Foto Lupe auf Finanzdaten

Der Ausfall von Auftragnehmern im laufenden Vergabeverfahren, während der Vertragsabwicklung sowie im Gewährleistungsfall stellt eine Gefahr für öffentliche Auftraggeber und das Erreichen des Beschaffungszwecks dar. Im Rahmen einer neuen Beitragsreihe sollen die Möglichkeiten der Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit im Sinne des § 122 Abs. 2 GWB vorgestellt und hierfür erforderliche Grundbegriffe und Fallkonstellationen erläutert werden.

Als Einstimmung in das Thema haben wir mit Philipp Böhme, Geschäftsführer der Creditreform Bochum und Vertreter einer der führenden Wirtschaftsauskunfteien in Deutschland, ein Interview geführt.

Der Autor

Dr. Stefan Marinus Krusenbaum ist Assistent der cosinex Geschäftsführung und Experte für Wertungsmethoden. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler bietet das beliebte Seminar Grundlagen und Auswahl geeigneter Wertungsmethoden in der cosinex Akademie an.

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Öffentliche Aufträge sollen nach den Vorgaben des Vergaberechts an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Nach § 122 Abs. 2 GWB sind hierunter die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die technische und berufliche Leistungsfähigkeit sowie die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Bieters zu verstehen.

Wie viele Fälle zeigen, in denen im laufenden Auftrag oder im Gewährleistungsfall das beauftragte Unternehmen ausfällt, hat es insbesondere das Kriterium der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit „in sich“. Um sich hiervon im Rahmen einer förmlichen Vergabe zu überzeugen, sieht etwa § 45 VgV vor, dass in der Regel Bankerklärungen, Jahresabschlüsse oder Erklärungen über den Umsatz (des Unternehmens insgesamt sowie ggf. auftragsbezogen) vom Bewerber verlangt werden dürfen.

Besagte Bankerklärungen enthalten dabei aber häufig nur bedingt hilfreiche Angaben wie etwa „die Gesamtverhältnisse machen einen geordneten Eindruck“ oder „eingegangene Verpflichtungen sind nach unseren Beobachtungen bisher pünktlich reguliert worden“. Zudem beziehen sich diese ohnehin vagen Angaben natürlich (nur) auf das Geschäftsverhältnis des Unternehmens zu dieser einen Bank. Offen bleibt, ob der jeweilige Wirtschaftspartner nicht von einer anderen seiner Banken eine weitaus weniger erfreuliche Auskunft erhalten hätte. Auch Auskünfte zum reinen Umsatz helfen, jedenfalls im Hinblick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit, im Einzelfall kaum weiter. Was nützt der schönste Umsatz, wenn dieser mit hohen Verlusten einhergeht?

Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, setzt sich unsere neue mehrteilige Beitragsreihe mit der Fragestellung auseinander, welche praktikablen und vergaberechtskonformen Möglichkeiten es für Vergabestellen gibt, mit möglichst geringem Aufwand die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Bietern im Hinblick auf deren Eignung zu überprüfen. Vorab möchten wir in einem Interview mit Philipp Böhme, Geschäftsführer der Creditreform Bochum KG und Mitglied im Gesamtvorstand der Creditreform-Gruppe, einen Einblick in die Vorgehensweise der seit 1879 existierenden Wirtschaftsauskunftei geben, bei der die Beurteilung der Bonität von Unternehmen seit jeher zum Tagesgeschäft gehört. Seit nunmehr fast 20 Jahren ist cosinex selbst Mitglied der Creditreform und gibt damit auch im Sinne des Open-Company-Ansatzes weit über die gesetzlichen Veröffentlichungspflichten hinaus eine fundierte Auskunft zur Lage und Entwicklung des Unternehmens. Die langjährige Mitgliedschaft haben wir genutzt, um dort nachzufragen, welche Möglichkeiten zur „Bonitätsprüfung“ öffentlichen Auftraggebern nach Einschätzung grundsätzlich zur Verfügung stehen.

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Dr. Stefan Krusenbaum (cosinex): Sehr geehrter Herr Böhme, als Frage zum Einstieg in das Thema, wie sehen Sie die Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit von Auftragnehmern im Rahmen öffentlicher Aufträge?

Philipp Böhme (Creditreform): Kritisch. Viele Beispiele, sowohl im Bereich öffentlicher Aufträge, aber auch und gerade bei Konzessionen oder Investoren-Modellen wie im Rahmen des Flughafen Hahns, dem World Conference Center in Bonn und andere zeigen, dass der Prüfung der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im öffentlichen Umfeld entweder zu wenig Bedeutung beigemessen wird oder die bislang hierfür eingesetzten Instrumente nachgeschärft werden sollten.

Dr. Stefan Krusenbaum: Wie können aus Ihrer Sicht Lösungen hierfür aussehen? Was kann man Vergabestellen empfehlen?

Philipp Böhme: Zunächst sollte dem Thema eine höhere Priorität, gerade bei potentiell kritischen Vergabeverfahren oder Projekten, beigemessen werden. Dann sollte grundsätzlich bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge die Bonität des Auftragnehmers geprüft werden. Eine schlechte Bonität kann schwerwiegende Folgen für die fristgerechte Fertigstellung von Projekten haben und Zusatzkosten verursachen, wenn mitten im Projekt „das Pferd“ gewechselt werden muss.

Um die Bonität zu beurteilen, sind allerdings eine Vielzahl von Informationen erforderlich, die über die reinen Bilanzdaten und Gewinn- und Verlustrechnungen hinausgehen.

Dr. Stefan Krusenbaum: …also müssen dann die Beschaffer zu Wirtschaftsprüfern ausgebildet werden und eine Analyse des Jahresabschlusses vornehmen?

Philipp Böhme: Natürlich nicht, obwohl tatsächlich die Einkaufsabteilungen vieler Unternehmen und Konzerne mit einem zum Teil deutlich geringeren Beschaffungsvolumen als das der öffentlichen Hand qualifiziertes Personal für eine strukturierte Bonitätsprüfung der Lieferanten vorhalten. Tatsächlich sind Bankauskünfte und Angaben zum Umsatz jedenfalls nicht ausreichend. Für die „Bilanzanalyse“ im Sinne einer Bonitätsprüfung gibt es Dienstleister, die das übernehmen.

Dr. Stefan Krusenbaum: Wie die Creditreform?

Philipp Böhme: Ohne Werbung machen zu wollen, ja. Wir, aber auch andere Anbieter, sehen entsprechende Rankings vor. Recht eingängig ist natürlich unser Creditreform Bonitätsindex, der alle wirtschaftsaktiven Unternehmen in Deutschland ermittelt und eine Wahrscheinlichkeit des sog. Ausfallrisikos angibt. Der Index wird immer nach einem gleichen Gewichtungsverfahren berechnet. Damit ist es möglich, die wirtschaftliche Potenz eines Unternehmens auf einen Blick zu bestimmen.

Der Index wird auch nicht nur auf Basis der Bilanzen, sondern vieler anderer Kennzahlen, die wir unternehmens-, aber auch branchenabhängig ermitteln, berechnet. Ganz erheblichen Einfluss auf die Bonitätsberechnung hat nicht nur die rückwärtige Analyse von Finanzzahlen, sondern das tagaktuelle Zahlungsverhalten von Unternehmen, welches wir registrieren und bewerten. Damit sind wir sehr nah am aktuellen Geschehen. Krisen und Insolvenzen lassen sich zumeist treffsicher mit einem Vorlauf von gut einem Jahr frühzeitig erkennen.

Dr. Stefan Krusenbaum: Und dieser Wert ist besser als Umsatz oder ein Blick in den Jahresüberschuss der Bilanz?

Philipp Böhme: Wir denken, ja. Natürlich fließen bei uns die Bilanzbonität und der Umsatz auch in den Wert ein, allerdings lediglich mit insgesamt ca. 25%.

Dr. Stefan Krusenbaum: Und sonst?

Philipp Böhme: Die Zahlungsweise, das Krediturteil, die allgemeine Unternehmensentwicklung und Auftragslage, Rechtsform oder Branche und viele andere Punkte. Insgesamt eine Vielzahl von Aspekten. Durch die insgesamt 130 Geschäftsstellen allein in Deutschland kennen wir den regionalen Markt sehr genau und hören die „Buschtrommeln“. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen veröffentlichen gar keinen Bilanzzahlen. Der persönliche und telefonische Kontakt unserer Rechercheure ist ein sehr zentraler Bestandteil unserer Arbeit. In den vielen Gesprächen, die wir täglich mit den Unternehmen führen, erfahren wir deutliche mehr über die individuelle Situation der Unternehmen. Das finden Sie in keiner Bilanz und keinem Geschäftsbericht!

Dr. Stefan Krusenbaum: Das würde bedeuten, dass von den Bewerbern ein bestimmter Creditreform Bonitäts-Index verlangt werden sollte?

Philipp Böhme: Das soll nur ein Beispiel sein, aber ja. Viele in der Presse behandelte Fälle gerade im Bereich sog. Investorenmodelle und Konzessionen wären so wahrscheinlich nicht passiert, wenn sich die meist politischen Verantwortlichen zuvor über die Bonität ihrer Partner mit entsprechender Hilfe oder Werkzeugen informiert hätte. Es ist für uns zum Teil erschreckend zu sehen, mit welchen Personen als Investoren Verträge geschlossen wurden, die nach unseren Bewertungen gar nicht als Geschäftspartner in Frage gekommen wären. Das kann in Einzelfällen bei einer spezifischen Expertise völlig berechtigt sein, mitunter scheint es als wäre es aber bei Kenntnis unserer Kennzahlen nicht zu einem Vertrag oder überhaupt ernsthaften Gesprächen gekommen.

Dr. Stefan Krusenbaum: Es dürfte vergaberechtlich schwierig werden, von den ggf. auch internationalen Bewerbern einen Creditreform-Wert abzufragen und einen Mindest- oder vielmehr Höchstindex vorzuschreiben.

Philipp Böhme: Tatsächlich dürfte es unter den gegebenen rechtlichen Vorgaben mindestens begründungswürdig sein, einen definierten Wert im Rahmen einer z.B. EU-weiten Ausschreibung vorzugeben, egal von wem der Index stammt. Allerdings sind die rechtlichen Möglichkeiten hierfür nach meiner Kenntnis noch nicht vollständig ausgelotet. Bei Geschäftspartnern, die nicht nach den engen Vorgaben des Vergaberechts ermittelt werden, wie etwa bei Konzessionen unterhalb der EU-Wertgrenzen und Investorenmodellen, scheint eine fundierte Bonitätsprüfung sicher ein geeignetes Instrument zumindest für den Einstieg, um sich auch ohne eigene Mitarbeiter mit Wirtschaftsprüferqualifikation ein Bild vom zukünftigen Partner machen zu können. Zumal die Kosten für selbst umfassende Auskünfte bei uns im Regelfall, je nach Informationsumfang, zwischen 15 € und 40€ je Anfrage liegen.

Abschließend möchte ich aber erwähnen, dass wir zumindest in unserer Region schon mit einigen Kommunen und Wirtschaftsförderungen zusammenarbeiten, die sich bei Ausschreibungen und Projekten mit ausreichenden Informationen bei Creditreform „eindecken“.

Dr. Stefan Krusenbaum: Wir danken Ihnen für das Interview.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Kommende Beitragsreihe zur Bewertung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit von Bietern

Das Interview mit Philipp Böhme zeigt, wie schwierig die Bewertung der Bonität von Bietern in der Praxis ist. In unserer neuen Beitragsreihe widmen wir uns daher den Fragestellungen, welche Schlüsse man realiter aus dem Jahresabschluss bzw. aus der Bilanz eines Unternehmens und seiner Gewinn- und Verlustrechnung ziehen kann, um zu beurteilen, ob das Unternehmen als Bieter gemäß § 45 VgV den Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit tatsächlich entspricht. In Teil 1 und Teil 2 blicken wir dafür genauer auf die (finanz)wirtschaftlichen Grundlagen und Kennzahlen, im folgenden Teil werden Besonderheiten erläutert, die etwa bei der Bewertung von Einzelkaufleuten und Handwerkern zu beachten sind. Abschließend wird zudem die Thematik der Bewertung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines Bieters vor dem Hintergrund der vergaberechtlichen Zulässigkeit derartiger Prüfungen bei der Entscheidung über die Eignung eines Bieters beleuchtet.

Über den Gesprächspartner Philipp Böhme

Philipp Böhme wurde 1974 in Bad Oeynhausen geboren und wuchs in Porta Westfalica auf. Im Anschluss an seine kaufmännische Ausbildung zum Bürokaufmann absolvierte er ein berufsbegleitendes Studium zum Betriebswirt. Nach beruflichen Stationen in Bielefeld und Herford ist er seit 2005 Juniorpartner bei Creditreform Bochum und seit 2015 alleiniger Inhaber der Creditreform Bochum. Seit 2019 ist Philipp Böhme zudem Mitglied im Gesamtvorstand der Creditreform-Gruppe; seit 2017 fungiert er als Vizepräsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet.

Bildquelle: SusanneB – gettyimages