Geht es um die lieben Kleinen, ist das Beste oftmals gerade gut genug. Die Wahrung des Vergaberechts tritt dann manchmal hinter der Logik zurück, dass eine etwas freiere Auswahl des Leistungserbringers besser für die Qualität der Leistung sei, die gegenüber Kindern erbracht werden soll. Geht es beispielsweise um den Betrieb eines Kindergartens, erscheint die Flucht in die „Konzession“ als Ausweg naheliegend. Denn angesichts des für Dienstleistungskonzessionen anzuwendenden Schwellenwerts von 5.350.000 EUR dürfte man sich damit regelmäßig im weniger formstrengen Unterschwellenvergaberecht bewegen.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Das OLG Jena hat sich in einem jüngst ergangenen Beschluss der Frage gewidmet, ob die konkrete Vergabe einer Leistung zum Betrieb eines Kindergartens eine Konzession oder ein öffentlicher Auftrag ist (09.04.2021, Verg 2 / 20). Der Auftraggeber hatte dies nach Ansicht des OLG mit weitreichenden Folgen falsch entschieden.
Der Sachverhalt
Eine Gemeinde streitet mit der Antragstellerin darüber, ob der Betrieb eines kommunalen Kindergartens durch einen Dritten auf vertraglicher Grundlage dem Vergaberecht unterfällt.
Die Gemeinde errichtete ein neues Kindergartengebäude. Um hierfür einen Betreiber zu finden, führte sie – explizit außerhalb des Vergaberechts – ein Interessenbekundungsverfahren durch.
Die Teilnahmebedingungen sahen u.a. vor, dass die Anforderungen des ThürKitaG zu erfüllen seien. Der Betreiber solle Arbeitgeber der Mitarbeiter sein, wobei die Leitung im Einvernehmen mit der Gemeinde zu besetzen sei.
In finanzieller Hinsicht wäre der Betreiber verpflichtet, „unmittelbar alle Personal-, Sach- und Betriebskosten, die für die Unterhaltung und den Betrieb des Gebäudes sowie die Betreuung der Kinder erforderlich sind“, zu tragen. Der Entwurf des abzuschließenden Betreibervertrags sah eine Übernahme der erforderlichen Betriebskosten durch die Gemeinde (s. § 21 Abs.4 ThürKigaG) vor, soweit diese nicht durch Elternbeiträge und den Eigenanteil des Trägers gedeckt seien. Zusätzlich sollte eine „Verwaltungskostenpauschale für die anteilige Deckung der Kosten der Geschäftsstelle des Trägers in Höhe von 6 % der Personalkosten für das pädagogisch notwendige Personal“ gezahlt werden.
Für den Vertrag ist eine Laufzeit von einem Jahr vorgesehen, mit einer automatischen jährlichen Verlängerungsklausel.
Die jährliche Höhe der Betriebskostenzuschüsse wurde auf Grundlage von Vorerfahrungen der Gemeinde wirtschaftlich mit 86.000 € bei Gesamtbetriebskosten von 235.000 € und Einnahmen von 149.000 € veranschlagt.
Nachdem die Wahl der Gemeinde auf einen anderen Betreiber gefallen war, rügte die Antragstellerin das Verfahren. Es sei vergaberechtswidrig, da kein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt wurde. Das sah die Vergabekammer in erster Instanz auch so. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht sei die Antragsgegnerin daher verpflichtet, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen.
Über die daraufhin von der Gemeinde erhobenen sofortigen Beschwerde hatte nun der Vergabesenat zu entscheiden. Die Gemeinde verteidigte ihr Vorgehen damit, dass nach ihrer Auffassung der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig sei, da der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei. Es handele sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Gestalt einer (Unterschwellen-)Dienstleistungskonzession, dessen Überprüfung nicht im Vergabenachprüfungsverfahren erfolge. Es fehle auch am Beschaffungscharakter. Bei den vertraglich vorgesehenen Betriebskostenerstattungen handle es sich um Zuwendungen. Ein Betriebsrisiko sei jedenfalls bei Misswirtschaft des Betreibers gegeben und schlage sich außerdem aufgrund der arbeitsrechtlichen und arbeitsmarktspezifischen Rahmenbedingungen in einem Personalrisiko nieder.
Die Entscheidung
Zunächst erklärte sich der Vergabesenat für zuständig. Dass das Kindergartenrecht öffentlich-rechtlich geprägt sei, begründe nicht die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Entscheidend sei, dass sich die Beteiligten über die vergaberechtlich relevante Auswahl des Betreibers eines Kindergartens stritten (s. § 156 Abs. 2 GWB). Unerheblich sei auch, ob der zu erteilende Auftrag als privat- oder öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren sei. Im letzteren Falle bilde die Zuweisung zu den Vergabenachprüfungsinstanzen eine abdrängende Sonderzuweisung i.S.v. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Im Rahmen der Zulässigkeit ging der Vergabesenat explizit darauf ein, dass die Möglichkeit eines Schadens auch dann bestehe, wenn ein Gewinnerzielungsverbot als Voraussetzung der Gemeinnützigkeit vereinbart sei. Diesbezüglich seien keine strengen Anforderungen zu stellen; es drohe ein Schaden bereits dann, wenn die Aussichten auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können. Es genüge deshalb, dass es möglich erscheine, dass der Antragsteller ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen könne. Ob dies tatsächlich im Einzelfall mit einer Gewinnerzielung einherginge, spiele keine Rolle.
Dann widmete sich der Vergabesenat der Frage, ob überhaupt ein öffentlicher Auftrag vorliegt. Dabei stellte er zunächst fest, dass für den Betrieb von Kindergärten – anders als für Rettungsdienstleistungen – keine gesetzliche Ausnahme bestehe. Vielmehr gebe § 130 GWB i.V.m. Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU zu erkennen, dass öffentliche Aufträge über soziale und andere besondere Dienstleistungen grundsätzlich von seinem Anwendungsbereich erfasst würden, was auch für den Betrieb von Kindergärten gelte (s. auch CPV-Codes 85312100-0 [Betreuung in Tagesstätten] und 85312110-3 [Betreuungsleistungen in Kinderkrippen]).
Bei dem in Frage stehenden Betreibervertrag handele es sich nicht um eine Dienstleistungskonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Grund hierfür sei, dass ein relevantes Betriebsrisiko i.S.v. § 105 Abs. 2 GWB aufgrund der Vertragsstruktur nicht ersichtlich sei. Ein rein abstraktes wirtschaftliches Risiko genüge insoweit nicht, wenngleich eine Beschränkung des Risikos durch den maßgeblichen Rechtsrahmen erfolgen könne. Das erforderliche Betriebsrisiko fehle, „wenn … nach menschlichem Ermessen rote Zahlen während der Vertragslaufzeit ausgeschlossen werden können“ (Unter Hinweis auf: OLG Koblenz, Beschl. v. 10.7.2018 – Verg 1/18).
Unter normalen Bedingungen sehe sich der Betreiber des Kindergartens nach Überzeugung des Senats keinem Risiko ausgesetzt, seine Kosten nicht decken zu können. Vielmehr würden seine Kosten vom Auftraggeber vollständig ausgeglichen, sofern sie sich als erforderlich qualifizieren ließen. Die potenziell schwankende Höhe der Einnahme aus Elternbeiträgen wirke sich dabei auf den Betreiber wirtschaftlich nicht aus.
Im Hinblick auf die Bestimmung der Erforderlichkeit der nach § 21 Abs. 4 ThürKigaG auszugleichenden Kosten verfüge der Träger nicht über weitgehende Entscheidungsspielräume, wie insbesondere die gesetzlichen Regelungen über die Personalausstattung einschließlich eines Personalschlüssels in § 16 ThürKigaG und über Fortbildungen des Personals in § 19 ThürKigaG verdeutlichen. Vielmehr handele es sich bei der Erforderlichkeit um einen, vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegenden, unbestimmten Rechtsbegriff. Der vertraglich vorgesehene Eigenanteil des Betreibers beschränke sich wiederum auf nicht-monetäre Leistungen, sodass auch daraus kein relevantes Betriebsrisiko folge. Das Risiko einer „Misswirtschaft“ sei schließlich ebenso wie dasjenige einer Fehlkalkulation und eine Berücksichtigung der arbeitsrechtlichen und arbeitsmarktspezifischen Rahmenbedingungen stets vom Auftragnehmer zu tragen.
Zugleich seien die begrifflichen Anforderungen an das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags i.S.v. § 103 Abs. 4 GWB gegeben. Vertragsgegenstand sei eine Leistung, die ohne Beauftragung eines konkreten Betreibers von den Gemeinden selbst erbracht werden müsste. Die Übertragung dieser Verpflichtung auf diesen Betreiber und deren Durchsetzbarkeit sei unabdingbare Voraussetzung für ein „Freiwerden“ der Gemeinde von der Notwendigkeit des eigenen Betriebs entsprechender Kindertageseinrichtungen. Damit liege zugleich eine einklagbare Erfüllungsverpflichtung des Auftragnehmers als notwendiges Erfordernis für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags vor.
Die Entgeltlichkeit werde durch den gesetzlich vorgesehenen und vertraglich konkretisierten Betriebskostenausgleich begründet. Nach der EuGH-Rechtsprechung sind an die Entgeltlichkeit nur geringe Anforderungen zu stellen. Jedenfalls könne „ein Vertrag nicht allein deswegen aus dem Begriff des öffentlichen Auftrags herausfallen, weil die darin vorgesehene Vergütung auf den Ersatz der Kosten beschränkt bleibt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen“ (unter Hinweis auf: EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – C-159/11, NZBau 2013, 114 Rn. 29; Urt. v. 11.12.2014 – C-113/13, NZBau 2015, 377 Rn. 37). Dass Verträge über den Betrieb von Kindertagesstätten stark öffentlich-rechtlich geprägt seien, sei zutreffend, jedoch bei der gebotenen europarechtskonformen Auslegung des § 103 Abs. 4 GWB unerheblich, da das EU-Recht eine derartige Unterscheidung nicht kenne. Damit scheide ein Verständnis des Betriebskostenausgleichs als bloßer Zuschuss aus.
Der maßgebliche Schwellenwert betrage nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. d Richtlinie 2014/24/EU 750.000 €. Wegen der automatischen Verlängerung der Jahresverträge sei de facto von einem Auftrag mit unbestimmter Laufzeit auszugehen. Bei maßgeblichen Gesamtbetriebskosten von 235.000 € jährlich wird der Schwellenwert von 750.000 € nach § 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV bei Zugrundelegung des 48-fachen Monatswertes überschritten.
Nach alledem muss der Auftrag zum Betrieb des Kindergartens EU-weit als Dienstleistungsauftrag ausgeschrieben werden.
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Hinweise für die Praxis
Das vorliegende Beispiel zeigt, dass scheinbar einfache, aber vergaberechtswidrige Lösungen meist in Sackgassen führen. Die Kurskorrektur kostet dann Zeit, von einem etwaig kommunalpolitischen Schaden ganz zu schweigen. Letztlich geht an einem EU-weiten Vergabeverfahren in solchen Fällen kein Weg vorbei.
Selbst Bieter, die sich an dem ersten (vergaberechtswidrigen) Verfahren beteiligt haben, scheuen sich oftmals nicht, das Verfahren erst dann anzugreifen, wenn sie nicht den Zuschlag erhalten. Die Hürden einer Verwirkung der Rechtsmittel (der Bieter hat sich ja darauf eingelassen) liegen hoch. Auch einer Rügepräklusion kann regelmäßig durch die Behauptung entgangen werden, man habe von der Rechtswidrigkeit erst erfahren, nachdem man von einem Anwalt aufgeklärt wurde.
Insoweit kann mit einem falschen Beschaffungsvorgehen lange Zeit keine Rechtssicherheit erzielt werden. Hat der Auftraggeber die Bieter formgerecht über den Vertragsschluss informiert oder eine entsprechende Bekanntmachung veröffentlicht, liegt die Frist immerhin bei 30 Tagen (§ 135 Abs. 2 GWB). In allen anderen Fällen tritt erst sechs Monate nach Vertragsschluss Rechtsfrieden ein. Die durch ein vergaberechtlich falsches Vorgehen ausgelöste „Zitterpartie“ kann sich somit hinziehen.
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