Bereits die Gründung der Autobahn GmbH (ehemals Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen, kurz IGA) im Jahr 2018 war Gegenstand kontroverser Diskussionen, da befürchtet wurde, dass damit eine schleichende Privatisierung des deutschen Autobahnnetzes einhergeht. Seit dem 01. Januar 2021 obliegen der bundeseigenen GmbH Teile von Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Finanzierung und vermögensmäßiger Verwaltung der deutschen Autobahnen. Dies führt nun zu einer neuen Debatte, die sich diesmal vor allem um die Fragestellung dreht, ob die mit der Gründung der Autobahn GmbH beabsichtigte Kostenersparnis auch in den Ausschreibungen das oberste Ziel bleibt oder auch andere Wertungs- bzw. Leistungskriterien in Ausschreibungen im Straßenbau Einzug halten sollen.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Bei fast 150 laufenden Autobahn-Baustellen ergeben sich Regierungsangaben zufolge gegenüber den ursprünglichen Planungen Mehrkosten in Milliardenhöhe. Eines der Negativbeispiele ist dabei der Ausbau der A100 in Berlin. Seit 2013 haben sich die Kosten für den Ausbau bzw. die Erweiterung um einen 3,2 Kilometer langen Autobahnabschnitt um rund 140 Millionen Euro verteuert und belaufen sich mittlerweile auf über 613 Millionen Euro.

Zur Erzielung von Fortschritten bei der Planungsgeschwindigkeit, der Finanzierung und zur Hebung von Effizienzgewinnen wurde bereits 2018 die Autobahn GmbH ins Leben gerufen, die zukünftig für zahlreiche Projekte beim Ausbau des Straßennetzes verantwortlich zeichnen soll. Bislang ist de facto aufgrund vergaberechtlicher Bedenken des Bundesrechnungshofes zudem (noch) die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) für eine Reihe von Bauprojekten im deutschen Autobahnnetz zuständig.

Umfangreiche Verantwortungsbereiche der Autobahn GmbH

Perspektivisch soll die Autobahn GmbH aber auf über 15.000 Mitarbeiter anwachsen und die folgenden Aufgabenfelder übernehmen:

  • die Planung von baulichen Maßnahmen sowie Maßnahmen zum Erhalt von Autobahnen und Bundesfernstraßen,
  • den Bau und die Erneuerung von Autobahnen und Bundesfernstraßen,
  • den ganzjährigen Betrieb der Straßen, was u.a. auch die Gewährleistung des Winterdienstes und der Grünschnitte umfasst,
  • den vorausschauenden Erhalt der Autobahninfrastruktur und die Sicherstellung eines guten Zustands,
  • die Verwaltung des Autobahnvermögens im Auftrag des Bundes sowie
  • die Finanzierung der Bundesfernstraßen und Investitionen in den Ausbau und die Weiterentwicklung der bestehenden Infrastruktur.

Debatte zwischen Interessensvertretern der Wirtschaft

Bei solch holistischer Verantwortung für den Betrieb und Ausbau der deutschen Autobahnstraßen und angesichts der drängenden Frage zu den Reduktionsmöglichkeiten der Kosten, die durch derartige Großprojekte entstehen, ist es nur verständlich, dass verschiedene Verbände ihre Erwartungshaltungen gegenüber der Autobahn GmbH äußern. Hierbei selten sind allerdings diametral gegensätzliche Standpunkte, die auch öffentlich ausgetragen werden. So haben sich nahezu zeitgleich nun der Zentralverband Deutsches Baugewerbe und die Bundesfachabteilung Straßenbau des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie zur Frage der Einführung von Wertungskriterien geäußert.

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, sprach sich für die Beibehaltung der bestehenden Wertungskriterien und gegen – so wörtlich – pseudo-innovative Änderungsvorschläge aus. Er betonte dabei die Vorteilhaftigkeit bestehender Regelungen insbesondere für kleine und mittelständige Unternehmen und erklärte verschiedene neu aufgekommene Forderungen in diesem Zusammenhang für falsch.

So würde sich beispielsweise die Länge von Transportwegen von Baustoffen nicht als Wertungskriterium eignen, da hierdurch insbesondere breit aufgestellte Großunternehmen bevorzugt werden, die durch ihr Netz von strategisch gelegenen Produktionsstandorten von Baustoffen und Baumaterial klar im Vorteil wären.

Die Anrechnung von Zertifizierungssystemen als Wertungspunkte ist eine weitere Forderung, die vom Verband abgelehnt wird, da Zertifizierungen keinen Selbstzweck darstellen dürften und zudem weder Leistung, noch Qualität auf den Baustellen verbesserten.

Auch die Bauzeit als zusätzliches Wertungskriterium stieß bei dem Vertreter mittelständischer Betriebe auf breite Ablehnung, da große Unternehmen kürzere Bauzeiten als tatsächlich realisierbar vorgeben und sich anschließend mit eigenen Anwälten mit dem Auftraggeber in langwierigen Prozessen über die Verantwortung für die Bauzeitverlängerungen streiten könnten. Ehrbare mittelständische Unternehmen wären hierzu allerdings nicht in der Lage, konnotierte Pakleppa.

Interessant ist, dass gerade ein Vertreter des Mittelstandes weitere Wertungskriterien bzw. eine Abweichung von der bisherigen Praxis ablehnt. Verzögerungen oder Verstöße gegen die Bauzeit, wie zuletzt bei der Homburger Baustelle an der A6, deren ursprünglich geplantes Fertigstellungsdatum im Dezember 2021 sich bereits jetzt absehbar bis ins Frühjahr 2022 verschiebt, können gerade in Corona-Zeiten, etwa wenn ausländische Subunternehmer anreisen, immer wieder auftreten. Ob sich größere Bauunternehmer der Verantwortung für ein etwaiges Eigenverschulden tatsächlich besser entziehen können, bleibt fraglich. Ebenfalls offen ist, ob durch die sonstige Ablehnung der Beachtung weiterer Qualitätsmerkmale tatsächlich eine breite Mittelstandsförderung einsetzt und ob hierdurch nicht sogar ein vermeintlich günstiger Anbieter den Zuschlag erhält, der den Straßenbau aber in nur unzureichender Qualität ausführt, sodass am Ende höhere Folgekosten durch frühere Reparaturen anfallen. Mit Blick auf die bisherigen Kosten vieler Autobahnprojekte scheint die momentan übliche alleinige Bewertung nach dem Preis jedenfalls offenkundig nicht immer zur Bezuschlagung des wirtschaftlichsten Angebots geführt zu haben.

Die Bundesfachabteilung Straßenbau hat in einem eigens herausgebrachten Positionspapier auf die Notwendigkeit verwiesen, auch nicht-monetäre Wertungskriterien in die Ausschreibungen aufzunehmen. Darin wird empfohlen, als Zuschlagskriterium mit 40 % einen sogenannten „technischen Wert“ anzusetzen, der sich aus den Qualitäts- bzw. Leistungskriterien Bauzeit, Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit zusammensetzen soll.

Begrüßenswert sind in jedem Fall die zusätzlichen Berücksichtigungen von qualitätsüberwachten RC-Baustoffen, die Vorschläge, die Einhaltung von DIN EN ISO Normen (z.B. DIN EN ISO 9001 für Qualitätsbewertung oder DIN EN ISO 45001 und/oder AMS Bau für Arbeitsschutz) zu bewerten oder auch die Ausbildungsrate pro gewerblichem Angestellten zu berücksichtigen. Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass die bewerteten Angestellten auch diejenigen sind, die die Aufträge dann tatsächlich durchführen.

Der Blick auf die Details bzw. auf die konkret angeführten Kriterien macht jedoch deutlich, dass zum Teil auch zumindest fragwürdige Kriterien gefordert werden. So wird u.a. vorgeschlagen, die Transportentfernung von Baustoffen als Kriterium heranzuziehen, was vergaberechtlich als bedenklich eingestuft werden dürfte, da dies – wie bereits vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe angeführt – zur Bevorzugung lokal ansässiger (bzw. im Zweifel überregional ansässiger Bieter) führen würde. Zudem wird auch die Bepunktung einer „Nachvollziehbaren, detaillierten Beschreibung und Darstellung des gesamten Bauablaufes“ empfohlen, was – da das Bauvorhaben Gegenstand der Ausschreibung ist und nicht die erwartbare Tatsache, dass der Bieter den Bauablauf beschreiben kann – Gefahr läuft, als Alibikriterium zu gelten.

Hinweise für die Praxis

Die Abwägung, welche Kriterien beim Ausbau des Straßenbaunetzes Berücksichtigung finden sollten, bleibt komplex. Während die zusätzliche Aufnahme von qualitätsorientierten Kriterien per se eine vielversprechende Idee ist, um sicherzustellen, dass auch kompetente Bieter bezuschlagt werden, die die Planung mit Bezug auf die Einhaltung der einschlägigen DIN EN ISO Normen, der geforderten Zeit und / oder das Arbeiten mit qualitativ hochwertigem Material sicherstellen, steckt der Teufel im Detail und nicht alle Kriterien sind geeignet, den eigentlich gewünschten Effekt zu erzielen.

Ob nicht monetäre Wertungskriterien tatsächlich vermehrt Einzug in Ausschreibungen im Straßenbau bzw. Auftragsvergaben durch die Autobahn GmbH finden werden und falls ja, in welchem Umfang, bleibt daher weiter ungewiss. Angesichts der eingangs genannten vielfach aus dem Ruder laufenden Kosten und der damit einhergehenden medialen Aufmerksamkeit scheint es jedoch unwahrscheinlich, dass die Autobahn GmbH zukünftig einen deutlich signifikanten Anteil der Bewertung auf andere Merkmale als den Preis legen wird. Die bedachte Selektion ausgewählter Leistungskriterien als Mindestanforderung kann allerdings dazu beitragen, Qualitätsstandards in zentralen Bereichen sicherzustellen und Projekte vor Folgekosten zu bewahren.

Das Positionspapier der BFA Straßenbau finden Sie unter diesem Link.

Bildquelle: Canstockphoto.de – cspguy