Foto mit Erläuterung zur Bonität

Das Heranziehen der finanziellen Leistungsfähigkeit von Bietern als Eignungskriterium stellt ein vielfach unterschätztes Instrument dar, um sich vor dem Ausfall oder auch Leistungsstörungen zu schützen, die aus wirtschaftlichen Problemen des Vertragspartners resultieren. Gerade im Zuge der aktuellen Corona-Krise ist das Insolvenzrisiko vieler Betriebe gestiegen, so dass eine dahin gehende Überprüfung besonders sinnvoll ist, gleichwohl aber zu einem guten Teil auch auf langfristigen bzw. strategischen Kennzahlen und Kennzahlensystemen erfolgen sollte, um „Vorverurteilungen“ aufgrund aktuell (operativ) schlechter Kennzahlen auszuschließen. Nachdem wir im ersten Teil der Beitragsreihe einen Überblick über die begrifflichen Grundlagen gegeben haben, gehen wir in diesem Teil der Frage nach, wie mithilfe einer Betrachtung verschiedener Kennzahlen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bietern transparent ermittelt werden kann.

I. Einleitung

Wie der erste Teil der Beitragsreihe gezeigt hat, geht die Überprüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit eines Bieters über die bloße Betrachtung von Größen oder einzelnen Kennzahlen wie dem Jahresüberschuss oder dem im ersten Beitrag vorgestellten EBIT bzw. EBITDA hinaus. Auch der bereits erläuterte Cashflow ist als liquiditätsorientierte Größe nur bedingt dazu geeignet, zu prüfen, ob einem Unternehmen z. B. eine baldige Zahlungsunfähigkeit drohen könnte bzw. wie es langfristig um das Unternehmen bestellt ist. Hinzu kommt, dass bei kleinen und mittelständischen Unternehmen solche operativen Ergebnisgrößen nur eingeschränkt vorhanden sind bzw. nur selten transparent gemacht werden.

45 VgV sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber zum Zwecke der Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit insbesondere Folgendes verlangen dürfen:

  1. Einen bestimmten Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestjahresumsatzes in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags,
  2. Informationen über die Bilanzen der Bewerber oder Bieter; dabei kann das in den Bilanzen angegebene Verhältnis zwischen Vermögen und Verbindlichkeiten dann berücksichtigt werden, wenn der öffentliche Auftraggeber transparente, objektive und nichtdiskriminierende Methoden und Kriterien für die Berücksichtigung anwendet und die Methoden und Kriterien in den Vergabeunterlagen angibt, oder
  3. eine Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung in bestimmter geeigneter Höhe.

Als Beleg der erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Bewerbers oder Bieters kann der öffentliche Auftraggeber nach § 45 Abs. 4 VgV (in der Regel) die Vorlage einer oder mehrerer der folgenden Unterlagen verlangen:

  1. Entsprechende Bankerklärungen,
  2. Nachweis einer entsprechenden Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung,
  3. Jahresabschlüsse oder Auszüge von Jahresabschlüssen, falls deren Veröffentlichung in dem Land, in dem der Bewerber oder Bieter niedergelassen ist, gesetzlich vorgeschrieben ist,
  4. eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls den Umsatz in dem Tätigkeitsbereich des Auftrags; eine solche Erklärung kann höchstens für die letzten drei Geschäftsjahre verlangt werden und nur, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.

Behilft man sich – auch um gegenüber den Bietern keine ungewöhnlich hohen Anforderungen an die einzureichenden Unterlagen zu stellen – mit den vergaberechtlich genannten Prüfungen bzw. Belegen, lassen sich gerade aus den Jahresabschlüssen bzw. der darin enthaltenen Bilanz und auch der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) mithilfe verschiedener Kennzahlen Rückschlüsse auf die Bonität des Bieters ziehen.

Dabei kommt es darauf an, evident ungeeignete, weil wirtschaftlich zu schwache bzw. nicht hinreichend wirtschaftlich leistungsfähige Bieter anhand bestimmter Merkmale zu identifizieren, wobei gleichzeitig darauf zu achten ist, die verschiedenen Kennzahlen in Bezug zu den jeweils anderen und nicht losgelöst voneinander zu betrachten, um ein Gesamtbild von der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Leistungsfähigkeit des Bieters zu erhalten.

Der Autor

Dr. Stefan Marinus Krusenbaum ist Assistent der cosinex Geschäftsführung und Experte für Wertungsmethoden. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler bietet das beliebte Seminar Grundlagen und Auswahl geeigneter Wertungsmethoden in der cosinex Akademie an.

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II. Betrachtung der Bilanz – Wie hoch ist das Eigenkapital des Bieters?

Wie bereits im ersten Teil der Beitragsreihe erläutert, stellt die Bilanz eine Gegenüberstellung von Vermögenswerten – aufgeteilt nach ihrer Mittelverwendung (Aktiva) und der Mittelherkunft (Passiva) eines Unternehmens bzw. Bieters – zu einem bestimmten Stichtag dar.

Warnleuchten sollten bei Betrachtung der Bilanz insbesondere dann angehen, wenn ein Bieter ein negatives Eigenkapital ausweist. Da beide Seiten der Bilanz – Mittelverwendung und Mittelherkunft – stets gleich groß sind, bedeutet dies, dass den ausgewiesenen Passiva des Unternehmens keine Sachwerte bzw. Aktiva in entsprechender Höhe gegenüberstehen. Jahresfehlbeträge oder ein Wertverlust von Sachwerten u. a. haben in diesem Fall dazu geführt, dass die Vermögenswerte weniger wert sind als die Kredite, die das Unternehmen zu tilgen hat. Um diesen Schiefstand auszugleichen, so dass die Bewertungen der im Unternehmen gebundenen Mittel und die Mittelherkunft gleich groß sind, muss das Eigenkapitel einen negativen Wert annehmen. Das Unternehmen ist im wahrsten Sinne des Wortes überschuldet. In der Regel werden Fremdkapitalgeber hier über kurz oder lang die Bonität des Unternehmens in Frage stellen, da ihre Kredite nicht mehr gedeckt sind.

Einen Sonderfall bilden dabei sogenannte eigenkapitalersetzende Darlehen, die im Regelfall Darlehen eines Gesellschafters an seine Gesellschaft darstellen, welche im Falle der Insolvenz dieser Gesellschaft kraft Gesetzes in Eigenkapital umzuqualifizieren bzw. nachrangig nach den Darlehen der sonstigen Fremdkapitalgeber zu betrachten sind. Bestehen derartige Darlehen, sollten diese bei der Fragestellung, ob das Unternehmen über ausreichend Eigenkapital verfügt, mit als von Gesellschaftern erbrachte Einlage berücksichtigt werden, um keine Fehlschlüsse in Bezug auf die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu ziehen.

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III. Wie stark ist der Bieter verschuldet?

Ebenfalls interessant ist die Frage, wie es um den Verschuldungsgrad des Unternehmens bestellt ist. Beim Verschuldungsgrad handelt es sich um eine Bilanzkennzahl, die Auskunft über die Struktur der Unternehmensfinanzierung gibt. Sie verdeutlicht, wie sehr das Unternehmen fremd- bzw. eigenkapitalfinanziert ist.

Verschuldungsgrad: Fremdkapital/Eigenkapital x 100

z. B. 400.000 Euro / 200.000 Euro x 100 = 200 %

Ein Verschuldungsgrad von 100 % entspricht einer Struktur, in der sich Fremdkapital und Eigenkapital die Waage halten, bei einem Verschuldungsgrad von 0 % wäre das Unternehmen vollständig eigenkapitalfinanziert. Liegt der Verschuldungsgrad bei deutlich über 100 % bedeutet dies, dass die Schulden des Unternehmens ein dementsprechendes Vielfaches seiner eigenen Mittel ausmachen. Da Abschreibungen und Verluste bzw. Jahresfehlbeträge ausschließlich dem Eigenkapital angelastet werden, läuft ein Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad eher Gefahr, im Falle einiger schlechter Geschäftsjahre negatives Eigenkapital aufzuweisen bzw. überschuldet zu sein.

IV. Zusammenspiel mehrerer Kennzahlen zur Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines Bieters vor dem Hintergrund eines Insolvenzrisikos

Wie schon die bisherigen Ausführungen in dieser Beitragsreihe verdeutlichten, ist bei der separaten Betrachtung und Interpretation einzelner Größen oder Kennzahlen die Gefahr von Fehlschlüssen relativ groß. Aus diesem Grund ist es ratsam, mehrere Kennzahlen zu erheben und somit auf Basis der Bewertung mehrerer ökonomischer Eckpfeiler die wirtschaftliche und finanzielle Eignung eines Bieters zu überprüfen. Auf die Fälle, in denen eine solche holistische Betrachtung aus Mangel an Informationen (etwa bedingt dadurch, dass der Bieter aufgrund seiner geringen Größe diese Kennzahlen nicht erhebt) nicht möglich ist, wird weiter unten näher eingegangen.

Zur Abschätzung des Risikos einer Insolvenz kann grundsätzliche eine Bewertung und Gegenüberstellung der folgenden sechs Kennzahlen herangezogen werden.

Diese werden zunächst erhoben und dann mit Faktoren verrechnet, um eine aggregierte Kennzahl zu erhalten, auf derer Basis eine Klassifizierung der Insolvenzgefahr des Bieters möglich wird. Die folgenden Ausführungen sind insbesondere bei Großunternehmen anwendbar, bei denen diese Kennzahlen auch tatsächlich vorliegen bzw. leicht eingefordert oder aus Geschäftsberichten entnommen werden können.

Insgesamt müssen für eine umfangreiche Beurteilung des aktuellen Insolvenzrisikos folgende sechs Größen ermittelt bzw. vom Bieter abgefragt werden:

Aus der Bilanz (direkt ermittelbar): Umlaufvermögen, Verbindlichkeiten, Bilanzsumme

Aus der GuV (direkt oder indirekt ermittelbar): Betriebsleistung, Cashflow vor Steuern, Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit (EGT)

Im Folgenden wird detailliert beschreiben, wie diese Größen erhoben werden und welche Kennzahlen damit gebildet werden können. Aus diesen Kennzahlen wird anschließend eine aggregierte Kennzahl gebildet, deren Einordnung Aufschluss darüber gibt, wie gut ein Bieter wirtschaftlich und finanziell aufgestellt ist bzw. ob er sogar als insolvenzgefährdet bezeichnet werden muss.

1. Cashflow vor Steuern (CF) / Verbindlichkeiten
„Wie viel Cashflow pro geliehenem Euro?“

Diese erste Kennzahl zeigt, wie hoch der Anteil der Verbindlichkeiten ist, die sich auf Basis des Cashflows pro Jahr tilgen lassen. Sie verdeutlicht somit, ob das Unternehmen ausreichend Liquidität generiert, um die eigenen Verbindlichkeiten zu bedienen. Besitzt ein Unternehmen keine Verbindlichkeiten, so wird für diese Kennzahl (bzw. für die Ermittlung einer aggregierten Kennzahl) der Cashflow vor Steuern selbst herangezogen. Ist der Cashflow vor Steuern nicht ausgewiesen, lässt er sich auch wie folgt bestimmen: Cashflow = Jahresüberschuss + nicht zahlungswirksame Aufwendungen – nicht zahlungswirksame Erträge.

2. Bilanzsumme / Verbindlichkeiten
„Wie viel Euro Vermögen pro geliehenem Euro?“

Die Kennzahl verdeutlicht, wie hoch der Anteil der Verbindlichkeiten am gesamten Kapital ist, also wie stark das Unternehmen durch Fremdkapital finanziert ist. Für den Fall, dass das Unternehmen keine Verbindlichkeiten besitzt, wird hier die Bilanzsumme herangezogen.

3. Vorräte bzw. Umlaufvermögen / Betriebsleistung
„Wie viel Umlaufvermögen pro umgesetztem Euro?“

Die Kennzahl zeigt, in welchem Verhältnis das Umlaufvermögen zu den betriebseigenen Leistungen steht. Die Betriebsleistung setzt sich dabei zusammen aus den Umsatzerlösen +/- etwaigen Bestandsveränderungen an Halb- und Fertigfabrikaten bzw. unfertigen Arbeiten (bei produzierenden Unternehmen) + Skontoerträge + sonstige ordentliche Erträge + aktivierte Eigenleistungen. Ein hoher Vorratsbestand wirkt sich negativ auf die Rentabilität des Betriebes aus und kann als Indikator dafür gesehen werden, dass das Unternehmen nicht (mehr) für den Markt produziert bzw. zu viel Umlaufvermögen im Verhältnis zum Umsatz bereithält.

4. EGT / Bilanzsumme
„Wie viel Gewinn vor Steuern pro eingesetztem Euro?“

Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit umfasst das EBIT (Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern) sowie das Finanzergebnis. Die Kennzahl zeigt somit die Gesamtkapitalrendite an. Der Jahresüberschuss zuzüglich der gezahlten Steuern wird also durch die Bilanzsumme geteilt.

5. EGT / Betriebsleistung
„Wie viel Gewinn vor Steuern pro umgesetztem Euro?“

Der Jahresüberschuss zuzüglich der gezahlten Steuern wird durch die Betriebsleistung (vgl. auch Punkt 3) geteilt. Die Kennzahl verdeutlicht die Umsatzrentabilität des Unternehmens und gibt somit Aufschluss über das Verhältnis von Gewinn zu Umsatz.

6. Betriebsleistung / Bilanzsumme
„Wie viel Umsatz pro eingesetztem Euro?“

Zuletzt wird auch die Betriebsleistung selbst durch die Bilanzsumme geteilt. Je größer der Anteil des Umsatzes an der Bilanzsumme, desto weniger Kapital wird für eine bestimmte Rendite benötigt.

V. Aggregation der Kennzahlen in einem Kennzahlensystem

Die folgende Tabelle zeigt ein Kennzahlensystem, in dem die oben beschriebenen Kennzahlen einander gegenübergestellt und zu einer Gesamtkennzahl zusammengerechnet werden.

Kennzahl Nr.Kennzahl
adressiert
KennzahlGewichtungsfaktorgewichtete Kennzahl
1LiquiditätCashflow / Verbindlichkeitenx 1,5
2Verschuldung bzw. FinanzierungBilanzsumme / Verbindlichkeitenx 0,08
3Vorratsintensität bzw. KapitalbindungVorräte (od.Umlaufvermögen)/Betriebsleistungx -0,30
4Gesamtkapital-rentabilitätErgebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit/Bilanzsummex 10,00
5UmsatzrentabilitätErgebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit/Betriebsleistungx 5,00
6KapitalumschlagBetriebsleistung / Bilanzsummex 0,10
Summe

Insgesamt kann so auf Basis der vorgestellten verschiedenen unternehmerischen Erfolgsgrößen bzw. auf Basis der daraus ermittelten gewichteten Summe auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit des betrachteten Unternehmens geschlossen werden, was dem Anspruch gerecht wird, die wirtschaftlichen Leistungskennzahlen aus Bilanz und GuV nicht losgelöst voneinander zu betrachten.

Zu beachten ist dabei aber, dass die erhobenen Kennzahlen sich bei der Gegenüberstellung in einem solchen betriebswirtschaftlichen Kennzahlensystem gegenseitig kompensieren können, also z. B. ein (zu) hoher Verschuldungsgrad durch eine gute Umsatzrentabilität ausgeglichen werden kann. Zudem wird deutlich, dass ein sehr wichtiger Indikator zur Früherkennung einer Insolvenz im Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit bzw. dessen Verhältnis zum gesamten verfügbaren Kapital respektive dem Verhältnis des Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit zur Betriebsleistung (also hauptsächlich dem Umsatz) liegt. Außerdem ist die exakte Gewichtung der einzelnen Faktoren streng genommen auch branchenabhängig. So ist z. B. eine hohe Verschuldung in der Immobilienbranche nicht zwingend als problematisch zu sehen, weshalb in Abhängigkeit von der Branche auch leichte Korrekturen bzw. Anpassungen der genannten Gewichtungen denkbar sind.

VI. Interpretation der Kennzahlen

Die folgende Tabelle dient einer möglichen Einordnung der wie oben beschrieben ermittelten Gesamtkennzahl:

Zuordnungstabelle:

Gesamtkennzahl > 3,0:ausgezeichnet
2,2 < Gesamtkennzahl ≤ 3,0:sehr gut
1,5 < Gesamtkennzahl ≤ 2,2:gut
1,0 < Gesamtkennzahl ≤ 1,5:mittel
0,3 < Gesamtkennzahl ≤ 1,0:schlecht
0,0 < Gesamtkennzahl ≤ 0,3:leicht insolvenzgefährdet
-1,0 < Gesamtkennzahl ≤ 0,0:insolvenzgefährdet
Gesamtkennzahl < -1,0:stark insolvenzgefährdet

Je höher die aggregierte Kennzahl, desto niedriger kann die Insolvenzwahrscheinlichkeit angesehen werden. Die obige Tabelle gibt in diesem Zusammenhang einen Überblick, in welchen Bereichen die aggregierte Kennzahl als kritisch angesehen werden kann: Insbesondere bei Werten unterhalb von ca. 0,75 sollte genauer betrachtet werden, ob der Bieter tatsächlich noch geeignet ist. Hier lohnt es bereits detaillierter zu prüfen, welche Ursache dafür vorliegt, dass der Gesamtwert relativ schlecht ausfällt.

Bei Werten unterhalb von 0,3 liegen beim Bieter in jedem Fall kritische Probleme vor, die im Zweifel auch zu dessen baldiger Insolvenz führen können. In der Regel kommen solch niedrige Kennzahlen nur zustande, wenn Cashflow oder das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit negativ ausfallen, auf der anderen Seite aber auch keine auf die Unternehmenssubstanz bezogene Größen vorliegen, die diesen Umstand kompensieren.

Derartige Prüfverfahren lassen sich selbstredend immer nur auf Vergangenheitswerte beziehen, aus denen heraus eine Früherkennung von akuten Insolvenzgefahren abgeleitet wird. Eine Antizipation von künftigen Geschäftsentwicklungen ist auch hierdurch selbstredend nicht möglich, würde aber vermutlich vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der von Vergabestellen geforderten Objektivität auch keinen (nach-)prüfungssicheren Indikator für die Eignung eines Bieters darstellen.

VII. Alternative Vorgehensweisen bei fehlenden Informationen

Ein Problem des im vorangegangenen Abschnitt dargestellten Verfahrens besteht darin, dass gerade bei der Beurteilung kleiner und mittelständischer Unternehmen häufig nicht alle Größen, die zur Berechnung der Kennzahlen benötigt werden, vorliegen.

Gerade die Betriebsleistung und der Cashflow, also der Zufluss liquider Mittel ins Unternehmen, sind Größen, auf die eine Vergabestelle im Zweifel keinen Zugriff hat oder die vom Unternehmen gar nicht erhoben werden oder deren Erhebung rein aus einer grob strukturierten Bilanz heraus schwer fällt. Als eine ungefähre Näherungslösung kann in diesem Fall anstelle der Betriebsleistung der aus der GuV ersichtliche Umsatz selbst herangezogen werden, ohne diesen um sonstige ordentliche Erträge, aktivierte Eigenleistungen etc. zu korrigieren. Ist der Cashflows als solcher nicht explizit ausgewiesen, kann als Näherungslösung das Ergebnis einer (z. B. durch einen Einzelkaufmann zu erhebenden) Einnahmenüberschussrechnung oder aber die Differenz zwischen dem Umsatz und den Kosten genutzt werden. Der Cashflow, der per Definition die Differenz aus Umsatz und Ausgaben ist, lässt sich unter der Annahme, dass sich die zahlungswirksamen Ausgaben näherungsweise durch die (nicht zwingend sofort zahlungswirksamen) Kosten approximieren lassen, so oftmals gut substituieren.

Alternativ besteht die Möglichkeit, auf ein reduziertes Kennzahlensystem zurückzugreifen. Empfehlenswert ist es dabei, (mindestens) folgende drei Eckpfeiler zu beleuchten, um die wirtschaftliche Bonität bzw. das Insolvenzrisiko zu beurteilen.

  • Die Verschuldung des Bieters zur Überprüfung, welchen Anteil seine Verbindlichkeiten an den gesamten ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einnehmen, um zu evaluieren, ob eine Überschuldung vorliegt.
  • Die Rentabilität des Bieters zur Überprüfung, ob er in der Lage ist, Gewinn zu erwirtschaften und hieraus (also nicht etwa durch die Aufnahme neuer Schulden) seine Verbindlichkeiten zu begleichen.
  • Die Umsatzrentabilität des Bieters zur Überprüfung, ob er mit dem zahlungswirksamen Teil seines Geschäftsmodells Gewinne erwirtschaftet oder andere Faktoren (wie z. B. mit Vorsicht zu genießende Wertzuschreibungen) für den Gewinn verantwortlich sind.

Bei der Gegenüberstellung nur weniger Kennzahlen kann es sinnvoll sein, diese zunächst einzeln zu beurteilen und einzuordnen und die qualitativen Ergebnisse anschließend einander gegenüberzustellen: Während bei der Verschuldung der Quotient aus Bilanzsumme und Verbindlichkeiten auch aufgrund der niedrigen Zinsen in jedem Fall in etwa zwischen 4 und 5 liegen darf, um im grünen Bereich zu sein, ist bei Rentabilität und Umsatzrentabilität eine Betrachtung vor dem Hintergrund der jeweiligen Branche erforderlich.

Als Gesamtrentabilität gelten regelmäßig über 6,x % als angemessen. Bei der Umsatzrentabilität werden je nach Branche Werte von mindestens 5 % angenommen, wobei diese zum Teil auch deutlich höher liegen können. Untersuchungen zufolge lag die Cashflow-Marge, also der Quotient aus Cashflow und Umsatz, der sich grundsätzlich äquivalent zu der Umsatzrentabilität verhalten sollte, in 71 % der Insolvenzfälle bei unter zwei Prozent, weshalb Werte in diesem Bereich als „schlecht“ qualifiziert werden sollten.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

VIII. Ausblick über die Beitragsreihe

Auch wenn Kennzahlen und Kennzahlensystematiken eine gute Grundlage darstellen können, um die wirtschaftliche und finanzielle Eignung von Bietern zu prüfen, sind je nach Ausschreibung Besonderheiten bei den einzelnen Kennzahlen zu beachten. Im nächsten Teil der Beitragsreihe setzen wir uns daher mit verschiedenen Besonderheiten sowie mit der Fragestellung der vergaberechtlichen Zulässigkeit von Prüfungen der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit von Bietern mit Blick auf die einschlägige Spruchpraxis der Vergabekammern auseinander.

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