Die Gestaltung von Leistungsbeschreibungen, Kriterienkatalogen und die Angebotswertung für die Ausschreibung von Internet-Auftritten oder Web-Portalen sind häufig vergleichbar komplex der Ausschreibung umfassender Software-Lösungen. Hinzu kommt, dass sich Open Source-Lösungen auch in diesem Bereich beginnen durchzusetzen: Wurden die Internet-Auftritte und Webprojekte im öffentlichen Bereich bis vor fünf Jahren ganz überwiegend auf Basis proprietärer Content Management Systeme (CMS) realisiert, setzen heute immer mehr Behörden und öffentliche Auftraggeber auf freie, d.h. Open-Source-basierte, Lösungen wie WordPress, Drupal & Co.
Das Vorgehen bei der Vergabe solcher Projekte unterscheidet sich je nachdem, ob als CMS eine Open-Source Software oder eine proprietäre Lösungen zur Anwendung kommen soll.
Zwei Vergaben in einer?
Bei Einsatz eines proprietären und kostenpflichtigen CMS und der Umsetzung des konkreten Web-Projektes (wie z.B. der Umsetzung eines neuen Internet-Auftritts des Auftraggebers) gibt es zwei grundsätzliche Entscheidungen:
- Welches Content Management System kommt zum Einsatz? und
- Welche Agentur bzw. welcher Dienstleister setzt die konkreten Anforderungen auf Basis dieses CMS um?
Unter proprietärer Software werden allgemein solche Lösungen verstanden, deren Quellcode nicht „Open Source“ gestellt wurde, d.h. bei denen meist umfassende Ausschließlichkeitsrechte des Herstellers bestehen und für die entweder Lizenzkosten und/oder Pflegekosten bei Einsatz der Lösung verlangt werden.
Selbst wenn das Leistungsverzeichnis im Hinblick auf das CMS produktneutral gestaltet wird („der Behörde ist egal, mit welchem Content Management System der Dienstleister die fachlichen Anforderungen umsetzt“), wird mit der Vergabe jedenfalls inzidenter auch eine Entscheidung für das (konkret angebotene) CMS getroffen. Wird die Umsetzung eines proprietären CMS vorgegeben, ist diese Entscheidung bzw. Vorgabe bereits vergaberelevant.
Die Nutzung von Open Source-Lösungen hat im Vergleich dazu nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern ist auch vergaberechtlich privilegiert.
Vorgehen bei der Beschaffung von Open Source-Lösungen
Mangels Entgeltlichkeit im Sinne des § 103 Abs. 1 GWB handelt es sich bei der Beschaffung von Open Source-Software im Regelfall nicht um einen öffentlichen Auftrag. Faktisch wird bei Auswahl einer Open Source-Lösung im Hinblick auf die spätere Projektumsetzung „nur“ eine technische Spezifikation vorgegeben. Eine hieraus resultierende, denkbare Argumentation, dass sich eine unzulässige Einengung des Wettbewerbs ergeben könnte, kommt im Regelfall nicht in Betracht, da der Code quelloffen vorliegt und jedes Unternehmen sich hierüber informieren kann. Ob im Ausnahmefall dennoch eine vergaberechtlich relevante Marktverengung vorliegt, ist anhand der zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers entwickelten Grundsätze aufzulösen. Eine solche Detailbetrachtung empfiehlt sich dann, wenn relativ unbekannte und nicht weit verbreitete Open Source-Lösungen ausgewählt werden.
Beschaffungsgegenstand für die Vergabe solcher Projekte ist dann – anders als bei Einsatz proprietärer Software – nicht (auch) die Beschaffung von Lizenzen, sondern Dienstleistungen, um eine bestimmte zuvor ausgewählte Open Source-Lösungen zu installieren, an die Bedürfnisse bzw. Anforderungen des Auftraggebers anzupassen und weiterzuentwickeln bzw. um das konkrete Webprojekt (wie den neuen Internet-Auftritt der Behörde) umzusetzen.
Dementsprechend weichen auch die Geschäftsmodelle von Anbietern und Dienstleistern rund um solche Lösungen ab, indem diese keine kostenpflichtige Software anbieten, sondern konkrete Dienstleistungen wie Support (Service Level Agreements), Wartung, ggf. Gewährleistung, Anpassungen, Integration, Betrieb, Schulung etc. für die zuvor vom Auftraggeber ausgewählte Open Source-Lösung. Dies vereinfacht auch die Gestaltung der Leistungsbeschreibung, da sich Auftraggeber hier auf ihre individuellen Anforderungen für das konkrete Webprojekt konzentrieren können und nicht zusätzlich die Leistungsanforderungen an das CMS beschreiben müssen. Das zuvor ausgewählte CMS kann so – wie oben bereits erwähnt – als technische Spezifikation vorgegeben werden. Die sachlichen Gründe für die Auswahl der jeweiligen Lösung sollten allerdings vorsorglich in einen Vergabevermerk aufgenommen und somit dokumentiert werden, dass die Auswahlentscheidung auf sachlichen Gründen beruht und damit vom Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt ist.
Im Optimalfall wählt der Auftraggeber daher zunächst im Rahmen einer Vorauswahl die passendste (kostenfrei) Open Source-Lösung aufgrund der Anforderungen der eigenen Infrastruktur und anderer Vorgaben aus und vergibt (förmlich) nur noch die für das jeweilige Projekt erforderlichen Dienstleistungen.
Dies sollte über die rein vergaberechtlichen Aspekte hinaus öffentliche Auftraggeber nicht davon abhalten, mit der gebotenen Sorgfalt die Open Source-Lösung, auf die zukünftig gesetzt werden soll, auszuwählen.
Neben den klassischen Kriterien für die Auswahl einer Softwarelösung (Wie ist der Funktionsumfang? Passt die Lösung in meine Infrastruktur? etc.) gibt es für Open Source-Lösungen besondere Aspekte, auf die geachtet werden sollte:
Größe und Struktur der „Community“
Open Source-Lösungen werden meist durch eine „Community“ entwickelt, an der sich theoretisch jeder beteiligen kann. In der Praxis ist es aber meist ein fester Kern von Entwicklern, der an der Lösung arbeitet.
Dabei werden einige Open Source-Projekte z.T. nur durch wenige Privatpersonen getragen. Verlieren diese die Lust am (freiwilligen) Projekt oder reagieren nicht schnell genug auf erforderliche Anpassungen, kann es rasch dazu kommen, dass die Lösungen veralten oder nicht hinreichend weiterentwickelt werden.
Umgekehrt sind besonders große, internationale Communities und solche, bei denen sich auch Unternehmen aktiv an der Weiterentwicklung der Lösung beteiligen, weil etwa eigene komplementäre Dienstleistungen angeboten oder Open Source-Komponenten in eigenen Lösungen weiterverwendet werden, besonders zukunftsfähig und in diesem Sinne investitionssicher.
Verfügbare Dienstleister
Ein weiterer und mit der Größe der Community sowie dem Verbreitungsgrad der Lösung eingehergehender Aspekt betrifft die Verfügbarkeit von Dienstleistern: Das schönste CMS nützt nichts, wenn es keine (ggf. nationalen) IT-Dienstleister gibt, die ggf. das Hosting übernehmen, die Lösung an die Anforderungen des Auftraggebers anpassen oder weiterentwickeln.
Daher sollte etwa durch eine Markterkundung sichergestellt werden, dass es ausreichend viele Dienstleister gibt, die rund um die präferierte Open Source-Lösung Leistungen wie Hosting, Anpassung und Weiterentwicklung anbieten.
Lösung der GovTech Gruppe – deGov
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse gibt es mit deGov einen Lösungsansatz der publicplan GmbH, die wie cosinex zur GovTech Gruppe gehört. Mit deGov steht seit knapp zwei Jahren die erste auf die Bedürfnisse der öffentlichen Hand in Deutschland ausgerichtete Distribution von Drupal 8 zur Verfügung.
Wesentlicher Vorteil des Ansatzes:
- Technische Basis ist mit Drupal 8 eines der weltweit am weitesten verbreiteten Open Source-basierten CMS-Lösungen mit einer entsprechend großen Community auch in Deutschland.
- Etablierung der ersten speziell auf die öffentliche Hand ausgerichteten Distribution in einer deutschsprachigen Community.
- Breiter Markt an IT-Dienstleistern in Deutschland, die Leistungen rund um Drupal 8 anbieten können.
deGov im Praxiseinsatz
Inzwischen haben sich auch die ersten Landesbehörden und Ministerien für den Einsatz entschieden und sind – wie in NRW – noch einen Schritt weiter gegangen. Mit nrwGOV wird für die Landesverwaltung sogar eine eigene Ausprägung geschaffen: Ein Ziel des E-Government-Gesetzes NRW ist die Bereitstellung von Informationen und elektronischen Verfahren, die zukünftig effizient auf Basis einheitlicher Internetauftritte ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund stellt der CIO des Landes NRW mit nrwGOV ein gemeinsames Landes-Design und ein einheitliches Landes-CMS für die Internetauftritte und Portale aller Landesbehörden und Einrichtungen in NRW bereit, über welche der Wiedererkennungswert der einzelnen Internetauftritte erhöht und ein einheitlicher Auftritt aller Landesbehörden im Internet geschaffen wird. Das Landes-CMS soll zudem als Open Source-Software allen Kommunen in NRW zur Verfügung gestellt werden.
Veranstaltung zu deGov
Am 27. September findet in diesem Jahr zum dritten Mal der Anwendertag „Drupal in der Öffentlichen Hand“ in Düsseldorf statt. Wie im letzten Jahr bietet die Veranstaltung die Gelegenheit, das CMS kennenzulernen und sich über die vielseitigen Funktionen und Anwendungsbereiche zu informieren.
Zudem sind für den Herbst drei deGov-Foren zum Einsatz im Umfeld öffentlicher Web-Auftritte und Portale am 11. Oktober in Berlin, am 18. Oktober in Stuttgart und am 25. Oktober in Wiesbaden geplant. Alle Veranstaltungen sind für Vertreter der öffentlichen Hand kostenfrei. Die Teilnahmegebühr für Vertreter von Unternehmen und Agenturen beträgt rund 940,- €.
Leitfaden
Für komplexere Fälle, wie den Einsatz von Open Source-Komponenten in Individualentwicklungen bzw. bei der Beschaffung verbundener Leistungen, empfiehlt sich ein Blick in die Handreichung der Open Source Business Alliance zur Nutzung der EVB-IT beim Einsatz bzw. der Beschaffung von Open Source-Software. Den Leitfaden finden Sie als PDF-Download unter diesem Link.
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