Werden (vermeintliche) Vergabeverstöße publik, bleibt oftmals in den Medien der Ruf nach dem Staatsanwalt nicht aus. Dabei geht es nicht nur um großvolumige Aufträge wie in den Fällen des sog. „Maut-Debakels“ oder der „Berateraffäre“ im Verteidigungsbereich, sondern auch um verhältnismäßig kleine Auftragsvolumina. Es steht rasch der Vorwurf der Verschwendung öffentlicher Gelder im Raum und im Einzelfall, strafrechtlich gesprochen, der Vorwurf der Haushaltsuntreue.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Dabei verschwimmen oftmals die Grenzen zwischen bloßem vergaberechtswidrigem und strafrechtlich relevantem Verhalten. Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst grundlegende Ausführungen gemacht (Beschluss vom 08.01.2020, 5 StR 366 / 19).
I. Der Sachverhalt
In einer Stadt lagen seit mehreren Jahren Hinweise darauf vor, dass Mitarbeiter des städtischen Baubetriebshofs während der Arbeitszeit private Tätigkeiten verrichteten, insbesondere im Staatsforst Holz fällten und auf eigene Rechnung verkauften.
Ein beamteter Oberbürgermeister beauftragte nach Rücksprache mit dem Rechtsamt, aber ohne weitere Gremienbeteiligung, „geheim“ eine Detektei, um die Vorgänge aufzuklären. Die Kanzlei wurde aufgrund einer Anzeige in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) angesprochen. Auf ein Vergabeverfahren oder die Einholung von Konkurrenzangeboten bzw. die Überprüfung der Marktüblichkeit der Preise wurde verzichtet. Eine verwaltungsinterne Grenze für die Auftragsvergabe ohne Gremienbeteiligung lag bei 25.000 EUR (Vorgabe durch den Bürgermeister).
Die mit der Detektei vereinbarten Stundensätze lagen bei 100 bzw. 150 EUR (feiertags u. außerhalb normaler Arbeitszeit). Zusätzlich wurden Spesen etc. vereinbart. Der Vertrag konnte ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist jederzeit beendet werden.
Die Überwachung ergab schon im ersten Monat Ergebnisse, die den Diebstahl und die Arbeitsverstöße belegten. Für etwas mehr als den ersten Monat wurde eine Abschlagszahlung in Höhe von 100.000 EUR gezahlt, die der Oberbürgermeister freigab. Nach ca. sechs Wochen belief sich die abschließende Rechnung auf 276.762,43 EUR netto, die der Oberbürgermeister als sachlich und rechnerisch richtig abzeichnete und zur Zahlung anwies, die im späteren Verlauf aber in Teilen streitig wurde.
Mit Bekanntwerden des Vorgangs wurde Strafanzeige gegen den Oberbürgermeister gestellt.
II. Die Entscheidung des Landgerichts
In dem Strafverfahren ging das Landgericht von einem „Vermögens(gefährdungs)schaden“ in Höhe von mindestens 133.633,95 Euro aus. In diesem Umfang lägen die von der Detektei verlangten Preise über dem von einem Sachverständigen durch verdeckte Befragung von Marktteilnehmern ermittelten durchschnittlichen Marktpreis.
Zum Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht u.a. festgestellt, dass sich der Oberbürgermeister bei der Beauftragung bewusst gewesen sei, dass er damit den ihm eingeräumten Verfügungsrahmen von 25.000 EUR überschreite. Zudem habe er bei Abschluss des Vertrages billigend in Kauf genommen, dass die Preise der Detektei über dem üblichen Marktpreis lägen, die Stadt H. deshalb mit unnötig hohen Kosten belastet würde und ihr in Höhe der Differenz zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Marktpreis ein Schaden entstehe.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
III. Die Entscheidung des BGH
Die vom Oberbürgermeister eingelegte Revision führt zur überwiegenden Aufhebung des Urteils. Das Landgericht ist für die Frage einer Untreuestrafbarkeit teils von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen, teils sind die Feststellungen nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegt.
Eingangs stellte der BGH fest, dass der Oberbürgermeister eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Stadt H. habe. Der Inhalt der Treupflicht des Angeklagten werde durch die rechtlichen Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit als Oberbürgermeister bestimmt. Zum einen durfte er nach der Geschäftsordnung nur Aufträge bis zu einer Höhe von 25.000 EUR vergeben. Zum anderen musste er bei der eigenen Auftragsvergabe die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beachten. Beide Pflichten, die das Landgericht jeweils als verletzt ansah, würden unabhängig voneinander gelten.
1. Kein nach § 266 StGB strafbarer Pflichtverstoß
Nach Ansicht des BGH hat das Landgericht, das durch die ungeprüfte Erteilung des Auftrags zu marktunüblich hohen Preisen von einer strafbaren Treuepflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen ist, jedenfalls teilweise einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
Zwar sei der Ausgangspunkt des Landgerichts noch zutreffend, wonach der Oberbürgermeister bei der Auftragsvergabe an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden sei. Es sei anerkannt, dass ein Verstoß gegen das haushaltsrechtliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eine untreuerelevante Pflichtwidrigkeit darstellen könne.
Seine Ausprägungen seien das Maximalprinzip, wonach mit einem bestimmten Mitteleinsatz das bestmögliche Ergebnis erzielt werden soll, und das Minimalprinzip (auch Sparsamkeitsprinzip), wonach das Ziel mit möglichst geringem Mitteleinsatz zu erreichen sei. Es stelle dabei nur einen äußeren Begrenzungsrahmen des bestehenden Entfaltungs- und Gestaltungsspielraums dar und verhindere nur solche Maßnahmen, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar seien.
Vor diesem Hintergrund verpflichte der Sparsamkeitsgrundsatz nicht zur Kostensenkung um jeden Preis. Der Entscheidungsträger handele auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht etwa stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste (im Sinne des niedrigsten) Angebot(s) wähle. Eine Untreue komme bei derartigen Ermessensentscheidungen vielmehr nur bei einem evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstoß, also dann in Betracht, wenn die Pflichtverletzung gravierend sei.
Gerade bei der Beauftragung einer Detektei durch die öffentliche Hand werde der Auftraggeber angesichts der Ungeregeltheit des Berufsbildes (es gibt weder einen anerkannten Ausbildungsgang, noch eine Berufsordnung, noch eine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung) und der vom Landgericht geschilderten großen Unterschiede zwischen den Detekteien ganz wesentlich auf Faktoren wie Seriosität, Auftreten am Markt, Größe, Dauer des Bestehens, Empfehlungen, Bewertungen und den persönlichen Eindruck abstellen dürfen. Gäbe der öffentliche Auftraggeber diesen Faktoren gegenüber dem Preis den Vorrang, läge ein evidenter und schwerwiegender Pflichtverstoß fern.
Dass der Angeklagte vor der Auftragsvergabe gleichwohl nicht mehrere Angebote vergleichbar seriöser Detekteien eingeholt hat, lässt sein Handeln zwar pflichtwidrig erscheinen. Ein evidenter und schwerwiegender – und in diesem Sinne auch strafbewehrter – Pflichtverstoß im Sinne einer gravierenden Pflichtverletzung sei damit aber angesichts der Besonderheiten der beauftragten Dienstleistung (noch) nicht belegt.
2. Kein Verstoß der Vermögensbetreuungspflicht durch Überschreitung interner Vorgaben
Der BGH sah die Annahme des Landgerichts, der Oberbürgermeister habe seine Vermögensbetreuungspflicht dadurch verletzt, dass er schon bei der Vertragsunterzeichnung mit der Detektei bewusst die 25.000-Euro-Grenze für eigene Auftragsvergaben überschritten habe, als nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung belegt an.
Das Landgericht hatte seine Überzeugungsbildung u.a damit begründet, dass der Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden sei, keine Wiedervorlagefrist habe gefunden werden können und der Vertrag schließlich ca. sechs Wochen durchgeführt worden sei, ohne dass vorher Maßnahmen zur Kostenbegrenzung ergriffen worden seien.
Demgegenüber bemängelte der BGH, das Landgericht habe bei dieser Würdigung gegenläufige Argumente nicht in seine Überzeugungsbildung eingestellt. So habe es insbesondere nicht erkennbar bedacht, dass das Erreichen des Ziels des Vertrages – die beweiskräftige Überführung mehrerer Mitarbeiter – auch weit vor dem tatsächlichen Ende der Überwachung möglich gewesen wäre. Überdies hat die Strafkammer nicht erörtert, dass der Oberbürgermeister bei Vertragsschluss gerade nicht vereinbart hatte, dass die Überwachung ca. sechs Wochen durchgeführt werden sollte.
3. Aber: Untreue durch Unterlassen?
Zunächst hat der BGH festgestellt, dass es ihm verwehrt sei, den Schuldspruch auf durch Unterlassen begangene Untreue umzustellen. Hintergrund ist der Umstand, dass in einem Revisionsverfahren nur Rechtsfragen geklärt werden, es aber dafür weiterer Feststellungen im Sachverhalt bedürfe.
Der BGH sah die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Treuepflichtverletzung durch Unterlassen nach den Feststellungen jedenfalls ab dem Zeitpunkt belegt, an dem die Abschlagszahlung über 100.000 EUR freigegeben wurde. Aufgrund der internen Begrenzung seiner Vergabemöglichkeit auf Aufträge bis 25.000 EUR hätte der Oberbürgermeister entweder den Vertrag von vornherein bis zum Erreichen dieser Summe begrenzen oder durch fortlaufende Nachfrage bei der Detektei sicherstellen müssen, dass die Summe nicht überschritten werde. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts erkannte der Oberbürgermeister spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass der Rahmen eigenständiger Auftragsvergabe weit überschritten worden war. Die ihm obliegende und durch die Geschäftsordnung des Stadtrats der Stadt H. konkretisierte Treuepflicht hätte spätestens in diesem Zeitpunkt gefordert, dass er den Vertrag mit sofortiger Wirkung gekündigt und die Frage einer weitergehenden Beauftragung dem Stadtrat oder dem zuständigen Ausschuss hätte überlassen müssen. Dass der Angeklagte angesichts des seit Jahren bestehenden Verdachts gegen städtische Mitarbeiter insoweit keine Eilkompetenz (vgl. auch § 61 KSVG) in Anspruch nehmen konnte, habe die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt. Eine Kündigung mit sofortiger Wirkung war nach dem Vertrag rechtlich möglich und dem Angeklagten auch ohne Weiteres zumutbar.
Es liege nicht fern, dass durch diese, durch Unterlassen (nämlich die Nichtkündigung des Vertrages) begangene, gravierende Treuepflichtverletzung ein Schaden in voller Höhe der ab diesem Zeitpunkt angefallenen Kosten entstanden sei. In diesem Fall käme es auf die Frage, ob der Oberbürgermeister eine vergleichbar seriöse Detektei zu günstigeren Bedingungen hätte beauftragen können, nicht an.
Hätte der Angeklagte pflichtgemäß spätestens zu diesem Zeitpunkt den Vertrag mit der Detektei mit sofortiger Wirkung gekündigt, wären weitere Kosten vermieden worden (hypothetische Kausalität). Anders wäre es nur, wenn der Stadtrat oder der zuständige Ausschuss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Vertrag zu den vereinbarten Bedingungen bis zum Schluss der Ermittlungen (oder einem ähnlich langen Zeitraum) fortgeführt hätte, die Kosten also ohnehin angefallen wären. Weil dazu das Landgericht bislang – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – keine Feststellungen getroffen hatte, konnte der BGH hierzu auch keine weitergehende Entscheidung treffen.
4. Untreue wegen Wertlosigkeit der Ermittlerarbeit?
Abschließend äußert sich der BGH noch zu einem anderen Grund, warum ein Schaden vorliegen könnte: Die als Gegenleistung für die Zahlungsverpflichtung der ab der Abschlagszahlung erbrachten Dienstleistungen der Detektei könnten für die Stadt H. unter dem Gesichtspunkt des – auch bei der Haushaltsuntreue relevanten – persönlichen Schadenseinschlags ohne kompensierbaren Wert gewesen sein. Dies sei dann der Fall, wenn sie aus Sicht der Stadt aufgrund der konkreten Situation subjektiv wertlos gewesen wären. Dafür könnte etwa sprechen, dass die Grenzen zulässiger Mitarbeiterüberwachung dadurch überschritten worden sein könnten. Rechtswidrige Ermittlungshandlungen seien für eine an Recht und Gesetz gebundene Kommune regelmäßig subjektiv ohne Wert. Dies könnte der Angeklagte womöglich spätestens ab der Abschlagszahlung auch erkannt haben.
Damit ist es nun am Landgericht, unter Beachtung der Ausführungen des BGH neu zu entscheiden.
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IV. Hinweise für die Praxis
Zunächst einmal ist die Feststellung wichtig, dass ein Entscheidungsträger im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht stets pflichtwidrig handelt, wenn er nicht das sparsamste (im Sinne des niedrigsten) Angebot(s) wählt. Beim Unterlassen eines Preisvergleichs oder einer Ausschreibung kommt eine Strafbarkeit nach diesem Urteil nur bei evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstößen in Betracht.
Demnach begründet ein Vergabeverstoß nur in besonders herausragenden Fällen eine Haushaltsuntreue. In wirtschaftlicher Hinsicht muss der geschlossene Vertrag mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens „schlicht unvereinbar sein“.
In der Entscheidung hat der BGH den Blick von dem Schaden durch (vermeintlich) überhöhte Preise auch auf den Vermögensnachteil nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags gerichtet. Diese Konstellation kann vorliegen, wenn der Geschädigte:
- keine Verwendung für die angebotene Leistung zu dem vom Vertrag vorausgesetzten oder einem anderen zumutbaren Zweck hat,
- durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder
- infolge der eingegangenen Verpflichtung in existenzielle Nöte gerät.
Die Messlatte für eine Untreue durch einen bloßen Vergabeverstoß oder – wie hier – dem Unterlassen des Abstellens eines laufenden Verstoßes liegt erkennbar hoch, ist aber gleichwohl abstrakt schwer bestimmbar.
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