Innovation Procurement meint die Beschaffung von Innovation

Der Begriff Innovation procurement wird in Deutschland mitunter missverständlich übersetzt: Was klar auf die Beschaffung von Innovationen abzielt, wird auf die Innovierung von Beschaffungsprozessen, Verfahren und Rahmenbedingungen gemünzt, meist unter dem Begriff einer innovativen Beschaffung. So droht eine Defokussierung im Hinblick auf das eigentlich Gewollte. Beispiele aus dem europäischen Ausland zeigen, wie es anders gehen kann.

I. Innovation Procurement: Eigentlich unmissverständlich

Das Missverständnis um das Begriffspaar Innovation Procurement ist eigentümlich. Nicht nur, weil die direkte Übersetzung ins Deutsche eigentlich keine andere Möglichkeit als Beschaffung von Innovation zulässt, sondern auch, weil die Europäische Kommission sich in der Frage unmissverständlich verhält.

Seit Jahren forciert sie mit verschiedenen Informationsangeboten, Veranstaltungen, Initiativen und Förderprogrammen – sämtlich unter der Überschrift Innovation Procurement – die Beschaffung von Innovationen. Das Engagement erstreckt sich sogar auf die Finanzierung entsprechender Projekte:

Die Kommission hat seit 2009 in großem und steigendem Umfang Finanzmittel für die Beschaffung von Innovationen bereitgestellt, mit einer direkten Unterstützung über Ausgleichszahlungen an Käufergruppen und mit einer indirekten Unterstützung durch Begleitmaßnahmen [..].1

Auch wenn nationale Initiativen wie die des BMWi – jedenfalls inzwischen – unter dem missverständlichen Begriff einer innovativen Beschaffung zunehmend die Beschaffung innovativer Lösungen in den Vordergrund stellen, führt die Kernaussage einer innovativen Beschaffung“ zunächst in die Irre.

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II. Öffentliche Auftragsvergabe als potenzieller Treiber von Innovationen durch Start-Ups

Das deutsche Missverständnis hat unmittelbare Konsequenzen: Denn öffentliche Beschaffung, die unter einem selbstauferlegten Innovationsdruck ihre eigenen Rahmenbedingungen verkompliziert und verunklart, erhöht die Hemmschwellen für Start-ups, junge Unternehmen und KMUs zur Teilnahme an Vergabeverfahren.

Politisch gewollt ist das Gegenteil: Zwar ist die Förderung innovativer Lösungen anders als beispielsweise Nachhaltigkeitskriterien, Mindestlöhne oder Gleichstellung (noch) nicht Teil der Kriterien für die öffentliche Vergabe, aber Europa weiß längst2, dass es Start-ups und kleinen wie mittleren Unternehmen Wachstumschancen eröffnet, wenn man ihnen den Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten erleichtert:

Start-ups and small and medium-sized enterprises (SMEs) are innovation leaders in many markets. Helping them to access public procurement markets creates opportunities for them to grow.

Sicher sind Start-ups keine Garanten für Innovation, aber umgekehrt gibt es auch keine Innovation ohne neue Ideen, Wagnis und Gründungsbereitschaft. Im besten Fall entsteht also durch Beschaffung von Innovationen im Sinne des Innovation Procurement der Europäischen Kommission eine Win-win-Situation zum Nutzen der öffentlichen Hand und junger Unternehmen.

III. Ansätze für die Beschaffung von Innovationen

Aber wie kann Innovation Procurement gelingen? Die Europäische Kommission macht Vorschläge, etwa mit den beschriebenen Ansätzen der vorkommerziellen Auftragsvergabe (Pre-commercial Procurement – PCP) und der Vergabe öffentlicher Aufträge für innovative Lösungen (Public Procurement of innovative Solutions – PPI).

PPI ist – relativ selbsterklärend – Beschaffung, bei der die auftraggebende öffentliche Stelle innovative Güter oder Dienstleistungen nachfragt. Bei der vorgelagerten PCP vergleicht der öffentliche Auftraggeber alternative Lösungsansätze verschiedener Anbieter in mehreren Phasen (Lösungsentwurf, Prototyping, Entwicklung und Validierung), wobei die Anzahl der Anbieter mit jeder Phase reduziert wird. Mindestens in den Phasen 0 und 1 – und je nach Eignung auch darüber hinaus – können KMUs und Start-ups auf Augenhöhe neben etablierten Unternehmen agieren.

Beschaffung von Innovationen mittels PCP und PPI
Darstellung der EU-Kommission zu den möglichen Phasen der Beschaffung von Innovationen

Wie sich PCP und PPI in der Praxis auswirken können, lässt sich an einer Fülle von Beispielen aus dem europäischen Ausland ablesen. Hier nur drei Best Practices:

1. Best Practice I: IÖB-Innovationsplattform

Beispielhaft wird das Prinzip PCP in Österreich umgesetzt: Die Innovationsplattform IOEB verfolgt das Ziel, öffentliche Auftraggeber mit innovativen Unternehmen zu verbinden. Erstere haben dabei die Möglichkeit, sogenannte Challenges zu formulieren und online zu veröffentlichen. Interessierte Unternehmen wirken dann an den dort skizzierten Herausforderungen mit und reichen Lösungsvorschläge ein.

Unternehmen, die meinen, eine entsprechende Lösung bereitstellen können, bewerben sich auf ein Marktgespräch bzw. einen Innovationsdialog, wo sie eine Jury von ihrer möglichst innovativen Umsetzungsidee des Auftrags überzeugen. Der öffentliche Auftraggeber erhält durch die Innovationsdialoge einen Überblick über mögliche Lösungswege und die entsprechenden Unternehmen, die so mittelbar an der späteren Ausschreibung mitwirken und sich gleichzeitig für die spätere Umsetzung als geeignetes Unternehmen profilieren.

2. Best Practice II: KI-Hotline in Flandern

Die Agentur für Information im belgischen Flandern initiierte 2019 den Beschaffungsprozess zur Modernisierung der zentralen flämischen Info-Hotline (‚1700‘). Das Handling der rund 1 Million Anrufe pro Jahr sollte mittels künstlicher Intelligenz optimiert werden. Dabei wurde im Juni 2019 nach ausführlicher Vorbereitung eine Marktkonsultation unter Beteiligung von mehr als 30 Unternehmen durchgeführt.

3. Best Practice III: finnische Wälder scannen

2018 hat das Finnish Forest Centre nach Lösungen gesucht, um die Inspektion, Untersuchung und Überwachung des finnischen Waldbestandes mit digitalen Mitteln und Drohnentechnologie zu verbessern. Davon erhoffte man sich einen breiteren und hochwertigeren Datenbestand. Über mehrere Phasen hinweg – analog zum PCP-Konzept – wurde zunächst der Bedarf gemeinsam mit Stakeholdern spezifiziert. Auf dieser Grundlage wurde ein konkretes Ausschreibungsverfahren eingeleitet.

IV. Start-ups einbinden – Hemmschwellen abbauen

Viele junge Unternehmen aus dem GovTech-Bereich ringen mit dem regulativen Rahmen – nicht nur, aber auch der öffentlichen Beschaffung. Diesen zu erläutern, Hemmschwellen abzubauen und gerade nicht die Rahmenbedingungen im Zuge einer „innovativen Beschaffung“ zu verkomplizieren, sollte Aufgabe der öffentlichen Hand sein – beispielsweise im Rahmen solcher Innovationsdialoge wie bei der IÖB-Innovationsplattform.

Auch ist es empfehlenswert, Lose zu bilden, um kleinen Unternehmen die Möglichkeit des Markteinstiegs zu erleichtern und die Anforderungen an die Funktionalität der Leistung flexibel zu gestalten. Die Einbeziehung und Gewichtung von Leistungskriterien und die Bewertung von „Konzepten“ können ebenso zum Erfolg führen wie die Festlegung geringer Hürden in Bezug auf Eignungskriterien.

Das Zulassen von Nebenangeboten ermöglicht es zudem, innovative Leistungen stärker zu berücksichtigen. So werden auch kleine Anbieter angeregt, sich mit Alternativlösungen an der Ausschreibung zu beteiligen. Derartige Ansatzpunkte gehen aber nicht zwangsläufig mit innovativeren Lösungen einher, da sie auf die Beschreibung der Qualität der Innovation im Zuge der Ausschreibung selbst weitestgehend verzichten.

V. Fazit: Vorsicht mit Experimenten mit bestehenden Abläufen

Solange alle Beteiligten das Verständnis teilen, dass es auch bei einer „innovativen Beschaffung“ um die Ausrichtung des Ausschreibungsprozesses (sowie der Vorstufen zur Eruierung einer Leistungsbeschreibung) auf die Beschaffung von innovativen Lösungen geht halten sich negative Folgen der Begriffsverwirrung in Grenzen.

Wettbewerbe und ausgelobte Preise für besonders innovative Vergabeverfahren oder innovativen Beschaffungen, wie sie in der Vergangenheit beobachtet werden konnten – erscheinen im Hinblick auf das Ziel der Beschaffung von Innovationen eher abwegig. Keinesfalls führt eine „innovative Beschaffung“ zwangsläufig zur Beschaffung innovativer Leistungen. Eine offen formulierte Ausschreibung öffnet das Feld der Bieter. So fehlt es mitunter an einer klaren Marschrichtung, wonach auch Innovatives beschafft oder im Rahmen der Leistungswertung besser beurteilt wird.

Der Fokus der Beschaffung von Innovationen sollte daher auf das Eruieren der Innovationsqualität und im Zweifel eher auf Erkenntnisgewinne bezüglich der Innovationen selbst – im Rahmen geeignet offener Markterkundungen – abzielen, wie es die österreichische Innovationsplattform skizziert und darauf, diese in die spätere Ausschreibung einzuarbeiten als auf eine ausschließliche Veränderung des Ablaufs der Vergabeverfahren selbst.

VI. Warum die (laufende) Innovierung der Beschaffung – trotzdem – Sinn ergibt

Der bewusst akzentuierte Blick auf die „Beschaffung von Innovationen“ vs. „Innovierung der Beschaffung“ soll keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass es auch in der aktuellen Beschaffungspraxis erhebliche Potenziale gibt.

So sind bei vielen Vergabestellen bislang nur Teilprozesse vollständig digitalisiert, viele vergaberechtliche Möglichkeiten werden noch nicht bestmöglich ausgenutzt. Auch von einer vollständig medienbruchfreien Vergabe kann derzeit in der Breite noch keine Rede sein, wenn es etwa um die vor- und nachgelagerten Prozesse und um die Anbindung von Drittsystemen wie der E-Akte und anderer Lösungen geht. Der Einsatz von Robot Process Automation (RPA) oder KI ist in der täglichen Praxis noch weitgehend ferne Zukunftsmusik.

Insofern ist beides richtig: Die Beschaffung sollte bestmöglich innoviert werden. Auch sollte geprüft werden, wie Innovationen beschafft werden können. Allein: Diese völlig unterschiedlichen Zielsetzungen sollten nicht vermengt werden, damit Vergabestellen, Fachbereiche und Bedarfsträger in ihren jeweiligen Vorhaben fokussiert arbeiten können.

VII. Thema auf dem Deutschen Vergabetag

Schon in wenigen Wochen werden wir die konstruktive Diskussion des Themas Beschaffung von Innovation fortsetzen: Am 5. November diskutieren Anja Theurer, Geschäftsführerin innovation@scale (angefragt) und cosinex Geschäftsführer Carsten Klipstein im Rahmen des Innovationsforums Innovationen beschaffen statt Beschaffung innovieren!? auf dem 8. Deutschen Vergabetag in Berlin. Moderiert wird das Forum von Marco Junk, Deutsches Vergabenetzwerk.

Der 8. Deutsche Vergabetag ist bereits ausgebucht. Hier können Sie sich auf eine Warteliste setzen lassen. Die Agenda der gesamten Veranstaltung finden Sie hier. Das Innovationsforum Innovationen beschaffen statt Beschaffung innovieren!? findet am zweiten Veranstaltungstag, dem 5. November 2021, von 9:00 Uhr bis 10:00 Uhr statt.

Titelbild: Sunny Studio – Fotolia

Fussnoten

  1. Quelle: Ratgeber ‚Öffentliches Auſtragswesen als Triebkraſt für Innovation bei KMU und beim öffentlichen Dienst
  2. Ebenso auch Deutschland