Dr. Nicola Ohrtmann referierte auf dem Deutschen Vergabe-Symposium nicht nur zu Rahmenverträgen und dynamischer Beschaffung, sie moderierte außerdem beide Podiumsdiskussionen der zweitägigen Veranstaltung. Im Interview mit dem cosinex Blog gab sie einen Ausblick auf die Themen.
Als Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin der Anwaltskanzlei AULINGER in Essen berät Dr. Nicola Ohrtmann seit 20 Jahren Mandanten auf Auftraggeber- wie Bieterseite zu allen Fragen des Vergaberechts, zu beihilferechtlichen Themen und bei der Strukturierung und Organisation vergaberechtlicher Compliance.
Zudem ist sie Mitglied des Gesetzgebungsausschuss Vergaberecht des Deutschen Anwaltvereins. Sie veröffentlicht regelmäßig Beiträge in Fachzeitschriften und Wirtschaftsnachrichten, ist Autorin und Co-Herausgeberin zahlreicher Praxishandbücher und leitet sie Schulungsveranstaltungen im Vergaberecht und begleitet Praktikerseminare als Referentin.
Frau Dr. Ohrtmann, Sie versprechen im Vortragstitel das Heben von Effizienzpotenzialen. Lässt sich der Wert der Schätze beziffern, die da schlummern?
Ich bin kein Wirtschaftsmathematiker, sondern nur Anwältin. Und Sie kennen bestimmt das Rechtssprichwort „iudex non calculat.“ – „Der Richter“ – in meinem Fall erweitert auf den Juristen – „rechnet nicht“. Ich jedenfalls könnte es nicht so gut, um Ihre Frage zu beantworten.
Aber ich sehe in meiner täglichen Arbeit, dass Beschaffungsstellen sich oftmals effizienter aufstellen könnten. Rahmenverträge und die dynamische Beschaffung sind zwei vergaberechtliche Werkzeuge, die genutzt werden können, um sich viel Beschaffungsarbeit zu ersparen und flexibel auf Bedarfe des eigenen Hauses reagieren zu können.
Wie groß dann die Effizienzpotenziale sind, hängt stark von der individuellen Beschaffungsstelle und auch den Beschaffungsgegenständen und -volumina ab. Größere Beschaffungsstellen können naturgemäß mehr von Flexibilisierungswerkzeugen profitieren als kleinere.
Wie hoch ist der Aufwand vor dem Ertrag? Muss sich eine Vergabestelle grundlegend umstellen, um von der Pflicht zur Kür zu gelangen?
Wie immer kann man nicht verallgemeinern: Das dynamische Beschaffungssystem ist bei der erstmaligen Einrichtung durchaus aufwändig und wird kleineren Einkaufseinheiten mit geringen Beschaffungsvolumina nicht helfen. Zudem muss ja auch die Marktgegenseite das Instrument annehmen und sich darauf bewerben. Das sehen wir beim dynamischen Beschaffungssystem – wenn es denn verwendet wird – auch nicht in jeder Branche.
Für mittelgroße bis große Beschaffungshäuser ist es aber durchaus eine attraktive Alternative zur Deckung von standardisierten Leistungen. Ein klarer Vorteil liegt darin, dass man nach der erstmaligen Einrichtung als Einkäufer in kürzester Zeit auf einen größeren Pool von geeigneten und geprüften Unternehmen zurückgreifen kann. Bei wiederkehrenden und größeren Beschaffungsvolumina kann das die Arbeit erleichtern und beschleunigen.
Die Rahmenvereinbarung ist in meinen Augen ein Instrument, das jede Beschaffungsstelle im Blick haben sollte. Sie regelt eine Vielzahl von Einzelaufträgen, wird aber grundsätzlich nicht anders und in den Fällen des Vertragsschlusses mit einem einzigen Rahmenvertragspartner auch nicht aufwändiger vergeben als ein einziger öffentlicher Auftrag. Die Rahmenvereinbarung kann daher jede Beschaffungsstelle unproblematisch nutzen.
Sie moderieren ja auch die beiden Podiumsdiskussionen auf dem Vergabe-Symposium. Wo erwarten Sie denn mehr Kontroverse – bei den Herausforderungen an die Vergabestelle der Zukunft oder bei der Frage, ob die Formstrenge im Vergaberecht erodiert?
Ich bin mir schon wegen der teilnehmenden Diskutanten sicher, dass beide Foren sehr lebhaft, unterhaltsam und erkenntnisreich sein werden.
Auf die sicherlich drängendere Frage, wie wir die Vergabestellen weiter optimieren können, damit sie den aktuellen Herausforderungen an eine rechtssichere, wirtschaftliche und nachhaltige Beschaffung gewachsen sind, erwarte ich übrigens auch von Ihnen, also cosinex, Lösungsvorschläge. Bei der Frage nach den Möglichkeiten, Beschaffung zu verschlanken, zu standardisieren, rechtssicherer zu gestalten und Know-how-Transfer – insbesondere auch an die kleineren Beschaffungseinheiten – leichtgängig zu gewährleisten, sind insbesondere auch elektronische Lösungen über die Vergabemarktplätze ein zentrales Vehikel.
Die Beantwortung der Frage, ob die Formstrenge im Vergaberecht erodiert, dürfte – wie so vieles im Vergaberecht – Momentcharakter haben. Sie hatten die Podiumsdiskussion im Programm einmal anmoderiert mit dem Satz:
Drei Coronawellen später kommt der EuGH mit seiner Entscheidung vom 17. Juni 2021 (C‑23/20 – Simonsen & Weel) um´s Eck und schon sieht´s wieder anders aus. Oder etwa nicht? Kommt es vielleicht wirklich „immer darauf an“? Und wenn ja, auf was genau? Na klar bin ich gespannt, wie Frau Dittmann, Dr. Otting und Herr Dippel das sehen. Da werden wir sicherlich lebhaft diskutieren. Ich freue mich schon riesig darauf.
Video: Johannes Kassenberg