Sind Preise und Nachlässe im Angebotsschreiben des ausgewählten Formularsatzes einzutragen und werden sie redundant in den häufig vorhandenen elektronischen Angebotsdeckblättern der Bieter-Werkzeuge abgefragt, können diese voneinander abweichen. Wie diese Abweichungen oder vermeintlichen Widersprüche vergaberechtlich zu bewerten sind, hatte nunmehr die Vergabekammer des Bundes zu entscheiden (Beschluss vom 07.07.2021, VK 2 – 65 / 21).

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle führte ein EU-weites Vergabeverfahren durch. In den Teilnahmebedingungen (Formblatt 212) hieß es unter Ziffer 3.7: „Es werden nur Preisnachlässe gewertet, die „[…] an der im Angebotsschreiben bezeichneten Stelle aufgeführt sind.“

Im Rahmen der elektronischen Angebotsabgabe war weiterhin ein „Deckblatt zum elektronischen Angebot“ als PDF-Datei auszufüllen, das ein Feld „Preisnachlass ohne Bedingung auf die Abrechnungssumme in Prozent“ aufwies (Anmerkung: Dieses Deckblatt fasst die wichtigsten Informationen zu dem elektronischen Angebot noch einmal zusammen, bevor das Angebot abgesendet wird).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Die spätere Zuschlagskandidatin gab in ihrem Angebotsschreiben Formblatt 213 sowie im ausgefüllten Leistungsverzeichnis einen Preisnachlass an. Im Deckblatt füllte sie die farbig markierten Pflichtfelder aus und trug den Angebotspreis ein. Im nicht farbig markierten Feld „Preisnachlass” machte sie keine Angabe.

Bei der elektronischen Öffnung der Angebote wurde die Niederschrift der Angebotsöffnung automatisch aus den Angaben der Bieter im elektronischen Deckblatt generiert, so dass im Submissionsprotokoll der Angebotspreis der späteren Zuschlagskandidatin ohne den Preisnachlass ausgewiesen wurde.

Nachdem das Submissionsprotokoll den Bietern übermittelt wurde, wies die spätere Zuschlagskandidatin darauf hin, dass der ihrem Angebot zugrundeliegende Preisnachlass nicht berücksichtigt worden sei.

Daraufhin wertete die Vergabestelle den Preisnachlass, so dass das Angebot der Zuschlagskandidatin auf Platz eins der Wertung vorrückte. Demgegenüber vertrat die spätere Antragstellerin die Ansicht, dass das Angebot der Zuschlagskandidaten zwingend vom Vergabeverfahren gem. § 16a EU Abs. 2 Satz 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ausgeschlossen werden müsse, weil es widersprüchliche Preisangaben enthalte. Im Formblatt 213 habe sie einen Preisnachlass eingetragen, im ebenfalls einzureichenden Deckblatt hingegen nicht. Daher sei aus diesem Angebot nicht ersichtlich, ob es mit oder ohne Preisnachlass abgeben wurde. Letztlich reichte sie mit dieser Begründung einen Nachprüfungsantrag ein.

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II. Der Beschluss

Die Vergabekammer sah dies anders. Die Entscheidung der Vergabestelle, die Zuschlagskandidatin nicht vom Vergabeverfahren auszuschließen, sei nicht zu beanstanden. Deren Angebot enthalte keine widersprüchlichen Preisangaben, die einen Angebotsausschluss gem. § 16a EU Abs. 2 Satz 2, § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A erfordern würden.

Vielmehr seien das Angebotsschreiben (Formblatt 213) und das Leistungsverzeichnis vollständig ausgefüllt worden. Das Angebot enthalte den Angebotspreis und einen hierauf unbedingt angebotenen Preisnachlass. Streitig sei allein der Umstand, dass im Deckblatt zur Angebotsabgabe nur der Angebotspreis, nicht aber der Preisnachlass eingetragen wurde.

1. Rechtsgeschäftliche Erklärung zweifelhaft

Vorliegend könne dahinstehen, ob das Deckblatt überhaupt grundsätzlich eine eigenständige rechtsgeschäftliche Erklärung der Bieter enthalte.

Dagegen sprächen sowohl die Bezeichnung als „Deckblatt“, die fehlende Auflistung als vorzulegende Vergabeunterlage im Formblatt 211 (Angebotsaufforderung), der einschränkende Bearbeitungshinweis im Deckblatt selbst, nach dem dieses ausschließlich zur „elektronische[n] Angebotsabgabe mittels BIETERCOCKPIT benötigt“ werde, sowie die ausdrückliche Klarstellung, dass dieses Deckblatt nicht das Angebotsschreiben ersetze.

2. Bietererklärung auslegungsfähig

Würde man dennoch von einer eigenständigen rechtsgeschäftlichen Erklärung des Bieters im Deckblatt ausgehen, wäre eine solche Bietererklärung jedenfalls auslegungsfähig.

Maßstab der Auslegung einer Bietererklärung sei wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gem.§ 133 und § 157 BGB verstehen musste oder durfte.

Vorliegend ergebe sich aus dem Angebotsschreiben (Formblatt 213 unter Ziffer 4) und dem Leistungsverzeichnis des Angebots die eindeutige Willenserklärung, einen genauer benannten Preisnachlass auf den Angebotspreis ohne jegliche Bedingungen zu gewähren. Im Deckblatt wurden von der Zuschlagskandidatin – dem Bearbeitungshinweis folgend – nur die farbig markierten Felder ausgefüllt, die „mindestens“ auszufüllen waren – zu diesen gehörte der Angebotspreis, nicht aber das Feld „Preisnachlass“. Damit sei bereits fraglich, ob aus dem Offenlassen eines optionalen weiteren Textfeldes überhaupt auf einen rechtsgeschäftlichen Erklärungswillen geschlossen werden könne.

Bei der Auslegung der Bietererklärung sei weiterhin zu berücksichtigen, dass die Vergabestelle in doppelter Hinsicht den Erklärungsgehalt des Deckblatts beschränkt habe. Zum einen habe sie mit dem Bearbeitungshinweis unmissverständlich klargestellt, dass das Deckblatt nicht das Angebotsschreiben aus den Vergabeunterlagen ersetze und auf die „ausschließlich[e]“ technische Funktion zur elektronischen Angebotsabgabe mittels „Bietercockpit“ verwiesen. Zum anderen habe sie in den Teilnahmebedingungen (Formblatt 212) unter Ziffer 3.7 klargestellt, dass nur Preisnachlässe gewertet würden, die im Angebotsschreiben aufgeführt seien.

Hiermit habe die Vergabestelle nach Treu und Glauben für die Bieter unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es allein auf die Angabe eines Preisnachlasses im Angebotsschreiben (Formblatt 213) ankommen kann.

3. Fehlfunktion liegt in der Sphäre der Vergabestelle

Abschließend stellte die Vergabekammer klar, dass sie es für falsch hält, wenn das elektronisch erstellte Submissionsprotokoll mit den Daten des Deckblatts und nicht mit denen des Angebotsschreibens generiert werde.

Dieses Defizit sei der Vergabestelle zurechenbar, auch wenn es nach deren Vortrag auf einem automatisierten Datenabgleich durch die Betreiberin der elektronischen Vergabeplattform beruhen sollte. Da sich die Vergabestelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben des Betreibers der elektronischen Vergabeplattform bediene, sei ein solcher Verfahrensfehler, selbst wenn kein unmittelbarer Einfluss der Vergabestelle auf diesen bestehen sollte, ihr jedenfalls zurechenbar.

Dieser Verstoß gegen § 14 EU Abs. 3 lit. c) VOB/A blieb jedoch ohne nachteilige Auswirkungen zu Lasten der Antragstellerin, so dass eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens mithin nicht angezeigt sei.

Gleichwohl sei darauf hinzuweisen, dass die offenbar systemimmanente mangelnde Kompatibilität der Ausgestaltung der elektronischen Vergabeplattform mit den materiellen Vorgaben zur Angebotsabgabe zu vermeidbaren rechtlichen und tatsächlichen Problemen führe, die in anderen Sachverhaltskonstellationen Einfluss auf das Vergabeverfahren haben könne.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Unabhängig davon, ob es sich um elektronische oder papiergebundene Angebote handelt, birgt die Eingabe von redundanten Informationen – beispielsweise von Angebotspreisen – an mehreren Stellen des Angebots immer das Risiko von Widersprüchen. Vor diesem Hintergrund sind Vergabestellen gut beraten, ihre Vergabeunterlagen möglichst so zu strukturieren, dass redundante Informationen nicht abgefragt werden. Bietern und Bewerbern ist anzuraten, bei der Erstellung von Angeboten äußerste Sorgfalt bei der mehrfachen Angabe bestimmter Informationen walten zu lassen.

IV. Exkurs für Nutzer der cosinex-Technologie

Der vorstehend beschriebene Sachverhalt bezieht sich auf eine grundsätzliche Herausforderung, mit der die E-Vergabe seit ihrer Entstehung zu kämpfen hat. Noch heute wird E-Vergabe weitgehend so gedacht, dass ehemals schriftliche und in Formulare gegossene Prozesse elektronisch abgebildet werden. Neben der Verwendung unpassender Begrifflichkeiten, wie zum Beispiel dem Angebots„schreiben“ werden daher auch zum Teil notwendige neue Elemente hinzugefügt, die das traditionell noch immer papiergebundene Vergaberecht in dieser Form nicht explizit kennt, so zum Beispiel das „Deckblatt“.

Als Lösungsanbieter im Bereich der E-Vergabe steht die cosinex vor der Herausforderung, die zahlreichen Vergabehandbücher des Bundes oder auch der Länder sowie zum Teil vergabestellenindividuelle Formulare zu integrieren.

Das in dem Beschluss angesprochene „Deckblatt“ kann unseres Erachtens die Aufgabe des ehemals papiergebundenen Angebotsschreibens übernehmen und gleichzeitig die „elektronische Unterschrift“ in der heute zumeist geforderten elektronischen Textform nach § 126 b BGB wahren.

Ob es dieser Funktion gerecht werden kann, hängt von der jeweiligen Ausgestaltung, von dem eingesetzten Formularsatz und teilweise auch von dem technischen Format ab, in dem ein ergänzendes Angebotsschreiben bereitgestellt wird.

Fordert dieses Angebotsschreiben auch die Angabe von Preisen und Nachlässen, sollten zur Vermeidung der obigen Fallkonstellation die Angebotspreise nur im Schreiben (nicht redundant im „Deckblatt“) angegeben werden können. In diesen Fällen kann – wenn gewünscht – in der E-Vergabe auf Basis unserer Softwarelösungen die Möglichkeit der Angabe von Preisen im Angebotsdeckblatt des Bieter-Tools durch die Vergabestelle gesperrt werden. Der Bieter erhält dann keine Möglichkeit mehr, entsprechende Preise einzutragen und die Daten für ein Angebotsöffnungs- bzw. Submissionsprotokoll müssen aus den Angaben in den elektronisch übermittelten Angebotsschreiben manuell übernommen werden.

Im cosinex Vergabemanagementsystem erfolgt dies während der Vorbereitung des Vergabeverfahrens im Bereich „Verfahrensangaben“ ➡ „Angebote“ und dort im Feld „Eingabemöglichkeiten zu Angebotspreisen für Unternehmen innerhalb des Bietertools sperren (Preise können ausschließlich über Angebotsdokumente angegeben werden)“.

In den Vergabeplattformen auf Basis der cosinex Technologie kann diese Entscheidung im Assistenten zur Anlage eines neuen Projektes getroffen werden.

1. Keine redundante Erfassung bei Nutzung des cosinex Formularsatzes

Von cosinex wurde über viele Jahre für den Bereich der Liefer- und Dienstleistungen (außer Bau) ein „Best of“-Formularsatz konzipiert, der überwiegend auch landesspezifische Anforderungen berücksichtigt. Bei Auswahl dieses Formularsatzes ist die Verwendung des Angebotsdeckblattes unproblematisch, da in dessen Angebotsschreiben keine Preise einzugeben sind. Folglich ergänzen die Preisangaben im Bieter-Tool bzw. im Angebotsdeckblatt die weiteren Angaben des Angebotsschreibens.

Werden hingegen Formularsätze verwendet, die im Rahmen des Angebotsschreibens die Angabe von Preisen zwingend vorsehen, sollte die Möglichkeit der Angabe vom Preisen im Angebotsdeckblatt im Rahmen des Bietertools – wie vorstehend beschrieben – deaktiviert werden.

Sollen gleichwohl die Daten der Bieter für das Angebotsöffnungs- bzw. Submissionsprotokoll aus dem Deckblatt übernommen und dennoch Preisangaben im Angebotsschreiben abgefragt werden, sollten die nachfolgenden Hinweise zur Angebotsöffnung beachtet werden.

2. Hinweise zur Angebotsöffnung

Die im sog. elektronischen Angebotsdeckblatt erfassten Preise werden bei der Angebotsöffnung als strukturierte Angebotspreise übernommen und entsprechend angezeigt. Sie können von der Vergabestelle nicht geändert werden. Sollte der Bieter in seinem Angebotsschreiben abweichende Preise oder wie im o.g. Fall Nachlässe eingetragen haben, kann die Vergabestelle dies im Bereich „Rahmendaten“ im Feld „Sonstiges“ vermerken und ggf. auf die verlesenen Preise hinweisen.

In der späteren Preiswertung lassen sich neben den Preisen aus dem Bieter-Tool diese Hinweise im Bereich „Daten der Angebotsöffnung“ sofort erkennen. Im Bereich „Prüfung der Angebotspreise“ kann die Summe der nachgerechneten Preise eingetragen werden. Im weiteren Verlauf der Preiswertung erfolgt die Erfassung der Wertungspreise, die für die automatische Berechnung der Rangfolge und die Aufstellung der Wertungsmatrix relevant sind. Die ursprünglich im Bieter-Tool durch das Unternehmen eingetragenen Angebotspreise haben auf die Wertung dann keinen Einfluss mehr.