Bislang schien die Rechtslage klar: Hat ein Bieter seinem Angebot die eigenen AGB beigefügt, war er zwingend von dem Vergabeverfahren auszuschließen. In seinem jüngsten Beschluss hält der BGH (BGH, Urteil vom 18.06.2019, X ZR 86 / 17) an dieser strengen Auslegung nicht mehr fest. Schon mit der VOB 2009 sei die gesetzliche Grundlage für die Weiterführung der zu älteren VOB ergangenen strengen Rechtsprechung, die vom Gedanken formaler Ordnung geprägt war, namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe, entfallen.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber (öAG) schrieb Tief- und Straßenbauarbeiten EU-weit gem. VOB/A aus.

Zu den im Rahmen des Vergabeverfahrens bereitgestellten Vergabeunterlagen gehörten auch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVB). § 8.2.a) der ZVB bestimmt:

„Die Schlusszahlung erfolgt innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung. …“

Demgegenüber versah die spätere Klägerin ihr Kurztext-Leistungsverzeichnis mit folgendem Hinweis: „Zusatz … zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“.

Der öffentliche Auftraggeber (öAG) schloss das Angebot der Klägerin aus, weil es durch die Einfügung ihrer Zahlungsklausel Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen habe (Ausschlussgrund des § 16 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A 2012). So sah es auch die gerichtliche Vorinstanz, die im Rahmen einer Schadensersatzklage, gerichtet auf das positive Interesse i. H. v. rund 185.000 €, darüber zu entscheiden hatte.

Daraufhin wurde Revision bei dem BGH eingelegt.

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II. Zur Entscheidung

Nach Ansicht des BGH lag der Ausschlussgrund nicht vor. Dies stützte er auf zwei Argumentationsstränge:

1. Jedenfalls kein Ausschluss bei Vorliegen einer „Abwehrklausel“

§ 1 Abs. 1.3 ZVB enthält eine Regelung über den Ausschluss sonstiger Bestimmungen und Regelungen zu den Vertragsbestandteilen. Die Bestimmung lautet:

„Etwaige Vorverträge, unter § 1.2 nicht aufgeführte Unterlagen, Protokolle oder sonstige Korrespondenz im Zusammenhang mit dem Abschluss dieses Vertrages, insbesondere Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen des AN sind nicht Vertragsbestandteil.“

Nach Ansicht des BGH sei diese von der Auftraggeberseite zur Verwendung vorformulierte Regelung im Lichte der Neuregelungen seit der Ausgabe der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen von 2009 zu sehen. Diese dienten dazu, den Ausschluss von Angeboten aus vielfach nur formalen Gründen zu verhindern. Erklärtes Ziel sei es, im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren.

§ 1 Abs. 1.3 ZVB habe Abwehrcharakter und ziele darauf, den Ausschluss solcher Angebote nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A zu vermeiden, denen der Bieter unter anderem eigene Vertragsklauseln, insbesondere Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), beigegeben hat.

Nach Ansicht des BGH läge in Anbetracht der Bindung des öffentlichen Auftraggebers namentlich an die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) aus der maßgeblichen objektiven Sicht der potenziellen Bieter an sich die Annahme fern, die mit den Vergabeunterlagen vom Auftraggeber vorgegebenen Bestimmungen wie etwa die Allgemeinen, Besonderen und Zusätzlichen Vertragsbedingungen oder ähnliche ergänzende Regelungen dürften bieterseitig durch eigene Klauseln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt oder sonst abgewandelt werden.

Füge ein Bieter seinem Angebot in einem Vergabewettbewerb, insbesondere im EU-weiten Verfahren, gleichwohl eigene Allgemeine Geschäftsbedingungen bei, deute das auf ein Missverständnis der Bindungen des öffentlichen Auftraggebers bei der öffentlichen Auftragsvergabe hin. Wenn dem Bieter dies bewusst gewesen wäre, hätte er dieser Geltung aber voraussichtlich von vornherein Rechnung getragen. Die Regelung in § 1 Abs. 1.3 ZVB ermögliche in solchen Fällen, das Angebot in der Wertung zu belassen.

Zur „Korrespondenz“ im Sinne dieser Regelung gehörten entsprechend der stark ausgeprägten Formalisierung des Vergabeverfahrens auch die Angebotsunterlagen selbst. Um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 1 Abs. 1.3 ZVB handele es sich nicht nur bei dem Angebot gesondert beigegebenen Unterlagen, sondern auch bei einer Integrierung entsprechender Klauseln in das Angebot selbst.

Die Regelung in § 1 Abs. 1.3 ZVB sei im Übrigen für beide Seiten bindend. Das ergebe sich aus der geschilderten, für die Vertragsgegenseite erkennbaren Gebundenheit des öffentlichen Auftraggebers an seine eigenen, einheitlich für alle Bieter geltenden Vertragsbedingungen. Die für Konflikte aus der wechselseitigen Einbeziehung kollidierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen im privaten Geschäftsverkehr außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe entwickelten Lösungsmöglichkeiten seien hier nicht einschlägig. Die Auftraggeber hätten deshalb nicht zu befürchten, dass der betreffende Bieter sich im Falle der Auftragsvergabe an ihn während der Vertragsdurchführung mit Erfolg auf die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen könne, oder dass sie im Umfang der Kollision auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen wären.

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass es sich bei dem der Angebotssumme hinzugefügten Hinweis „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ um eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Klägerin handelte.

Damit falle diese von der Klägerin in ihr Angebot eingebrachte Zahlungsmodalität direkt in den Anwendungsbereich der Abwehrklausel in § 1 Abs. 1.3 ZVBBau. Sie konnte als Abweichung von den nach § 1 Abs. 1.2 ZVBBau maßgeblichen Unterlagen und Protokollen nicht Vertragsbestandteil werden. Dementsprechend hätte die Beklagte keinen Anlass gehabt und es bestand kein Raum dafür, das Angebot der Klägerin wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen. Allenfalls hätte sie vorsorglich zur Klarstellung gegenüber der Klägerin auf den Vorrang der für die Schlusszahlung geltenden Klauseln in den Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen hinweisen können.

2. Allgemeine Grundsätze

Der BGH hat den Fall zum Anlass genommen, allgemeine Ausführungen zu machen:

Wie der BGH schon mehrfach ausgeführt habe, sei mit dem Inkrafttreten der VOB 2009 die gesetzliche Grundlage für die zu älteren Ausgaben der VOB/A ergangenen, vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe entfallen.

Der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen sei zwar vom Wortlaut her unverändert geblieben. Die Regelung sei jedoch dem aufgezeigten Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen angepasst auszulegen und anzuwenden. Der Ausschluss des Angebots der Klägerin hätte darauf nicht gestützt werden können.

Einem unvoreingenommenen Auftraggeber müsse sich schon nach Art, Gegenstand und Ort der Anbringung der Zahlungsklausel am Ende des Kurztext-Leistungsverzeichnisses die Möglichkeit aufdrängen, dass ihre Verwendung auf einem Missverständnis über die in Vergabeverfahren einseitige Maßgeblichkeit der vom Auftraggeber vorgegebenen Vergabe- und Vertragsbedingungen beruhe.

Solche und ähnliche Abweichungen von den Vergabeunterlagen hätte der Auftraggeber auch ohne die Klausel in § 1 Abs. 1.3 ZVB oder die Erklärung in § 3 des Angebotsschreibens V05 ohne Verstoß gegen § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A aufklären und das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückführen können. Insoweit sei zu bedenken, dass ohne weiteres ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vorliegt, wenn der Bieter von beigegebenen eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Abstand nimmt. Insoweit lägen solche Fallgestaltungen grundsätzlich anders als bei manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne, die dadurch gekennzeichnet seien, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben werde und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliege.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Praxishinweise

Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich: Der Text in § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A bleibt unverändert, aber die Rechtsfolge ist eine andere. Da sich mit der VOB/A 2009 ein „Wertungswandel“ vollzogen haben soll, dürfe nunmehr bei Zusendung von AGB mit den Angebotsunterlagen jedenfalls in den vorstehend aufgezeigten Grenzen kein Ausschluss mehr erfolgen.

Besonders bemerkenswert ist, dass dieses Urteil im Kontext eines Schadensersatzprozesses ergangen ist. Der Umstand, dass die Vergabestelle den vom BGH vorgenommenen Schwenk in der Auslegung der o.g. Normen nicht antizipiert hat, wirkt hier anspruchsbegründend und kostet den öffentlichen Auftraggeber letztlich ca. 185.000 EURO.

Überdenkenswert in diesem Zusammenhang erscheint jedenfalls ein Aspekt der Argumentation des BGH: Gerade die Folge des Ausschluss bei Beifügen eigener AGB der Bieter soll Hinweis darauf sein, dass der Bieter in Kenntnis des Ausschlusses diese niemals (absichtlich) beigefügt hätte, weswegen die Rechtsfolge des Ausschlusses (vereinfacht gesprochen) unverhältnismäßig sei. Überspitzt ließe sich die Annahme des stets gutgläubigen Bieters auch auf weitere scheinbar rein formaler Streitfragen übertragen: Von weitergehenden Änderungen an den Vergabeunterlagen bis hin zu verfristet eingereichten Angeboten. Auch wenn derartigen Weiterungen bereits aus anderen rechtlichen Erwägungen (noch) nicht anzunehmen sind, ist jedenfalls ein Trend erkennbar, im Zuge dessen die ausgewiesene Formstrenge des Vergaberechts zunehmend erodiert.

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