten Abschleppleistungen im Stadtgebiet getrennt nach mehreren Gebietslosen ausgeschrieben. Da sie sich personell und technisch überfordert sah, entscheidet sie sich, nunmehr einen Dienstleistungsauftrag zur Vermittlung von Abschleppaufträgen für das Stadtgebiet einschließlich der sicheren Verwahrung und Herausgabe der Fahrzeuge (…) auszuschreiben.

Wesentliche Leistung soll die Vermittlung von Abschleppaufträgen an Abschleppunternehmen sein, die in dem von der Stadt geführten Vermittlungsregister registriert sind – durchzuführen von einer Vermittlungszentrale. Die konkrete Beauftragung soll im „Reihum-Verfahren“ erfolgen. Zur Vergütung werden Festpreise veranschlagt, die zuvor von einer Unternehmensberatung ermittelt wurden.

Die Vermittlungszentrale soll ferner im Hinblick auf die zu vermittelnden Abschleppaufträge mit den registrierten Abschleppunternehmen eigenständig (Rahmen)verträge unter Berücksichtigung der Vorgaben aus der Leistungsbeschreibung abschließen. Die Entscheidung über die Aufnahme in die Liste soll durch die Vermittlungszentrale anhand vorgegebener Kriterien erfolgen.

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Laut Ausschreibungsbedingungen dürfen sich Abschleppunternehmen nicht auf den Auftrag zum Betrieb der Vermittlungszentrale bewerben.

Der spätere Antragsteller betreibt ein Abschleppunternehmen in dieser Stadt und sieht sich deshalb an der Angebotsabgabe gehindert. Er stellt nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag. Darin bemängelt er insbesondere, dass die Vergabestelle in unzulässiger Weise die Beschaffung von Abschleppdienstleistungen vollständig auf den Betreiber der Vermittlungszentrale delegieren wolle.

Naturgemäß sieht die Vergabestelle dies anders. Sie hält schon den Nachprüfungsantrag für unzulässig, weil der Antragsteller als Abschleppunternehmer nicht zur Teilnahme an dem Vergabeverfahren zur Vergabe der Vermittlungstätigkeit zugelassen sei. Er könne daher durch die vermeintlichen weiteren Vergabeverstöße nicht in eigenen Rechten verletzt worden sein.

Außerdem treffe die Vermittlungszentrale keine eigene Auswahlentscheidung in Bezug auf die zu beauftragenden Abschleppunternehmen. Deshalb handle es sich um ein dem sog. „Open-House“-Modell angenähertes Verfahren, das nicht den vergaberechtlichen Bestimmungen unterliege.

Die Vergabekammer hebt das angegriffene Vergabeverfahren auf, wogegen sich die Vergabestelle mit der sofortigen Beschwerde wendet.

II. Die Entscheidung

Der Vergabesenat teilt die Ansicht der Vergabekammer und führt zu den wesentlichen Streitpunkten folgendes aus:

1. Zur Antragsbefugnis

Der Vergabesenat hält den Antragsteller für antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB), obwohl er kein Angebot eingereicht hat. Er habe in seinem Nachprüfungsantrag ausführlich dargelegt, dass ihn die Vorgabe der Vergabestelle, Abschleppunternehmer – wie ihn – nicht zum Wettbewerb zuzulassen, davon abgehalten hat, ein eigenes Angebot zu erarbeiten. Zugleich habe der Antragsteller dargelegt, dass er diese Ausschlussklausel für vergaberechtswidrig hält.

Dies genüge im vorliegenden Fall für die notwendige Darlegung, durch die Vorgaben der Ausschreibung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Rüge inhaltlich berechtigt sei oder nicht. Jedenfalls könne man einem potenziell an der Ausschreibung interessierten Bieter nicht dadurch die Antragsbefugnis entziehen, dass man ihn im Vergabeverfahren nicht zulasse.

2. Die Begründetheit

Der Vergabesenat hält den Nachprüfungsantrag für begründet. Die Vergabestelle verstoße gegen § 97 Abs. 1 S. 1 GWB, indem sie davon absieht, die Beschaffung von Abschleppleistungen vergaberechtskonform auszuschreiben und stattdessen beabsichtigt, die Beschaffung mit der hiesigen Vergabe auf die Betreiberin der Vermittlungszentrale zu delegieren.

a. Vergaberechtswidrigkeit der Vermittlungstätigkeit

Bezogen auf die Abschleppleistungen liege nach Ansicht des Vergabesenats eine Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften auch dann vor, wenn fehlerhafterweise gar kein Vergabeverfahren durchgeführt werde. So in dem Fall, dass der öffentliche Auftraggeber eine Mittelsperson einsetze, um den Auftrag freihändig zu vergeben.

Als Ausgangspunkt der Überlegungen stellt der Vergabesenat fest, dass die Beauftragung von Abschleppunternehmen zum Abschleppen und Verwahren verkehrswidrig abgestellter Fahrzeuge durch die Ordnungsbehörde eine Beschaffung von Dienstleistungen i.S. von § 103 Abs. 1, Abs. 4 GWB sei, die in einem transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren auszuschreiben sei.

Der Vergabesenat verweist darauf, dass mit der angegriffenen Ausschreibung keine eigentlichen Abschlepp- und Verwahrleistungen vergeben würden. Der mit der Ausschreibung angestrebte Rahmenvertrag über den Betrieb der Vermittlungszentrale könne nicht als Generalunternehmervertrag angesehen werden, durch den sich der Betreiber eigenständig zur Ausführung der Abschlepp- und Verwahrleistungen verpflichtet und dabei die vermittelten Abschleppunternehmen als Nach- oder Unterauftragnehmer einsetzt.

Der verständige, einschlägig erfahrene Bieter von Abschleppleistungen kenne den hoheitlich motivierten Hintergrund und wisse daher, dass diese durch die Ordnungsbehörden in Wahrnehmung ihrer ordnungspolizeilichen Befugnisse in Auftrag gegeben würden. Auch aus dem Umstand, dass die Abschleppunternehmen eigenständig (Rahmen-)Verträge mit der Vermittlungszentrale abschließen müssten, könne man nicht schließen, dass die Abschleppunternehmen als Erfüllungsgehilfen der Vermittlungszentrale in einem Generalunternehmerverhältnis tätig werden sollten. Diese (Rahmen-) Verträge seien unabdingbar, damit die Vermittlungszentrale ihre Verpflichtung zur Prüfung der Mindestleistungsanforderungen und der Durchführungsanordnungen bei den Abschleppunternehmen erfüllen könnte.

b. Vergabe der Abschleppleistungen rechtswidrig

Die Geltung des Vergaberechts stehe nicht zur Disposition öffentlicher Auftraggeber. Wenn sich ein öffentlicher Auftraggeber dazu entschließe, die Erfüllung bestimmter Leistungen einer juristischen Person zu übertragen, die ihrerseits nicht öffentlicher Auftraggeber ist, dann werde dem Vergaberecht nur dann Geltung verschafft, wenn die juristische Person entsprechende Aufträge öffentlich ausschreibt.

Diese Anforderungen würden hier nicht erfüllt. Die Abschleppaufträge sollten nicht ausgeschrieben, sondern vielmehr durch die Vermittlungszentrale völlig eigenverantwortlich an diejenigen Abschleppunternehmen vergeben werden, die zuvor in das eigenständig von der Zentrale geführte Register und in die hierauf bezogene Vermittlungsliste aufgenommen worden seien. Dabei sei es irrelevant, dass der Vermittlungszentrale bei der eigentlichen Vermittlung keine Auswahlmöglichkeit eröffnet werde, da sie streng nach der Vermittlungsliste im „Reihum-Verfahren“ vorgehen müsse. Denn im Rahmen der Führung des Vermittlungsregisters und der Prüfung der Mindestleistungsvoraussetzungen würde die der Vergabestelle obliegende Auswahlentscheidung auf die Zentrale verlagert. Beispielsweise würden schon bei der Aufnahme der Abschleppunternehmen in das Vermittlungsregister (Vergabe-)entscheidungen oder auch bei der Streichung aus dem Register dem Vermittler Ermessens- und Beurteilungsspielräume zuerkannt, die ausschließlich von der Vergabestelle ausgefüllt werden dürften.

c. Kein vergabefreies Open House-Modell

Nach Ansicht des Vergabesenats könne sich die Vergabestelle nicht darauf berufen, dass die Verteilung der Abschleppaufträge in einem dem „Open House-Modell“ nachempfundenen Verfahren erfolgen soll. Vergaberechtlich läge keine Auftragsvergabe vor, wenn der öffentliche Auftraggeber – ohne, dass eine Selektivität ausgeübt wird – alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe zulässt.

Entscheidend für die Ablehnung des Open House-Modells sei, dass die Vermittlerin als Stellvertreterin der Antragsgegnerin Abschleppaufträge vergeben soll. Dabei solle die Vermittlungszentrale auch über die Aufnahme entscheiden, wer in das Vermittlungsregister aufgenommen werden soll und wer nicht.

Demgegenüber würden bei den vom EuGH bestätigten Fällen eines Open House-Modells die Auswahlentscheidungen immer von der Vergabestelle selbst getroffen.

3. Aufhebung des Verfahrens als Ultima Ratio

Aus Sicht des Vergabesenats liegt der Vergaberechtsverstoß in der konzeptionellen Ausgestaltung der Arbeit der Vermittlungszentrale begründet. Denn bei der hier streitgegenständlichen Ausschreibung liege nicht nur bei der Leistungsbeschreibung ein fehlerhaftes Verständnis von der Zulässigkeit der Delegation von Vergabeentscheidungen zugrunde. Dieser Fehler lasse sich nicht durch einige kleinere Korrekturen beseitigen. Bei fortbestehender Absicht der Vergabe von Vermittlungsleistungen für Abschleppaufträge sei daher eine völlige Neuorientierung der Aufgabenstellung der Vermittlungszentrale erforderlich.

Ausdrücklich ließ der Vergabesenat dabei offen, ob sich die Vergabestelle bei der Vergabe von Abschleppleistungen grundsätzlich einer Vermittlungszentrale bedienen könne.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Manchmal lassen sich relativ komplexe Entscheidungen kurz zusammenfassen: Entscheidungen muss die Vergabestelle selbst treffen und kann sie nicht delegieren.

Selbstverständlich kann sich eine Vergabestelle der Hilfe eines Beschaffungsdienstleisters im Sinne von § 6 VgV bedienen. Wie der Vergabesenat zutreffend ausführt, ist der Begriff des Beschaffungsdienstleisters nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers weit auszulegen. Erfasst wird demnach jedes Tätigwerden für den öffentlichen Auftraggeber auf rechtlicher Grundlage im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren.

Vor diesem Hintergrund scheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, eine Vermittlungszentrale als Intermediär bei der Verteilung von Abschleppaufträgen einzusetzen. Zumindest, sofern sich deren Auftrag darauf beschränkt, die „Reihum-Verteilung“ von Abschleppaufträgen nach einem von vornherein festgelegten und unabänderlichen Modus durchzuführen, während die (Auswahl-) Entscheidungen zur Zulassung der Abschleppunternehmen in das Vermittlungsregister und zur Qualitätskontrolle ausschließlich in der Hand der Antragsgegnerin liegen, die sich auch eine entsprechende Kontrolle der Vermittlungsleistungen vorbehalten muss.

1. Übertragung auf Beschaffungskataloge und andere Vermittler

Auch mit Blick auf andere „Fluchten aus dem Vergaberecht“ dürfte diese Entscheidung von Relevanz sein. Beispielsweise wird sich bei der Beschaffung von Büromaterial sowie weiteren C-Artikeln zunehmend auf elektronische Kataloge abgestützt. Oftmals entscheidet der Betreiber des Kataloges darüber, welche Produkte dort hinterlegt werden. Bei Lichte betrachtet findet hier eine Auswahlentscheidung statt, die eigentlich die Vergabestelle im Wege eines vergaberechtskonformen Verfahrens zu treffen hat.

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