EU Flaggen

„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen…“ Dieses Zitat des Dichters Matthias Claudius trifft im vergaberechtlichen Kontext sicher insbesondere dann zu, wenn die Reise nach Brüssel zur EU-Kommission führt.

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In der vergangenen Woche fand unter dem Titel „Superpowers of procurement data“ ein zweitägiger Kongress der EU-Kommission und des Amts für Veröffentlichungen der EU rund um den Einsatz freier Daten im Umfeld des Öffentlichen Auftragswesens in Brüssel statt, an dem auf Einladung der Kommission bzw. des Amts für Veröffentlichungen auch Vertreter der cosinex teilgenommen haben. Unser Team hat aus den Vorträgen und Präsentationen eine Reihe von Informationen und Eindrücken mitgenommen, die erahnen lassen, welche Trends und ggf. auch konkreten Entwicklungen sich in den nächsten Jahren abzeichnen aber auch, welche Instrumente im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens in anderen Mitgliedstaaten bereits gelebte Praxis sind.

Dass die im Rahmen des Kongresses aufgezeigten Entwicklungen durch die EU nicht nur beobachtend begleitet werden, machte zu Beginn Nikita Stampa, zuständiger Referatsleiter der Generaldirektion GROW, bereits im Eröffnungsvortrag deutlich: „The Commission is ready to play its part.

Schwerpunkte aus Sicht der Kommission

Zunächst aus der Vogelperspektive wurden die sechs als prioritär eingestuften Bereiche zur Verbesserung des Öffentlichen Auftragswesens vorgestellt.

Hierzu gehören die Ausweitung der strategischen Beschaffung: Nach Erhebungen der Kommission werden rund 55% der Ausschreibungen nach dem günstigsten Preis vergeben. Die Quote soll in Richtung des wirtschaftlichsten Angebots verbessert werden. Darüber hinaus sollen Nachhaltigkeitskriterien, soziale Aspekte und innovative Lösungen viel stärker in die Beschaffung Einzug halten.

Ferner soll die weitere Professionalisierung öffentlicher Auftraggeber nicht nur im Hinblick auf vergaberechtliche Fragen gestärkt werden. Einkaufskooperationen sollen gefördert und der Zugang zu Beschaffungsmärkten allgemein verbessert werden. So werden aktuell nur 45% der Verträge mit kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) geschlossen. Zudem soll die grenzüberschreitende Beschaffung gestärkt werden.

Deutliche Schwerpunkte liegen auch auf der Verbesserung der Transparenz durch die Bereitstellung offener Daten, auf Vertragsregistern sowie auf der weiteren Digitalisierung des Öffentlichen Auftragswesens. So besteht zwar ab Oktober für alle Verfahren oberhalb der Schwellenwerte eine rechtliche Verpflichtung zur ausschließlich elektronischen Kommunikation, echte Vorteile ergeben sich aber aus Sicht der Kommission erst dann, wenn alle Schritte des Prozesses digitalisiert worden sind. Der „Roll-out“ dieser Digitalisierung erfolgt aus Sicht der Kommission noch zu langsam.

Was man sich unter diesen noch relativ unbestimmten Forderungen konkret vorstellen kann, zeigte der weitere Verlauf des Kongresses.

Trends und Anforderungen aus deutscher Sicht

Mit Blick auf die Vorträge und Erfahrungsberichte ließen sich drei Trends ableiten:

1. Open Data

Dass die EU bzw. das zuständige Amt für Veröffentlichungen der EU die Bekanntmachungsinformationen bei EU-weiten Ausschreibungen nicht nur veröffentlicht, sondern auch als strukturierte Daten über das bestehende Open Data Portal zu Verfügung stellt, versteht sich nach heutigem Verständnis fast von selbst. Dass auch die Bekanntmachungsinformationen für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte einheitlich zur Verfügung gestellt werden, scheint nicht nur ein Ziel der EU, sondern ist in vielen Ländern bereits seit Jahren gelebte Praxis.

Auch der Titel der Konferenz zeigt, dass es auf EU-Ebene gar nicht mehr um die Frage geht, ob die Daten zur Verfügung gestellt werden, sondern nur darum, wie diese Daten für öffentliche Auftraggeber, Bewerber aber auch weitere Interessensgruppen nutzbar gemacht werden können. Sei es, um die „Performance“ öffentlicher Auftraggeber zu messen und ihnen damit Hilfestellungen zu geben, um Verbesserungspotentiale abzuleiten oder um für Unternehmen zum Teil mit Hilfe von Ansätzen aus den Bereichen künstlicher Intelligenz (KI) Marktanalysen zu erstellen oder Entwicklungen zu antizipieren und damit allen Stakeholdern Hilfestellungen zu geben.

Das von der EU geförderte Projekt OpenTender greift bereits heute für seine Auswertungen und Analysen in 20 der 28 Mitgliedstaaten für Bekanntmachungen unterhalb der EU-Schwellenwerte auf nationale Datenquellen sowie Daten aus der Schweiz (simap.ch) zurück. Die Auflistung der nationalen Datenquellen insb. für Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte weist allerdings nicht eine einzige deutsche Internet-Adresse aus.

Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Marktes fiel auch in persönlichen Gesprächen am Rande der Veranstaltung der Status quo in Deutschland entsprechend negativ aus. Während in anderen Ländern bereits die „Superkräfte“ der Daten aus dem Bereich des Öffentlichen Auftragswesens genutzt werden, steckt hierzulande die Bereitstellung der Daten noch in den Kinderschuhen.

Wer sich nun fragt, welche Konsequenzen sich für öffentliche Auftraggeber in Deutschland daraus ergeben, sei an die „Zuckerbrot und Peitsche-Strategie“ der EU-Kommission im Hinblick auf die E-Vergabe erinnert: Nachdem die Kommission über viele Jahre die elektronische Kommunikation gefördert und (freiwillige) Ziele gesetzt hat, ist sie schlussendlich mit der letzten Vergaberechtsreform auf die „von oben verordnete“ Verpflichtung geschwenkt. Ob die EU angesichts des allgemeinen Trends zur Digitalisierung bei diesem Thema allerdings einen ähnlichen Langmut vor einem Rückgriff auf regulatorische Maßnahmen an den Tag legt wie bei der E-Vergabe, darf in Frage gestellt werden. Zumal ihr gerade im Hinblick auf die elektronische Kommunikation nach Art. 22 Nr. 7 i.V. mit Art. 87 der Richtlinie (2014/24/EU) die Möglichkeit eingeräumt wurde, delegierte Rechtsakte zu erlassen, ohne die Richtlinie selbst unter Beteiligung von Rat und Parlament ändern zu müssen.

Ähnliches gilt u.U. für den nächsten Trend:

2. Einsatz der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung

Mit der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE, engl.: ESPD) wird neben einer Senkung des Verwaltungsaufwands für öffentliche Auftraggeber wie Bieter insbesondere das Ziel verfolgt, den Binnenmarkt zu stärken und es gerade KMUs einfacher zu machen, sich grenzüberschreitend an Vergabeverfahren zu beteiligen und mit der EEE als vorläufigem Nachweis der Eignung ein Angebot abgeben zu können (vgl. § 50 VgV bzw. die Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 der Kommission).

Während in der Praxis in Deutschland die EEE faktisch keine Rolle spielt, hat sich diese in einigen Mitgliedstaaten bereits etabliert. Ihr Einsatz wird vereinzelt sogar auch unterhalb der Schwellenwerte (etwa in den Niederlanden) verbindlich vorgegeben.

Ob die EEE, wie von der EU in den Erwägungsgründen der Durchführungsverordnung angeführt, tatsächlich geeignet ist, den Binnenmarkt zu stärken, muss wohl gerade mit Blick auf die einzelnen Mitgliedstaaten differenziert bewertet werden: In einem „Markt“ wie Deutschland mit knapp 83 Mio. Einwohnern lässt sich nahezu jeder Bedarf über nationale Lieferanten decken, hinzu kommt, dass viele ausländische Unternehmen mindestens über eigenständige Niederlassungen verfügen und damit als „nationale Anbieter“ in den Statistiken erscheinen. Deutlich anders stellt sich die Situation – auch mit Blick auf eine grenzüberschreitende Bedarfsdeckung – nicht nur in Ländern wie Luxemburg oder Malta (mit weniger als 1 Mio. Einwohnern) dar, sondern auch in mittelgroßen Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden. Vielleicht resultiert auch hieraus die aktuell noch unterschiedliche Bedeutung grenzüberschreitender Angebote und der Möglichkeiten der EEE?

Wie bei der zunächst schleppenden Einführung der E-Vergabe zeichnet sich allerdings auch hier ab, dass die EU nicht zeitlich unbegrenzt auf das bei der EEE ja ohnehin nur eingeschränkt bestehende Prinzip der Freiwilligkeit setzen wird. Somit ist es fraglich, ob man in Deutschland langfristig um den in der EU wohl deutlich verbreiteteren Einsatz der EEE „drum herum“ kommt.

3. Public Contract Registry / Öffentliches Vertragsregister

Ein weiterer, zumindest vergaberechtlich noch nicht gefasster Trend, zielt auf den Aufbau öffentlicher Vertragsregister ab, die über bestehende Auftragsverhältnisse informieren.

Unter einem öffentlichen Vertragsregister werden nationale Datenbanken verstanden, deren Ziel es ist, einen Überblick über möglichst viele/alle von öffentlichen Auftraggebern abgeschlossene Vergabeverfahren bzw. Verträge online verfügbar zu stellen. Die Anforderung an solche „Vertragsregister“ ist, dass diese frei zugänglich, herunterladbar, vollständig und aktuell sind und darüber hinaus im besten Fall die Daten maschinenlesbar und durch Drittsysteme auswertbar vorhalten.

Zum Teil werden die Texte der geschlossenen Verträge veröffentlicht, jedenfalls aber das vereinbarte Auftragsvolumen, das Abschlussdatum, Vertragspartner und die Beschreibung der Waren oder Dienstleistungen in einem einfach zu durchsuchenden und perspektivisch auch auswertbaren Format. Über Suchfunktionen sollen möglichst einfach Verträge mit ähnlichen Eigenschaften gefunden und auf Basis solcher Informationen weiterverarbeitet werden.

Abhängig von der konkreten Ausgestaltung des Registers beinhaltet der Überblick mehr als eine bloße Einsicht in die Vertragsbestandteile: Umfangreichere Register bieten beispielsweise eine Einsicht in die dem Vertrag zu Grunde liegenden Bekanntmachungen, Aufträge oder Beratungen.

Zwar bestehen noch keine einheitlichen vergaberechtlichen Anforderungen seitens der EU zur Einrichtung solcher Vertragsregister für den Ober- geschweige denn den Unterschwellenbereich. Die Informationsfreiheits- und Auskunftsrechte sind in einzelnen Ländern allerdings starke Treiber.

Die Online-Veröffentlichung von detaillierten und regelmäßig aktualisierten Informationen zur öffentlichen Beschaffung wird als eine der Schlüsselkomponenten gesehen. Die Liste der Stakeholder, die aus der zunehmenden Veröffentlichung dieser Informationen einen Nutzen ziehen, reicht von Entscheidungsträgern der Öffentlichen Hand, die die Daten für Benchmarking mit Rückschlüssen für die Evaluierung eigener Beschaffungsprozesse nutzen, über eine Vereinfachung des Erfahrungsaustausches zwischen den Vergabestellen bis hin zu Unternehmen, denen durch die höhere Transparenz der Zugang zum öffentlichen Sektor erleichtert werden soll.

Überarbeitung der EU-Formulare

Seit rund zwei Jahren befinden sich die im Zuge der Oberschwellenreform anzuwendenden „Formulare“ (eForms) der EU im Einsatz. Nachdem die EU sich von klassischen Formularen im Zuge der letzten Vergaberechtsreform verabschiedet hat, gibt sie seit der letzten (großen) Umstellung technische Spezifikationen für die sog. eForms vor, die definieren, welche Daten in welchen Strukturen für die Informationen zu Bekanntmachungen rund um EU-weite Vergaben in den nationalen E-Vergabeplattformen zu erfassen und an das Amt für Veröffentlichungen der EU bzw. SIMAP zu übermitteln sind. Parallel hierzu wird noch eine Erfassung innerhalb des Portals SIMAP über den eigenen Dienst eNotices ermöglicht.

Die für Vergabe zuständige Generaldirektion GROW und das Amt für Veröffentlichungen der EU arbeiten allerdings bereits am nächsten „Major-Release“ zur Überarbeitung der EU-Formulare.

Im Fokus der EU-Kommission stehen dabei inhaltliche wie technische Aspekte. Insbesondere die inhaltlichen Änderungen könnten perspektivisch Vergabestellen auch unmittelbar betreffen und resultieren aus den übergeordneten Zielen der Kommission: Vereinfacht ausgedrückt sollen über die Bekanntmachungen ggf. mehr Daten, diese aber in besseren “Qualitäten“ im Hinblick auf eine strukturierte Weiterverarbeitung, auf diesem Weg erhoben werden. Für Vergabestellen könnte dies bedeuten, dass der Umfang der Daten und insbesondere die in der Bekanntmachung pflichtig anzugebenden Informationen eher zunehmen werden. In diesem Zusammenhang wurde in verschiedenen Vorträgen negativ hervorgehoben, dass nach Erhebungen der EU für nur 40% der zuvor veröffentlichten Bekanntmachungen auch eine Information über vergebene Aufträge erfolgt.

Ein erster Zeitplan für die nächste umfassende Überarbeitung der EU-Formulare steht: In den kommenden Wochen soll die zweite (öffentliche) Konsultation starten. Im Rahmen solcher Konsultationen ermöglicht die EU allen Interessierten und Betroffenen, sich zu informieren, aber auch, Feedback zu den geplanten Regelungen bzw. Änderungen zu geben.

Die ersten technischen Spezifikationen sollen nach aktueller Planung Anfang 2020 vorliegen, eine Umsetzung ist bis Anfang 2022 vorgesehen.

Eine Neufassung der klassischen Vergaberichtlinien wird mit Blick auf die Änderungen nicht erforderlich werden, die neuen Formulare könnten damit auch unabhängig von einer Anpassung des Oberschwellenvergaberechts erfolgen. Was zunächst selbstverständlich klingen mag, ist angesichts der engen Beziehung der erfassten Datenfelder und -strukturen im Hinblick auf die Vorgaben der EU-Vergaberichtlinien durchaus erwähnenswert.

Dessen ungeachtet ist absehbar, dass es bis dahin auch weiterhin laufende Anpassungen an der bestehenden Schnittstellenspezifikation geben wird.