Rahmenvereinbarungen sind ein probates Mittel, schwankende Bedarfe über einen längeren Zeitraum zu decken. Die Palette der Anwendungsfälle ist dabei denkbar weit: Sie reicht von Bürobedarf über Handwerkerdienstleistungen bis zur Entsorgung gefährlicher Güter. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich auch die Praxis, wonach ein Auftraggeber die Leistung ausschreibt und weitere Stellen als „Abrufberechtigte“ eingetragen werden.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Auch wenn Rahmenverträge aus der Beschaffungspraxis nicht mehr wegzudenken sind, sind sie immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Nunmehr hat der EuGH sich in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Urteil vom 19. Dezember 2018, C-216/17) insbesondere mit den Fragen befasst, ob in der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung das größtmögliche Auftragsvolumen veröffentlicht werden muss und welche Anforderungen an die Benennung der Abrufberechtigten zu stellen sind.
I. Sachverhalt
Eine italienische Vergabestelle schloß 2011 eine Rahmenvereinbarung über Leistungen der Gebäudereinigung und der Abfallentsorgung mit einem Unternehmen. Die Besonderheiten dieses Vertrages lagen unter anderem in der fast zehnjährigen Laufzeit (wobei kein höchstzulässiges Auftragsvolumen benannt war) und in der Tatsache, dass der geplante Vertrag eine besondere Erweiterungsklausel enthielt. Den in dieser Klausel genannten Einrichtungen sollte es gestattet sein, von der Vergabestelle die Erweiterung der Rahmenvereinbarung zu verlangen. Dementsprechend sollte für die Restlaufzeit der Rahmenvereinbarung (zu denselben Bedingungen wie der Rahmenvereinbarung) ein selbständiges Vertragsverhältnis begründet sein, über das die Leistungen abgerufen werden können.
Eine der benannten Einrichtungen beauftragte 2015 Leistungen auf der Grundlage einer Erweiterung der Rahmenvereinbarung, ohne dass ein eigenständiges Vergabeverfahren durchgeführt wurde.
Gegen diese Vereinbarung als vermeintlichen „Abruf“ aus der Rahmenvereinbarung klagten ein konkurrierendes Reinigungsunternehmen sowie die italienische Wettbewerbsbehörde Antitrust.
In der zweiten Instanz legte das Gericht dem EuGH die Fragen zur Zulässigkeit der Auftragserweiterung sowie der mangelnden Höchstbegrenzung des Auftragsvolumens zur Entscheidung vor.
II. Entscheidung zur Auftragserweiterung
Zunächst widmete sich der EuGH der Frage, ob ein öffentlicher Auftraggeber eine Rahmenvereinbarung nur für sich selbst oder auch für andere, aber eindeutig und ausdrücklich genannte, öffentliche Auftraggeber abschließen kann. Der EuGH stellte klar, dass die Effizienz des öffentlichen Beschaffungswesens verbessert werde, indem durch den Rückgriff auf Rahmenverträge Sammelbestellungen bei öffentlichen Aufträgen gefördert werden, um Skaleneffekte zu erzielen. Insoweit sei die Beteiligung mehrerer Auftraggeber an einer Rahmenvereinbarung wünschenswert.
Aus einer Gesamtschau unterschiedlicher Richtlinienregelungen folgerte der EuGH, dass es einem öffentlichen Auftraggeber erlaubt sein soll, anderen öffentlichen Auftraggebern den Zugang zu einer Rahmenvereinbarung zu eröffnen, selbst wenn diese nicht unmittelbar an der Auftragsvergabe beteiligt waren. Es reiche aus, dass solche öffentliche Auftraggeber als potenzielle Nutznießer von Rahmenvereinbarungen spätestens ab dem Zeitpunkt des Abschlusses erschienen. Hierfür müssten sie eindeutig und ausdrücklich in den Ausschreibungsunterlagen genannt werden. Diese Nennung könne entweder in der Rahmenvereinbarung selbst oder in einem anderen Dokument wie etwa einer Erweiterungsklausel in den Verdingungsunterlagen erfolgen. Grundlegend müssten die Anforderungen an die Publizität und die Rechtssicherheit und damit an die Transparenz eingehalten werden.
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III. Entscheidung zur Angabe des größtmöglichen Auftragsvolumens
Der EuGH nahm Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 2004/18 als Ausgangspunkt seiner Erörterung. Demnach habe eine Rahmenvereinbarung zum Ziel, die Bedingungen für die Aufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis und gegebenenfalls die in Anspruch genommene Menge.
Dabei stellte das Gericht fest, dass die Verwendung des Begriffes „gegebenenfalls“ nicht im Sinne einer fakultativen Angabe zu verstehen sei, was der EuGH im Kern mit vier Argumenten belegt.
- Erstens gehe aus verschiedenen Richtlinienbestimmungen hervor, dass die Rahmenvereinbarung von Anbeginn die Höchstmenge der Lieferungen und Dienstleistungen, die Gegenstand der Folgeverträge sein können, bestimmen muss (s. insbes. Art. 9 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18).
- Zweitens müssten bei einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer die auf dieser Rahmenvereinbarung beruhenden Folgeaufträge entsprechend den Bedingungen der Rahmenvereinbarung vergeben werden (Art. 32 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18). Daraus folge, dass Auftragnehmer und Auftraggeber nur bis zu einer bestimmten Menge verpflichtet werden können, und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliere, wenn diese Menge erreicht sei.
- Drittens seien für Rahmenvereinbarungen als öffentliche Aufträge die tragenden Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der daraus folgende Grundsatz der Transparenz anwendbar. Diese seien beeinträchtigt, wenn der öffentliche Auftraggeber die Gesamtmenge, die eine solche Vereinbarung betrifft, nicht angäbe.
- Viertens konkretisiere die Tatsache, dass vom öffentlichen Auftraggeber das größtmögliche Auftragsvolumen schon bei der Bekanntmachung anzugeben sei, das in Art. 32 Abs. 2 Unterabs. 5 der Richtlinie 2004/18 aufgestellte Verbot, Rahmenvereinbarungen missbräuchlich oder in einer Weise anzuwenden, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht werde.
IV. Folgerungen
Die vorstehend beschriebene Entscheidung ist zwar auf Grundlage der damals geltenden „alten“ Vergaberichtlinie ergangen. Sie hat aber auch unter Anwendung der Richtlinie 2014/24/EU Bedeutung, zumal wesentliche Formulierungen inhaltsgleich sind. Insbesondere wird der Begriff „gegebenenfalls“ (in Bezug auf die Angabe des Preises) in Art. 1 Abs. 5 RL 2004/18/EG ebenso wie in Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2014/24/EU verwendet.
V. Hinweise für die Praxis
Auch unter Beachtung der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH sind Rahmenvereinbarungen ein nach wie vor gutes Mittel zur Flexibilisierung der Beschaffung. Zum Teil sind diese sogar ggü. der immer noch weit verbreiteten Praxis, wiederkehrende Bedarfe in div. Aufträge zu splitten, sogar vergaberechtlich, aber auch wirtschaftlich geboten.
Dass das größtmögliche Auftragsvolumen anzugeben ist, ist im Sinne der Transparenz und der Rechtssicherheit aller Beteiligten eigentlich selbstverständlich. Gleiches sollte für einen fest umrissenen Auftragsgegenstand gelten.
Dies sorgt zudem für Handlungssicherheit für die Vergabestelle. Letztlich werden damit auch „Wildwüchse“, wie sie regelmäßig im Zusammenhang mit Rahmenvereinbarungen ‑ nicht zuletzt vom Bundesrechnungshof ‑ gerügt werden, verhindert.
Im Vorfeld eines Vergabeverfahrens ist es ratsam, sich
- die genauen Bezeichnungen der potentiell Abrufberechtigten sowie
- deren prognostizierte Bedarfe
melden zu lassen. Auf dieser Grundlage kann eine transparente Vergabe erfolgen.
Und noch Eines: Wird man als abrufberechtigte Stelle in einer Rahmenvereinbarung geführt, muss die Bedarfsdeckung auch über die Rahmenvereinbarung erfolgen. Denn ein Bedarf für eine Leistung, für die eine Rahmenvereinbarungen besteht, muss auch aus der Rahmenvereinbarung abgerufen und darf nicht anderweitig beschafft werden. Zwar trägt der Bieter bei Verträgen das Risiko, wie viel abgerufen wird, jedoch nicht mehr, ob bei einem Bedarf diese Leistung bei ihm beschafft wird. Auch dies spricht für eine saubere Leistungsabgrenzung.
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