Rheinland-Pfalz hat mit einer speziellen Rechtsverordnung den Rechtsschutz im Unterschwellenbereich neu geregelt (Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren durch Vergabeprüfstellen vom 26. Februar 2021, veröffentlicht im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz vom 2. März 2021, S. 123 ff.; im folgenden NachprüfVO Rh-Pf).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Auf dieser Grundlage wird eine zentrale Vergabeprüfstelle bei dem für die Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens zuständigen Ministerium, dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz, eingerichtet. Deren Aufgabe ist die Prüfung der Einhaltung der Vergabevorschriften (§ 1 NachprüfVO Rh-Pf). In diesem Zuge wird auch die Pflicht zur Vorabbenachrichtigung unterlegener Bieter vor Zuschlagserteilung eingeführt.

I. Zuständigkeit

Die Zuständigkeit der Vergabeprüfstelle ist sachlich zunächst auf Vergaben beschränkt, die unterhalb der EU-Schwellenwerte liegen, jedoch bestimmte, in dieser Verordnung festgelegte Werte überschreiten.

Dies sind bis zum 30. Juni 2022 für Bauaufträge 100.000 EUR (o. USt.) und für Liefer- und Dienstleistungen 75.000 EUR (o. USt.). Ab diesem Zeitpunkt gilt für sämtliche der vorgenannten Aufträge eine Mindestgröße von 75.000 EUR (o. USt.).

Interessant ist, dass für die Schätzung des Auftragswerts grundsätzlich § 3 der VgV herangezogen wird. Allerdings wird entgegen § 3 Abs. 7 VgV nicht der geschätzte Gesamtwert aller Lose zugrunde gelegt, sondern der Wert des jeweiligen Loses. Selbiges gilt bei gleichartigen Leistungen, wo es auf die Einzelleistung ankommen soll.

In persönlicher Hinsicht sind Vergabeverfahren

  • von Behörden der unmittelbaren Landesverwaltung mit Ausnahme der Vergabeverfahren der obersten Landesbehörden und
  • Vergabeverfahren der landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie § 55 der Landeshaushaltsordnung (LHO) unmittelbar oder nach § 105 LHO zu beachten haben,
  • der kommunalen Gebietskörperschaften und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie § 22 der Gemeindehaushaltsverordnung vom 18. Mai 2006 (GVBl. S. 203, BS 2020-1-2) in der jeweils geltenden Fassung zu beachten haben,

erfasst.

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II. Einführung der Vorabbenachrichtigung

Ähnlich dem Oberschwellenvergaberecht wird nunmehr eine zwingende Vorabbenachrichtigung eingeführt. Demnach haben Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die wesentlichen Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich auf elektronischem Weg oder per Telefax zu informieren. Dies gilt auch für Bewerber, denen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt wurde, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.

Im Vergleich zu § 134 GWB beträgt die Vorabinformationsfrist nicht zehn, sondern nur sieben Kalendertage. Erst nach Ablauf dieser Frist darf ein Vertrag geschlossen werden.

Die Auftraggeber haben im Rahmen der Vorabinformation im Falle der Beanstandung der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften durch einen Bieter oder Bewerber auch über das weitere Verfahren zu unterrichten.

III. Nachprüfungsverfahren

Das eigentliche Nachprüfungsverfahren vor der Vergabeprüfstelle ist durch die NachprüfVO-Rh-Pf wie folgt geregelt:

Der Bewerber oder Bieter muss den vermeintlichen Vergabeverstoß zunächst „beanstanden“. Die NachprüfVO-Rh-Pf geht davon aus, dass diese Beanstandung in der oben geschilderten Vorabbenachrichtigungsfrist von sieben Kalendertagen zu erfolgen hat oder – ebenfalls innerhalb einer Frist von sieben Kalendertagen – nach der Absendung der Information über die Nichtberücksichtigung der Bewerbung. Die Beanstandung muss unter Angabe der Gründe schriftlich gemäß § 126 BGB beim Auftraggeber erfolgen. Hilft der Auftraggeber der Beanstandung nicht ab, hat dieser den Bieter oder Bewerber hierüber in Textform nach § 126 b BGB zu unterrichten. Der Auftraggeber legt der Vergabeprüfstelle die Beanstandung und die vollständigen Vergabeakten zur Entscheidung vor, sofern der Bieter oder Bewerber nicht auf die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabeprüfstelle verzichtet hat. Nach Eingang der Beanstandung informiert die Vergabeprüfstelle unverzüglich die für den Auftraggeber zuständige Aufsichtsbehörde über die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens.

Wurde der Zuschlag schon erteilt, kann ein Bieter oder Bewerber dennoch die Nichteinhaltung der Vergabevorschriften in gleicher Form beanstanden, wenn der Auftraggeber seiner Vorabinformationspflicht nicht nachgekommen ist oder den Zuschlag vor Ablauf der oben genannten Frist erteilt hat. In diesem Fall muss die Beanstandung spätestens einen Monat seit Kenntnis des Vertragsabschlusses, jedoch nicht später als drei Monate nach Abschluss des Vertrags, gegenüber dem Auftraggeber geltend gemacht werden.

IV. Suspensiveffekt

Im laufenden Nachprüfungsverfahren darf der Auftraggeber vor einer Entscheidung der Vergabeprüfstelle den Zuschlag nicht erteilen.

V. Entscheidung

Die Vergabeprüfstelle entscheidet, ob der Auftraggeber im Vergabeverfahren Vergabevorschriften verletzt hat und trifft geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Vergaberechtsverstöße. Sie kann insbesondere dem Auftraggeber den beabsichtigten Zuschlag untersagen.

Die Vergabeprüfstelle teilt dem Auftraggeber die von ihr getroffene Entscheidung mit den gegebenenfalls festgestellten Vergaberechtsverstößen und den geeigneten Maßnahmen zu deren Beseitigung inkl. einer kurzen Begründung in Schriftform mit und übersendet diese der Aufsichtsbehörde des Auftraggebers und dem beanstandenden Bieter oder Bewerber zur Information.

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VI. Unwirksamkeit

Hat der Auftraggeber trotz erfolgter Beanstandung bzw. ohne vorherige korrekte Vorabinformation den Zuschlag bereits erteilt, ist der Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn die Vergabeprüfstelle diesen Vergaberechtsverstoß und einen weiteren Vergaberechtsverstoß in dem Nachprüfungsverfahren festgestellt hat. Bei diesem weiteren Vergaberechtsverstoß muss es sich um einen Vergaberechtsverstoß handeln, der Auswirkungen auf die Zuschlagsentscheidung hatte.

VII. Unzulässigkeit

Ähnlich dem Oberschwellen-Rechtsschutz ist das Nachprüfungsbegehren des beanstandenden Bieters oder Bewerbers zurückzuweisen, wenn er den vermeintlichen Vergabeverstoß schon vor der Vorabinformation erkannt und nicht innerhalb einer Frist von sieben Kalendertagen gerügt hat. Für Vergabeverstöße, die aufgrund der Bekanntmachung oder aus den Vergabeunterlagen erkennbar sind, gilt eine Rügefrist bis zum Ende der Bewerbungs- oder Bekanntmachungsfrist.

VIII. Hinweise für Nutzer unserer Lösungen

Im cosinex Vergabemanagementsystem (VMS) kann je Mandant bzw. Vergabestelle konfiguriert werden, ob auch bei Unterschwellenvergaben eine Vorabinformation erfolgen bzw. im System dokumentiert werden soll, einschließlich der Einhaltung der vorgegebenen Wartefrist.

Soweit Sie eine entsprechende Konfiguration wünschen, wenden Sie sich gerne an den zuständigen Projektleiter in unserem Haus bzw. als Landesbehörde an den für den Betrieb des VMS in der Landesverwaltung zuständigen Landesbetrieb Daten und Information.

IX. Zum guten Schluss

Nicht nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht gleichen sich Ober- und Unterschwellenvergabe immer mehr an, wie sich beispielsweise anhand der Vielzahl der Verweise der UVgO in das Oberschwellenvergaberecht nachvollziehen lässt.

Nunmehr wird auch in Rheinland-Pfalz ein Nachprüfungsverfahren im Unterschwellenbereich installiert. Es bleibt abzuwarten, wie es in der Praxis angenommen wird und ob weitere Bereiche folgen.

Wer sich erstaunt die Augen reibt, weil in einer Landesverordnung Unwirksamkeitsgründe für geschlossene Verträge formuliert werden, dem sei ein Blick in die Verordnungsermächtigung empfohlen, die sich in § 7 a Abs. 3 des Mittelstandsförderungsgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz findet:

„Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung insbesondere näher zu bestimmen:

a) die Anzahl und Zuständigkeit von Vergabeprüfstellen im Land Rheinland-Pfalz sowie die Aufsichtsbehörde für Vergabeverfahren von Behörden der unmittelbaren Landesverwaltung,

b) die Informations- und Wartepflicht von öffentlichen Auftraggebern vor Vertragsschluss,

c) den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Nachprüfung,

d) die Aufgaben und Befugnisse der Vergabeprüfstellen sowie das Prüfungsverfahren,

e) eine Gebührenregelung für das Prüfungsverfahren sowie

f) eine Evaluation der Bestimmungen über die Nachprüfung.

Die Ermächtigung zur Bestimmung der Aufgaben und Befugnisse der Vergabeprüfstellen und des Prüfungsverfahrens durch Rechtsverordnung nach Satz 1 lit. d) umfasst, dass die Vergabeprüfstellen die Befugnis erhalten können, die das Vergabeverfahren durchführende Stelle zu verpflichten, rechtswidrige Maßnahmen aufzuheben und rechtmäßige Maßnahmen zu treffen, insbesondere dem öffentlichen Auftraggeber den beabsichtigten Zuschlag untersagen zu können. Ferner umfasst die Ermächtigung, dass die Vergabeprüfstellen die Befugnis erhalten können, im Falle, dass der Zuschlag entgegen bestehenden Informations- und Wartepflichten bereits erteilt wurde, den Vergaberechtsverstoß festzustellen, was unter den in der Rechtsverordnung festzulegenden Voraussetzungen zu der Unwirksamkeit der Auftragsvergabe führen kann.“