Foto des Europaeischen Gerichtshofs

Der EuGH hat sich in einer am 24. März 2021 ergangenen Entscheidung (Rechtssache C-771/19) zu den Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschlossener Bieter geäußert. Dabei hat er unter anderem festgestellt, dass – bis zu einer Entscheidung über die Rechtswirksamkeit des Ausschlusses – diese Bieter sämtliche möglichen Vergabefehler rügen und zum Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung machen können. Ebenso muss nicht erst die Vergabeentscheidung abgewartet werden, bevor die Eignung anderer noch im Verfahren befindlicher Wettbewerber angegriffen werden kann. Diese Entscheidung ist in Bezug auf das griechische Vergaberecht gefallen. 

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In einer diesbezüglichen Pressemitteilung des EuGH wird ausgeführt, dass das Unionsrecht einer nationalen Praxis entgegensteht, nach der ein von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossener Bewerber in seinem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, mit der das Angebot eines anderen Bieters zugelassen wurde, ausschließlich einen Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Maßstabs für die Bewertung der Angebote rügen kann.

Das Rechtsschutzinteresse eines Bewerbers wird durch die Ablehnung des Antrags auf vorgerichtliche Nachprüfung der Entscheidung über seinen Ausschluss nicht berührt, sofern diese ablehnende Entscheidung einer unabhängigen nationalen Stelle nicht rechtskräftig geworden ist.

Zum Sachverhalt

Am 24. Januar 2018 leitete die Gesellschaft Attiko Metro ein offenes Vergabeverfahren über technische Beratungsdienste für die Erweiterung der Athener Metro (Griechenland)1 im Wert von ca. 21,5 Mio. Euro ein. In der ersten Phase des Vergabeverfahrens wurden u. a. die technischen Angebote der Bewerber geprüft, während in der zweiten Phase die finanziellen Angebote geöffnet und eine Gesamtbewertung vorgenommen wurden. Vier Bewerber, darunter NAMA u. a. (im Folgenden: NAMA) und SALFO u. a.2, bei denen es sich um Unternehmensvereinigungen handelt, die technische Beratungsdienste anbieten, gaben jeweils ein Angebot ab.

Am 6. März 2019 beschloss der Verwaltungsrat von Attiko Metro, das Angebot von NAMA in der Phase der Prüfung der technischen Angebote auszuschließen, weil die Erfahrung bestimmter Mitglieder ihres Teams im Bereich der Errichtung von Bauwerken nicht den Anforderungen der Ausschreibung entspreche, während das Angebot von SALFO zur zweiten Phase des Verfahrens zugelassen wurde. Am 26. März 2019 stellte NAMA hinsichtlich dieses Beschlusses einen Antrag auf vorgerichtliche Nachprüfung bei der Archi Exetasis Prodikastikon Prosfigon (AEPP) (Behörde für die Überprüfung vorgerichtlicher Nachprüfungsanträge im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, Griechenland), mit dem sie sowohl die Ablehnung ihres technischen Angebots als auch die Zulassung des Angebots von SALFO beanstandete. Mit Beschluss vom 21. Mai 2019 lehnte die AEPP diesen Antrag teilweise ab und gab ihm nur in dem Teil statt, der gegen die Gründe des Beschlusses von Attiko Metro gerichtet war, die den Nachweis der Erfahrung eines der von NAMA vorgeschlagenen Teammitglieder betrafen.

NAMA beantragte beim Symvoulio tis Epikrateias (Epitropi Anastolon) (Staatsrat, [Aussetzungsausschuss], Griechenland), die Vollziehung des Beschlusses der AEPP und des Beschlusses des Verwaltungsrats von Attiko Metro auszusetzen.

Dieses Gericht hat unter Verweis darauf, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung ein vom Vergabeverfahren ausgeschlossener Bieter kein Rechtsschutzinteresse daran habe, die Rechtmäßigkeit der Teilnahme eines anderen Bieters an diesem Verfahren infrage zu stellen, es sei denn, es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz bei der Bewertung der Angebote vor, beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen4 zur Vorabentscheidung vorzulegen. Es möchte u. a. wissen, ob diese nationale Praxis gegen das Unionsrecht verstößt.

Zum Urteil des EuGH

Mit seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Rechtsprechungsgrundsatz, wonach die Bieter, deren Ausschluss beantragt wird, im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ein äquivalentes berechtigtes Interesse am Ausschluss des Angebots der jeweils anderen Bieter haben, um den Auftrag zu erhalten, auf das durch die Richtlinie geschaffene Rechtsschutzsystem anwendbar ist.

Diese Richtlinie hat einen wirksamen und raschen gerichtlichen Rechtsschutz insbesondere auch durch vorläufige Maßnahmen zum Ziel und erlaubt es den Mitgliedstaaten nicht, die Ausübung des Rechts auf einen Antrag auf Nachprüfung davon abhängig zu machen, dass das Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat. Somit verstößt eine nationale Regelung, die verlangt, dass ein Bieter die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags abwarten muss, bevor er gegen die Zulassung eines anderen Bieters ein Nachprüfungsverfahren anstrengen kann, gegen die Richtlinie.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass der ausgeschlossene Bieter unabhängig davon, in welcher Phase des Vergabeverfahrens die Entscheidung des Auftraggebers über die Zulassung des Angebots eines seiner Wettbewerber ergeht, ein Nachprüfungsverfahren gegen diese Entscheidung anstrengen kann.

Sodann führt der Gerichtshof zu den Gründen, die ein ausgeschlossener Bieter im Rahmen eines solchen Verfahrens geltend machen kann, aus, dass die Richtlinie keine andere Anforderung als jene vorsieht, dass der Bieter Gründe geltend machen kann, mit denen ein Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, gerügt wird. Er ist berechtigt, jedweden Grund gegen die Entscheidung über die Zulassung eines anderen Bewerbers geltend zu machen, also auch solche, die keinen Zusammenhang mit den Mängeln aufweisen, aufgrund deren sein Angebot ausgeschlossen wurde, sofern die Entscheidung über seinen Ausschluss nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung bestätigt wurde, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Schließlich weist der Gerichtshof, was den Umstand betrifft, dass das nationale Recht den ausgeschlossenen Bieter verpflichtet, einen Antrag auf vorgerichtliche Nachprüfung zu stellen, bevor er das vorlegende Gericht anrufen kann, darauf hin, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten ermächtigt, die erstinstanzliche Entscheidung in den in dieser Richtlinie vorgesehenen Nachprüfungsverfahren außergerichtlichen Instanzen zu übertragen, sofern ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung ihrer Befugnisse zum Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung oder einer Nachprüfung bei einer anderen Instanz gemacht werden kann, die ein Gericht ist und gegenüber dem Auftraggeber und der außergerichtlichen Instanz, die in erster Instanz entschieden hat, unabhängig ist.

Unter diesen Umständen gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Bieter, der in einer Phase vor der Vergabe eines öffentlichen Auftrags vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde und dessen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung, mit der er von diesem Verfahren ausgeschlossen wurde, zurückgewiesen wurde, in seinem zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Entscheidung, mit der das Angebot eines anderen Bieters zugelassen wurde, sämtliche Gründe geltend machen kann, mit denen ein Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, gerügt wird, also auch solche, die in keinem Zusammenhang mit den Mängeln stehen, aufgrund deren sein Angebot ausgeschlossen wurde.

Diese Möglichkeit wird nicht dadurch berührt, dass der Antrag auf vorgerichtliche Nachprüfung bei einer unabhängigen nationalen Stelle, den der Bieter nach dem nationalen Recht gegen die Entscheidung über seinen Ausschluss zuvor stellen musste, abgelehnt wurde, sofern diese Entscheidung nicht rechtskräftig geworden ist.

Den Volltext des Urteils finden Sie auf den Seiten des Europäischen Gerichtshofs unter diesem Link.

Quelle: Pressemitteilung des Gerichtshofs der Europäischen Union
Bildquelle: Gerichtshof der Europäischen Union