Bei der Definition der Zuschlagskriterien sollen Qualitätsunterschiede – soweit relevant – deutliche Berücksichtigung finden. Dabei müssen Vergabestellen qualitative Unterschiede auf der Grundlage der Angebote entsprechend herausarbeiten und bewerten, was immer auch aufwendig und fehleranfällig ist. Die Vergabekammer Baden-Württemberg hat in einem jüngeren Beschluss (vom 05.08.2021, 1 VK 37 / 21) grundsätzlich herausgearbeitet, was bei der Dokumentation der Bewertung einer Bieterpräsentation beziehungsweise eines Bietergesprächs zu beachten ist.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb eine Rahmenvereinbarung über Unterstützungsleistungen für die Vergabestelle im Rahmen von komplexen Ausschreibungen unter Berücksichtigung des Vergaberechts europaweit im Offenen Verfahren aus.

Gemäß Leistungsbeschreibung sollten die Consultants über unterschiedliche „Skill-Levels“ verfügen, die sie unter anderem für eine Erstberatung (Skill-Level 1), oder zur Auswertung eingegangener Angebote (Skill-Level 2) befähigen.

Die Leistungsbeschreibung endete mit folgender Formulierung:

„Es wird darauf hingewiesen, dass der Auftragnehmer keine Rechtsberatung durchführt. Für Rechtsfragen der Vergabestelle ist das XXX-Justiziariat zuständig.“

Weiterhin wurde ausgeführt, dass sogenannte Bietergespräche in die Wertung einfließen. Die konkrete Bewertung sollte von einer Bewertungskommission (Jury) vorgenommen werden.

Für diese Bietergespräche wurde ein Ablauf mitgeteilt, der unter anderem eine Darstellung der Qualifikation sowie ein Fachgespräch umfasste, bei dem Fragen und/oder die Lösung von Ad hoc-Aufgaben bewertet würden. Die genauen Wertungskriterien wurden mitgeteilt, wie zum Beispiel Rhetorik, Einfühlungsvermögen sowie Team- und Konfliktfähigkeit.

Die Antragstellerin hat ein Angebot abgegeben und an dem Bietergespräch teilgenommen. Dabei wurden ihr auch verschiedene Fragen zu Verfahrensarten und deren Vor- und Nachteilen gestellt. Die Beantwortung der Bieterfragen wurde von den Jury-Mitgliedern teilweise mit unterschiedlichen Inhalten protokolliert. Teilweise findet sich der Vorwurf, dass die Beantwortung „ausschweifend“ gewesen sei. Eine nähere Begründung fehlte.

Nachdem der Antragstellerin mitgeteilt worden war, dass sie nicht den Zuschlag erhalten solle, rügte diese unter anderem die angeblich beurteilungsfehlerhafte Bewertung der Ad hoc-Fragerunde und stellte einen entsprechenden Nachprüfungsantrag.

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II. Die Entscheidung

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag insoweit für zulässig, als er die Bewertung der Ad hoch-Fragerunde betraf. Dabei führte sie zunächst sehr grundsätzlich aus, dass bei den entsprechenden Fragen der Beurteilungsspielraum der Vergabestelle nicht überschritten wurde.

1. Zur Wahl der Zuschlagskriterien

Die Vergabekammer stellte zunächst grundsätzlich fest, dass der Vergabestelle bei der Wahl der Zuschlagskriterien – und damit auch bei den Ad hoc-Fragen als Unterzuschlagskriterien – ein Beurteilungsspielraum zustehe.

Soweit die Antragstellerin eine fehlende Verbindung der Ad hoc-Fragestellungen mit dem Auftragsgegenstand rügt, habe die Vergabestelle diese nicht überschritten. Die zwingende Anforderung, dass Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssten, schließe die Auswahl solcher Zuschlagskriterien aus, die keinen Bezug zu den konkreten Vertragsleistungen hätten. Vorliegend würde sich schon aus der EU-Auftragsbekanntmachung sowie der Leistungsbeschreibung ergeben, dass umfangreiche Kenntnisse im öffentlichen Vergaberecht nötig seien, da es letztlich um die Begleitung von Vergabeverfahren gehe.

Vor diesem Hintergrund würden sich die gestellten Ad hoc-Fragen innerhalb des durch den Auftragsgegenstand vorgegebenen Rahmens bewegen. Anderes ergebe sich auch nicht aus dem Hinweis, dass der Auftragnehmer keine Rechtsberatung durchführe und das Justiziariat für Rechtsfragen der Vergabestelle zuständig sei. Denn ausschreibungsgegenständlich sei die vollständige Betreuung einzelner Vergabeverfahren durch einen Sachbearbeiter.

2. Zur Rechtswidrigkeit der Bewertung

Allerdings sah die Vergabekammer in der konkreten Bewertung der Ad hoc-Fragerunde einen Vergabestelleverstoß.

a. Der Prüfungsmaßstab

Gemäß § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 58 Abs. 1 VgV werde der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Grundlage dafür sei eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfülle. Ein öffentlicher Auftraggeber verfüge bei der Angebotswertung über einen Beurteilungsspielraum, da diese eine Gesamtschau zahlreicher Einzelumstände beinhalte.

Folglich dürften die Nachprüfungsinstanzen die Bewertungsentscheidung eines öffentlichen Auftraggebers nur daraufhin überprüfen, ob von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen, keine sachwidrigen Erwägungen für die Entscheidung herangezogen und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verstoßen wurde. Insbesondere dürfe die Vergabekammer die Wertung eines öffentlichen Auftraggebers nicht durch eine eigene Wertung ersetzen.

Neben der Benotung des Angebots als solchem sei die Bewertungsentscheidung eines öffentlichen Auftraggebers auch in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten, zu überprüfen. Maßstab sei, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden.

b. Das Dokumentationsgebot

Dem Beurteilungsspielraum stehe als Kehrseite die aus dem Transparenzgrundsatz folgende Pflicht eines öffentlichen Auftraggebers gegenüber, das Vergabeverfahren zu dokumentieren. Sie diene dazu, den Weg der Vergabeentscheidung für die Bieter nachvollziehbar zu machen. Zudem sei sie Voraussetzung dafür, dass die Nachprüfungsinstanzen überprüfen könnten, ob ein öffentlicher Auftraggeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten habe.

Ein öffentlicher Auftraggeber habe daher seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend zu dokumentieren, dass die Nachprüfungsinstanzen nachvollziehen könnten, welcher Umstand konkret mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sei. Konkrete Entscheidungsgründe müssten unter Rückgriff auf das anwendbare Kriterium dargelegt werden. Dies gelte insbesondere bei der Bewertung mündlicher Angebotsbestandteile, wie im Fall des Fachgesprächs mit Ad hoc-Fragerunde als Teil der Bieterpräsentation.

c. Der konkrete Vergabeverstoß

Nach Ansicht der Vergabekammer erfülle die Dokumentation des geführten Fachgesprächs mit der Ad hoc -Fragerunde die vorstehend genannten Anforderungen zum Teil nicht.

d. Die konkreten Vergabefehler

Die Vergabekammer bemängelte, dass die jeweilige Dokumentation der beiden Jurymitglieder widersprüchlich sei. Zusätzlich behauptet die Antragstellerin, dass die Dokumentation nicht den von ihr gegebenen Antworten entspreche. Es sei für die Vergabekammer anhand der unzureichenden Dokumentation nicht überprüfbar, ob insoweit von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde.

Der diesbezügliche Inhalt der Ad hoc -Fragerunde sei zwischen den Beteiligten streitig. Schriftliche Angebotsbestandteile der Antragstellerin seien bei der Ad hoc-Fragerunde nicht vorhanden gewesen. Auch fehle ein von der Antragstellerin unterzeichnetes Protokoll. Insbesondere lasse sich der Vorwurf der „ausschweifenden Ausführungen“ nicht überprüfen. Der Auftraggeber sei seiner Pflicht, den Nachprüfungsinstanzen eine Überprüfung des Wertungsvorgangs durch Dokumentation zu ermöglichen, nicht in dem erforderlichen Umfang nachgekommen. Diesbezüglich weist die Vergabekammer darauf hin, dass auch mit Blick auf den Umstand, dass für die Beantwortung der einzelnen Fragen kein Zeitlimit gesetzt wurde, hinsichtlich der Kritik der ausschweifenden Beantwortung eine sachwidrige Erwägung vorläge.

Die Vergabekammer hielt insbesondere eine negative Bewertung für sachfremd. Auf Nachfrage hatte die Antragstellerin ausgeführt, dass dem Fachbereich sehr klar und hart mitgeteilt werden sollte, dass vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten seien und die Vergabestelle ein anderes Vorgehen nicht mittragen würde. Dies wurde negativ bewertet, weil dies angeblich nicht für einen kundenorientierten Umgang mit den Fachbereichen spreche.

Laut Bewertungsvermerk sei problematisch, dass der Fachbereich mitunter politisch wichtige Aspekte zu achten habe, und deshalb eine solche Aussage und ein solch harsches Auftreten nicht akzeptieren werde. Nach Ansicht der Vergabekammer sei zwar nicht zu beanstanden, dass ein „harsches Auftreten“ nicht für einen kundenorientierten Umgang spreche. Dass allerdings die Aussage, dass vergaberechtliche Vorgaben einzuhalten seien und die Vergabestelle ein anderes Vorgehen nicht mittrage, negativ bewertet werde, stelle angesichts der Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz eine sachfremde Erwägung dar.

Ob die Antragstellerin in Relation insbesondere zur Beigeladenen im Vergleich ohne Benachteiligung plausibel bewertet wurde, könne die Vergabekammer aufgrund der Dokumentationsmängel nicht nachvollziehen. Ob die Beigeladene etwa den ersten Teil der Frage vollständig beantwortet habe, sei für die Vergabekammer nicht überprüfbar.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Weiterhin hat ein Jurymitglied kritisiert: „Unangenehm aufgefallen ist, dass erwähnt wurde, dass es bei anderen Dienstleistern wohl üblich sei, diese Schreiben sehr kurz zu fassen, um Rügen zu provozieren, um dann mehr Leistungstage abrechnen zu können.“ Die Vergabekammer kritisierte, dass der Punktabzug begründungslos auf ein subjektives Empfinden gestützt wurde. Hinzu komme, dass die soziale Kompetenz im Rahmen des Fachgesprächs kein Wertungskriterium dargestellt habe. Insoweit liege eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums vor.

Auch bei der Bewertung der Beantwortung einer weiteren Frage sei der Beurteilungsspielraum überschritten worden. Hier habe ausweislich des Protokolls die Antragstellerin die Möglichkeit der Fristverlängerung genannt. Ein Jurymitglied habe allerdings den von ihr vorgenommenen deutlichen Punktabzug damit begründet, dass die Antragstellerin nicht auf die Möglichkeit einer Fristverlängerung eingegangen sei. Damit wurde der Bewertung ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt.

Außerdem verwies die Vergabekammer darauf, dass ausweislich der Dokumentation gleiche Sachverhalte bei der Beigeladenen sowie der Antragstellerin unterschiedlich und zum Nachteil der Antragstellerin bewertet wurden.

Aufgrund dieser Mängel hat die Vergabekammer die Vergabestelle verpflichtet, Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Durchführung des Fachgesprächs mit Ad hoc-Fragerunde zurückzuversetzen und dieses unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

III. Hinweise zur Praxis

Die vorstehende Entscheidung verdeutlicht die Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Dokumentation von Bieterpräsentationen oder Bietergesprächen im Kontext einer Angebotsbewertung. Ein wichtiger Aspekt ist in dieser Entscheidung nicht behandelt worden. Denn nach § 9 Abs. 2 VgV gilt: „Die Kommunikation in einem Vergabeverfahren kann mündlich erfolgen, wenn sie nicht die (…) Angebote betrifft (…).“ Insoweit dürfte es auch ganz grundsätzlich fraglich sein, ob lediglich mündliche Erörterungen, die nicht das schriftliche Angebot erläutern oder erklären, in die Angebotsbewertung einfließen können.

Unabhängig davon ist jeder Vergabestelle anzuraten, von derartigen Bieterpräsentationen ein ausführliches, widerspruchsfreies Protokoll anzufertigen. Um etwaigen Streitigkeiten zur Frage vorzubeugen, ob Protokollinhalte zutreffen, sollte es von der Vergabestelle und dem betreffenden Bieter unterschrieben werden.