Bild zu statistischen Auswertungen

In der vergangenen Woche ist pünktlich zum 1. Oktober 2020 die Vergabestatistik gestartet. Alle öffentlichen Auftraggeber sind nun verpflichtet, Daten über die von ihnen vergebenen Aufträge oder Konzessionen an das Statistische Bundesamt (Destatis) zu melden, das die Vergabestatistik im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) durchführt.

In mindestens zweierlei Hinsicht beachtlich

Ein erstes Zwischenfazit der Umsetzungsphase aus Sicht eines Lösungsanbieters lässt für die zukünftige Weiterentwicklung Potentiale erkennen. Hieraus eine Kritik abzuleiten wäre allerdings wohlfeil, macht man sich die enorme Leistung aller beteiligten Akteure bewusst, dieses Vorhaben trotz Corona-Krise fristgerecht umgesetzt zu haben. Aber auch darüber hinaus ist die Vergabestatistik in mindestens zweierlei Hinsicht beachtlich: Zunächst ist anzunehmen, dass die geplanten Auswertungen auf Basis der übermittelten Daten perspektivisch wichtige Erkenntnisse liefern werden, die auch bei künftigen Änderungen des Rechtsrahmens erstmals eine evidenzbasierte Steuerung erlauben. Darüber hinaus ist die Vergabestatistik das wohl erste größere Vorhaben im deutschen Vergaberecht, das ohne europäischen Druck in Form einer Richtlinienvorgabe entstanden ist.

Daher lohnt ein Blick auf die aktuelle Meldung des BMWi, die um eine erste Einschätzung der noch anstehenden Herausforderungen mit Erkenntnissen aus der Umsetzungsphase ergänzt wurde.

Mitteilung des BMWi und Destatis

In einer gemeinsamen Presseerklärung von BMWi und Destatis äußern sich der zuständige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Dr. Georg Thiel, äußerst zuversichtlich. Allerdings zeigt bereits ein Blick auf die ersten Zahlen zu den sogenannten Berichtsstellen, dass es bis zu repräsentativen Auswertungen noch ein etwas längerer Weg werden könnte.

Bundeswirtschaftsminister Altmaier:

Pressefoto Peter Altmeier

„Öffentliche Aufträge sind ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor. Laut Schätzung der OECD entfällt in Deutschland ein jährliches Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro auf öffentliche Aufträge. Leider fehlen uns aber bislang valide Zahlen. Das wird sich künftig dank der bundesweiten Vergabestatistik ändern. Mehr als das: Wir werden wertvolle Informationen darüber erhalten, wie sich die Aufträge und Konzessionen der öffentlichen Hand über Bund, Länder und Kommunen verteilen, in welchen Bereichen Nachhaltigkeitskriterien bei den Vergabeverfahren eine Rolle spielen oder in welchem Umfang öffentliche Aufträge an kleine und mittlere Unternehmen erteilt werden. So werden wir wichtige Erkenntnisse über diesen zentralen Bereich erhalten. Ich danke dem Statistischen Bundesamt für die sehr gute Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Vergabestatistik.“

Der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Dr. Georg Thiel:

„Mein Haus bringt sein ganzes Know-how ein, um die komplexe Struktur und Vielfalt öffentlicher Aufträge verlässlich durch die neue Vergabestatistik abbilden zu können. In einem ersten, wichtigen Schritt müssen sich alle bei den Auftraggebern in Bund, Ländern und Kommunen für die Statistikmeldung Verantwortlichen beim Statistischen Bundesamt online registrieren. Im zweiten Schritt können die Auftraggeber beziehungsweise die von ihnen festgelegten Berichtsstellen die Daten zu Vergabefällen elektronisch übermitteln. Bisher liegen uns gut 5.000 Anmeldungen vor. Die Vergabestatistik wird uns die Analyse bisher noch nicht erschlossener Datenquellen erlauben. Ich bin gespannt auf die neuen Erkenntnisse, die wir gewinnen werden.“

Mit der Vergabestatistik werden künftig Einzeldaten über die in Deutschland durchgeführten Vergabeverfahren, unter anderem differenziert nach Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen und Konzessionen, erfasst. Alle Auftraggeber, die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen definiert sind, sind aufgrund der Vergabestatistikverordnung verpflichtet, Daten zu Beschaffungsvorgängen mit Auftragswerten oberhalb der EU-Schwellenwerte an das Statistische Bundesamt zu übermitteln. Bei Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte besteht die Pflicht zur Datenmeldung ebenfalls ab einem Auftragswert von mehr als 25.000 EUR, allerdings in eingeschränktem Umfang. Die Vergabedaten werden dabei durch gesicherte und in der amtlichen Statistik bewährte elektronische Verfahren erfasst. Das Statistische Bundesamt wird die eingegangenen Datensätze statistisch aufbereiten, auswerten und die aggregierten Ergebnisse über die GENESIS-Online-Datenbank der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Geplant sind darüber hinaus Halbjahresberichte zu den Kernergebnissen aus der Vergabestatistik.

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Ein Zwischenfazit nach der Umsetzungsphase

Das Ziel, einen validen Überblick über Zahlen zum öffentlichen Einkauf, das Beschaffungsverhalten öffentlicher Auftraggeber im Hinblick auf die Wahl von Verfahrensarten, Anzahl der Teilnehmer an Verfahren, grenzüberschreitende Angeboten u.v.m. auch für die eigentliche Masse der Beschaffungen, d.h. den Unterschwellenvergaben, zu erhalten, ist aller Ehren wert. Bieten die Daten doch im Hinblick auf zukünftige Rechtsentwicklungen die Chance, Anpassungen des normativen Rahmens evidenzbasiert zu treffen und ggf. auch die Wirksamkeit von rechtlichen Anpassungen im Hinblick auf den verfolgten Zweck nachträglich zu überprüfen. Diese Möglichkeit würde man sich auch in vielen anderen Regelungsbereichen wünschen. Die Erkenntnisse aus der Umsetzung der Schnittstelle, der Klärung damit einhergehender Fragen und auch die Angaben in der zuvor dargestellten Mittelung des BMWi zu den bereits registrierten Berichtsstellen zeigen allerdings, dass für eine umfassende Statistik noch „Luft nach oben“ besteht.

Problem der Datenstrukturen

Mit dem Anspruch, Doppelerfassungen zu vermeiden, war das Ziel der cosinex, die Meldungen an die Vergabestatistik für alle Kunden bestmöglich und maximal komfortabel zu gestalten und innerhalb des Vergabemanagementsystems und des Vergabemarktplatz in den Vergabeprozess zu integrieren.

Erste Hürden im Zuge der Umsetzung wurden hinsichtlich möglicher Datenübernahmen schnell sichtbar, da die Datenstrukturvorgaben von Destatis z.T. (etwa im Bereich der Zuschlagskriterien) von bekannten Datenstrukturen (wie bspw. der Datenstruktur eines EU-weiten vergebenen Auftrags) abweichen und hier Nacharbeiten durch die Nutzer erforderlich machen.

So ist beispielweise in der Meldung zur Vergabestatistik auch anzugeben, ob der Auftraggeber Vorgaben hinsichtlich umweltbezogener, sozialer oder innovativer Nachhaltigkeitskriterien gemacht hat.

Probleme bei losweisen Vergaben

Eine weitere Herausforderung ergibt sich im Fall einer Losaufteilung. So sind diverse Angaben, wie z.B. zum Auftragswert oder der Anzahl der Angebote, nicht je Los, sondern losübergreifend (für die Gesamtvergabe) zu erfassen. Bei Angaben zum Herkunftsland des Auftragnehmers, oder ob der Auftragnehmer ein KMU ist, kann jedoch nur ein einziger Auftragnehmer gemeldet werden, und zwar der, der im Fall der Losaufteilung den größten Anteil am Gesamtauftragswert hat. Bei Aufträgen, die an einen Zusammenschluss von mehreren Wirtschaftsteilnehmern vergeben werden, muss der Auftragnehmer angegeben werden, der den größten Anteil am Gesamtauftragswert ausmacht.

Wenn es in den kommenden Jahren gelingt, den Automatisierungsgrad bei der Übernahme der Daten zu verbessern und damit den Aufwand für Vergabestellen zu minimieren, sind möglicherweise Meldungen für jedes Los vertretbar, was die Datenqualität erheblich verbessern dürfte.

Berichtsstellen

Die Angabe von bislang 5.000 Anmeldungen als sog. Berichtsstellen zeigt die erwartbare Herausforderung, alle öffentlichen Auftraggeber „in das System“ zu bekommen. Nimmt man selbst nur die Hälfte der immer wieder angenommenen 30.000 öffentlichen Auftraggeber / Vergabestellen als Grundgesamtheit an, verblieben 10.000 nicht registrierte Berichtsstellen (unterstellt, jeder öffentliche Auftraggeber beantragt im Durchschnitt (nur) eine Berichtsstellen ID, hätte sich bislang nur ein Drittel angemeldet).

Die Erfahrungen unserer Teams aus Gesprächen mit Vergabestellen zeigen mögliche Gründe: Vielen öffentlichen Auftraggebern, die nicht zur Kernverwaltung gehören, sind die Meldepflichten schlicht noch nicht bekannt. Aber auch in den Kernverwaltungen und gerade bei kleinen Kommunen, die keine EU-weiten Vergaben (selbst) durchführen und bislang auch auf den Einsatz der E-Vergabe verzichtet haben – weil etwa die landesrechtliche Umsetzung der UVgO für Unterschwellenvergaben noch keine Rechtspflicht zur elektronischen Kommunikation vorsieht – ist das Thema häufig unbekannt oder wird missverstanden. Soweit das Thema Vergabestatistik „mal gehört“ wurde wird nicht selten davon ausgegangen, dass sich diese „natürlich“ nur auf den Bereich der Oberschwellenvergaben beziehen kann.

Es fehlt eine „Vergabestellen-ID“

Eine fehlende, aber für weitere interessante Auswertungen wichtige Angabe wäre eine ID, die den öffentlichen Auftraggeber eindeutig identifiziert, um beispielsweise ein Verhältnis von Ober- zu Unterschwellenvergaben oder auch einzelner Verfahrensarten untereinander ermitteln zu können.

Dabei wäre es unerheblich zu wissen, um welchen öffentlichen Auftraggeber es sich konkret handelt. Ausreichend wäre eine eindeutige ID, um etwa die vorgenannten Auswertungen durchführen zu können.

Die für eine Meldung notwendige Berichtseinheit-ID (ID für eine Berichtsstelle) genügt dieser Anforderung nicht, da diese entsprechend ihrer Spezifikation gerade nicht den Auftraggeber beschreibt, sondern nur den Übermittler der Meldung, etwa für mögliche Rückfragen von Destatis. Der Name des Auftraggebers wird derzeit in der Vergabestatistikmeldung als Freitextfeld erfasst. Hierzu existieren zwar Ausfüllhinweise, um eine möglichst homogene Erfassung zu befördern, eine eindeutige Identifizierung und entsprechende Auswertungen dürften hier aber nur mit erheblichen Unschärfen möglich sein.

Warum auf eine eindeutige ID der Vergabestelle verzichtet wurde, bleibt offen. Möglicherweise fehlen aktuell noch schlicht die möglicherweise erforderlichen gesetzlichen Grundlagen, um eine solche Vergabestellen-ID allen öffentlichen Auftraggebern verbindlich vorzuschreiben. Ein Parallele kann mit der ID zur Identifizierung von Rechnungsempfängern im öffentlichen Umfeld gesehen werden. Zwar gibt es hier eine ID (die sog. Leitweg-ID) allerdings fehlt es auch hier an einer rechtlichen Grundlage, um diese (zentral) eindeutig vergeben zu können.

Engagierte Umsetzung durch alle Beteiligten

Dass bei der Einführung einer komplexen Aufgabe – wie der Einführung einer bundesweiten Vergabestatistik – nicht aus dem Stand eine perfekte Lösung erzielt werden kann, versteht sich von selbst. Die vorgenannten Aspekte stellen daher auch keine Kritik an der Vergabestatistik oder den umsetzenden Akteuren dar. Im Gegenteil: Gerade in der Umsetzungsphase bestand ein reger und äußerst produktiver Austausch zwischen unseren Entwicklungs-Teams und den Ansprechpartnern bei Destatis beispielsweise im Hinblick auf Datenstrukturen oder dem Umgang mit Zweifelsfällen (z.B. bei Rahmenverträgen) u.v.m..

Hiervon unabhängig verbleibt der Wunsch, dass in der sicher stattfindenden Weiterentwicklung der Vergabestatistik einige der oben genannten Aspekte aufgegriffen werden, im Interesse der Aussagekraft der Auswertungen aber auch im Interesse der öffentlichen Auftraggeber.

Informationen zur Umsetzung der Meldung in unseren Lösungen finden Sie in unserem Blog unter diesem Link.

Bildquelle: BMWi, (c) BPA/Steffen Kugler