Die VK Südbayern hatte vor zwei Jahren im Rahmen eines Kostenbeschlusses (29.03.2019 – Z3-3-3194-1-07-03/19) festgestellt, dass die Bereitstellung einer entsprechenden Information über die im konkreten Fall verwendete Vergabeplattform nicht den Anforderungen an das „Versenden“ einer Information in Textform i.S. des § 134 GWB genügt. Die VK Saarland hat nun die Rechtskonformität einer so erfolgten elektronischen Übermittlung für einen Fall bei Einsatz einer Vergabeplattform auf Basis des cosinex Vergabemarktplatz jüngst bestätigt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Auch wenn dieser Beschluss vor dem Hintergrund der in dem damaligen Fall zur Anwendung kommenden Software zu sehen war, führte dies zu einer Verunsicherung einer Reihe von Nutzern von E-Vergabe-Lösungen insgesamt.

Nunmehr hatte sich die Vergabekammer des Saarlandes erneut mit dieser Rechtsfrage zu befassen, wobei diesmal eine Vergabeplattform auf Basis der cosinex-Technologie auf dem Prüfstand war. Neben einer tiefen rechtlichen Erörterung hat sich die Vergabekammer fundiert mit der Funktionsweise der cosinex-Vergabesoftware auseinandergesetzt. Im Ergebnis kam sie zu dem Schluss, dass die § 134 GWB-Mitteilung rechtswirksam über den Projektraum „versendet“ werden kann. Explizit hat sie dargelegt, dass dies für den Aspekt der Textform gem. § 126b BGB sowie auch im Hinblick auf das „Versenden“ i.S. des § 134 Abs. 2 GWB gelte (Beschluss vom 22.03.2021, Az.: 1 VK 06/2020).

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle wickelte ein EU-weites Vergabeverfahren über die elektronische Vergabeplattform DTVP (Deutsches Vergabeportal) auf Basis der cosinex-Technologie Vergabemarktplatz (VMP) ab.

Einer unterlegenen Bieterin wurde die Information gemäß § 134 GWB (Vorabbenachrichtigung) am 22.10.2020 mit einer in dem Projektraum der Vergabeplattform hinterlegten Benachrichtigung übermittelt. Als frühestmöglicher Termin für die Bezuschlagung war dort der 03.11.2020 benannt.

Ausweislich eines Systemprotokolls hat die Bieterin die über die bzw. innerhalb der E-Vergabeplattform elektronisch übermittelte Nachricht am 22.10.2020 um 7:53 Uhr auf der Vergabeplattform geöffnet.

Ebenfalls am 22.10.2020 wurde die Vorabbenachrichtigung vorsorglich postalisch versendet.

Die spätere Antragstellerin rügte am 29.10.2020 neben verschiedenen Sachverhalten unter anderem, dass die 15-Tage-Frist des § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht eingehalten worden sei, wenn der Zuschlag schon am 03.11.2020 erteilt werde.

Die Vergabestelle äußerte sich zu dem behaupteten Verstoß gegen die Vorabinformationsfrist nicht und half darüber hinaus den anderen Verfahrensrügen nicht ab.

Die Vergabestelle erteilte am 03.11.2020 morgens über die Vergabeplattform den Zuschlag an die Beigeladene. Wenige Stunden später hat die Vergabekammer den zwischenzeitlich eingegangenen Nachprüfungsantrag der Bieterin an die Vergabestelle gefaxt.

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II. Die Streitfrage

Ein Nachprüfungsantrag kann grundsätzlich nur im laufenden Vergabeverfahren gestellt werden. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann nicht im Nachprüfungsverfahren aufgehoben werden (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB).

Allerdings ist Wirksamkeitsvoraussetzung des Zuschlags, dass die Zuschlagserteilung nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.

Vor diesem Hintergrund kommt der Frage, ob die Vorabinformationsfrist nach § 134 Abs. 2 GWB gewahrt wurde, entscheidende Bedeutung zu. Denn § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB ordnet die Unwirksamkeit eines Zuschlags ex tunc an, wenn dieser unter Verstoß gegen § 134 GWB zustande gekommen ist.

Nach § 134 Abs. 2 GWB beträgt die gesetzliche Wartefrist zehn Kalendertage, wenn die Information auf elektronischem Wege versendet wurde. Bei postalischer Versendung beträgt die Frist 15 Kalendertage.

Im vorliegenden Fall bestritt die Antragstellerin unter Verweis auf den Beschluss der Vergabekammer Südbayern, dass die im Projektraum bereitgestellte Information als „Versendung“ der Information angesehen werden könne. Deshalb käme nicht die 10-Tage-Frist (elektronische Information) sondern die 15-Tage-Frist (postalische Information) zur Anwendung. Die 15-Tage-Frist wäre nicht gewahrt.

Im Kern war somit zu entscheiden, ob in der über den Projektraum der Vergabeplattform bereitgestellten Information eine „elektronisch versendete Information“ i.S. des § 134 Abs. 2 GWB zu sehen ist.

III. Die Entscheidung

Die Vergabekammer führte zunächst aus, dass es für den Beginn des Fristablaufs nach § 134 GWB auf die Information des Bieters in Textform ankomme. Maßgeblich sei nach dem Wortlaut der Vorschrift die „Absendung“ durch den Auftraggeber; auf den Zugang komme es dabei nicht an.

Vorliegend erfülle das Einstellen in das elektronische Postfach der Antragstellerin auf der Vergabeplattform die Voraussetzung des „Absendens“ nach § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB, sodass der Fristenlauf in Gang gesetzt wurde.

Als Ausgangspunkt der Überlegungen stellte die Vergabekammer zunächst auf das althergebrachte Begriffsverständnis ab. Die Rechtsprechung definiere das Versenden als ein Entäußern aus dem eigenen Machtbereich derart, dass bei regelgerechtem Verlauf mit dem ordnungsgemäßen Zugang beim Empfänger zu rechnen sei. Dabei zitierte die Vergabekammer den BGH (Beschluss vom 09.02.2004-X ZB 44/03):

„Das kann zwanglos dahin verstanden werden, dass es für den Beginn der zu beachtenden Frist nur darauf ankommt, wann der öffentliche Auftraggeber sich der schriftlichen Mitteilungen an die betroffenen Bieter entäußert, wann er diese Schriftstücke also aus seinem Herrschaftsbereich so herausgegeben hat, dass sie bei bestimmungsgemäßem weiteren Verlauf der Dinge die Bieter erreichen, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen.“

Werde das Vergabeverfahren vollständig über eine Vergabeplattform digital abgewickelt, könne „Versenden“ auf elektronischem Weg im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB nicht ausschließlich auf das Absenden einer herkömmlichen E-Mail oder eines Faxes beschränkt werden.

Das Medium, mittels dessen die Information nach § 134 GWB auch elektronisch übermittelt werden kann, benenne der Gesetzgeber nicht. Vielmehr sei die Norm in ihrem Normkontext nach dem Wortlaut, dem Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck technikoffen und nach Maßgabe der Bedeutung des Begriffs der Textform auszulegen.

1. Die Textform

126b BGB definiere Textform als eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden muss. Ein dauerhafter Datenträger sei jedes Medium, das

  1. es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und
  2. geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben.

Textform setze damit voraus, dass die an den Empfänger

„…. persönlich gerichtete Information dergestalt zu speichern [ist], dass ihr Inhalt und ihre Zugänglichkeit während angemessener Dauer nicht verändert werden kann und hierdurch die Möglichkeit ihrer originalgetreuen Wiedergabe gegeben ist.“

Nach dem Gesetzestext komme es für die Frage der formwirksamen Erstellung und Abgabe der Erklärung in Textform schon nicht darauf an, ob und wie der Empfänger diese speichere; die Erklärung müsse lediglich dauerhaft wiedergegeben werden können, nämlich unverändert zugänglich zu sein und gelesen werden zu können.

Diese Aspekte der Textform seien mit der Nachrichtenübermittlung in der Ausgestaltung der Vergabeplattform gewahrt. Die Nachrichten, die über den Kommunikationsbereich der Vergabeplattform an den Bieter gelangten, seien als lesbare Erklärungen, die außerdem mit Zeitstempel versehen seien, druckfähig oder elektronisch speicherbar. Dies zeigten die in der Akte befindlichen Ausdrucke. Eine nachträgliche Veränderung oder Löschung erscheine dabei nach der Ausgestaltung der Software nicht möglich. Die eingestellten Informationen blieben mindestens für die Dauer des Vergabeverfahrens im persönlichen Kommunikationsbereich des Bieters erhalten und abrufbar.

2. Das Versenden

Sei demnach den Anforderungen an die Textform Genüge getan, komme es darauf an, ob die Einstellung einer Information auf der Vergabeplattform als „Versenden“ oder „Absenden“ i.S. des § 134 GWB angesehen werden könne.

„Versenden“ in elektronischer Form sei dabei nicht das physische Versenden, sondern bedeute das elektronische „auf den Weg bringen“ der Information in Textform, d. h. das Verlassen des Machtbereichs des Sendenden derart, dass die Information durch diesen nicht mehr einseitig verändert oder gelöscht werden kann. Dabei müsse zu erwarten sein, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelange. In diesem Sinne müsse es dem Empfänger möglich sein, jederzeit und ohne Zutun des Absendenden auf die im Postfach eingelegte Information zuzugreifen.

Nach Ansicht der Vergabekammer sei dies jedenfalls auch dann der Fall, wenn die maßgebliche Information in einem nur persönlich zugänglichen Raum des Empfängers („Online-Konto“) eingestellt werde.

Dabei komme es auf die Zufälligkeit, ob der Empfänger die für ihn bestimmten Nachrichten auch abruft und in welcher Form er sie speichert, für die Bewertung des Kriteriums „Versenden“ nicht an. Dafür spreche auch, dass § 134 GWB ausdrücklich festlege, dass es für den Fristbeginn nicht auf den Zugang der Information ankomme. Insoweit sei es auch nicht entscheidend, dass ein Bieter zum Abruf seiner Nachricht das Postfach auf der Plattform öffnen muss. Vergleichbar müsse ein Bieter auch seinen Briefkasten oder sein E-Mail-Postfach öffnen.

Nach Auffassung der Vergabekammer könne es in einer solchen Konstellation auch nicht darauf ankommen, dass der Inhalt der Nachricht bereits vorab aus der Gestaltung der Benachrichtigung – sei es im Betreff oder sonst – erkennbar ist. Auch bei einem Brief lasse sich der Inhalt nicht „von außen“ erkennen.

Im Unterschied zum bloßen Bereitstellen einer Information auf einer Plattform gelange das Schreiben nach § 134 GWB durch das Einstellen in das persönliche Nutzerkonto des Empfängers allein in dessen Machtbereich, auf den nur er allein mittels Zugangsdaten, vergleichbar einem Schlüssel, Zugriff habe.

Mit dem Einstellen der Nachricht in dem persönlichen Nutzerbereich werde dieser Vorgang softwareseitig revisionssicher gespeichert. Dies ergebe sich aus der Funktionsbeschreibung der Vergabeplattform. Damit sei ausgeschlossen, dass die Vergabestelle die abgesendeten Dateien in irgendeiner Form verändern, löschen oder sonst manipulieren könne. Ihr sei systemseitig jedweder Zugriff auf die Datenbank verwehrt. Gleiches gelte für den Bewerber/Bieter. Auch er könne die Nachricht zwar kopieren oder weiterleiten, aber nicht verändern oder löschen. Die Vergabestelle habe nach Einstellung der Nachricht keine Möglichkeit, Nachrichten aus dem Projektraum des Bieters zu löschen oder zu verändern.

Damit sei ein regelgerechter Zugang mit Einstellen der Nachricht im Nutzerkonto zu erwarten.

Ob es darüber hinaus von entscheidender Bedeutung ist, dass der Empfänger per E-Mail oder auf sonstige Weise, z. B. per SMS oder digitaler Push-Mitteilung o. ä. ausdrücklich über das Vorliegen einer Nachricht in seinem Benutzerkonto benachrichtigt wurde, könne für das vorliegende Verfahren offen bleiben. Denn eine derartige E-Mail-Nachricht wurde systemseitig automatisch mit dem Einstellen der Information in das Benutzerkonto der Bieterin generiert und habe dazu geführt, dass die Nachricht im Benutzerkonto durch die Antragstellerin innerhalb einer Stunde geöffnet wurde.

Die Versendung über die Kommunikationsplattform erfülle darüber hinaus vollumfänglich die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Schriftverkehrs im Vergabeverfahren.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

3. Die Zusammenfassung der Vergabekammer

Abschließend hat die Vergabekammer ihre Ausführungen wie folgt zusammengefasst: Der Fristlauf werde durch elektronisches Versenden entsprechend den Anforderungen des § 134 Abs. 2 GWB in Gang gesetzt, wenn die elektronische Information

  1. den Machtbereich des Sendenden derart verlassen hat, dass sie von diesem nicht mehr gelöscht, verändert oder zurückgerufen werden kann,
  2. in Textform, mithin speicherbar und für eine angemessene Dauer verfügbar ist, und
  3. in einem nur dem Empfänger zuzurechnenden sicheren Bereich vergleichbar einem Postfach (Benutzerkonto), über das die gesamte Verfahrenskommunikation abgewickelt wird, eingelegt wird.

Diese Anforderungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer mit der vorliegenden Lösung erfüllt. Die Information nach § 134 GWB wurde in das Benutzerkonto der Antragstellerin eingelegt. Die Information ist damit dem Machtbereich des Sendenden entäußert, denn die Vergabestelle hatte danach keinen Zugriff mehr auf die Nachricht. Aufgrund der technischen Voraussetzungen der Software ist die Information auch revisionssicher gespeichert, mithin in Textform dauerhaft verfügbar. Das persönliche Benutzerkonto auf der Plattform ist ausschließlich durch den Empfänger der Nachricht einsehbar und kann – vergleichbar einem Briefkasten oder elektronischen Postfach – von außen über den Internetbrowser mittels Zugangsdaten und Passwort von dem dazu Berechtigten jederzeit eingesehen und gespeichert werden.

IV. Hinweise für die Praxis

Die Ausführungen der Vergabekammer zeigen eines deutlich: E-Vergabeplattformen können sich – wenn sie auch häufig in ihrem Funktionsumfang ähnlich scheinen – im Hinblick auf wesentliche rechtliche Aspekte unterscheiden und in Zweifelsfällen kommt es neben juristischen Fragen und Wertungen am Ende auch auf die konkrete Funktionsweise der Vergabe-Software an.

Zumindest für die Vergabeplattformen auf Grundlage der cosinex-Technologie Vergabemarktplatz (VMP) hat die Vergabekammer deutlich gemacht, dass mit dieser eine rechtskonforme Benachrichtigung i.S. des § 134 GWB möglich ist.

Es bleibt zu hoffen, dass mit der vorliegenden Entscheidung der Vergabekammer des Saarlandes auch die Verunsicherung nachlässt, die durch die Entscheidung der VK Südbayern eben in Bezug auf eine andere Technologie hervorgerufen wurde.

Wer sich noch einmal vertieft mit der Diskussion auseinandersetzen möchte, dem sei unser damaliger Blogbeitrag empfohlen.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com