Die Vergabekammer des Bundes hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss die Grundzüge der losweisen Vergabe ebenso wie die Konsequenzen der Nichtbeachtung herausgearbeitet.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Zu den grundlegenden Unterschieden zwischen der öffentlichen Beschaffung und dem rein privaten Einkauf gehört die zwingende Beachtung wirtschaftspolitischer Vorgaben, die sich ausschließlich an öffentliche Auftraggeber richten: Dazu zählt das Gebot der losweisen Vergabe. Damit sich auch mittelständische Unternehmen direkt an großvolumigen Aufträgen beteiligen können, sind diese grundsätzlich nach Fach- und Teillosen getrennt zu vergeben.
Die Losaufteilung kann zu Schnittstellen zwischen den einzelnen Fach- oder Teillosen führen und Fragen nach der Leistungsabgrenzung aufwerfen. Um dies zu vermeiden, liegt aus Sicht der Vergabestelle oftmals die „Flucht in den Generalauftrag“ nahe. Der scheinbare Vorteil liegt auf der Hand: Verantwortlich ist ein Unternehmer, der seinerseits die Verantwortung für etwaige Reibungsverluste zwischen den dann eingeschalteten Subunternehmern übernehmen muss.
Der Gesetzgeber hat allerdings in § 97 Abs. 4 GWB ganz klar den Vorrang der losweisen Vergabe festgeschrieben. Die Vergabekammer des Bundes hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 15.07.2021, VK 1 – 54 / 21) die Grundzüge dieser Regelung sowie die Konsequenzen der Nichtbeachtung sehr eingängig herausgearbeitet.
I. Der Sachverhalt
Die Vergabestelle führt europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe von Postdienstleistungen, u. a. der bundesweiten Zustellung von Briefsendungen, durch. Die ausgeschriebene Leistung ist in zwei Lose aufgeteilt. Beide Lose sind jeweils in zwei Alternativen unterteilt:
- In der Alternative A hat der Auftraggeber die Sendungen bereits mit dem Porto der DP AG freigemacht und im Los 1 nach Leitregionen aufsteigend bzw. im Los 2 nach Formaten, aber nicht nach Leitregionen sortiert.
- In der Alternative B sind die Sendungen nicht frankiert und im Los 1 gar nicht sortiert bzw. im Los 2 nach Formaten sortiert worden.
In der EU-Bekanntmachung wird die Alternative A als „Hauptangebot“ und die Alternative B als „Nebenangebot“ bezeichnet. Angebote können auf jedes Los, innerhalb eines Loses aber nur auf die Alternative A oder die Alternative B abgegeben werden. In der Alternative A soll der Auftragnehmer keine Vergütung von dem Auftraggeber erhalten. Aufgrund der Vorfrankierung der Sendungen mit dem Porto der DP AG erhält der Auftragnehmer stattdessen von der DP AG bei der Einlieferung der Sendungen in deren Briefzentren eine Gutschrift, die er abzüglich seiner Kosten und seines Gewinns an den Auftraggeber weitergeben soll.
Die Antragstellerin sah sich an der Abgabe eines Angebotes aufgrund des Leistungszuschnitts als mittelständisches Unternehmen gehindert und stellte nach entsprechender Rüge einen Nachprüfungsantrag.
II. Die Entscheidung
Die Vergabekammer entschied, dass die Vergabestelle in diesem Vergabeverfahren keinen Zuschlag erteilen darf und bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die streitgegenständlichen Leistungen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut ausschreiben muss.
Im Rahmen der Zulässigkeit erörtert die Vergabekammer insbesondere, dass die Antragstellerin ausnahmsweise antragsbefugt sei, wenngleich sie kein Angebot abgegeben habe. Ihr Auftragsinteresse i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB werde in einem solchen Fall hinreichend durch die Rüge und den Nachprüfungsantrag belegt. Darin habe sie ausführt, als Unternehmen an der Abgabe eines Angebots durch die angeblich fehlerhaften Vorgaben der Antragstellerin gehindert worden zu sein. Hierin liege gleichermaßen die von ihr geltend gemachte Rechtsverletzung i.S.d. § 97 Abs. 6 GWB.
1. Zum Losaufteilungsgebot
Die Vergabekammer gab dem Unternehmen auch inhaltlich Recht und stellte zunächst die rechtlichen Grundlagen des Losaufteilungsgebots dar. § 97 Abs. 4 S. 1 bis 3 GWB enthalte ein Losaufteilungsgebot, das öffentliche Auftraggeber verpflichte, Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben.
Eine Gesamtvergabe sei gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB nur ausnahmsweise erlaubt. Damit das Losaufteilungsgebot als Regelfall nicht umgangen werde, müssten in diesem Fall die wirtschaftlichen oder technischen Gründe des öffentlichen Auftraggebers für den Verzicht einer Losaufteilung die Interessen der mittelständischen Bieter überwiegen. Diese Regelungen dienten dem Schutz der mittelständisch strukturierten Wirtschaft, deren Nachteile bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, durch die Bildung von Losen ausgeglichen werden sollen. Kleinen und mittelständischen Unternehmen werde so die Teilnahme an Vergabeverfahren ermöglicht und im Ergebnis der Wettbewerb insgesamt gestärkt.
2. Ehemaliger Monopolmarkt
In der vorliegenden Branche komme noch hinzu, dass es sich um einen ehemaligen Monopolmarkt handele, in dem sich Wettbewerbsunternehmen gegen den ehemaligen Monopolisten durchsetzen müssten. Wurden derartige Märkte für den Wettbewerb geöffnet, seien regelmäßig besondere und über in anderen Märkten übliche Regelungen hinausgehende Maßnahmen erforderlich, um überhaupt erst das Entstehen eines chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs zu ermöglichen und zu fördern.
Diesen Anforderungen aus dem Losaufteilungsgebot sei die Vergabestelle durch ihren Verzicht, Gebietslose hinsichtlich bestimmter Zustellungsregionen zu bilden, nicht gerecht geworden.
Die Vergabestelle habe den Auftrag vorliegend in zwei Lose aufgeteilt. Die beiden Lose seien wiederum in zwei Alternativen unterteilt worden, die sich u.a. darin unterschieden, dass die Sendungen in der Alternative A bereits mit dem Porto der DP AG freigemacht wurden; vorsortiert nach Leitregionen wurden zudem nur die Sendungen in Los 1, Alternative A.
Aufgrund der Vorfrankierung der Briefsendungen komme die Angebotsabgabe auf die Alternative A in beiden Losen nur für sog. Konsolidierungsunternehmen in Betracht. Denn nur diese würden die erforderlichen Vorleistungen erbringen, um eine entsprechende Vergütung von der DP AG erhalten zu können; Unternehmen, die selbst zustellen oder ein anderes Zustellunternehmen als Nachunternehmer einsetzen wollten, sei die Angebotsabgabe verwehrt.
Bei Alternative B sei kleinen Wettbewerbern eine chancenreiche Angebotsabgabe aufgrund der tatsächlichen, im Wesentlichen auch durch die besonderen Strukturen und Anforderungen des Postmarktes (insbesondere bzgl. Logistik und Personal), nicht möglich. Denn hier seien die Briefsendungen zwar nicht vorfrankiert, so dass für die Zustellung auf der „letzten Meile“ zum Haushalt des Empfängers nicht in jedem Fall die DP AG eingesetzt werden muss. Allerdings handele es sich hier um eine große Sendungsmenge (ca. 16,9 bzw. 3,9 Mio. Sendungen/Jahr), die zudem seitens der Vergabestelle zwingend mit einer kurzen Zustellzeit verknüpft wurde.
3. Keine Rechtfertigung durch wirtschaftliche oder technische Gründe
Der Verzicht, weitere Lose entsprechend der Zustellregionen zu bilden, sei hier auch nicht ausnahmsweise aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen gerechtfertigt.
Dass aktuelle Prozesse und Organisationsabläufe geändert und angepasst werden müssten, wenn eine Leistung zukünftig durch mehr Auftragnehmer erbracht werden soll als bisher, sei jeder Losvergabe immanent.
Die Vergabestelle hatte hierzu vorgetragen, dass eine weitere Losaufteilung nicht möglich sei, weil die mit einer Aufteilung nach Empfängerregionen verbundene Vorsortierung der Briefsendungen mit ihren bisherigen IT-Systemen nicht möglich sei und eine entsprechende Umstellung mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand (ca. 125.000 €) verbunden wäre.
Diesem Argument erteilte die Vergabekammer eine klare Absage: Dass aktuelle Prozesse und Organisationsabläufe geändert und angepasst werden müssten, wenn eine Leistung zukünftig durch mehr Auftragnehmer erbracht werden soll als bisher, sei jeder Losvergabe immanent. Ein solcher Mehraufwand sei daher vom öffentlichen Auftraggeber hinzunehmen, da anderenfalls das Losaufteilungsgebot nicht umgesetzt werden könne. Dies gelte erst recht in einem Fall wie diesem, in dem der relevante Markt durch hohe Markteintrittshindernisse und ein nur langsam wachsendes Wettbewerbsumfeld gekennzeichnet sei. Das Entstehen von Wettbewerb in den ehemals monopolistisch geprägten Strukturen sei jedoch gesetzgeberisch gewünscht und zu fördern.
4. Im Ergebnis
Da die Vergabestelle zu Unrecht keine hinreichenden Lose nach Zustellregionen gebildet und dem Mittelstandsgebot somit nicht hinreichend Rechnung getragen habe, dürfe sie in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren keinen Zuschlag erteilen. Es obliege der Vergabestelle zu entscheiden, wie sie weiter verfährt. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat sie bei der Neuausschreibung der Leistungen die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
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III. Hinweise für die Praxis
Der vorgestellte Beschluss der Vergabekammer des Bundes zeigt, dass eine Umgehung des Gebots der losweisen Vergabe im Wege der Gesamtvergabe schnell in die Sackgasse führen kann. Letztlich bleiben dann nur die Aufhebung und die neue Ausschreibung.
Auch scheinbar „intelligentere“ Umgehungen auf der Ebene der Zuschlags- oder Eignungskriterien wären vergaberechtswidrig. Denn Sinn und Zweck des § 97 Abs. 4 GWB wirken sich auch auf die Gestaltung der Zuschlagskriterien und der Eignungsanforderungen aus. Es wäre daher unzulässig, einem Zuschlagskriterium ein so hohes Gewicht beizumessen, dass andere Unternehmen als der ehemalige Monopolist von vornherein chancenlos wären.
Letztlich bleibt die Frage, wie groß in dem entschiedenen Fall die zu bildenden Lose sein müssten, um dem Mittelstandsgebot des § 97 Abs. 4 GWB zu genügen. Grundsätzlich müssten diese jedenfalls so klein sein, dass es mittelständischen Unternehmen möglich ist, ein chancenreiches Angebot abzugeben. Andererseits ist ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, unwirtschaftliche Splitterlose zu bilden und seine Ausschreibung auf jedes Unternehmen zuzuschneiden. Insoweit ist die ausschreibende Stelle bei der Frage des Loszuschnitts durchaus gefordert.
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