Für den Beschaffungserfolg ist wesentlich, dass die Eignung der potentiellen Auftragnehmer im Rahmen des Vergabeverfahrens geprüft und bestätigt wird. In der Praxis kommt dabei den von den Bietern oder Bewerbern eingereichten Referenzen eine große Bedeutung zu.

Der Eignungsnachweis kann insbesondere dadurch geführt werden, dass der Bieter vergleichbare Aufträge schon erfolgreich abgearbeitet hat. Damit spielt das Merkmal der „Vergleichbarkeit“ von Referenzaufträgen zu dem ausgeschriebenen Auftrag eine herausragende Rolle.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der Vergabesenat bei dem BayObLG hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 09.11.2021, Verg 5 / 21) hierzu Stellung bezogen und Hinweise zur Zulässigkeit des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung vor der Vergabekammer aus Gründen des Corona-Schutzes gegeben.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb eine Dienstleistungskonzession zu Stationierung und Betrieb eines Rettungswagens aus. In den Bewerbungsbedingungen war unter anderem zum Referenzauftrag vorgegeben: „Gegenstand des Auftrags bzw. der Konzession (möglichst detaillierte Angabe, ob Leistungen der Notfallrettung im Rahmen des öffentlichen Rettungsdienstes erbracht werden – ggf. auf gesondertem Beiblatt).“

Die spätere Antragstellerin wurde mit dem Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB darüber informiert, dass nicht ihr Angebot, sondern das einer Wettbewerberin, der späteren Beigeladenen, bezuschlagt werden soll.

Nach erfolgloser Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, worin sie unter anderem ausführte, dass die Beigeladene über keine Referenzen in Bezug auf den Betrieb von Rettungswagen verfüge, da sie bislang lediglich im Krankentransport tätig gewesen sei.

Die Vergabekammer hat sich im Hinblick auf die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Risiken einer mündlichen Verhandlung um die Zustimmung der Beteiligten zum schriftlichen Verfahren oder einer Videokonferenz bemüht. Sie hat schriftlich dargelegt, weswegen sie den Nachprüfungsantrag nicht für aussichtsreich hält. Die Antragstellerin ist weder mit schriftlicher Entscheidung einverstanden gewesen noch mit der Durchführung einer Videokonferenz.

Gleichwohl hat die Vergabekammer ohne mündliche Verhandlung den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. In ihrer Begründung verwies die Vergabekammer darauf, dass das Beharren der Antragstellerin auf einer mündlichen Verhandlung angesichts der pandemiebedingten besonderen Risiken eines Termins und der unverhältnismäßig langen Dauer des Verfahrens rechtsmissbräuchlich sei. Daraufhin wandte sich die Antragstellerin mit einer sofortigen Beschwerde an den Vergabesenat des BayObLG.

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II. Die Entscheidung

Nach Ansicht des Vergabesenats war die sofortige Beschwerde zulässig, aber unbegründet.

1. Zum Verzicht auf die mündliche Verhandlung

Der Vergabesenat stellte zunächst fest, dass die Vergabekammer rechtsfehlerhaft angenommen habe, sie könne auf die mündliche Verhandlung verzichten, weil die Antragstellerin ihre Zustimmung zu einer Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung rechtsmissbräuchlich verweigert habe.

Dabei stellte er zunächst klar, dass das Vorgehen der Vergabekammer nicht an Art. 103 Abs. 1 GG zu messen sei („Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“). Diese Vorschrift erfasse nicht das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren. Dass Vergabekammern nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union insoweit als Gerichte i. S. d. Art. 267 Abs. 2 AEUV anzusehen seien, als sie zur Vorlage einer Auslegungsfrage an den Gerichtshof berechtigt seien, beruhe auf einer autonomen Auslegung des Unionsrechts ohne Bezug zum nationalen Recht und gebiete nicht, sie in den Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG einzubeziehen.

Maßgeblich für die Gewährung rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren sei vielmehr das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleistete Grundrecht auf ein faires Verfahren. Dieses Grundrecht verpflichte dazu, einem Beteiligten die Möglichkeit zu geben, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können; das setze voraus, dass ihm die als entscheidungserheblich erachteten Tatsachen zur Kenntnis gebracht werden.

Vorliegend habe die Vergabekammer die sich daraus ergebenden Anforderungen nicht beachtet. Hier war insbesondere entscheidend, dass die Vergabekammer als Beweggrund für ihr Absehen von einer mündlichen Verhandlung lediglich „momentane Pandemiesituation“ mitgeteilt hatte. Die Schwierigkeiten, ausreichend große Sitzungssäle zu reservieren, und das Risiko, dass praktisch sämtliche ihrer Mitglieder der Vergabekammer (wie bereits einmal geschehen) in Quarantäne gerieten und so ihre Funktionsfähigkeit gefährdet werde, wurden der Antragstellerin zumindest nicht vollständig bekannt gegeben.

Da der Antragstellerin die wesentlichen Beweggründe nicht bekannt waren, könne ihr Beharren auf der Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Insbesondere entbehre die Behauptung, sie wolle dadurch lediglich eine weitere Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens erreichen wollen, der tatsächlichen Grundlage.

Die Vergabekammer hätte bei dem sich ihr bietenden Sach- und Streitstand nicht nach Lage der Akten entscheiden dürfen.

Allerdings führe dieser Verfahrensfehler nicht zur Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer, weil sich diese in der Sache als richtig darstellen würde. An diesem Ergebnis ändere sich auch dann nichts, wenn man den Verfahrensfehler als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG einordnen wollte.

2. Zu den Referenzen

Der Vergabesenat hielt die Rüge der Antragstellerin, das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen gewesen, weil die von ihr vorgelegte Referenz nicht vergleichbar sei, für unbegründet.

Die Berücksichtigung des von der Beigeladenen vorgelegten Nachweises aus dem Bereich des Krankentransports als Referenz sei vergaberechtlich unbedenklich. Denn das Verlangen nach Referenzprojekten für „vergleichbare“ Leistungen bedeute nicht, dass das Leistungsbild der herangezogenen Aufträge mit dem ausgeschriebenen Auftrag identisch sein müsse.

Wolle der Auftraggeber sicherstellen, dass der Bieter exakt die zu beschaffende Leistung schon früher erfolgreich durchgeführt habe, dann müsse er entsprechende konkretisierende Vorgaben festlegen. Unterlasse er dies, genüge es, dass die Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnele, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffne.

Bei der Bewertung der Frage der Vergleichbarkeit der Referenz komme der Vergabestelle, die regelmäßig über spezifisches Fachwissen und fachliche Erfahrung verfüge, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser könne nur eingeschränkt überprüft werden, insbesondere darauf, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist und allgemeine Wertungsgrundsätze beachtet sowie keine sachwidrigen Erwägungen in die Wertung eingeflossen seien.

Danach sei es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vergabestelle die vom Beigeladenen vorgelegte Referenz aus dem Bereich des Krankentransports als den konzessionsgegenständlichen Leistungen vergleichbar angesehen habe, zumal auch die Regelungen im Bayerischen Rettungsdienstgesetz (BayRDG) keine Veranlassung böten, als vergleichbare Tätigkeit nur Einsätze in der Notfallrettung anzusehen.

Insbesondere habe die Vergabestelle nicht vorgegeben, dass ausschließlich Referenzen aus dem Bereich der Notfallrettung vergleichbar seien. Zwar erwähnte sie in dem zur Benennung zu verwendenden Formblatt Leistungen der Notfallrettung; das geschah indes lediglich bei der Vorgabe, dass anzugeben sei, ob solche Leistungen erbracht würden.

Trotz des sprachlich missglückten nachfolgenden Einschubs des Wortes „und“ zeigt diese Anforderung unzweideutig, dass auch Referenzen als vergleichbar in Betracht kämen, die andere Leistungen als solche der Notfallrettung betreffen würden. Auch die Bezugnahme auf die Mindestanforderung hinsichtlich der Referenzen am Ende des Formblatts zeige, dass darin keine eigenständigen, weitergehenden Anforderungen gestellt werden sollten.

Zudem verwies der Vergabesenat wie schon die Vergabekammern darauf, dass nach dem BayRDG unter den Begriff der rettungsdienstlichen Leistungen sowohl der Krankentransport als auch die Notfallrettung sowie der Betrieb eines Rettungswagens fallen würden. Auch dies spreche für eine Berücksichtigung dieser Referenz.

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III. Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung hinsichtlich der rechtswidrigen Unterlassung der mündlichen Verhandlung ist sachgetrieben. Es wird ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör im Verfahren vor der Vergabekammer festgestellt, der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) resultiert (Grundrecht auf ein faires Verfahren). Da sich dieser Fehler aber angesichts der Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages nicht auswirkt, wurde es bei der Feststellung belassen.

Die Ausführungen zur Vergleichbarkeit von Referenzprojekten mit Blick auf den zu vergebenen Auftrag liegen auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung: Die Formulierung „vergleichbare“ Leistungen bedeutet nicht, dass das Leistungsbild der herangezogenen Aufträge mit dem ausgeschriebenen Auftrag identisch sein muss. Vielmehr genügt es, dass die Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet.

Auch hier wird mitunter ganz genau hingeschaut: Erst kürzlich hat die VK Bund (Beschluss vom 08.06.2021, VK 1 – 38 / 21) entschieden, dass der Auftraggeber Referenzaufträge auch dann berücksichtigen darf, wenn sie in der Ausschreibung geforderte Leistungen nicht aufweisen, die nur einen Anteil von ca. 3,5 % haben.