Wird die Vorabbenachrichtigungsfrist des § 134 GWB nicht richtig berechnet, können die Folgen erheblich sein; reichen sie doch bis zu Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages. Man sollte meinen, dass die Berechnung der 10-Tages-Frist in der Praxis keine Schwierigkeiten mehr bereitet und insbesondere die rechtlichen Fragen zur Fristberechnung geklärt sind. Praktisch relevant ist insbesondere die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn das Fristende auf einen Sonntag fällt. Hierzu hat die Vergabekammer des Bundes in einem jüngeren Beschluss (vom 28.06.2021, VK 2 – 77 / 21) Stellung genommen.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
I. Der Sachverhalt
Die Vergabestelle übersendet auf elektronischem Wege das Vorabinformationsschreiben (gem. § 134 GWB) am 10. Juni 2021 an einen unterlegenen Bieter. Darin war ausgeführt, dass der Vertragsschluss frühestens am Montag, den 21. Juni 2021, erfolgen werde.
An diesem Montag erteilte sie den Zuschlag um 7:52 Uhr und teilte dies dem Zuschlagskandidaten elektronisch mit.
Um 12:24 Uhr beantragte der unterlegene Bieter die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer übermittelte den Nachprüfungsantrag an die Vergabestelle per Telefax am 21. Juni 2021 um 14:51 Uhr.
Der unterlegene Bieter führte gegenüber der Vergabekammer u.a. aus, dass der Zuschlag nicht am Montag, dem 21. Juni 2021 hätte erteilt werden dürfen, weil die Frist von 10 Kalendertagen nach § 134 Abs. 2 GWB erst am 22. Juni 2021 abgelaufen wäre: Sie habe ab dem 11. Juni 2021 zu laufen begonnen, so dass das Fristende rechnerisch auf Sonntag, den 20. Juni 2021, gefallen sei. Nach § 193 BGB habe sich das Fristende auf den nächstfolgenden Werktag, Montag, den 21. Juni 2021, verschoben. Da der Zuschlag unter Verstoß gegen § 134 Abs. 2, § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB erteilt worden sei, sei der Zuschlag unwirksam.
II. Der Beschluss
Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für nicht statthaft. Der Zuschlag sei wirksam am 21. Juni 2021 um 7:52 Uhr erteilt worden und könne nicht aufgehoben werden (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB). Der von der ASt bemängelte Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB liege nicht vor, weil die Ag den Zuschlag wirksam, nach Ablauf der von ihr im Schreiben vom 10. Juni 2021 ordnungsgemäß gesetzten Frist von 10 Kalendertagen erteilen durfte.
1. Wie ist die Frist gemäß § 134 GWB zu berechnen?
Nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB betrage die zu beachtende Frist 10 Kalendertage, nach deren Ablauf der Zuschlag erteilt werden dürfe. Die Vergabestelle habe durch ihre an den unterlegenen Bieter übermittelte Vorabinformation vom 10. Juni 2021 den Fristenlauf ab dem 11. Juni 2021 in Gang gesetzt. Diese rein nach Kalendertagen zu bemessende Frist sei damit am Sonntag, den 20. Juni 2021, abgelaufen. Der Zuschlag habe daher ab Montag, den 21. Juni 2021 erteilt werden dürfen, was an diesem Tag um 7:52 Uhr wirksam erfolgt sei.
Der erst um 14:51 Uhr bei der Vergabestelle per Telefax übermittelte Nachprüfungsantrag habe daher das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB nicht mehr auslösen können.
2. Verschiebung, wenn Fristende auf Sonn- oder Feiertag fällt?
Die Vergabekammer führte explizit aus, dass das Ende dieser Frist von 10 Kalendertagen nicht nach § 193 BGB auf den Ablauf des auf den Sonntag, 20. Juni 2021, folgenden Werktags, also den Montag, den 22. Juni 2021, verschiebe. § 193 BGB finde keine Anwendung, da es sich bei der Frist nach § 134 Abs. 2 GWB um eine reine nach Kalendertagen bemessene Wartefrist („Stillhaltefrist“ gem. Art. 2a Richtlinie 2007/66/EG) handele. Dies sei keine Frist, binnen der eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken sei, wie es § 193 BGB voraussetzt.
Das folge aus dem unmissverständlichen Wortlaut des § 134 Abs. 2 Satz 1, 2 GWB, wonach ein Vertrag erst 10 Kalendertage „nach Absendung der Information nach Absatz 1 geschlossen werden“ dürfe. Ebenso sei dies aus Art. 2a Abs. 2 Richtlinie 2007/66/EG zu folgern. Dort werde ausdrücklich bestimmt, dass „der Vertragsabschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung … nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen“ dürfe. Der öffentliche Auftraggeber müsse also den Ablauf dieser nach Kalendertagen zu bemessenden Frist abwarten und dürfe den Zuschlag vor deren Ablauf nicht erteilen.
§ 134 Abs. 2 GWB gewährleiste einem Bieter daher keine „Mindestüberlegungsfrist“. Es komme allein auf die relevante Rechtswirkung des Wegfalls des gesetzlichen Verbots i.S.v. § 134 BGB an, den Zuschlag zu erteilen, der den Ablauf der Stillhaltefrist voraussetzt.
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3. Art. 3 Abs. 4 Satz 2 VO 1182/71 nicht anwendbar
Schließlich setzte sich die Vergabekammer auch mit Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (VO) (EWG) Nr. 1182/71 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine, auseinander. Demnach sei es zwar richtig, dass die Frist mit Ablauf des auf einen Sonn- oder Feiertag folgenden Arbeitstages ende, wenn der letzte Tag einer – wie hier – nicht nach Stunden zu bemessenden Frist auf einen Sonn- oder Feiertag falle. Allerdings sei diese Regelung hier nicht anzuwenden. Denn aus der Regelung des Art. 3 Abs. 4 Satz 2 VO 1182/71 folge ausdrücklich, dass dies nicht für Fristen gelte, die von einem bestimmten Datum oder einem bestimmten Ereignis an rückwirkend berechnet werden.
Es handelt sich um eine rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Wegfalls des Zuschlagsverbots zu berechnende Frist.
So liege der Fall hier. Denn es komme für die entscheidende Voraussetzung des Zeitpunktes, an dem das Zuschlagsverbot wegfalle und ab dem der Zuschlag erteilt werden könne, gerade darauf an, dass die vorausliegende Frist gemäß § 134 Abs. 2 GWB abgelaufen sei. Damit handelt es sich um eine rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Wegfalls des Zuschlagsverbots zu berechnende Frist. Art. 2a Abs. 2 Richtlinie 2007/66/EG bestimmt nämlich ausdrücklich, dass der Vertragsabschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung „nicht vor Ablauf“ einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen dürfe.
III. Hinweise für die Praxis
In aller Kürze: § 193 BGB findet auf die Frist nach § 134 Abs. 2 GWB keine Anwendung. Endet die Frist nach § 134 Abs. 2 GWB an einem Sonntag, kommt es daher nicht zu einer Verschiebung des Fristendes auf den nachfolgenden Montag.
Dass die 10-Tagesfrist eine rückwärts zu berechnende Frist sein soll, drängt sich nicht unbedingt auf.
Die Vergabekammer verneint, dass aus Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (VO) (EWG) Nr. 1182/71 etwas anderes folgt, da sie diese Vorschrift nicht für anwendbar hält. Dass die 10-Tagesfrist eine rückwärts zu berechnende Frist sein soll, drängt sich nicht unbedingt auf. Schließlich beginnt sie mit der Absendung des Vorabinformationsschreiben zu laufen. Von da an muss man 10 Tage verstreichen lassen, bis der Zuschlag erteilt werden darf. Insoweit könnte man diese Frist auch nach vorne berechnen.
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