Das Vergaberecht räumt dem öffentlichen Auftraggeber auch bei der Wahl der Eignungskriterien einen umfassenden Festlegungsspielraum ein; schließlich muss der öffentliche Auftraggeber bei der anschließenden Leistungsphase mit dem nach diesen Kriterien ausgewählten Unternehmen zusammenarbeiten, aber, wie beim Leistungsbestimmungsrecht auch (vgl. unseren Beitrag zur aktuellen Entscheidung des OLG München), werden diesem Grenzen gesetzt.

In einem jüngst ergangenen Beschluss hat das OLG Düsseldorf (07.02.2018, VII – Verg 55 / 16) die dabei zu beachtenden Grundsätze und vor allem die Grenzen des Festlegungsspielraumes herausgearbeitet. Auch wenn der zu entscheidende Sachverhalt verhältnismäßig exotisch anmutet, sind die entsprechenden Ausführungen auf alle Beschaffungsvorhaben übertragbar.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Zum Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb den Abschluss von Dienstleistungsverträgen zur Bereitstellung von Notärztinnen und Notärzten für ihren kommunalen Rettungsdienst im Rahmen eines EU-weiten, offenen Verfahrens aus.

In der Leistungsbeschreibung waren detaillierte Voraussetzungen aufgelistet, die die zur Verfügung gestellten Notärztinnen/Notärzte zu erfüllen haben. Unter anderem war eine abgeschlossene Weiterbildung in einem Fach mit engem Bezug zur Intensiv- und Notfallmedizin (Innere Medizin, Chirurgie, Anästhesiologie, Allgemeinmedizin) gefordert.

Daraufhin verlangte eine Bieterin von der Vergabestelle, auch Ärzte mit der Fachkompetenz „Orthopädie und Unfallchirurgie“ zum notärztlichen Dienst zuzulassen. Im Ergebnis lehnte dies die Vergabestelle ab, weil man im Rettungsdienst notärztliche Allrounder benötige. Nach Ansicht der Vergabestelle seien in der präklinischen Notfallmedizin die Kompetenzen/Spezialisierungen der Orthopädie und Unfallchirurgie lediglich von untergeordnetem Nutzen. Außerdem seien in der Vergangenheit entsprechende Notfälle nur sehr selten aufgetreten.

Daraufhin rügte die Bieterin den Ausschluss von Ärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie als sachlich ungerechtfertigt.

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Nach Zurückweisung der Rüge reichte die Bieterin ein Angebot ein, allerdings u.a. unter dem Vorbehalt, dass die Facharztkompetenz „FA für Orthopädie und Unfallchirurgie“ formell anzuerkennen sei. Es wurde darüber hinaus im Angebot durch die Bieterin eine Regelung eingebracht, wonach bei Orthopäden oder Unfallchirurgen eine Art Einzelfallprüfung hinsichtlich der spezifischen Erfahrungen vorgenommen werden soll.

Im weiteren Verlauf stellte die Bieterin einen Nachprüfungsantrag. Ihr Ziel war es, die Vergabestelle zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung ihres Angebots und Einbeziehung von Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie, insbesondere mit der Zusatzweiterbildung „Notfallmedizin“ zu erteilen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag für zulässig, aber unbegründet erachtet. In der Sache hat sie dies mit der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers beim Beschaffungsgegenstand begründet. Die Vergabestelle habe sich – auch aufgrund nachteiliger Erfahrungen in der Vergangenheit – fehler- und willkürfrei dafür entschieden, einen höheren Qualitätsmaßstab an die Qualifikation der Notärzte anzulegen. Außerdem habe die Antragstellerin in zwei Punkten Änderungen an den Ausschreibungsbedingungen angebracht, was zum Ausschluss ihres Angebots führe.

Dagegen wandte sich die Bieterin mit der sofortigen Beschwerde an den Vergabesenat des OLG Düsseldorf.

Zur Entscheidung

Kein Ausschluss: Im Rahmen der Antragsbefugnis hatte sich der Vergabesenat zunächst mit der Frage zu beschäftigen, ob diese nicht ohnehin zu verneinen sei, weil das Angebot der Bieterin zwingend vom Vergabeverfahren aufgrund der vorgenommenen Änderung der Ausschreibungsbedingungen nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 4, 53 Abs. 7 Satz 1 GWB auszuschließen sei. Im Ergebnis wurde die Antragsbefugnis dennoch bejaht. Grund hierfür war das hauptsächliche Begehren der Bieterin, nämlich den allgemeinen Ausschluss von Ärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie abzuändern. Würde ihm stattgegeben und die Ausschreibungsbedingungen abgeändert werden, hätte sie auch darauf vertrauen dürfen, im Wege einer „zweiten Chance“ ein neues, dann vergaberechtskonformes Angebot einreichen zu können.

Kein Ermessen bei Eignungskriterien: Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Eignungskriterien stellte der Vergabesenat zunächst den Rechtsrahmen dar:

Die Vergabestelle habe in der Leistungsbeschreibung der Sache nach die berufliche Leistungsfähigkeit betreffende Eignungsanforderungen gestellt (gem. § 122 Abs. 4 GWB, § 46 Abs. 1 VgV).

Eignungskriterien müssten mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen (§§ 122 Abs. 4, 97 Abs. 1 Satz 2 GWB – Verhältnismäßigkeitsprinzip).

Der öffentliche Auftraggeber könne im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Bewerber oder Bieter über die erforderlichen personellen und technischen Mittel sowie ausreichende Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können. Bei Lieferaufträgen, für die Verlege- oder Installationsarbeiten erforderlich sind, sowie bei Dienstleistungsaufträgen dürfe die berufliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen auch anhand ihrer Fachkunde, Effizienz, Erfahrung und Verlässlichkeit beurteilt werden (§ 46 Abs. 1 VgV).

Bei dem gegebenen Normenbestand unterlägen die vom Auftraggeber aufgestellten Eignungsanforderungen einer dichten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen. Zwar habe der Auftraggeber einen Festlegungsspielraum. Ein Ermessen im Rechtssinn gebe es aber nicht.

Der öffentliche Auftraggeber dürfe diejenigen Eignungsanforderungen stellen,

  • die zur Sicherstellung des Erfüllungsinteresses erforderlich seien,
  • die mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang stünden und
  • die nicht unverhältnismäßig,
  • nicht unangemessen und
  • für Bewerber und Bieter nicht unzumutbar seien.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund zog der Vergabesenat einen Sachverständigen hinzu. Dieser stellte zunächst fest, dass es keinen Facharzt für Notfallmedizin gebe. Im Ergebnis hielt er einen pauschalen Ausschluss von Ärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie vom Notdienst aufgrund seiner Erfahrungen für sachlich ungerechtfertigt. Beim Einsatz von Notärzten sei auf die individuellen Kenntnisse und Erfahrungen abzustellen, die oftmals eine Eignung belegten (oder aber zu einer Verneinung führen könnten). Bestätigt werde dies dadurch, dass zum Beispiel ein Landkreis einen Orthopäden als Leiter des ärztlichen Rettungsdienstes eingestellt habe.

Die Ausführungen des Sachverständigen wurden vom Senat ausdrücklich geteilt. Die von der Vergabestelle aufgestellten Eignungsanforderungen ‑ der generellen Ausschluss von Ärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie ‑ stünden zum Auftragsgegenstand zwar in Verbindung; sie stünden aber zu diesem in keinem angemessenen Verhältnis.

Die Vergabestelle hat sich dagegen verteidigt und darauf hingewiesen, dass sie für eine Einzelfallprüfung der Eignung von Notärzten über keine ausreichenden Ressourcen verfüge. Damit drang sie jedoch nicht durch. Nach Ansicht des Vergabesenats fordere schon das Gebot der Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB), dass vor einem generellen Ausschluss einer bestimmte Ärztegruppe vom Rettungswesen eine Einzelfallprüfung vom öffentlichen Auftraggeber vorgenommen werde. Hierfür sei die Vergabestelle vom Auftraggeber mit den dafür notwendigen personellen und sachlichen Mitteln auszustatten.

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Zum Tenor der Entscheidung

Hinsichtlich des Beschlussinhaltes stellte der Senat zunächst fest, dass er gem. § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB die geeigneten Maßnahmen zu treffen habe, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Er könne aber dem gestellten Antrag der Bieterin, eine Wiederholung der Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin aufzugeben, nicht stattgeben. Denn damit unterläge das Angebot der Antragstellerin weiterhin einem Ausschluss wegen einer Änderung an den Vergabeunterlagen (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV), und zwar zumindest deswegen, weil sie die oben dargestellten Änderungen vorgenommen hat.

Der Senat dürfe aber ebenso wenig in den Entscheidungsspielraum der Vergabestelle eingreifen, wie sie den Rechtsverstoß beheben will. Beispielsweise könne sie dies tun, indem sie die Ausschreibung nunmehr für Orthopäden und Unfallchirurgen öffne. Dabei habe sie sich auch zu entscheiden, ob sie ausschließlich Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie für den Notarztdienst zulassen wolle oder ob diese Anforderung dem zur Verfügung zu stellenden Oberarzt Rettungsdienst vorbehalten bleiben sollte etc. In jedem Fall bedürfe es einer vorherigen Änderung der Ausschreibungsbedingungen, die hinsichtlich der Art und Weise, wie sie ausfallen soll, der Vergabestelle zu überlassen sei.

Im Ergebnis sei somit vom Vergabesenat lediglich eine Untersagung des Zuschlags auf der Grundlage der bestehenden Ausschreibungsbedingungen auszusprechen.

Folgerungen für die Praxis

Ein im Hinblick die Organisation der Vergabestelle wichtiger Nebenaspekt verdient eine genauere Betrachtung: Das Spannungsverhältnis zwischen der in dem vorstehenden Fall erhobenen Forderung nach einer Eignungsprüfung im Einzelfall und den nicht vorhandenen Ressourcen bei der Vergabestelle lässt sich nicht zu Lasten des Bieters auflösen. Den oftmals überlasteten Vergabestellen ist damit der Weg zu einer Verschärfung der Eignungskriterien, um sich Aufwand zu ersparen, verbaut.

Ob die in rechtlicher Hinsicht geforderte arbeitsintensive Einzelfallbetrachtung (nicht nur bezogen auf die Eignungsanforderungen) auch bei der zukünftigen personellen Ausstattung von Vergabestellen Berücksichtigung findet, bleibt abzuwarten.

Der klaren Forderung des OLG, dass der öffentliche Auftraggeber „die Vergabestelle mit den hierfür notwendigen personellen und sachlichen Mitteln auszustatten habe“, ist auch angesichts zu zunehmenden Regelungsdichte und Qualitätsansprüchen an die Arbeit der Vergabestellen uneingeschränkt zuzustimmen.

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