Wirtschaftlichkeit neu denken Investitionsentscheidungen im Dienste des Umweltschutzes

Nachhaltigkeit ist aus dem Beschaffungswesen der öffentlichen Hand nicht mehr wegzudenken. Geht mit einer Investitionsentscheidung eine niedrige Wirtschaftlichkeit einher, erschwert dies jedoch oft die Beachtung von Umweltschutzaspekten.

Ein Bericht des Umweltbundesamtes aus Dezember 2021 erläutert mögliche Herangehensweisen bei der Einbeziehung des Umweltschutzes in Investitionen und zeigt wirtschaftliche Implikationen auf. Dr. Stefan Krusenbaum unterzieht die Publikation einer kritischen Betrachtung.

I. Vier Anwendungsfälle

Bei der Publikation handelt es sich um den Abschlussbericht der Studie „Wirtschaftlichkeit neu denken. Investitionsentscheidungen im Dienste des Umweltschutzes“, die im Auftrag des Umweltbundesamtes vom Öko-Institut e.V. durchgeführt wurde.

Der Bericht beleuchtet verschiedene Wirtschaftlichkeitskalküle und zeigt auf, dass qualitative Umweltschutzziele (vor allem Umweltkosten) in Unternehmen und bei der öffentlichen Auftragsvergabe bislang nur unzureichend in Wirtschaftlichkeitsberechnungen integriert wurden.

Anhand folgender Anwendungsfälle werden Möglichkeiten aufgezeigt, um Umweltschutzmaßnahmen in die Entscheidungsfindung und in die Berechnung der Wirtschaftlichkeit einer Entscheidungsalternative einzubeziehen:

  • Die energetische Gebäudesanierung selbstnutzender Eigentümer,
  • Kokstrockenkühlung,
  • Prozesswärmebereitstellung,
  • Beschaffung von Baumaschinen.

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II. Hintergrund und Erläuterungen zur Publikation

Ausgehend von der Annahme, dass die derzeit vorherrschenden Konsum- und Produktionsweisen nicht nachhaltig sind, will das Umweltbundesamt mit dem Bericht eine umweltfreundliche(re) Beschaffung forcieren. Erreicht werden soll dies insbesondere durch eine Reduktion der Emissionen und Abfälle in Wasser, Boden und Luft auf ein nachhaltiges Maß, also eines, das natürliche Belastungsgrenzen nicht überschreitet.

Dafür werden zunächst verschiedene mikro- und makroökonomische Rahmenbedingungen untersucht, um das modelltheoretische Optimum für die Suche nach einer ökonomisch effizienten Nachfrage nach Energie bzw. das Optimum der Nachfrage nach umweltschonenden Technologien zu finden.

Der Autor

Dr. Stefan Marinus Krusenbaum ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und verantwortet das Controlling der cosinex. Der der Experte für Wertungsmethoden bietet das beliebte Seminar Grundlagen und Auswahl geeigneter Wertungsmethoden in der cosinex Akademie an.

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III. Umweltschutz als Notwendigkeit und Gestaltungsfreiraum

Der wissenschaftliche (hier: volkswirtschaftliche) Anspruch der Arbeit bezieht sich in erster Linie auf Unternehmen, wird anschließend aber auf öffentliche Einrichtungen übertragen. Im Rahmen der Untersuchung der hier zusätzlich vorliegenden vergaberechtlichen Belange zeigen die Autoren auf, dass spezifische Vorgaben, wie die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung im Vorfeld eines Beschaffungsverfahrens konkret zu erfolgen hat, nicht formal vorgeschrieben sind.

Daraus leitet sich die Notwendigkeit, aber auch der Gestaltungsfreiraum ab, Umweltschutzaspekte mit in die Ermittlung des wirtschaftlich besten Angebots einzubeziehen. Der Bericht nennt dazu verschiedene klassische Investitionsrechenarten wie Amortisationsrechnungen, Nutzwertanalysen, Kapitalwertmethoden, und zeigt deren Stärken und Schwächen aus Umweltsicht auf.

Aufgrund von Defiziten bei der Berücksichtigung des Umweltnutzens in klassischen Wirtschaftlichkeitsberechnungen zur Bewertung von Investitionen werden mehrere Reformansätze vorgestellt, die zur Behebung dieses Nachteils beitragen können und die dabei helfen sollen, die klassischen Methoden der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung um die Einbeziehung umweltschutzbezogener Faktoren zu erweitern.

IV. Ansätze zur besseren Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten

Für öffentliche Auftragnehmer zeigt die Veröffentlichung insbesondere die folgenden Alternativen auf, um Lebenszykluskosten oder Umweltkosten in verschiedene Phasen der Beschaffung einfließen zu lassen:

  1. Externe Umweltkosten wie der CO2-Ausstoß werden als Argumentationshilfe für die Begründung der Auswahl des Beschaffungsgegenstandes und für grundsätzliche Entscheidungen wie die Sanierung eines Gebäudes oder Abriss und Neubau bzw. Reparatur oder Neubeschaffung eines Produktes herangezogen.
  2. Externe Umweltkosten werden ergänzend dazu oder alternativ im Kontext der Lebenszykluskosten als Basis für einen direkten Vergleich verschiedener Angebote genutzt.
  3. Externe Umweltkosten werden als Basis für die Bewertung von einzelnen Kriterien innerhalb eines Beschaffungsprozesses verwendet.

Neben der Forderung, die Einbeziehung zu forcieren, appellieren die Autoren auch an die strategische Ausrichtung der Organisation selbst. Dazu schlagen sie unter anderem vor, zur Erreichung von Emissionszielen CO2-Höchstgrenzen festzulegen sowie bei der Haushaltsplanung hinreichende finanzielle Mittel zur Umsetzung umweltbezogener Ziele zur Verfügung zu stellen.

V. Umweltaspekte und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung verknüpfen

Aufbauend auf diesen qualitativen Empfehlungen gehen die Autoren einen Schritt weiter und fordern die Verknüpfung der umweltbezogenen Aspekte mit Methoden zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.

Dazu stellen sie Ansätze zur Gegenüberstellung von Energieeffizienz und Kapitalwert vor, mit denen bewertet werden kann, in welcher Intensität die Verfolgung umweltbezogener Ziele im Rahmen der Beschaffung sinnvoll ist. Außerdem werden Rechenmethoden zur Bewertung der Gesamtkosten für Umweltschutzmaßnahmen aufgezeigt.

VI. Zur Praxistauglichkeit des Berichts

Konkretisierungen wie die oben dargestellten dürften sich in der Praxis aufgrund der Unsicherheit der verschiedenen Einflussfaktoren nur schwer valide umsetzen lassen. Dazu zählen etwa die Energiepreisentwicklung, Zinsen bzw. Abzinsungsfaktor, prognostizierte Nutzungsdauer und der Restwert der Investition. Hinzu dürften selbst für erfahrene Vergabepraktiker Probleme bei der Zugänglichkeit komplexerer Simulationsmethoden kommen.

Die Defizite der in der Praxis eingesetzten Handlungsweisen beleuchtet die Veröffentlichung hingegen in ausgezeichneter Weise. Auch die Entwicklung und Vorstellung von Methoden und Fallbeispielen ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sehr gut gelungen und zeigt eindrucksvoll die Vielfalt der Möglichkeiten, die aus akademischer Sicht denkbar sind, ebenso wie die Detailtiefe, die im Zuge einer umfangreichen Auseinandersetzung mit dem Thema erreicht wird.

1. Lediglich theoretische Beispiele

Aus Praktikersicht ist zu beachten, dass es sich bei den genannten Beispielen um theoretische Fälle handelt. Es wird skizziert, wie sich die Ausschreibung um die Bewertung auch der Umweltverträglichkeit des Angebots eines Bieters in der Praxis erweitern ließe. „Echte“ Praxisbeispiele sind dies nicht. Da teils umfangreiche Herangehensweisen wie Simulationen und andere mathematische Methoden zum Einsatz kommen, die sich nicht jedem Vergabepraktiker ohne Weiteres erschließen, bleibt die konkrete Anwendbarkeit besagter Methoden fraglich.

2. Wie komplex können Ausschreibungsunterlagen sein?

Streng genommen sind die im Bericht skizzierten Simulationen und Betrachtungen mehrerer möglicher Energiepreisszenarien sowie mehrerer möglicher Zinsentwicklungen tatsächlich erforderlich. Aber genau das macht die Einbeziehung der Auswirkungen ökologischer Maßnahmen in die Entscheidungsfindung auch so komplex.

Um dann Ausschreibung und Wertung verschiedener Angebote transparent zu halten, müssten auch sämtliche Annahmen und Szenarien in den Ausschreibungsunterlagen transparent bekannt gegeben werden. Schließlich müssen Bieter erkennen können, wie sich die mit ihrem Angebot verbundenen CO2-Emissionen kostentechnisch in den kommenden Jahrzehnten auswirken könnten und welche Kosten die Vergabestelle diesbezüglich prognostiziert.

3. Hohes Maß an Intransparenz

Sinnvoll erscheint die grundsätzliche Einbeziehung von Umweltschutzaspekten zwar in jedem Fall, die Frage nach dem „Wie“ dürfte sich aber nur selten mithilfe einer impliziten Verrechnung von Wirtschaftlichkeitsgrößen und Umweltverträglichkeitsaspekten im Rahmen von Simulationen bewerkstelligen lassen. Der Versuch, Gesamtkosten zu prognostizieren, die in Abhängigkeit vom Grad der Umweltverträglichkeit einer Alternative, aber auch in Abhängigkeit von sonstigen Parametern wie dem Betrachtungshorizont und dem Abzinsungsfaktor variieren, geht in der Regel mit einem hohen Maß an Intransparenz einher.

Zur besseren Nachvollziehbarkeit auch für (potentielle) Bieter erscheint es sinnvoller, über Bepunktungen der aktuellen Emissionen und Mindeststandards eine Internalisierung von Umweltschutzzielen herbeizuführen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

VII. Download der Studie

Bei der Publikation handelt es sich um den Abschlussbericht der Studie „Wirtschaftlichkeit neu denken. Investitionsentscheidungen im Dienste des Umweltschutzes“, die im Auftrag des Umweltbundesamtes vom Öko-Institut e. V. durchgeführt wurde.

Die Studie wird unter der Forschungskennzahl 3718 14 101 0 im Ressortforschungsplan 2018 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz geführt und ist unter der Kennung 179/2021 in der Reihe „Texte“ des Umweltbundesamts erschienen.

Der Abschlussbericht kann hier heruntergeladen werden.

VIII. Veranstaltung der cosinex Akademie

Zur Berücksichtigung auch qualitativer Wirtschaftlichkeitsaspekte im Rahmen der Ausschreibung bzw. der Wertung von Angeboten bietet die cosinex Akademie die Veranstaltung „Grundlagen und Auswahl geeigneter Wertungsmethoden“. Interessierte können sich hier zur Fortbildung anmelden.

Quelle Titelbild