Die Anforderungen an Vergabestellen bei der praktischen Umsetzung der Vergabestatistik sorgen für Erstaunen.

Die Vergabestatistik entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Lehrstück in Sachen Bürokratieabbau: Hieß es während der politischen Willensbildung noch, Vergabestellen würden „auf Knopfdruck“ ihrer Pflicht zur Bereitstellung der Vergabedaten nachkommen können, sind mittlerweile 23 Seiten mit aufwendigsten Instruktionen zu berücksichtigen.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Seit fünfzehn Jahren werden Gesetzentwürfe des Bundes auf ihren Erfüllungsaufwand (bis 2012: Bürokratiekosten) überprüft. Dieser umfasst den gesamten messbaren Zeitaufwand und die unmittelbaren Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift beim Normadressaten entstehen – unterschieden für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Verwaltung.

Das Wunschdenken der Politik: alles auf Knopfdruck

Wie wenig solche Aufwandseinschätzungen mitunter mit der Realität zu tun haben, zeigt das Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik (PDF) – in Kraft getreten am 2. April 2020. Mit ihm wurden unter anderem Anpassungen der Vergabe­statistik­verordnung (VergStatVO) umgesetzt, deren Notwendigkeit sich im Zuge der Aufbauarbeiten an den technischen Systemen der Vergabestatistik in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt (Destatis) ergeben hatte.

Mit Blick auf den Erfüllungsaufwand hielt der Gesetzgeber fest:

  • Durch das Gesetz entsteht kein Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger.
  • Für die Wirtschaft, insbesondere für die mittelständischen Unternehmen, entsteht durch dieses Gesetz kein Erfüllungsaufwand.
  • Im Bereich der Verwaltung entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand.

Spezifiziert wird diese märchenhaft optimistische Einschätzung im Abschnitt II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs des Allgemeinen Teils der Gesetzesbegründung:

Eine doppelte Erfassung und ein damit erhöhter Verwaltungsaufwand für die berichtspflichtigen Meldestellen der Behörden ist mit der Änderung der VergStatVO im Wesentlichen nicht verbunden. Denn bei der (in den weit überwiegenden Fällen verpflichtenden) elektronischen Abwicklung der Vergabefahren über softwaregestützte Fachverfahren werden die zu meldenden Daten sowohl für die Vergabebekanntmachungen wie auch für die nationale Vergabestatistik bereits während der Durchführung des Vergabeverfahrens sukzessive im System hinterlegt.

Und weiter:

Die meldepflichtige Behörde kann daher „auf Knopfdruck“ und ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand ihrer Pflicht zur Bereitstellung der Vergabedaten nachkommen.

In der Realität: Zweifel, Hürden und Probleme

Schon im September 2019 äußerten wir in einem Fachbeitrag Zweifel an dieser Auffassung einer Übermittlung „auf Knopfdruck“. So sollten Daten in einer Struktur erfasst werden, die nicht den Angaben in den EU-Formularen entspricht – beispielsweise zu Nachhaltigkeitskriterien oder zur Ermittlung der Kriterien für die Zuschlagsentscheidung (nur Preis, nur Kosten, Preis- und Qualitätskriterien oder Kosten- und Qualitätskriterien). „Eine solche Differenzierung findet sich weder in den EU-Formularen, noch in anderen normalerweise im Vergabebereich gängigen Vermerken“, hielten wir fest.

Bestätigen sollten sich diese Bedenken bei der konkreten Umsetzung in unseren Lösungen. Vor rund einem Jahr wiesen wir auf Hürden im Zuge der Umsetzung hinsichtlich der Datenstrukturvorgaben von Destatis hin. Hinzu kamen gravierende Herausforderungen bei der losweisen Vergabe:

So sind diverse Angaben, wie z.B. zum Auftragswert oder der Anzahl der Angebote, nicht je Los, sondern losübergreifend (für die Gesamtvergabe) zu erfassen. Bei Angaben zum Herkunftsland des Auftragnehmers, oder ob der Auftragnehmer ein KMU ist, kann jedoch nur ein einziger Auftragnehmer gemeldet werden, und zwar der, der im Fall der Losaufteilung den größten Anteil am Gesamtauftragswert hat.

Kommt, wir verbessern die Datenqualität

Das Statistische Bundesamt als verantwortliche Behörde nimmt nach Entgegennahme der ersten Datenlieferungen ebenfalls Probleme wahr: Im Newsletter Vergabestatistik (03/2021) vom 17. September bittet das Amt um die unmittelbare Mithilfe des Empfängerkreises, um die Datenqualität zu verbessern.

Bitte Vorsicht

Nicht schlecht staunt man dann angesichts der elfseitigen Ausführungen, in denen sich neben diversen rotgefärbten „Bitte Vorsicht“-Warnungen das Eingeständnis einer temporären Lösung („bis die VergStatVO in diesem Punkt angepasst wurde“) verbirgt.

Wer bis hierher noch zuversichtlich war, sieht sich angesichts der mitgelieferten aktualisierten Fassung (Stand: 17.09.2021) der Handreichung Umgang mit Losen/Teil‐ und Fachlosen in der Vergabestatistik schnell eines Besseren belehrt.

Temporäre Lösungen

Auf zwölf weiteren Seiten werden die möglichen Vergabe- und Meldekonstellationen skizziert. Ihre Praxisferne findet im wiederkehrenden Hinweis „Bitte Vorsicht! Besonderheit“ Ausdruck. Wo immer die Datenstrukturvorgaben von Destatis mit vergaberechtlich zwingenden Vorgaben kollidieren, soll dies nutzerseitig mit Hinweisen im Bemerkungsfeld wie etwa „Unterschwelliger Auftragswert, aber vorsorglich Wahl der oberschwelligen Verfahrensart XY“ kompensiert werden. Auch hier kommen temporäre Lösungen zum Tragen. Eine andere technische Möglichkeit bestehe derzeit nicht. Man bittet um Verständnis.

Nachbesserung tut not

Wenn selbst Fachleute für eine Datenerfassung im Sinne der Verordnung 23seitige Erläuterungskonvolute von beachtlichem Komplexitätsgrad durchdringen müssen, dann liegt die Notwendigkeit einer Nachbesserung auf der Hand.

Hinzu kommt für die – kaum unter mangelnden Vorschriften leidenden – Vergabestellen nicht nur ein faktischer Mehraufwand: Mit zunehmender Regelungsdichte entsteht rasch die Gefahr der Überforderung, insbesondere kleinerer Vergabestellen.

Vielleicht hätte es geholfen, wenn die oben zitierte Einschätzung des Erfüllungsaufwands nicht als unverbindliche Anregung aufgefasst worden wäre, sondern als Auftrag, an dem sich die konkrete Umsetzung zu orientieren hat.

Die Digitalisierung bereits im Gesetzgebungsverfahren stärker berücksichtigen

Um daran keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen: Die Vergabestatistik ist in ihrer Zielsetzung, einen validen Überblick über Zahlen zum öffentlichen Einkauf und das Beschaffungsverhalten öffentlicher Auftraggeber zu erhalten, aller Ehren wert. Der mit der Umsetzung betrauten Behörde ist sicher schwer ein Vorwurf zu machen.

Ein Kernproblem ist schlicht, dass bei der Definition der zu erfassenden Daten Vorgaben der EU nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Ein weiteres liegt in der Diskrepanz der Definition der Business Rules („wann sind welche Daten zu erfassen“) zu vergaberechtlichen Grundlogiken etwa im Bereich der schwellenwertabhängigen Vefahrensarten oder Losvergaben.

Damit wird die zustimmungspflichtige Verordnung auch zu einem Paradebeispiel dafür, wie dringend die Digitalisierung in den Kanon der Gesetzesfolgeabschätzungen aufgenommen werden sollte.

Für uns als vergaberechtlich versierten Lösungsanbieter gilt allen Widrigkeiten zum Trotz: Wir werden unseren Kunden auch weiterhin bestmöglich im Rahmen der uns vorliegenden Daten und Informationen eine automatisierte Erfassung bzw. Vorbefüllung der zu meldenden Daten ermöglichen. Um aufseiten der Vergabestellen allerdings zu der angestrebten aufwandsneutralen Lösung „auf Knopfdruck“ zu kommen, Bedarf es einer erneuten Überarbeitung der bestehenden Vorgaben.