Wie ist bei der Wertung zu verfahren, wenn ein Unternehmen aus dem EU-Ausland zulässigerweise ein Angebot mit 0% Umsatzsteuer abgibt? Muss der entsprechende Umsatzsteuersatz, dem die deutschen Wettbewerber unterliegen, hinzugerechnet werden?
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Hierzu hat die Vergabekammer des Bundes in ihrem Beschluss vom 28.09.2017 (VK 2 – 94 / 17) Stellung genommen und die Regeln zur Chancengleichheit gesorgt.
Zum Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag zur Datenaufbereitung und weiterer Leistungen EU-weit aus. In den Vergabeunterlagen war gefordert, dass die Bieter die Angebotspreise mit dem jeweiligen Umsatzsteuersatz ausweisen sollten.
Der spätere Zuschlagskandidat wies seine Preise mit 0% Umsatzsteuer aus, da er als EU-Ausländer die in Deutschland geltende Umsatzsteuer in Höhe von 19 % nicht in seinem Angebot berücksichtigt hatte.
Die Vergabestelle hat dementsprechend seinen Netto-Preis in die Wertung einbezogen, wogegen bei dem zweitplatzierten Bieter aus Deutschland der Preis inklusive 19% Umsatzsteuer berücksichtigt wurde.
Nachdem der zweitplatzierte Bieter – aus einem anderen Grund – einen Nachprüfungsantrag gestellt hatte, erhielt er von diesem Umstand im Rahmen der Akteneinsicht Kenntnis. Er erweiterte seine Argumentation und forderte den Ausschluss des betreffenden Angebotes wegen Fehlens wesentlicher Preisangaben (§ 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV).
In dem Nachprüfungsverfahren war dementsprechend unter anderem darüber zu entscheiden, ob
- der Zuschlagskandidat bei der Umsatzsteuer 0% angeben und
- bei der Wertung die Umsatzsteuerproblematik von EU-Ausländern außer Betracht bleiben durfte.
Umsatzsteuerlast bei ausländischen Bietern: Das Reverse-Charge-Verfahren
Steuerrechtlicher Hintergrund ist die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft im Sinne des sogenannten Reverse-Charge-Verfahrens.
Nach derzeit geltendem Umsatzsteuerrecht muss der Leistende die Umsatzsteuer an das Finanzamt entrichten. Der Leistungsempfänger kann die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen, sofern er „Unternehmer“ ist und die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sind. Bei der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft geht dagegen bei bestimmten Leistungen die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über. Dies führt zu einer Vereinfachung des Steuerverfahrens für die Finanzbehörden sowie für den Leistenden und dient der Bekämpfung des Steuerbetrugs. Im privatwirtschaftlichen Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis hat auch der Leistungsempfänger Vorteile, da er die an den Leistenden gezahlte Umsatzsteuer nicht bis zur Erstattung durch die Finanzverwaltung vorfinanzieren muss.
Nach § 13b UStG geht bei bestimmten Leistungen die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über (Umkehrung der Steuerschuldnerschaft).
Als wichtigste Folge dieser Regelung darf das leistende Unternehmen (Bieter) dem Kunden (Vergabestelle) den Netto-Preis in Rechnung stellen. Die entsprechende Umsatzsteuer für die Leistung ist von dem Kunden (Vergabestelle) an das Finanzamt zu entrichten. Er kann jedoch, soweit er vorsteuerabzugsberechtigt ist, diese Umsatzsteuer auch selbst wieder als Vorsteuer geltend machen. In letzter Konsequenz besteht hinsichtlich der wirtschaftlichen Belastungswirkungen kein Unterschied zwischen dem Reverse-Charge-Verfahren und der „normalen“ Umsatzsteuer.
Sowohl für die Finanzämter als auch für die Unternehmen werden durch das Reverse-Charge-Verfahren gerade bei grenzüberschreitenden Fällen wesentliche Vereinfachungen erzielt: Ausländische Unternehmen müssen sich nicht an ein deutsches Finanzamt wenden und der deutsche Fiskus kommt nicht in die Gefahr, Steueransprüche im Ausland vollstrecken lassen zu müssen.
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Zur Entscheidung
Die Vergabekammer stellte zunächst fest, dass der erstplatzierte Bieter als ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen bei einer Leistungserbringung im Inland nach § 13b UStG keine Umsatzsteuer vereinnahmt und auch keine Umsatzsteuer an die inländischen Steuerbehörden abzuführen habe. Insoweit sei es richtig gewesen, diesbezüglich „0%“ anzugeben.
Eine Eintragung von 19% Umsatzsteuer wäre sogar falsch gewesen, denn der Zuschlagskandidat wäre aufgrund der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nicht berechtigt, der Vergabestelle 19% Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen. Das Preisblatt mit den dort ausgewiesenen Beträgen definiere den Vertragsinhalt. Es diene aber nicht der Aufklärung der Vergabestelle über die Umsatzsteuer.
Die Angabe der Umsatzsteuer mit 0% auf dem Preisblatt bedeutet aber nicht, dass die Umsatzsteuer nicht doch in der Wertung zu berücksichtigen sei. Schließlich sei im Reverse-Charge-Verfahren die Vergabestelle im Falle der Beauftragung des Zuschlagskandidaten als direkter Steuerschuldner mit der Umsatzsteuer in Höhe von 19% für ebendiese Leistungen belastet. Anders als z.B. im Fall des Umsatzsteuerprivilegs der Deutschen Post AG nach § 4 Nr. 11 lit. b UStG liege also kein Fall der gänzlichen Umsatzsteuerbefreiung vor; es stelle nur eine andere Art der Abwicklung der Umsatzsteuerentrichtung dar. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass der Leistungsempfänger materiell mit der Umsatzsteuer belastet bleibe.
Ein Vergleich der Angebotspreise des zweitplatzierten Bieters (mit 19% Umsatzsteuer) einerseits mit dem Angebot des Zuschlagskandidaten andererseits (0% Umsatzsteuer) sei vor diesem Hintergrund nicht möglich und fehlerhaft. Die Vergabestelle müsse im Vergabeverfahren die tatsächlich zu entrichtende Umsatzsteuer bei der Wertung des Angebots des Zuschlagskandidaten einbeziehen, womit auch die unterschiedliche Umsatzsteuerlast zwischen deutschen und ausländischen Bietern wieder ausgeglichen wird.
Dies wurde unterlassen, womit die ursprüngliche Wertung fehlerhaft gewesen sei.
Hinweise für die Praxis
Auch wenn das EU-Vergaberecht gerade den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr bezweckt, ist die Quote der grenzüberschreitenden Angebote nach wie vor gering. Tritt so ein Fall auf, hat die Entscheidung der Vergabekammer Klarheit hinsichtlich der Behandlung der Umsatzsteuer geschaffen. Entscheidend ist die tatsächliche Belastung der Vergabestelle und damit muss sie in Höhe des jeweiligen Satzes dem Netto-Angebot für die Wertung hinzugerechnet werden.
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