Die Europäische Kommission hat eine aktualisierte Version des Leitfadens für sozialorientierte Beschaffung (Sozialorientierte Beschaffung – ein Leitfaden für die Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe) veröffentlicht. Mit dem Leitfaden rückt die Kommission einmal mehr die Vorbildfunktion, die öffentlichen Auftraggebern bei der Beschaffung im Hinblick auf Nachhaltigkeitsziele zukommt, in den Vordergrund.
Konkret heißt es in dem Leitfaden, dass öffentliche Auftraggeber mittels kluger Vergabestrategien Beschäftigungschancen, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für Arbeitskräfte, menschenwürdige Arbeit, soziale Inklusion, Geschlechtergleichstellung und Nichtdiskriminierung, Zugänglichkeit, Design für alle, ethisches Handeln und die umfassendere Einhaltung sozialer Standards fördern können. In dem Leitfaden wird anhand verschiedener Praxisbeispiele entsprechend erläutert, wie diese Untergebiete der sozialverträglichen Beschaffung Berücksichtigung in der Vergabe finden können.
Auch wenn öffentliche Auftraggeber nach § 58 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 VgV bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots soziale Zuschlagskriterien berücksichtigen können und gemäß § 31 Abs. 3 Merkmale der Leistungsbeschreibung (neben Aspekten der Qualität und der Innovation) auch soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen dürfen, besteht keine Pflicht dazu, dies auch zu tun. Der Leitfaden hat somit keine bindende Wirkung und tangiert im Hinblick auf seine Handlungsempfehlungen nicht die vorgenannten nationalen Rechtsvorschriften.
Neben einer ausführlichen Erläuterung der Potenziale in den genannten Unterbereichen legt auch der Leitfaden selbst dar, dass nicht alle Aufträge gleichermaßen für die Einforderung von sozialen Kriterien geeignet seien und empfiehlt die Priorisierung und das Ableiten einer Notwendigkeit anhand der Kritikalität respektive Bejahung folgenden Fragen:
- Welche sozialen Risiken oder potenziellen Sozialleistungen sind mit dem Auftrag verbunden und wie wichtig sind sie?
- Ist der Auftrag von ausreichender Größe und Laufzeit, um Einfluss auf die Praktiken des Anbieters zu haben? Falls nein, können Sie mit anderen öffentlichen Stellen zusammenarbeiten, um die Nachfrage in der Kategorie zu bündeln?
- Sind sozial verträgliche Alternativen verfügbar und sind sie bezahlbar? Würde die Einbeziehung sozialer Erwägungen zu einer übermäßigen Einschränkung des Wettbewerbs führen?
- Wie lang ist die Lieferkette eines Produkts? Wie kann die Beschaffung wirksam auf den Punkt in der Lieferkette ausgerichtet werden, an dem Risiken auftreten bzw. Vorteile erzielt werden können?
- Können soziale Ziele unmittelbar mithilfe überprüfbarer Beschaffungskriterien erreicht werden? Oder gibt es eine wirksamere Möglichkeit, die Politik anhand anderer Instrumente, die dem öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung stehen, umzusetzen?
- Wie sichtbar werden die sozialen Maßnahmen sein? Können sie dazu beitragen, das Bewusstsein der Mitarbeiter, Anbieter und vielleicht sogar der breiten Öffentlichkeit für soziale Fragen in den Lieferketten zu schärfen? Besteht ein Reputationsrisiko, wenn in diesem Bereich nicht gehandelt wird?
- Gibt es Möglichkeiten, sozialen Organisationen einen Auftrag vorzubehalten, wenn sie die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen oder benachteiligten Personen direkt unterstützen?
Auch aufgrund des überregionalen Gültigkeitsanspruchs und des Anspruchs, auf sämtliche Ausschreibungen anwendbar zu sein, finden sich leider nur sehr vereinzelt Beispiele für konkrete soziale Kriterien. Als Beispiel empfiehlt der Leitfaden etwa, die Methodik zur Gewährleistung der sozialen Inklusion bei der Erbringung von Dienstleistungen als Kriterium zu bewerten und von Bietern einen detaillierten Plan einzufordern, wie sie jede der in den Ausschreibungsunterlagen genannten Zielgruppen erreichen wollen.
Im Detail unklar bleibt leider auch, wie gut sich die gegebenen Praxisbeispiele, die aus dem europäischen Ausland stammen, auch auf die Situation in Deutschland übertragen lassen, da hier mitunter abweichende nationale Regelungen vorliegen können. Gleichwohl geben die genannten Praxisbeispiele einen Rundumblick, bei welchen Vergaben sich in der Vergangenheit bereits soziale Kriterien erfolgreich in Ausschreibungen integrieren ließen.
Interessenten können den Leitfaden unter diesem Link in deutscher Sprache abrufen.
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