Die Vergabekammer Thüringen hat in einem jüngeren Beschluss neben der Frage der zwingenden Nutzung von E-Vergabeplattform auch zu Aspekten der Zulässigkeit abgestufter Angebotswertungen Stellung genommen (Beschluss vom 09.10.2020, 250 – 4003 – 3711 / 2020 – E – 008 – GTH). In dem zu entscheidenden Fall sollten Reinigungsleistungen von Schulgebäuden in einem EU-weiten Vergabeverfahren vergeben werden. Das von der Vergabestelle gewählte „Wertungsschema“ stellte sich dabei als ungeeignet und rechtswidrig heraus.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Zur zwingenden Nutzung einer E-Vergabeplattform

In den Vergabeunterlagen war gefordert, dass zwingend die von der Vergabestelle vorgegebene E-Vergabeplattform für die Kommunikation zu nutzen sei.

Die Vergabestelle forderte den Bieter auf, Erläuterungen zu dem Angebot nachzuliefern. Bei dem Aufforderungsschreiben verwendete sie den „normalen“ Briefkopf mit aufgedruckter Fax-Nummer. Zusätzlich enthielt das Schreiben den Hinweis, sich „schriftlich zu erklären und Unterlagen nachzureichen“. Daraufhin versendete der Bieter die Unterlagen per Fax. Im weiteren Verfahren wurde das Angebot des Bieters ausgeschlossen, weil dieser gegen die Formvorschrift/das Gebot zur elektronischen Kommunikation verstoßen habe.

Das sah die Vergabekammer anders: Zunächst verwies sie darauf, dass die Kommunikation in einem Vergabeverfahren, insbesondere wenn es Vergabeunterlagen, Teilnahmeanträge, Interessenbestätigungen oder die Angebote betrifft, grundsätzlich mit elektronischen Mitteln zu erfolgen habe (§ 9 Abs. 2 VgV). Vorliegend sei das Angebot dennoch ausnahmsweise nicht aufgrund von Formwidrigkeit auszuschließen, obwohl die nachgeforderten Erläuterungen zum Angebot per Fax von dem Bieter übersendet wurden.

Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Vergabestelle „Herrin des Verfahrens“ sei. Würde ein Bieter deren Vorgaben Folge leisten, könne er nicht wegen Formverstoßes von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.

Dabei ging die Vergabekammer zwar von einem bieterschützenden Charakter der Vorschriften zur elektronischen Kommunikation aus (§ 9 VgV ff.). Allerdings spreche gegen einen grundsätzlich bieterschützenden Charakter, dass die Bestimmung des Kommunikationsmittels allein in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers liege. Zwar habe der öffentliche Auftraggeber keine Wahlfreiheit zwischen herkömmlichen und elektronischen Kommunikationsmitteln mehr, denn er müsse den Vorrang der elektronischen Kommunikation beachten. Gleichwohl gebe er als „Herr des Verfahrens“ das Mittel der Kommunikation vor. Folglich sei allein die Vorgabe des Kommunikationsmittels der Nachprüfung entzogen, auch wenn der öffentliche Auftraggeber dadurch den Vorrang der elektronischen Kommunikation missachte. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn durch die Missachtung Rechte des Bieters/Bewerbers verletzt würden. Geschützt werde nämlich das berechtigte Vertrauen der Bieter auf eine gleichbehandelnde Einhaltung der Organisations- und Dokumentationsvorgaben zur Informationsübermittlung.

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Zu den erweiterten Ausschlussgründen

In der Ausschreibung und den Vergabeunterlagen war geregelt, dass „neben den Ausschlussgründen nach § 57 VgV folgende Angebote zwingend ausgeschlossen werden:

  • „Herleitung des Vertragspreises nicht plausibel […]
  • Objektwert (…) dürfen nicht höher als 280 m2/h sein
  • die Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes nicht plausibel herleitbar ist.“

Auf dieser Grundlage wurde das Angebot des Bieters ausgeschlossen. Zu Unrecht, wie die Vergabekammer entschieden hat. Die Vergabestelle hätte in ihrer Leistungsbeschreibung zwar den Objektwert als zwingende Anforderung formulieren können. Deren Nichterfüllung führe dann zum Ausschluss nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV. Hier wurde jedoch von der Vergabestelle ausdrücklich ein nach § 57 VgV eigener Ausschlussgrund kreiert.

Dabei verstoße schon die Verwendung eigens aufgestellter unbestimmter Rechtsbegriffe wie die „plausible Herleitung“ grundsätzlich gegen die auch in § 97 GWB festgelegten Grundsätze der Vergabe, vor allem gegen das Transparenz- und Willkürverbot.

Außerdem seien die Regelungen zu den einzelnen Ausschlussgründen abschließend, sie dürften also nicht erweiternd ausgelegt werden. Auch die Formulierung „insbesondere“, mit der § 57 Abs. 1 Satz 1 VgV endet, öffne den Regelungsumfang nicht. Denn § 57 Abs. 1 Satz 1 VgV nenne als Obersatz abschließend zwei Aspekte: Den Ausschluss von „Unternehmen, die die ‚Eignungskriterien nicht erfüllten‘ und den Ausschluss von ‚Angeboten, die nicht den Erfordernissen des § 53 genügten‘“. Lediglich insoweit sei auch „insbesondere“ zu verstehen, also auf die Nichterfüllung der ordnungsgemäß aufgestellten Eignungsanforderungen oder der formellen Erfordernisse des § 53 VgV, von denen eben einige „insbesondere“ in § 57 Abs. 1 Satz 1 VgV aufgezählt wurden. Abgesehen von dieser rein wortlautbezogenen Auslegung der Norm könne „insbesondere“ auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht so weit verstanden werden, dass z. B. der öffentliche Auftraggeber selbst eigene Ausschlussgründe kreieren könne.

Zur Wertungsmethode

Laut Vergabeunterlagen sollte das wirtschaftlichste Angebot in drei Stufen ermittelt werden:

„1. Es wird der Durchschnitt zwischen dem angegebenen Leistungswert der Raumgruppe A 1 aus Anlage 8 aller Bieter gebildet. (=Marktwert)

In der Wertung verbleiben die Bieter, die max. 10 % nach oben und unten vom Marktwert abweichen.

2. Es wird über alle verbleibenden Bieter nach Schritt 1 der Durchschnitt des angegebenen Stundenverrechnungssatzes gebildet. (=Marktwert)

In der Wertung verbleiben die Bieter, die max. 2,5 % nach oben und unten vom Marktwert abweichen.

3. Von den verbleibenden Bietern nach Schritt 1 und 2 erhält der mit dem geringsten Preis den Zuschlag.“

Die Vergabekammer sah diese Wertungsmethode als ungeeignet zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots an.

Als Ausgangspunkt stellte die Vergabekammer fest, dass die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots nach § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB und § 58 Abs. 2 Satz 1 VgV auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses zu erfolgen habe. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht berechtigt, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, das auf Grundlage seiner Bewertung nicht das wirtschaftlichste Angebot ist.

In der Rechtsprechung und Literatur seien verschiedene Bewertungsmethoden bekannt und beschrieben, die sich vorliegend ansatzweise in den von der Vergabestelle aufgestellten Zuschlagskriterien wiederfänden.

Bei der erweiterten Richtwertmethode lasse sich zum Beispiel ein zuvor definierter Schwankungsbereich finden. Diesem geht jedoch auch die Ermittlung von Leistungspunkten, an der es hier fehle, voraus.

Die Vergabekammer sah auch die Bindung an den Durchschnittswert als problematisch an. Denn wenn der Durchschnitts- bzw. Mittelwert der Angebote als Referenzwert festgelegt werde und ausgehend von diesem der Abstand der einzelnen Angebote „nach oben wie unten“ Maßstab der Wertung sei, erhalte nicht zwangsläufig das günstigste Angebot die volle Punktzahl, sondern das Angebot, das am wenigsten vom Mittelwert abweiche. Die Mittelwertmethode stehe nach Auffassung der EU-Kommission nicht im Einklang mit dem Unionsrecht, soweit bei ihrer Verwendung kostspieligere Angebote bei ansonsten für die übrigen Kriterien gleichen Bedingungen hätten begünstigt werden können, die dem Grenzwert des Durchschnittspreises näherkämen als andere, weniger kostspielige Angebote (unter Verweis auf die Entscheidung C, 2010, 4147 der EU-Kommission vom 30.06.2020, zitiert nach EuGH, Urteil vom 29.05.2013 – T-384/10). Diese grundsätzliche Kritik sei aus Sicht der Vergabekammer berechtigt. Es sei schlicht wenig nachvollziehbar, dass ein Bieter, dessen Angebot bspw. 2.000 EUR billiger sei als der Durchschnittswert von 10.000 EUR, im Kriterium „Preis“ weniger Punkte bekommen soll, als ein Bieter dessen Angebot 1.000 EUR teurer als der Durchschnitt sei.

Auch erscheine diese Methode des Durchschnitts anfällig für Manipulationen, denn durch die Abgabe eines einzelnen sehr hohen Angebots kann der Durchschnitts- bzw. Mittelwert „nach oben gezogen“ werden. Somit würden dann andere ebenfalls hochpreisige Angebote bessere Chancen und mehr Punkte bekommen, da sie sich in der Nähe des manipulierten Mittelwertes befinden. Günstigere Angebote hingegen würden dadurch benachteiligt, da ihr Abstand zum Mittelwert dann (noch) größer wäre und sie noch weniger Punkte erhalten würden.

Ergänzend sah die Vergabestelle auch vorliegend, dass keine Preis-Leistungs-Gewichtung stattgefunden habe. Die Vergabestelle bilde lediglich aus einem sich stetig verkleinernden Bieterkreis der vorgelegten Angebote Durchschnittswerte, deckelt diese ermittelten Werte prozentual und schließt Angebote vom weiteren Verfahren aus, die sich außerhalb dieser Werte befinden. Die Vergabekammer kann den Vergabeunterlagen nicht entnehmen, dass der AG seine Zuschlagskriterien mit einer Wertungsskala versehen hat. Vielmehr führen sämtliche aufgestellten Kriterien bis zur letzten Stufe zum Ausschluss der Angebote vom Vergabeverfahren. Dem Ausschluss vorgeschaltet sei die Bildung von Durchschnittswerten der noch verbliebenen Bieter. Es komme mithin zu keinerlei Gewichtung.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Hinweise für die Praxis

Die Ansicht der Vergabekammer, dass Verstöße gegen die Formvorschriften der §§ 9 ff. VgV folgenlos bleiben, wenn sie auf Anordnung der Vergabestelle erfolgen, muss nicht von anderen Nachprüfungsinstanzen geteilt werden. Denkbar ist auch eine Argumentation, die den fachkundigen eigenverantwortlichen Bieter voraussetzt. Er müsse die Vergaberechtswidrigkeit erkennen und rügen, dürfe sich somit nicht auf das rechtswidrige Verlangen der Vergabestelle einlassen. Der „gutgläubige Bieter“ aus dem vom Vergabesenat des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 17.03.2017, 15 Verg 2 / 17) entschiedenen Fall, mag hier als mahnendes Beispiel dienen.

Was den Komplex der Wertungsmethode anbelangt, ist der Vergabekammer in ihrer umfassenden Kritik zuzustimmen. Ein System, das Angebote umso besser bewertet, je näher sie am Durchschnittswert der Angebote liegen, ist schlichtweg nicht tauglich. Vielmehr gilt: Besser bekannt und bewährt agieren, als zu kreativ und dann danebenzuliegen, zumal es – auch das hat die Vergabekammer ausführlich dargelegt – an etablierten Wertungsmethoden keinen Mangel gibt.

Mit dem Thema „Auswahl geeigneter Wertungsmethoden“ setzt sich auch eine etablierte Schulung in der cosinex Akademie auseinander. Interessenten werden in diesem eintägigen Seminar mit den bekanntesten Wertungsmethoden und weiteren Einflussfaktoren auf die Wertung von Angeboten, wie der Auswahl und Gewichtung von Kriterien, vertraut gemacht. Ziel der Schulung ist es, Anwendern mit den Regeln einer vergaberechtskonformen Angebotswertung vertraut zu machen.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com