Betrachtet man die aktuellen Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen, ist nach wie vor die (unzulässige) Verlinkung auf die Vergabeunterlagen für die Darstellung der Eignungskriterien im Rahmen der Bekanntmachung ein Dauerbrenner (vgl. auch unseren Beitrag „Eignungskriterien & Co. Verlinkung zulässig?„). Leider finden sich bei einem Blick in die Bekanntmachungsorgane (und insbesondere in die EU-Datenbank TED) immer noch zahlreiche Fälle, in denen vergaberechtlich unzulässig nur eine Verlinkung enthalten ist.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Der Vergabesenat des OLG München (Beschluss vom 25.02.2019, Verg 11/18) hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung noch einmal festgestellt, dass es an einer wirksamen Bekanntmachung der geforderten Eignungskriterien fehlt, wenn in der Auftragsbekanntmachung lediglich pauschal auf die Auftragsunterlagen verwiesen wird. Auch ein Link in der Bekanntmachung, der nur auf eine Plattform der Vergabestelle mit mehreren laufenden Vergabeverfahren führt, ist unzureichend. Die Folgen sind durchaus gravierend: Ein solcher Fehler kann die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Bekanntmachung begründen.
I. Zum Sachverhalt
Im Rahmen eines EU-weiten Verhandlungsverfahrens (SAP-integriertes Veranlagungsfachverfahren für die Stadtkämmerei) wurde der Auftrag bekannt gemacht.
Unter III 1. der Bekanntmachung (Befähigung zur Berufsausübung einschließlich Auflagen hinsichtlich der Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister) wurde hinsichtlich der Eignungskriterien auf die seinerzeit unter dem Link www.muenchen.de/vgst (Stichwort „Modernisierung Steuerfachverfahren“) abrufbaren Auftragsunterlagen verwiesen. Weiter heißt es dort: „Der Link gilt auch für III.1.2 und III.1.3“.
In Ziffer III.1.2 (Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit) und III.1.3 (Technische und berufliche Leistungsfähigkeit) erfolgte hinsichtlich der Eignungskriterien nur ein Verweis auf die Auftragsunterlagen.
Im weiteren Vergabeverfahren kam es zwischen einem Bewerber und der Vergabestelle zum Streit darüber, ob die Eignungskriterien rechtmäßig bekannt gemacht wurden. Letztlich hatte darüber der Vergabesenat des OLG München zu entscheiden.
II. Zur Entscheidung
Eingangs stellte der Vergabesenat, wie vorher auch die Vergabekammer, fest, dass die Eignungskriterien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sind.
Nach Ansicht des Vergabesenats entspricht der Verweis auf die Auftragsunterlagen nicht den Anforderung nach § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB bzw. § 48 Abs. 1 VgV, wonach die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen sind.
In seiner weiteren Begründung setzte sich der Vergabesenat mit den relevanten rechtlichen Bestimmungen auseinander:
III. Zu § 41 VgV
Der Vergabesenat verwies darauf, dass die Vorschrift des § 41 VgV keinen abweichenden Regelungsinhalt enthält. In der Vorschrift sei nur geregelt, dass die Vergabeunterlagen unter einer elektronischen Adresse, die in der Vergabebekanntmachung zu benennen ist, bereit zu stellen seien. Einen darüber hinausgehenden Regelungsinhalt besitze diese Norm nicht, insbesondere werde nicht bestimmt, dass die Bekanntmachung bzw. die Benennung der Eignungskriterien und ihrer Nachweise durch eine Linksetzung auf die Vergabeunterlagen vorgenommen werden dürften (unter explizitem Hinweis auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 24/18).
IV. Zu § 124 Abs. 4 S. 2 GWB bzw. § 48 Abs. 1 VgV
Sinn und Zweck der Regelung der § 124 Abs. 4 Satz 2 GWB bzw. § 48 Abs. 1 VgV sei, dass potentielle Bewerber bereits aus der Auftragsbekanntmachung die in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht gestellten Anforderungen ersehen könnten, um anhand dieser Angaben zu entscheiden, ob sie sich an der Ausschreibung beteiligen können und wollen. Nur wenn diese Angaben frei zugänglich und transparent seien, könnten sie diesem Zweck der Auftragsbekanntmachung gerecht werden (unter Verweis auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 24/18).
V. Sonderfall Verlinkung
Zunächst stellte der Vergabesenat klar, dass für eine Verlinkung keine gesetzliche Grundlage bestehe. Vielmehr sei es eine Frage der Auslegung und richterlichen Inhaltsbestimmung des § 122 Abs. 2 GWB, inwieweit dem Erfordernis der Bekanntgabe der Eignungskriterien durch eine Verlinkung unter Beachtung des gesetzlichen Wortlauts und des Zwecks der Regelung Rechnung getragen werden könne. Die Zulassung eines sogenannten Deep-Links stelle eine Erweiterung der Möglichkeiten der Bekanntmachung durch die Rechtsprechung dar. Vorliegend könne aber dahingestellt bleiben, ob eine Linksetzung dem Erfordernis „in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen“ überhaupt gerecht werden könne.
Denn durch die vorgenommene Linksetzung konnte im vorliegenden Fall nicht (einmal) direkt auf die Vergabeunterlagen zugegriffen werden. Der angegebene Link führte den Bewerber zunächst auf eine Vergabeplattform, auf der mehrere laufende Vergabeverfahren im Kontext „EDV“ aufgeführt waren. Der Bieter bzw. Bewerber hätte dann zunächst das maßgebliche Vergabeverfahren finden, im Weiteren dann die Vergabeunterlagen öffnen und aus den einzeln aufgeführten Vergabeunterlagen die Eignungskriterien suchen müssen und erst hiernach die Unterlagen als „ZIP-Datei“ mit den darin enthaltenen Eignungskriterien herunterladen können. Dies stelle einen umständlichen Weg dar, der weder dem Wortlaut, noch dem Sinn und Zweck der Vorschriften entspreche. Eine derartige Linksetzung sei mit der Vorgabe „Aufführen der Kriterien in der Auftragsbekanntmachung“ nicht mehr vereinbar; auch sei eine schnelle Information durch diese Form der Verlinkung der Antragsgegnerin nicht möglich.
VI. Zum europarechtlichen Hintergrund
Die Vergabestelle war der Ansicht, dass es aufgrund eines Zusammenspiels europarechtlicher Regelungen (Gestaltung des Formblattes in der Durchführungsverordnung 2015/1986 EU und der EDV-mäßigen Umsetzung der europäischen Gesetzgeber) zulässig sei, im Rahmen der Bekanntmachung hinsichtlich der Eignungsanforderungen pauschal auf die Auftragsunterlagen ‑ ggf. mit Angabe einer Internetadresse ‑ zu verweisen. Dies lehnte der Vergabesenat mit folgender Begründung ab:
Die in Rede stehenden nationalen Bekanntmachungsvorschriften beruhten auf einer Umsetzung des Art. 58 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach seien die geforderten Eignungskriterien und Nachweise bereits in der Bekanntmachung anzugeben. Art. 49 der Richtlinie regele, dass die Auftragsbekanntmachung die Informationen nach Anhang V Teil C enthalten und gemäß Artikel 51 veröffentlicht werden müssten.
In dem Anhang seien die aufzuführenden Informationen benannt. So werde unter Ziffer 2 die Angabe einer E-Mail- oder Internet-Adresse gefordert, über die die Auftragsunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und unmittelbar abgerufen werden könnten. Unter Ziffer 11c werde eine Liste und Kurzbeschreibung der die persönliche Lage der Wirtschaftsteilnehmer betreffenden Kriterien, die zu ihrem Ausschluss führen könnten, sowie die Darstellung der Eignungskriterien, etwaige einzuhaltende Mindeststandards und die Angabe der Informationserfordernisse (Eigenerklärungen, Unterlagen) verlangt.
Auch wenn in Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 der Richtlinie 2014/24/EU unter Auftragsunterlagen auch die Bekanntmachung gezählt würde, bedeute dies nicht, dass für die Bekanntmachung der Eignungskriterien die Angabe einer Internet- oder E-Mail-Adresse ausreiche. Für die die Eignungskriterien betreffenden Auftragsunterlagen sei nämlich mit Art. 58 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU und Ziffer 11c des Anhangs eine spezielle Regelung getroffen worden.
Art. 51 der Richtlinie bestimme, dass die Bekanntmachungen in Form von Standardformularen zu erfolgen haben und diese Standardformulare von der Kommission im Wege von Durchführungsrechtsakten festgelegt würden. Die Kommission habe von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und mit Durchführungsverordnung vom 10.11.2015 (2015/1986 EU), u.a. gestützt auf die Richtlinie 2014/24/EU in Art. 7, als Anhang 2 ein Standardformular für die Auftragsbekanntmachung veröffentlicht. In den Erwägungsgründen der Verordnung heiße es in Ziffer 1, dass die Bekanntmachungen die Informationen enthalten müssten, die in den genannten Richtlinien festgelegt seien.
VII. Zu den „Tücken“ des elektronischen „Formulars“ der EU
Das Standardformular 2 enthält unter III.1.2 bis 1.3 Felder für die Eintragung betreffend der wirtschaftlichen und finanziellen bzw. technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit. In beiden Angaben besteht neben dem Textfeld eine Auswahlmöglichkeit „Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“, wobei dem Text jeweils ein Kästchen vorangestellt ist, das ggf. mit einen Kreuz versehen werden kann. Die elektronische Umsetzung dieses Formblatts enthält eine Zeichenbegrenzung, sie sperrt außerdem den Eintrag weiterer Angaben, wenn das Kästchen angekreuzt wurde. Eine Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien ist dann nicht mehr möglich. Der Nutzer des Formulars kann also entweder das Textfeld befüllen oder die Auswahl setzen „…gemäß Auftragsunterlagen“.
Vor diesem technischen Hintergrund stellte der Vergabesenat zunächst fest, dass das als Anhang zur Durchführungsverordnung 2015/1986 EU beigefügte Formblatt keinen Hinweis auf eine Zeichenbegrenzung bzw. eine Sperrfunktion bei Ankreuzen des Kästchens enthalte. Die EDV-technische Umsetzung des Formblatts sei eine verwaltungsinterne Angelegenheit, der keinerlei Rechtsqualität zukomme und die auch kein zulässiges Auslegungskriterium darstellen könne. Es verhalte sich vielmehr umgekehrt: Die EDV-technische Umsetzung müsse den vorgegebenen Normen entsprechen, sofern diese unzureichend sei, erhalte nicht die Rechtsnorm einen anderen Inhalt. Vielmehr müsse die technische Umsetzung des Formblattes den rechtlichen Vorgaben der Norm angepasst werden.
Es käme weiter hinzu, dass der Verordnungsgeber ausweislich der Erwägungen zu der Durchführungsverordnung keine inhaltlichen Änderungen der in Richtlinie 2014/24/EU geforderten Informationsvorgaben herbeiführen wollte. Nach Auffassung des Senates könne auch ein verpflichtendes Formblatt, das Bestandteil einer Durchführungsverordnung sei, ohne weitere Ausführungen in der Durchführungsverordnung oder in den Erwägungsgründen keine in der Richtlinie getroffene Regelung abändern oder außer Kraft setzen. Dies gelte umso mehr als der Verordnungsgeber laut Erwägungsgründen keine abweichenden Regelungen treffen wollte.
Noch mehr Vergabewissen von Praktikern für Praktiker erhalten Sie in der cosinex Akademie. Dies sind die anstehenden Seminare von Norbert Dippel:
- 29. Oktober: Der Ausschluss im Vergaberecht »
- 26. November: Neu in der Vergabestelle »
- 3. Dezember: Einführung in das Vergaberecht »
VIII. Der Lösungsweg
Der Vergabesenat griff das Problem der Vergabestelle auf, dass man nicht kumulativ die Eignungskriterien kurz beschreiben und im Übrigen durch Setzen des fraglichen Kreuzes auf die Auftragsunterlagen verweisen könne.
Zunächst stellte er fest, dass nach der EU-Vergaberichtlinie nur eine kurze Beschreibung der Eignungskriterien gefordert werde. Es sei technisch zweifelsfrei möglich, im Fließtext ergänzend eine Internetadresse oder ggfs. E-Mail-Adresse anzugeben und/oder auf weitere Unterlagen Bezug zu nehmen. Damit könne jedenfalls unter Nutzung der Rubrik „…kurze Beschreibung“ ‑ womit gerade keine minutiöse Darstellung der Eignungskriterien und Nachweise gefordert werde ‑ und ggfs. eines Verweises auf die Auftragsunterlagen im Übrigen eine den Anforderungen der § 122 Abs.4 Satz 1 GWB und § 48 Abs.1 VgV genügende Bekanntmachung vorgenommen werden.
Auch werde ein sogenannter Deep-Link für ausreichend gehalten (in Anlehnung an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 24/18). Ausdrücklich verwies der Vergabesenat darauf, dass in der mündlichen Verhandlung über technische Schwierigkeiten bei der Einrichtung eines sog. Deep-Links diskutiert wurde. Letztlich sei er nicht von der Unmöglichkeit der technischen Umsetzung eines solchen Links überzeugt. Hierauf käme es jedoch nicht an, da eine kurze textliche Beschreibung der Kriterien nicht an technischen Problemen scheitern würde.
IX. Anmerkungen für die Praxis
Man kommt nicht mehr daran vorbei: Schon in der Bekanntmachung sind die Eignungskriterien zumindest kurz, aber abschließend zu benennen. Natürlich können in den Vergabeunterlagen diese näher definiert und ausgeführt werden.
Es scheint, als würden am Horizont schon neue Probleme aufziehen: Nämlich die Frage, wann die in dem nach Zeichenanzahl begrenzten Bekanntmachungsfeld verkürzt angegebenen Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen lediglich erläutert bzw. ausgeführt werden und wann eine substantielle, nicht bekannt gemachte Erweiterung vorliegt. Es wird sich erweisen, wie streitanfällig sich die von dem Vergabesenat aufgezeigte Lösung in der Praxis darstellen wird.
Abschließend sei der Hinweis erlaubt, dass entgegen einzelner Ausführungen im Verfahren zum vorgenannten Beschluss selbstverständlich auch in den Textfeldern einer EU-Bekanntmachung eine Internet-Adresse (URL, respektive „Link“) eingegeben werden kann. Ob diese Internet-Adresse aber als direkt anklickbarer und aktiver „Link“ funktioniert, hängt nicht von den Eingaben der Vergabestelle, sondern ausschließlich davon ab, ob die Plattform oder das Bekanntmachungsorgan eine Internet-Adresse auch als einen solchen direkt anklickbaren Link interpretiert und anzeigt.
Damit können sich deutsche Vergabestellen nicht nur nicht auf die Vorgaben der EU-Formulare verlassen, die ja die Angabe eines Links bzw. einer Internet-Adresse ausdrücklich vorsehen, sondern sind auch technisch davon abhängig, wie diese in den Bekanntmachungsorganen (und insbesondere in der EU-Datenbank TED) angezeigt werden.
Die Ausführung des OLG München, dass eine technische Umsetzung der EU-Verfahrensangaben („Formulare“) in den EDV-Lösungen den rechtlichen Vorgaben der Richtlinie und nicht den Standardformularen der EU zu entsprechen habe, ist richtig, verkürzt das Problem aber deutlich. Sie berücksichtigt nicht, dass die Umsetzung der Verfahrensangaben aus den EU-Formularen in E-Vergabelösungen nicht im Ermessen der Softwarehersteller liegt, sondern durch die Vorgaben der EU (und zwar nicht nur im Hinblick auf die „Formulare“, sondern auch durch eine äußerst differenzierte Schnittstellenbeschreibung) bestimmt wird. Genügt eine Bekanntmachung nicht den technischen (!) Vorgaben dieser Schnittstelle, wird sie vom Amt für Veröffentlichungen der EU schlichtweg nicht entgegengenommen und nicht veröffentlicht. Hinzu kommt, dass – wenn keine E-Vergabelösung genutzt wird, sondern die direkte Erfassung bei SIMAP erfolgt – die Umsetzung der EU selbst in ähnlicher Weise und in Bezug auf den konkret behandelten Fall irreführend ist.
Verwandte Beiträge
Bildquelle: BCFC – shutterstock.com