Die Abfrage des Umsatzes der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre gehört zum festen Kanon der Eignungsnachweise. Welchen Erklärungswert die entsprechende Angabe des Bieters hat und was daraus für die Eignungsprüfung folgt, wird in der Praxis allerdings unterschiedlich bewertet. Der Vergabesenat bei dem OLG Dresden hat sich jüngst der Frage gewidmet, wie die Angabe des Geschäftsumsatzes im Formblatt 124 des VHB auszulegen ist (Beschluss vom 05.02.2021, Verg 4 / 20).
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Der Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb einen gemischten Bau- sowie Wartungs-/Instandhaltungsvertrag EU-weit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Zu den Eignungskriterien war ausgeführt:
Die Eignung ist durch Eintragung in die Liste des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. (Präqualifikationsverzeichnis) oder Eigenerklärung gem. Formblatt 124 (Eigenerklärungen zur Eignung) nachzuweisen.
Gelangt das Angebot eines nicht präqualifizierten Bieters in die engere Wahl, sind die im Formblatt 124 angegebenen Bescheinigungen innerhalb der gesetzten angemessenen Frist nach Aufforderung vorzulegen.
Eine Bieterin reicht mit dem Angebot das ausgefüllte Formblatt 124 ein. Unter der Rubrik „Umsatz des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind“ gab die Bieterin dreimal „0 Euro“ an. Ferner gab die Bieterin in dem Formblatt 124 an: „Ich/Wir erkläre(n), dass ich/wir in den letzten fünf Kalenderjahren bzw. dem in der Auftragsbekanntmachung angegebenen Zeitraum vergleichbare Leistungen ausgeführt habe/haben.
Daraufhin wurde das Angebot ausgeschlossen, weil begründete Zweifel an der Eignung bestanden. Die Antragstellerin habe die geforderten Eignungsnachweise entsprechend dem Formular 124 nicht übermittelt. Der Nachweis (des vergleichbaren Umsatzes) der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre sei nicht erbracht worden, da das Unternehmen nach Eintragung in der Gewerbeanmeldung vom 05.08.2020 erst seit dem 01.08.2020 (gemeint war 2019) bestehe bzw. für diese Tätigkeit eingetragen sei.
Der Vergabesenat hatte über die Rechtsmäßigkeit des Ausschlusses zu entscheiden.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer hielt den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen fehlender Eignung nach § 16b EU Abs. 1 VOB/A für rechtswidrig.
Zunächst stellte der Vergabesenat die Rechtslage dar: § 122 Abs. 1 GWB und §§ 2 EU Abs. 3, 16b EU Abs. 1 VOB/A sähen die Vergabe des Auftrages (nur) an geeignete Unternehmen vor. Im Rahmen von § 122 Abs. 2 GWB könnten dafür Eignungskriterien festgelegt werden, welche in der Ausschreibung aufzuführen sind. Die Kategorien der Eignungskriterien würden in §§ 44 ff. VgV näher ausgestaltet. Dabei werde auch festgelegt, welche Unterlagen der Auftraggeber zum Nachweis der Eignung fordern darf (vgl. § 6a EU VOB/A). Aus den Vergabeunterlagen müsste dabei für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssten, um den Auftrag erhalten zu können, und welche Erklärungen und Nachweise hierzu von ihnen verlangt würden. Die Vergabestellen treffe die Verpflichtung, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüche zu vermeiden.
Im vorliegenden Fall habe die Vergabestelle nicht ausdrücklich die Eignungskriterien benannt, sondern vielmehr im Abschnitt III. unter der Überschrift „Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien“ bestimmt, dass vom Bieter die Eignung durch die Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenerklärungen im Formblatt 124 nachzuweisen sei.
Für die Auslegung dieser Formulierung sei nach der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestehenden Adressatenkreises maßgeblich.
Unter dieser Prämisse ergebe der Inhalt des Formblattes 124 nicht, dass darin ein Eignungskriterium formuliert sei, das ein mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit auf dem Gebiet einer vergleichbaren Leistung (im Vergleich zu der ausgeschriebenen Leistung) formuliert wurde
Der Wortlaut der Abfrage des einschlägigen Umsatzes des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren im Formblatt 124 (in Verbindung mit dem Verzicht auf die Angabe eines Mindestumsatzes) hätte den Bietern die Eintragung der Zahl „0“ erlaubt, sodass mit ihm die Festlegung einer Mindestanforderung für die Geschäftstätigkeit nicht verbunden war.
Auch sei mit dieser Formulierung kein Eignungskriterium einer mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit des Bieters gefordert. Denn es werde eben nicht nach der Dauer der Geschäftstätigkeit, sondern nach dem Umsatz gefragt, ohne dass der Bieter daraus eindeutig erkennen könne oder gar müsse, dass die Angabe irgendeines einschlägigen Umsatzes, gleich in welcher Höhe, in jedem der letzten drei Geschäftsjahre als zwingende Eignungsvoraussetzung angesehen werde.
Es ergebe sich weder aus der Auftragsbekanntmachung noch aus dem Formblatt 124 zweifelsfrei, ob ein im Sinne des Antragsgegners verstandener Eignungsnachweis als Beleg der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit oder der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zuzuordnen wäre. In Abschnitt III der Auftragsbekanntmachung werde sowohl für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit als auch für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in gleicher Weise entweder auf die Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis oder auf die Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 Bezug genommen.
Ohne entsprechende Zuordnung in den Vergabeunterlagen liege es nicht auf der Hand, dass ein Eignungskriterium des Inhaltes, dass der Bieter über eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit auf dem einschlägigen Gebiet verfügen müsse, dem Bereich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zuzuordnen wäre. Vielmehr könne dieses Eignungskriterium, solange es nur um das „Ob“ einer mehrjährigen Tätigkeit gehe, gerade unter den Gesichtspunkt der Erfahrung und der Kenntnisse des Unternehmens auch in den Bereich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit fallen. Dem Bereich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Bieters wäre das Eignungskriterium einer mehrjährigen einschlägigen Geschäftstätigkeit hingegen erst dann ohne Weiteres und ohne nähere Klarstellung zuzuordnen, wenn es mit einem Mindestumsatz kombiniert würde, weil sich auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit aus einer mehrjährigen und in ihrem Umfang erheblichen Geschäftstätigkeit schließen lässt, nicht aber aus sporadischer bzw. geringfügiger Tätigkeit auf einem Gebiet bestimmter Leistungen. Einen Mindestumsatz aber habe der Auftraggeber im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens gerade nicht festgelegt. Die Bieterin habe daher eine Eignungsanforderung nach einer einschlägigen Geschäftstätigkeit von zumindest drei Jahren in das vom Antragsgegner verwendete Formblatt 124 nicht von sich aus „hineinlesen“ müssen.
Deshalb sei der Ausschluss mit der dargestellten Begründung rechtswidrig und das Verfahren sei in den Stand vor dem Eignungsausschluss zurückzuversetzen.
Noch mehr Vergabewissen von Praktikern für Praktiker erhalten Sie in der cosinex Akademie. Dies sind die anstehenden Seminare von Norbert Dippel:
- 29. Oktober: Der Ausschluss im Vergaberecht »
- 26. November: Neu in der Vergabestelle »
- 3. Dezember: Einführung in das Vergaberecht »
Praktische Hinweise
Man kann den Beschluss kurz zusammenfassen: Der Auftraggeber fordert nicht allein dadurch eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter, wenn er in einem Formblatt den Umsatz des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren abfragt.
Möchte der Auftraggeber die Höhe des Umsatzes als Eignungskriterium berücksichtigen, muss er einen bestimmten Mindestumsatz fordern. Dann wäre das Eignungskriterium einer mehrjährigen einschlägigen Geschäftstätigkeit dem Bereich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Bieter zuzuordnen.
Ähnlich verhält es sich bei der Erklärung, in den letzten fünf Kalenderjahren vergleichbare Leistungen ausgeführt zu haben. Sie enthält nicht die Forderung, in jedem der letzten fünf Kalenderjahre solche Leistungen ausgeführt zu haben. Selbstverständlich kann der Auftraggeber den Nachweis einer spezifischen Geschäftstätigkeit abfordern, um so den Nachweis der Fachkunde im Sinne von Erfahrungen zu führen. Dies muss dann aber eindeutig gefordert werden.
Der vorstehende Beschluss des Vergabesenats hat einmal wieder gezeigt: Der Auftraggeber muss für die entsprechende Klarheit der von ihm aufgestellten Eignungsanforderungen sorgen. Unklarheiten dürfen nicht zulasten des Bieters aufgelöst werden.
Verwandte Beiträge
Bildquelle: BCFC – shutterstock.com