Bisweilen kann der Eindruck entstehen, dass sich neben der rein funktionalen Weiterentwicklung der bestehenden Lösungen einige technische Innovationen der letzten Jahre elegant an der E-Vergabe vorbei geschlichen haben. Ob dem so ist, welche Trends die Weiterentwicklung der E-Vergabe beherrschen und wie ein Blick in eine vielleicht gar nicht so ferne Zukunft aussehen kann, möchten wir in diesem Beitrag nachgehen.

Alle Anbieter werden sich auch in den kommenden Jahren in erheblichem Umfang der Pflege ihrer Lösungen widmen müssen; alleine schon, um ihren Nutzern Anpassungen im Zuge von Rechtsentwicklungen, richterlichen Rechtsfortbildungen, neuen Vergabehandbüchern, Änderungen an der Schnittstelle zum Amt für Veröffentlichungen der EU u.a. zur Verfügung stellen zu können. Hinzu kommen die erforderlichen Entwicklungen, um die technische Basis „à jour“ zu halten. Dabei wird es allerdings nicht bleiben: Vielmehr ergeben sich erkennbar Trends, die die zukünftige (Weiter-)Entwicklung der elektronischen Unterstützung des öffentlichen Auftragswesens ausmachen werden.

Trends in der E-Vergabe

In der aktuellen Entwicklung stechen u.E. fünf Trends heraus, die sicher maßgeblich die nächsten vier bis fünf Jahre Vergabestellen, aber auch uns Lösungsanbieter begleiten werden:

1) E-Vergabe wird Public eProcurement

Die elektronische Kommunikation zwischen Vergabestellen und Bietern etabliert sich nicht zuletzt dank des „sachten“ Drucks der Normgeber in der Praxis. Viele öffentliche Auftraggeber setzen darüber hinaus auf eine Digitalisierung weiterer Prozesse rund um das Öffentliche Auftragswesen. Die Einführung der E-Akte, die Pflicht zur Entgegennahme elektronischer Rechnungen und viele weitere, zum Teil rechtlich vorgegebene, Entwicklungen sind wesentliche Treiber. Auch die weiteren „Schritte“ im öffentlichen Vergabe- und Beschaffungswesen (von der Bedarfserhebung, einer katalogbasierten Abwicklung von Rahmenverträgen bis hin zu einem elektronischen Vertragsmanagement, der E-Rechnung oder am Ende auch das elektronische Bezahlen) stehen im Fokus der Digitalisierung.

Letztlich entspricht der Ansatz, nicht nur die Kommunikation zwischen Vergabestelle und Bieter (also die E-Vergabe im engeren Sinne) zu digitalisieren, sondern alle Phasen des öffentlichen Auftragswesens umfassend entlang ihres Prozesses elektronisch zu unterstützen, auch dem bereits seit über 15 Jahren von der EU und in Projekten wie PEPPOL propagierten Ansatz.

Für einzelne Teilbereiche wie die E-Vergabe (im engeren Sinne) oder die E-Rechnung gibt es klare rechtliche Vorgaben, für andere Bereiche bedeutende Initiativen.

Ein absehbarer Trend ist daher sicher der, dass auch die verbliebenen analogen „Lücken“ entlang der Prozesse geschlossen und damit das Öffentliche Auftragswesen im Sinne eines umfassenden „Public eProcurement“ schrittweise vollständig digitalisiert werden.

Hierauf stellen wir uns im Hinblick auf Schnittstellen und Fragen zur zukünftigen IT-Architektur, aber auch mit Blick auf funktionale Weiterentwicklungen ein.

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2) E-Vergabe im „Anwendungszoo“ – smart integrierbar

Die E-Vergabe – gleich, ob im engeren Sinne, also nur in Form der Nutzung einer E-Vergabeplattform oder auch im weiteren Sinne, mit dem Einsatz eines Vergabemanagementsystems – weist Schnittstellen zu vielen anderen Anwendungsbereichen und damit potentiell auch Drittsystemen auf.

Dabei ist der Betrieb oder auch die Nutzung einer E-Vergabelösung im „Zoo der bestehenden Software-Anwendungen“ das eine; sie sinnvoll in die bestehende Systemlandschaft einzubinden und ggf. auch über Schnittstellen zu integrieren, etwas anderes.

In dem Maße, in dem Angebote und Vergabedokumentation nur noch elektronisch vorliegen und auch die weiteren Bereiche innerhalb der Behörden digitalisiert werden, wird der Druck steigen, diese Lösungen in die bestehenden Systeme zu integrieren. Zwar ist nicht jede denkbare Schnittstelle zur Vermeidung eines Medienbruchs per se auch wirtschaftlich, für viele Anwendungsbereiche wird jedoch eine Verbindung der bestehenden IT-Systeme auch zur E-Vergabe sinnvoll bis zwingend.

Eine solche Einbindung in vorhandene, vor allem aber auch die zukünftige Infrastruktur und Softwarelösungen gelingt nur dann, wenn weitgehend normierte Schnittstellen zwischen den Lösungen bereits im Produktstandard zur Verfügung stehen und nicht jeder öffentliche Auftraggeber jede Schnittstelle zu einem Drittsystem individuell programmieren lassen muss.

Ein gutes Beispiel (etwa für die Verbindung zwischen Vergabemanagementsystemen bzw. der E-Vergabeakte und der klassischen E-Akte bzw. Archivsystemen) ist der sog. CMIS-Standard, der heute bereits mit verhältnismäßig geringem Aufwand die Übergabe der Vergabedokumentation an E-Akten bzw. Dokumentenmanagementsysteme (DMS) erlaubt, soweit auch diese DMS-Systeme den Standard unterstützen. Ein weiteres – und wie wir finden gutes – Beispiel ist unser Vergabemanagementsystem, welches seit der letzten Version inzwischen über vier verschiedene Standard-Schnittstellen verfügt, um unterschiedliche DMS-Lösungen ohne gesonderten Programmieraufwand anzubinden.

3) Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare.

Der wohl eigentlich in Richtung Bürger gedachte Ausspruch des Volksmunds lässt sich ohne weiteres auch auf das Vergabewesen übertragen: Eine Reihe von Vergabehandbüchern und Vordrucksammlungen schaffen aktuell eine Basis für Standards. Dennoch existieren noch zahlreiche vergabestellenindividuelle Vordrucke. Ihre Anzahl wird jedoch abnehmen.

Die Einbindung solcher Vordrucke – meist nur als Ausgabeformat für PDFs oder Ausdrucke – führen häufig zu einem unnötigen Mehraufwand auf allen Seiten. Darüber hinaus verfügen Vergabestellen selten über die erforderlichen Personalressourcen, um quasi „nebenbei“ die eigenen Formulare laufend an die vergaberechtlichen Entwicklungen (auch mit Blick auf die Spruchpraxis der Vergabekammern) anzupassen.

Ein weiterer Aspekt, der dafür spricht, dass die Verbreitung vergabestellenindividueller Formulare in Zukunft abnehmen wird, liegt schlicht in ihrer Funktion: Formulare waren (in analogen Zeiten) eine Hilfestellung, um Informationen (auf Papier) möglichst strukturiert und einheitlich zu erfassen. Diese Aufgabe übernehmen heute die im besten Fall ergonomisch gestalteten Eingabemasken der Softwarelösungen. Formulare quasi nur noch als „Export-Format“ für die Darstellung der zuvor in Software getätigten Eingaben zu nutzen, entspricht nicht ihrem eigentlichen Zweck und dient – außer einem möglicherweise psychologischen Vorteil in Übergangsphasen der Digitalisierung – im Regelfall keinen weitergehenden Nutzen.

Spätestens dann, wenn die (E-)Vergabeakte nicht mehr standardmäßig als PDF-Datei aus dem System generiert und ausgedruckt, sondern in Vergabemanagementsystemen (oder später in einer E-Akte) geführt wird, werden die Formulare im Öffentlichen Auftragswesen kaum noch gefordert sein.

Dies wird nicht bedeuten, dass Vorgaben über Vergabehandbücher zu der Frage, welche Daten wann zu erfassen sind, keinen Sinn mehr ergeben. Die Frage jedoch, wie ein Layout für ein Formular im Sinne einer Datenausgabe gestaltet wird oder ob bestimmte Daten über eine Ankreuzliste oder als Textfeld ausgegeben werden, wird zukünftig fast keine Rolle mehr spielen.

Vorreiter sind hier insb. das Amt für Veröffentlichungen der EU, aber auch die Herausgeber des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB Bund):

  • Seit der Umstellung auf die Veröffentlichungsmuster nach der Reform der Oberschwelle erfolgt keine Ausgabe der Veröffentlichung mehr in der bislang gewohnten „Formularform“.
  • Das VHB Bund geht noch einen Schritt weiter: Laut allgemeiner Richtlinien (100) müssen bei elektronisch generierten Dokumenten zwar alle relevanten Angaben und Regelungen enthalten sein, optisch aber nicht dem VHB Bund entsprechen.

4) Von der E-Vergabe zum Vergabemanagementsystem – Expertensysteme im öffentlichen Einkauf

Parallel zum Scheitern anderer Ansätze im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) erfolgten in den 1960er Jahren die ersten Arbeiten an sogenannten „Expertensystemen“. Expertensysteme (XPS oder auch ES) stellen einen Teilbereich der KI dar und sind Softwarelösungen, die Menschen bei der Lösung komplexerer Probleme „wie ein Experte“ unterstützen sollen, indem sie Handlungsempfehlungen aus einer Wissensbasis ableiten.

Über sogenannte Wenn-Dann-Beziehungen wird menschliches Wissen für Computer verständlich dargestellt. Eine Variante solcher Systeme sind regelbasierte Systeme, die auf Basis von Geschäftsregeln Handlungsempfehlungen geben.

Dies ist genau das, was moderne Vergabemanagementsysteme machen: Auf Grundlage vergaberechtlicher Vorgaben sowie u.a. richterlicher Rechtsfortbildung werden in solchen Vergabemanagementsystemen Geschäftsregeln hinterlegt, mit der die Lösungen Anwender bei der Durchführung von Vergabeverfahren immer umfassender unterstützen sollen. Von der Berechnung von Fristen, Plausibilitätsprüfungen bis hin zur regelbasierten Pflichtdokumentation, Auswahl von Ausnahmetatbeständen und vielem mehr.

Man kann antizipieren, dass diese Entwicklungen weitergehen. Je mehr der Ablauf und die Dokumentation der Vergabe unterstützt oder teilautomatisiert werden, desto mehr Zeit bleibt Vergabestellen, sich um die Aufgaben zu kümmern, die sich auch in absehbarer Zukunft nicht automatisieren lassen: Die Markterkundung, die Erstellung von Leistungsbeschreibungen und Wertungsmatrizen sowie letztlich die Auswahl der Angebote.

Dies ist nur einer von vielen Gründen, weswegen die Anzahl der Vergabestellen in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird, die nicht nur eine E-Vergabeplattform nutzen, sondern ergänzend auch ein Vergabemanagementsystem.

5) Mehr Know-how bei den Lösungs-Anbietern

Je umfassender die Prozesse im öffentlichen Auftragswesen in der Breite und je tiefer in den rechtlichen Details unterstützt werden sollen, desto bedeutender wird die Frage, wie groß das verwaltungs- und insb. das (vergabe-)rechtliche Know-how bei den Lösungsanbietern ist. Je mehr Know-how hier besteht, desto mehr „Intelligenz“ kann in die Expertensysteme einfließen.

Ein zunehmend wichtigeres Differenzierungsmerkmal für die Lösungen selbst, aber auch für einen sicheren Betrieb und die Verfahrensbetreuung wird sein, in welchem Umfang Anbieter bereit oder in der Lage sind, eigenes Know-how aufzubauen.

Neben diesen fünf Trends, die aus Sicht eines Lösungsanbieters sicher ein Stück weit herausragen, gibt es zahlreiche weitere, wie etwa den Aspekt für eine bessere und einfachere Nutzerführung innerhalb der Lösung, den Umgang mit offenen Daten (Open Data) und auch die Frage, wo technisch sinnvollerweise eine „Workflow-Unterstützung“ endet und wo besser kollaborative Ansätze für eine Arbeit von Projekt-Teams zum Einsatz kommen sollten.

Die Zukunft: Siri und Whatsapp in der E-Vergabe?

Die aus unserer Sicht wichtigsten Trends sind sicher die Unterstützung weiterer Teilprozesse im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, aber auch die stärkere Unterstützung der Nutzer in rechtlicher Hinsicht.

Der logisch nächste Schritt ist trotz der zugestandenen Komplexität des Vergaberechts vielleicht nur scheinbar visionär, technisch aber u.U. – zumindest auf eine Perspektive von einigen Jahren – zwangsläufig: Der Einsatz sog. Bot-Technologien, die qua automatisiert geführter, kontextabhängiger Dialoge über den heute bereits bestehenden Umfang der Expertensysteme hinaus Mitarbeiter in Vergabestellen bei Einzelfragen unterstützen.

Innerhalb der GovTech Gruppe, zu der u.a. die cosinex gehört, besteht mit dem GovBot die wohl erste technologische Basis für Bot-Technologien, die sich vornehmlich auf die Anforderungen der öffentlichen Hand in Deutschland fokussiert hat. Die Entwicklung in anderen Anwendungsbereichen wird sorgfältig zu beobachten sein; heute schon ist absehbar, dass es keine zehn Jahre dauern dürfte, bis das Öffentliche Auftragswesen hiervon profitieren wird.

Aber auch über die Grenzen strukturierter Prozesse wird die Digitalisierung Einzug halten. Nicht alles rund um die E-Vergabe lässt sich sinnvoll innerhalb von prozessunterstützenden Systemen abbilden. Wiki-Technologien (etwa zur gemeinsamen Erarbeitung komplexer Leistungsbeschreibungen) oder Instant Messager (um außerhalb von E-Vergabeakten und E-Mails projektabhängig Nachrichten und Informationen auszutauschen) stehen heute schon als bewährte Lösungen innerhalb der GovTech Gruppe zur Verfügung und werden sicher im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens verstärkt Einzug halten.

Es bleibt zu hoffen, dass die durch technische Innovation frei werdenden Ressourcen nicht in erster Linie zur Kostensenkung beitragen, sondern sinnvoll eingesetzt werden, um gewonnene Zeit in die komplexe(re)n Herausforderungen von Vergabeverfahren zu investieren, die sicher auf (sehr) lange Sicht menschlicher Intelligenz bedürfen, wie insbesondere die Markterkundung, die Leistungsbeschreibung und die Wertung der Angebote.

„Hallo Siri, bitte Rathaus ausschreiben“ wird damit noch lange eine – vielleicht auch nicht uneingeschränkt wünschenswerte – Zukunftsvision bleiben.

Bildquelle: Sunny studio shutterstock.com