Gerichtsverfahren zu Schadensersatzansprüchen übergangener Bieter nehmen augenscheinlich zu. Jüngst hatte der Bundesgerichtshof (Urteil vom 03.07.2020, VII ZR 144 / 19) zu einem Fall Stellung zu beziehen, bei dem der ausgewählte Zuschlagskandidat eines aufgehobenen Vergabeverfahrens den Zuschlag in dem anschließenden zweiten Vergabeverfahren nicht mehr erhalten hat. Der Leistungsgegenstand wurde zwischen erstem und zweitem Vergabeverfahren verändert. Damit war mit Blick auf den Schaden die Frage zu beantworten, wie sich die Änderungen des Leistungsinhaltes auf den Umfang des Schadensersatzes auswirken.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Im Rahmen eines EU-weiten Vergabeverfahrens im Straßenbau wurde ein Bieter als Zuschlagskandidat ausgewählt. In dem entsprechenden Schreiben des Auftraggebers wurde gleichzeitig eine andere Ausführungsfrist bestimmt, die der Zuschlagkandidat nicht bestätigte. Daraufhin hob der Auftraggeber das Vergabeverfahren auf, schrieb den Auftrag erneut aus und vergab diesen an ein anderes Unternehmen. Der neue Auftrag enthielt allerdings Änderungen im Hinblick auf den Straßenaufbau (konkret, der Struktur der Tragschichten). Darüber hinaus waren Schutzplanken nicht mehr Leistungsgegenstand.

Der ursprüngliche Zuschlagskandidat wollte sich mit dem Vorgehen des Auftraggebers nicht abfinden und verlangte den „großen Schadensersatz“. Dementsprechend wollte er wirtschaftlich so gestellt werden, als hätte er den Auftrag erhalten.

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II. Das Urteil

Der BGH stellte – wie schon die Vorinstanz – fest, dass der Klägerin kein Schadenersatzanspruch auf Erstattung des entgangenen Gewinns (positives Interesse) gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB zusteht.

Dabei erläuterte er zunächst kurz die Anspruchsgrundlage: Mit der Ausschreibung und der Beteiligung des Bieters am Ausschreibungsverfahren komme ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande, das die Parteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichte und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründe. Deren schuldhafte Verletzung könne Schadensersatzansprüche auslösen. Solche Ansprüche kämen in Betracht, wenn die öffentliche Hand eine Ausschreibung aufhebe, ohne dass einer der in § 17 Abs. 1 VOB/A genannten Aufhebungsgründe vorläge. Dem Bieter, der bei Fortsetzung des Verfahrens und Vergabe des Auftrags den Zuschlag erhalten hätte, stünde in diesem Fall ein Anspruch auf Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen Aufwendungen zu (Ersatz des negativen Interesses).

Ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch des Bieters setze (auch bei Fehlen eines Aufhebungsgrunds im Sinne von § 17 Abs. 1 VOB/A) voraus, dass ihm bei ordnungsgemäßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen und der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag an einen Dritten vergeben worden ist. Für die Beurteilung dieser Frage sei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, wonach die ausgeschriebenen und die tatsächlich in Auftrag gegebenen Leistungen zu vergleichen seien. Bestünden zu dem erteilten Auftrag erhebliche Unterschiede, komme grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung des entgangenen Gewinns nicht in Betracht, weil der ausgeschriebene Auftrag nicht zur Ausführung gelangt sei. Etwas Anderes gelte nur, wenn der übergangene Bieter auf Besonderheiten verweisen könne, die den Auftraggeber hätten veranlassen müssen, ihm den geänderten Auftrag zu erteilen. Habe die spätere Vergabe bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung dagegen den gleichen Auftrag zum Gegenstand, müsse der später erteilte Zuschlag (im Hinblick auf die Ersatzpflicht des Ausschreibenden) einem Zuschlag auf die erste Ausschreibung gleichgesetzt werden.

Genau hier lag der Knackpunkt des Falles. Damit fehlte es an der Anspruchsvoraussetzung, dass der ausgeschriebene Auftrag einem Dritten erteilt worden sei. Der Auftraggeber habe den ursprünglich ausgeschriebenen Auftrag nicht vergeben, weil die neue Ausschreibung unter grundlegender Änderung der Vergabeunterlagen erfolgt sei. Damit sei die neue Ausschreibung auf einen anderen Vertrag gerichtet gewesen. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei die eingetretene Änderung des Beschaffungsbedarfs im Hinblick auf den Straßenaufbau (Struktur der Tragschichten) und den Wegfall der Schutzplanken als grundlegend erachtet und damit eine wirtschaftliche Identität zu dem ausgeschriebenen Auftrag verneint.

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III. Hinweise für die Praxis

Bereits in einem jüngeren Beitrag zu einem Beschluss des OLG Koblenz wurden Ausführungen zu den Voraussetzungen des Schadensersatzes gemacht. Anlässlich des Beschlusses des BGH lohnen Ergänzungen im Hinblick auf den großen Schadensersatz (positives Interesse), der bei Vergabeverfahren rasch einen empfindlichen Umfang annehmen kann.

Dogmatisch hat der große Schadensersatzanspruch (positives Interesse) u.a. die zwei Voraussetzungen:

  1. Der Anspruchssteller muss belegen können, dass er den Auftrag bei rechtmäßigem Verlauf zwingend hätte erhalten müssen.
  2. Dieser Auftrag muss tatsächlich einem Dritten erteilt worden sein.

Die zweite Voraussetzung ist mitunter für Nicht-Juristen nicht ganz einfach nachzuvollziehen: Der große Schadensersatz zielt darauf ab, den Anspruchsteller wirtschaftlich so zu stellen, wie er ohne den Vergabefehler stünde. Die Vergabestelle kann aufgrund der ihr zustehenden Privatautonomie grundsätzlich nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden. Deshalb kann sie das Vergabeverfahren jederzeit aufheben. In diesem Fall kann der Bieter nicht verlangen, dass er so gestellt wird, wie er stünde, wenn der Auftrag erteilt worden wäre. Denn die Aufhebung – auch ohne vergaberechtlich anerkannten Aufhebungsgrund – ist ihre privatautonome Entscheidung. Allerdings macht sie sich schadensersatzpflichtig in Höhe der Angebotserstellungskosten.

Hier liegt auch ein oftmals weit verbreiteter Irrtum, der sich mit dem Begriff „rechtswidrige Aufhebung“ verbindet. „Rechtswidrig“ meint in diesem Kontext nur, dass kein vergaberechtlich anerkannter Aufhebungsgrund besteht (bspw. § 63 VgV). Sieht die Vergabestelle von der Realisierung ihres ursprünglichen Beschaffungsvorhabens dauerhaft ab, kann sie das Vergabeverfahren auch dann aufheben, wenn kein vergaberechtlich anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt.

Die vorliegende Entscheidung liegt etwas anders, da ein Vergabeverfahren für einen Straßenbauauftrag aufgehoben wurde und danach erneut ein Straßenbauauftrag vergeben wurde; allerdings mit anderem Straßenaufbau und unter Wegfall der Leitplanken. Das Gericht war der Ansicht, dass dies ein anderer Auftrag als der ursprünglich ausgeschriebene sei. Entscheidend kommt es somit auf die Frage an, ob materiell der gleiche Auftrag vergeben wurde. Dies zu bestimmen ist nicht immer ganz einfach und birgt eine erhebliche Grauzone. Wären beispielsweise Mehrungen oder Minderungen der vertraglich geschuldeten Leistung vergaberechtlich zulässig, dürfte es sich noch um den gleichen bzw. identischen Auftrag handeln. Ebenso dürfte die Identität noch zu bejahen sein, wenn der neue Auftragsgegenstand auch im Rahmen einer Vertragsänderung des ursprünglichen Auftrags (§ 132 GWB) zulässig gewesen wäre.

Aus Sicht der Vergabestelle bietet die Änderung des Auftragsinhalts etwa nach einer Aufhebung und erneuter Ausschreibung somit die Möglichkeit, dem „Damoklesschwert“ des großen Schadensersatzanspruches zu entgehen. Rein kosmetische Änderungen dürften hierfür aber nicht ausreichen. Ebenso dürfte es – unabhängig von der vergaberechtlichen Zulässigkeit – nicht ausreichend sein, ein ursprünglich als Gesamtauftrag konzipiertes Vergabeverfahren sachwidrig zu splitten und die Einzelaufträge dann gesondert zu vergeben. Es bleibt abzuwarten, wann die ersten Fälle auftauchen, bei denen der Vergabegegenstand evident nur verändert wurde, um dem Schadensersatzanspruch zu begegnen bzw. zu entgehen. Jedenfalls bleibt der zunehmend praxisrelevantere Bereich des zivilrechtlich durchgesetzten Schadensersatzes bei Vergabeverfahren spannend.

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