Eine Rahmenvereinbarung ermöglicht die flexible und effiziente Beschaffung. Ebenso kann der Einsatz zentraler Beschaffungsstellen zu einer deutlichen Entlastung der Auftraggeber führen. Kommt beides zusammen, wird es mitunter kompliziert.
Die Vergabekammer Rheinland hat in ihrem Beschluss vom 23.06.2020, VK 15 / 20 – K Grundzüge beider Regelungen anhand eines aktuellen Falles dargestellt. Konkret ging es um die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung durch eine zentrale Beschaffungsstelle zur Beschaffung von Desinfektionsmitteln, wobei einer der Auftraggeber seinen Bedarf an der Rahmenvereinbarung vorbei gedeckt hat.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
I. Vorab
Die nachfolgende Entscheidung ist prozessual nicht ganz einfach zu fassen. Der Antragsteller hat seinen Nachprüfungsantrag zurückgenommen. Deshalb war nach Einstellung des Verfahrens nur noch über die Kosten zu entscheiden.
Nach § 182 Abs. 3 S. 5 GWB erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach billigem Ermessen. Die Ermessensentscheidung orientiert sich dabei grundsätzlich an dem voraussichtlichen Verfahrensausgang nach einer summarischen Prüfung.
In der Vorbereitung zu der terminierten mündlichen Verhandlung hat die Vergabekammer eine vorläufige Einschätzung des voraussichtlichen Verfahrensausgangs erarbeitet. Danach wäre der überwiegend zulässige Nachprüfungsantrag wohl unbegründet gewesen, sodass der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen waren. Die grundsätzlichen Ausführungen zu den Rahmenverträgen erscheinen aber so praxisrelevant, dass wir sie Ihnen nachfolgend wiedergeben.
II. Wer ist Antragsgegner bei einer Rahmenvereinbarung?
Vorliegend wurde das Vergabeverfahren durch eine zentrale Beschaffungsstelle durchgeführt; der Einzelabruf erfolgte aber durch die einzelnen Auftraggeber, in deren Auftrag die Beschaffungsstelle tätig wurde. Damit stellt sich zunächst die Frage, gegen wen sich der Nachprüfungsantrag richtet.
Die Antragstellerin wandte sich mit ihrem Nachprüfungsantrag nicht gegen Verstöße in dem offenen Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung durch die zentrale Beschaffungsstelle. Vielmehr ging es ihr um die Umsetzung der Rahmenvereinbarung auf der zweiten Stufe, d.h. um den Abruf aus dem Rahmenvertrag bzw. Abschluss der Einzelverträge. Diese waren ausweislich der Vergabeunterlagen mit den einzelnen Vertragseinrichtungen / Auftraggebern gesondert abzuschließen. Die Auftraggeber sind Vertragseinrichtungen der zentralen Beschaffungsstelle und waren somit in diesem Nachprüfungsverfahren zutreffend passiv legitimiert; mit anderen Worten: Der Nachprüfungsantrag muss sich gegen den einzelnen Auftraggeber richten.
Darüber hinaus hat die Vergabekammer ausgeführt, dass die Beschaffung durch zentrale Beschaffungsstellen auf zwei Wegen erfolgen könne.
- Zum einen könne die Beschaffungsstelle auf eigene Rechnung die Lieferungen und Dienstleistungen selbst beschaffen und im Weiteren an die öffentlichen Auftraggeber veräußern.
- Zum anderen könne die Beschaffungsstelle als Vermittlerin tätig werden und das Vergabeverfahren im Namen und auf Rechnung für die anderen öffentlichen Auftraggeber durchführen.
Vorliegend sei die Rahmenvereinbarung von der zentralen Beschaffungsstelle im Namen der Vertragseinrichtungen geschlossen worden. Darauf habe sie in der öffentlichen Bekanntmachung auch hingewiesen. Darin hatte sie klargestellt, dass nicht sie, sondern die Vertragseinrichtungen Partner der Rahmenvereinbarung werden sollen. Diese seien der den Vergabeunterlagen beigefügten Liste eindeutig zu entnehmen.
Mit Blick auf die Frage des richtigen Antragsgegners im Nachprüfungsverfahren sei zu berücksichtigen, dass die zentrale Vergabestelle das Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung allein und autonom durchgeführt habe, d.h. ohne Weisungen der Vertragseinrichtungen als öffentliche Auftraggeber der Beschaffung. Damit wäre sie in einem Nachprüfungsverfahren gegen die Vergabe der Rahmenvereinbarung an sich die richtige Antragsgegnerin gewesen.
III. Nachprüfungsantrag auch gegen Einzelabrufe?
Die Vergabekammer führte aus, dass der Nachprüfungsantrag auch bei Einzelabrufen statthaft sei. Die Rahmenvereinbarung, die in einem offenen Vergabeverfahren abgeschlossen wurde, sei ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch die Erteilung des Zuschlags auf die Angebote der Bieter zustande gekommen war. Sie sei aber noch kein Vertrag über die Erbringung einer konkreten Einzelleistung.
Die Vergabe von Einzelaufträgen sei wie die Vergabe der Rahmenvereinbarung in § 21 VgV rechtlich geregelt. Da es auch bei der Vergabe von Einzelaufträgen zu vergaberechtlichen Verstößen kommen könne, z.B. durch die Abweichung von den in der Rahmenvereinbarung festgelegten Vertragsbedingungen, sei eine Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen möglich. Denn bei der Vergabe der Einzelaufträge handele es sich nicht nur um den zivilrechtlichen Vollzug der Rahmenvereinbarung. Antragsbefugt seien u.a. die Unternehmen, die an der Rahmenvereinbarung beteiligt sind.
IV. Abnahmeverpflichtung und Rahmenvertrag
Fraglich war, ob der Auftraggeber aufgrund der Rahmenvereinbarung verpflichtet gewesen wäre, den Bedarf (Desinfektionsmittel) bei der Antragstellerin zu decken. Das komme ganz auf die Art der Rahmenvereinbarung an, so die Vergabekammer.
Grundsätzlich werde zwischen drei verschiedenen Arten der Rahmenvereinbarung unterschieden:
- Sei in der Rahmenvereinbarung vorgesehen, dass der Auftragnehmer zur Leistung verpflichtet ist, der Auftraggeber diese jedoch nicht abrufen muss, handele es sich um eine einseitig verbindliche Rahmenvereinbarung.
- Bei einer beidseitig verbindlichen Rahmenvereinbarung sei der Auftraggeber neben der Leistungspflicht des Auftragnehmers zum Abruf der Leistungen verpflichtet.
- Daneben gebe es die Konstellation, dass weder eine Abrufpflicht des Auftraggebers, noch eine Leistungspflicht des Auftragnehmers bestehe. Dies bezeichnet man als beidseitig unverbindliche Rahmenvereinbarung.
Im Regelfall entscheiden sich öffentliche Auftraggeber für die einseitig verbindliche Rahmenvereinbarung, in der der Auftragnehmer zur Leistung verpflichtet sei, jedoch keine Abnahmeverpflichtung bestehe. Im Ergebnis entfalle bei dieser Konstellation eine Abnahmepflicht ganz. Damit werde dem Auftragnehmer ein deutlich höheres Vertragsrisiko auferlegt, da er damit rechnen müsse, dass in der zweiten Stufe der Rahmenvereinbarung, nämlich dem Einzelauftrag, kein Vertrag zur konkreten Lieferung des Beschaffungsgegenstandes zustande komme. Aufgrund der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit seien solche einseitig verpflichtenden Verträge statthaft, und es obliege der Entscheidungsfreiheit des Auftragnehmers, ob er ein solches Risiko übernehmen wolle.
Vorliegend habe die zentrale Beschaffungsstelle im Vergabeverfahren zum Abschluss der Rahmenvereinbarung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich für die Vertragseinrichtungen kein Abnahmezwang aus der Rahmenvereinbarung ergäbe. Das bedeute, dass eine Vertragseinrichtung zwar berechtigt sei, im Bedarfsfall von der Antragstellerin zu den in der Rahmenvereinbarung festgesetzten Preisen Flächendesinfektionsmittel zu beziehen. Sie sei jedoch nicht verpflichtet, diese Produkte im Bedarfsfall von der Antragstellerin zu bestellen. Es handele sich bei der Rahmenvereinbarung um einen einseitig verpflichtenden Vertrag. Die Antragstellerin hätte somit aus freier Entscheidung sowohl die Chance, aber auch das Risiko übernommen, dass sie zusätzliche Abnehmer für ihre Produkte erhalte oder aber im schlechtesten Falle keine neuen Kunden rekrutieren könne.
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V. Missbrauchsverbot
Abschließend widmete sich die Vergabekammer der Frage, ob ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot des § 21 Abs. 1 S. 3 VgV vorlag. Von dem Missbrauchsverbot werde u.a. das Verbot der Doppelvergabe erfasst. Damit solle verhindert werden, dass ein öffentlicher Auftraggeber verschiedene, voneinander unabhängige Rahmenvereinbarungen über denselben Beschaffungsgegenstand für denselben Bedarf abschließt.
Dieses Verbot der Mehrfachvergabe beziehe sich auf den Abschluss weiterer Rahmenvereinbarungen bei einer bereits bestehenden Rahmenvereinbarung über denselben Beschaffungsgegenstand. Dem öffentlichen Auftraggeber sei es hingegen nicht untersagt, unabhängig von einer bestehenden Rahmenvereinbarung eine gesonderte Einzelvergabe durchzuführen.
Diese Überlegungen folgen dem Erwägungsgrund 61 der Richtlinie 2014/24/EU, der besage, dass der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet sei, Lieferungen unter der abgeschlossenen Rahmenvereinbarung zu beschaffen. Dieser Gedanke hätte seinen Niederschlag zudem in dem Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Beschaffung gefunden.
VI. Hinweise für die Praxis
Die Rechtslage ist von der Vergabekammer zutreffend dargestellt. In der Praxis scheint aus Bietersicht die Entwicklung rund um die einseitig verpflichtenden Rahmenverträge jedoch nicht interessengerecht. Früher war die Regelung klar: Der Bieter trug das Bedarfsrisiko (gemeint ist, das Risiko, ob der Auftraggeber überhaupt einen Bedarf hat, bspw. dass der Winter zu warm wird und er kein Streusalz braucht). Dafür hatte er aber die Sicherheit, dass im Bedarfsfall dieser bei ihm gedeckt wird.
Nunmehr wird es auch in der Kommentarliteratur überwiegend so gesehen, dass Bedarfsdeckungen an dem Rahmenvertrag vorbei im Wege von Einzelaufträgen möglich sein sollen. Gestützt wird dies auf Erwägungsgrund 61 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU:
„Die öffentlichen Auftraggeber sollten aufgrund dieser Richtlinie nicht verpflichtet sein, Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die Gegenstand einer Rahmenvereinbarung sind, unter dieser Rahmenvereinbarung zu beschaffen.“
Zunächst einmal sagt diese Formulierung nur, dass die Richtlinie keine entsprechende Verpflichtung enthält. Das sagt aber noch nichts darüber, ob man das national auch anders regeln kann. § 21 Abs. 2 Satz 2 VgV lautet:
„Die Einzelauftragsvergabe erfolgt ausschließlich zwischen den in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung genannten öffentlichen Auftraggebern und denjenigen Unternehmen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Einzelauftrags Vertragspartei der Rahmenvereinbarung sind.“
Ob damit parallele Leistungsabrufe außerhalb der Rahmenvereinbarung ausgeschlossen sind, erscheint zumindest diskutabel. Außerdem führt eine Öffnung für parallele Einzelbeauftragungen zu erheblichen praktischen Problemen, denn der Bieter wird an seiner Leistungsverpflichtung festhalten, trägt bspw. Vorhaltekosten und muss dann sehen, wie sein potenzielles Auftragsvolumen durch parallele Einzelaufträge schmilzt. Ebenso ist nicht einsichtig, warum man die Rahmenvereinbarung ggf. EU-weit ausschreiben muss, wenn dann die jeweiligen Einzelleistungen als angeblich selbständig im Wege von Einzelverträgen vergeben werden können. Müssten diese dann nicht auch EU-weit ausgeschrieben werden? Letztlich stellt sich auch die Frage, ob das Verbot der parallelen Vergabe zweier Rahmenverträge für einen Leistungsgegenstand nicht einfach dadurch umgangen werden kann, dass statt der zweiten Rahmenvereinbarung viele Einzelverträge geschlossen werden? Insoweit scheint der Verweis auf die Vertragsfreiheit etwas kurz gegriffen. Wie so oft, bleibt die weitere Entwicklung der Spruchpraxis zu diesen Fragen abzuwarten.
Einseitig verpflichtende Rahmenvereinbarungen klingen für Vergabestellen auf den ersten Blick attraktiv, bergen jedoch Risiken: In funktionierenden Märkten werden kundige Bieter die für sie regelmäßig nachteilige bzw. risikobehaftete Regelung in den Angebotspreis einkalkulieren, was zu schlechteren Preisen führt. In Märkten, in denen die öffentliche Hand faktisch Nachfragemonopolist ist und z.B. hohe Vorhaltekosten entstehen, kann diese Wettbewerbsform im Extremfall zu einer Verengung des Marktes durch Unternehmensausfälle führen.
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