Das offene Verfahren wird zumeist als einstufiges Verfahren bezeichnet. Explizite Regelungen zur Reduzierung der Anzahl der Bieter bzw. Bewerber im Sinne einer Abschichtung finden sich zwar für die sog. mehrstufigen Verfahren (wie in den Fällen des Teilnahmewettbewerbes oder auch im Verhandlungsverfahren), nicht jedoch für das offene Verfahren.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Eine findige Vergabestelle untergliederte gleichwohl ein offenes Verfahren in mehrere Stufen und nahm dabei eine Abschichtung der Bieter vor; zu Recht, wie die Vergabekammer des Bundes entschieden hat (Beschluss vom 07.05.2019, VK 1 – 17 / 19).
Zum Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren den Abschluss von Rahmenvereinbarungen über eine Laufzeit von vier Jahren in mehreren Losen zur Beschaffung von Schuhen aus.
Die Bewertung der Angebote auf Wirtschaftlichkeit sollte in einem zweistufigen Verfahren erfolgen. In der ersten Stufe sollte eine Kurzerprobung der eingereichten Muster erfolgen, an deren Ende die drei wirtschaftlichsten Angebote je Los ausgewählt werden sollten. Die betreffenden drei Bieter sollten dann aufgefordert werden, weitere Muster einzureichen. In der zweiten Stufe sollten diese Muster dann Gegenstand einer tieferen Erprobung werden. Anhand der Erprobung sollten die Schuhe abschließend bewertet und dann die zwei wirtschaftlichsten Angebote bezuschlagt werden.
Ein Unternehmen rügte das Vergabeverfahren: Mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage sei es vergaberechtswidrig, im Rahmen eines offenen Verfahrens nach erfolgter Bewertung aller eingegangener Angebote drei Bieter zur Übersendung weiterer Muster aufzufordern und nach gesonderter Bewertung zwei Zuschlagskandidaten auszuwählen. Die Anforderung zusätzlicher Muster von einzelnen Bietern sei weder als weitere Aufklärung gem. § 15 Abs. 1 VgV, noch als Abschichtung gem. § 51 Abs. 1 VgV zulässig.
Nachdem die Rüge zurückgewiesen wurde, stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag.
Zulässigkeit der Abschichtung im konkreten Verfahren
Die Vergabekammer hielt die Beanstandung des zweistufigen Wertungsverfahrens für unbegründet.
Zunächst setzte sich die Vergabekammer mit dem Vorwurf auseinander, dass das Wertungsverfahren intransparent sei. Der Bieter behauptete, es sei nicht ersichtlich, unter welchen Umständen ein Angebot nach Durchlaufen der Kurzerprobung noch eine Chance auf den Zuschlag habe und er dementsprechend zur Lieferung weiterer Muster aufgefordert werde.
Der behauptete Transparenzmangel lag nach Ansicht der Vergabekammer allerdings nicht vor. Die relevante Formulierung in den Ausschreibungsunterlagen lautet: „Alle Bieter, die nach der Kurzerprobung noch eine Chance auf Zuschlagserteilung haben, werden zur Lieferung der Muster für die weitere Erprobung und Durchführung der Laborprüfungen aufgefordert.“ Dies sei für sich genommen eindeutig: Soweit ein Bieter nach der Kurzerprobung noch eine theoretische Chance auf den Zuschlag habe, werde er aufgefordert. Dies gelte auch bei Annahme von Extremen. Beispielsweise wenn der Bieter in allen weiteren Prüfungsschritten die bestmöglichen Ergebnisse erzielt und seine Wettbewerber jeweils die schlechtestmöglichen Ergebnisse, wird er auch zur Ablieferung der weiteren Testmuster aufgefordert.
Die Klausel sei damit hinreichend transparent, da sich aus den Unterlagen ergebe, wann ein Angebot nicht mehr für einen Zuschlag in Betracht komme. So enthielten die Informationen zum Vergabeverfahren neben dem wiedergegebenen Hinweis zur Zweistufigkeit die Erläuterung, dass alle Angebote zunächst auf formale Richtigkeit geprüft würden. „Angebote, welche die gemäß Übersicht geforderten Nachweise Abschnitt B Nr. 2 nachzuweisenden Eigenschaften nicht erfüllen, werden ausgeschlossen.“ Nach dieser Maßgabe könne ein Angebot bereits vor Durchführung der Kurzerprobung keine Chance mehr auf den Zuschlag haben.
Ein weiterer Anwendungsfall, in dem ein Angebot nach Durchlaufen der Kurzerprobung keine Chance auf den Zuschlag mehr haben könne, werde im Rahmen der Bewertungsmatrix zu den Fragebögen ausgeführt, die die Probanden der Schuhe im Rahmen der Kurzerprobung (wie auch der weiteren Erprobung) auszufüllen hätten. Damit sei die Prüfung, welche Angebote zur weiteren Erprobung zugelassen würden, nachvollziehbar und transparent, handele es sich doch um sämtliche Angebote, die nicht in einem vorangehenden Prüfungsschritt ausgeschlossen wurden oder aus anderen Gründen keine Chance auf den Zuschlag mehr haben.
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Grundsätzliche Zulässigkeit der Abschichtung im offenen Verfahren
Nach Ansicht des Bieters sähe § 15 Abs. 5 VgV (Aufklärungsgespräch im offenen Verfahren) im Gegensatz zu § 17 Abs. 12 (Bekanntmachung der Abschichtung im Verhandlungsverfahren), § 18 Abs. 6 (Abschichtung im wettbewerblichen Dialog) und § 19 Abs. 5 VgV (Abschichtung im wettbewerblichen Dialog) ein mehrstufiges Verfahren grundsätzlich nicht vor.
Hierzu führte die Vergabekammer aus, dass die zitierten Regelungen, nach denen die Verhandlungen bzw. der Dialog in verschiedenen Phasen abgewickelt werden können, auf den vorliegenden Sachverhalt nicht zuträfen. Sie beträfen Konstellationen, in denen die Bieter in jeder weiteren Runde neue, veränderte Angebote abgeben können. Dies sei im streitgegenständlichen Vergabeverfahren jedoch nicht der Fall. An keiner Stelle der Vergabeunterlagen sei ersichtlich, dass die Bieter ihr ursprüngliches Angebot überarbeiten dürften oder im Rahmen der weiteren Erprobung andere Schuhmodelle einreichen dürften als zur Kurzerprobung.
Die Mehrstufigkeit bestehe hier vielmehr darin, dass nicht von Beginn an sämtliche für eine vollständige Wertung erforderlichen Muster eingereicht werden mussten, sondern nur die für die Kurzerprobung erforderlichen. Diese Vorgehensweise entlaste die Bieter, die nicht bis zum Angebotsabgabetermin schon sämtliche eventuell benötigten Muster angefertigt haben müssen. Gleichzeitig werde auch der Auftraggeber entlastet. Es entspreche dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (§ 97 Abs. 1 GWB), die aufwändige Wertung nur bezüglich solcher Angebote vollständig durchzuführen, die noch eine Aussicht auf den Zuschlag hätten.
Da die zur Teilnahme an der zweiten Wertungsstufe zugelassenen Bieter kein zweites Angebot abgeben, liegt auch kein Verstoß gegen § 51 Abs. 1 VgV vor.
Auch dass im Rahmen der weiteren Erprobung das gleiche Wertungskriterium „Qualität“ geprüft werde wie im Rahmen der Kurzerprobung, stelle keinen Vergaberechtsverstoß dar. Es handele sich, trotz Verwendung des gleichen Fragebogens für die Probanden, nicht um eine Wiederholung der ersten Prüfung, sondern um unterschiedliche Prüfungsverfahren. Im Rahmen der Kurzerprobung werden die Muster über mehrere Tage von wenigen Probanden getragen. Bei der weiteren Erprobung handele es sich um einen Trageversuch über mehrere Wochen mit einer deutlich größeren Anzahl von Probanden und zu bewältigender Einsatzszenarien.
Hinweise für die Praxis
Die erfreuliche Entscheidung zeigt einmal mehr, dass das Vergaberecht einen flexibleren Rahmen bietet, um ein Vergabeverfahren sachgerecht durchzuführen, als vielfach angenommen. Erforderlich sind eine fachlich versierte Vergabestelle und die Bereitschaft, ausgetretene Pfade zu verlassen.
Die aufgezeigte Abschichtung der Bieter ist in beiderseitigem Interesse. Aussichtslose Bieter werden nicht noch weiter im Verfahren gehalten und dadurch belastet. Die Vergabestelle spart Aufwand bei der Betreuung aussichtsloser Bieter und deren Muster.
Zudem ist nicht ersichtlich, warum die aus Sicht des Vergaberechts weniger transparenten Verfahrensarten, für deren Auswahl zu begründende Ausnahmetatbestände erfüllt sein müssen, gegenüber der transparentesten Verfahrensart, dem offenen Verfahren, insoweit privilegiert werden sollten.
Insofern erscheint das Vorgehen der Vergabestelle ein guter Ansatz zu sein – auch und gerade im offenen Verfahren.
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