Zentral oder Dezentral? Ist diese Frage überhaupt relevant? Welche Aufgaben sollen zentralisiert werden und wie? Welche Widerstände in den gewachsenen Strukturen sind zu überwinden? Wie mit den sehr unterschiedlichen Bereichen von Bau- vs. Liefer- und Dienstleistungen umgehen und mit welchen Nachteilen sehen sich zentrale Vergabestellen konfrontiert?
Der erste Teil der Beitragsreihe im cosinex-Blog hat sich mit den generellen Aufgaben einer zentralen Vergabestelle beschäftigt. Im zweiten und dritten Teil ging es um die Aufgabenverteilung zwischen Fachbereichen und zentraler Vergabestelle in konkreten Vergabeverfahren. Im vierten Teil werden einige Teilaspekte betrachtet, die nicht nur im kommunalen Umfeld nicht unbedeutend sind.
Die übrigen Teile der Reihe:
- Teil 1: Zentralisierung von Vergabeverfahren
- Teil 2: Aufgaben der zentralen Vergabestelle
- Teil 3: Zusammenarbeit von zentraler Vergabestelle und Fachbereich
- Teil 4: Dokumentation, Signaturen und Schnittstellen
Vergabedokumentation
Auch bei Nutzung der E-Vergabe und einer elektronischen Vergabeakte bleibt es dabei, dass der federführende Fachbereich „Eigentümer“ der Akte ist. Alle beteiligten Bereiche, Fachabteilungen, zentrale Vergabestelle, Rechnungsprüfung, usw. sind allerdings – im Gegensatz zur Papierakte – selbst dafür verantwortlich, dass die verfahrensrelevanten Dokumente in die elektronische Vergabeakte ordnungsgemäß eingestellt werden. Unterlagen von externen Sachverständigen dürfen, auch wenn diese einen durch technische Maßnahmen eingeschränkten Zugang zu der E-Akte haben, nur durch die beauftragende Fachabteilung in die E-Akte übernommen werden.
An dieser Stelle sei auf die diversen Vorschriften zur Dokumentation des Vergabeverfahrens hingewiesen.
VgV: Nach § 8 VgV ist das gesamte Vergabeverfahren incl. sämtlicher, auch interner Unterlagen, Protokolle etc., elektronisch (in Textform nach § 126b BGB) zu dokumentieren.
UVgO: § 6 (1) UVgO beschäftigt sich mit diesem Thema, danach ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend in Textform nach § 126b des BGB zu dokumentieren, sodass die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der Entscheidungen festgehalten werden.
VOB: Der § 20 VOB/A EU macht es sich einfach: „Das Vergabeverfahren ist gemäß § 8 VgV zu dokumentieren“.
Selbst wenn die Vorteile der elektronischen Vergabeakte organisatorisch nicht überzeugen sollten, kommt man dennoch aufgrund der aktuellen Rechtslage nicht daran vorbei, diese anzulegen. Wenn es also ohnehin notwendig ist, dann bitte mit bestmöglicher Unterstützung für die Vergabeprozesse.
Für die Aufbewahrungsfristen gelten die allgemeinen vergaberechtlichen oder sonstigen Regelungen (z. B. bei EU-Fördermittel, usw.). Es ist allerdings sehr zu empfehlen, die elektronische Vergabeakte für diverse Auswertungen (gemeint sind nicht nur Statistiken) über einen längeren Zeitraum zu speichern.
Unterschriften, Signaturen
Im Zusammenhang mit der E-Vergabeakte wird immer wieder die Frage nach der Autorisierung von Dokumenten durch Unterschriften gestellt. Vielfach werden Dokumente ausgedruckt, unterschrieben und wieder eingescannt. Dieser Umweg ist keinesfalls erforderlich, denn – wie oben bereits aufgeführt – ist in der VgV, der UVgO, und auch der VOB/A EU eindeutig geregelt, dass die Dokumentation der Vergabeverfahren „von Beginn an fortlaufend nach § 126b BGB“ (Signatur in Textform) zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass alle Dokumente, die einer Unterschrift bedürfen, rechtlich verbindlich mit der Textsignatur, also dem Namen des Unterzeichners in Textform, versehen werden müssen (da es sich um Dokumente im Innenverhältnis der Behörde handelt, braucht man sich keine Gedanken um die rechtliche Stellung der „Person des Erklärenden“ zu machen, sondern muss davon ausgehen, dass er im Rahmen seiner Zuständigkeit über die notwendige Berechtigung verfügt). Da zusätzlich in der E-Akte dokumentiert werden muss, wer und wann die Dokumente eingestellt oder geändert hat, ist die Verantwortlichkeit jederzeit nachvollziehbar, dazu bedarf es keiner weiteren Umwege.
Arbeitsabläufe und Schnittstellen definieren
Die notwendigen Arbeitsabläufe eines Vergabeverfahrens müssen selbstverständlich bei Einrichtung einer zentralen Vergabestelle und der Einführung von E-Vergabe und E-Vergabeakte genau definiert und dokumentiert werden, daran führt kein Weg vorbei. Allerdings wird es wesentlich leichter, die erforderlichen Schnittstellen auszuarbeiten, denn diese verlieren durch die Arbeit mit der E-Vergabeakte signifikant an Bedeutung. Es ist eben etwas anders, einen Vorgang erst vollständig „übergabereif“ zu bearbeiten, bevor er weitergeleitet wird (was bei der Papierakte unentbehrlich ist, um einen Rattenschwanz an schriftlichen Rückfragen zu verhindern) oder ihn im Dialog mit den Beteiligten zum nächsten Bearbeitungsschritt zu übergeben. Selbst wenn danach noch eine Bearbeitungslücke entdeckt werden sollte, gelingt die Klärung inhaltlich klar und schnell, da alle Beteiligten durch den elektronischen Zugriff auf dem gleichen Informationsstand sind.
Interne Organisation der zentralen Vergabestelle
Zu diesem Thema kann es nur sehr pauschale Hinweise geben, denn hier stellt sich natürlich die Frage nach der Größe der Behörde oder Kommune und der beabsichtigten Aufgabenstellung der zentralen Vergabestelle. Eine solche Vergabestelle kann aus nur einer Person (plus Vertretung und Sicherstellung des Vier-Augen-Prinzips, bei z.B. Submissionen) bestehen oder auch mehrere Dutzend Mitarbeiter/innen umfassen. Egal welche Größenordnung: Es muss gewährleistet sein, dass sie in vergaberechtlichen Fragen unabhängig von Weisungen der Fachbereiche arbeiten kann. Insofern sollte sie in der Verwaltungshierarchie so angesiedelt sein, dass Interessenkonflikte möglichst von neutraler Stelle entschieden werden können.
Den Aufgabenbestand einer zentralen Vergabestelle kann man grob in drei Sektoren einteilen
- Vergaberechtliche Grundsatzfragen
- Beratung in Verfahrensfragen
- Abwicklung der Vergabeverfahren, interner Verfahrenssupport für E-Vergabe,
die auch – bei entsprechender Größenordnung – in der Aufbauorganisation abgebildet sein sollten. Für die vergaberechtlichen Grundsatzfragen sollte auf juristischen Sachverstand zurückgegriffen werden können, idealerweise unmittelbar in der zentralen Vergabestelle. Die Beratung in Verfahrensfragen setzt detaillierte Kenntnisse des Vergaberechts voraus, allerdings ist auch Basisfachwissen (z.B. bei VOB-Verfahren im Baubereich) nützlich.
Der Schwerpunkt der Tätigkeit wird vermutlich bei der Abwicklung der Vergabeverfahren liegen, daher sind für diesen Arbeitsbereich nicht nur klar strukturierte Arbeitsabläufe, sondern auch eine sorgfältige Personalplanung (hinsichtlich Qualität und Quantität) erforderlich, um eine reibungslose Abwicklung sicherzustellen. Hinsichtlich der Personalqualität sei darauf hingewiesen, dass vor der Veröffentlichung der Ausschreibung noch einmal eine sorgfältige vergaberechtliche Prüfung des Vorganges erfolgen sollte.
Interkommunale Zusammenarbeit
Insbesondere für kleine Kommunen bietet es sich an, im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit über die Bildung gemeinsamer Vergabestellen nachzudenken. Eine größere Vergabestelle ist sicher in der Lage, einen guten und umfangreicheren Service anzubieten, der den beschriebenen Anforderungen in vollem Umfang gerecht wird. Zu Zeiten der Papierakte wäre dieser Vorschlag nur schwer umsetzbar, durch die Nutzung der E-Vergabe, insbesondere der elektronischen Vergabeakte, spielt eine räumliche Entfernung ebenso wenig eine Rolle wie befürchtete Zeitverluste. Bedenken hinsichtlich Kompetenzverlusten etc. sind unbegründet, denn die ausschreibende Stelle ist und bleibt die jeweilige Kommune, sie ist Herr des Verfahrens, auch wenn sie während der Veröffentlichung durch die zentrale Vergabestelle vertreten wird. Die zentrale Vergabestelle ist Dienstleister, keine Aufsichts- oder Prüfbehörde oder irgendetwas Ähnliches.
Selbstverständlich müssen die genauen Inhalte und Regelungen für diese Zusammenarbeit unter den Beteiligten festgelegt werden. Soll eine einzelne Kommune diese Vergabestelle bilden, die im Auftrag auch anderer tätig wird? Mit welchen Rechten und Pflichten? Oder wählt man besser eine andere rechtliche Ausgestaltung, z.B. in Form einer juristischen Person als Zweckverband (ZV) oder als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR)? Davon werden die Fragen der Finanzierung und der Refinanzierung stark beeinflusst, aber auch die Einwirkungsmöglichkeiten der beteiligten Kommunen auf diese Vergabestelle. Es kann evtl. auch darüber nachgedacht werden, die Aufgaben z.B. eines bestehenden Zweckverbandes durch Satzungsänderung zu erweitern, das würde die Diskussion einiger Grundsatzfragen und den Gründungsakt ersparen. Zur Finanzierung bieten sich viele Möglichkeiten, von der Personalgestellung über Beiträge bis hin zur Vergütung für einzelne Tätigkeiten oder die Durchführung der Vergabeverfahren.
Schlussbetrachtung – Zentral oder Dezentral?
Im Zusammenhang mit der Einführung der E-Vergabe ist es unerlässlich, einen Reformprozess anzustoßen und alle Vergabeschritte auf Tauglichkeit und Effizienz zu prüfen und sie den neuen technischen und organisatorischen Möglichkeiten anzupassen.
Die Vergabeprozesse brauchen eine sichtbare, spürbare und kontinuierliche Optimierung, die zu einer nachhaltigen Verbesserung führt. Diese Optimierung muss breit angelegt sein und alle Zusammenhänge berücksichtigen. Wichtig ist, dass sich die Vorgesetztenebene bis hin zum Verwaltungsvorstand als Träger der Optimierungsmaßnahmen versteht und entsprechend einbringt.
Ziel muss sein, die Rechtssicherheit der Verfahren zu stärken, die Vergabeprozesse zu beschleunigen und die Prozesskosten nachhaltig zu senken.
Unstrittig ist, dass eine organisatorische Trennung zwischen fachlichen und formalen Aufgaben in der Vergabe durch Einrichtung einer zentralen Vergabestelle
- eine Bündelung von vergaberechtlichem und vergabetechnischem Fachwissen bewirkt,
- die einheitliche Anwendung von Vergaberecht und -verfahren in allen Fachbereichen des Auftraggebers sichert,
- die Einführung der E-Vergabe vereinfacht,
- die Übersicht über alle Verfahren sichert,
- unkoordinierte Mehrfachverfahren vermeidet und damit
- mehr Sicherheit im Ablauf der Vergabeverfahren
ermöglicht. Dadurch wird auch – fast schon als Nebenprodukt – eine erkennbare Verbesserung der Korruptionsprävention durch ein Höchstmaß an Transparenz ermöglicht.
Nach dem bisher Gesagten stellt sich eine berechtigte Nachdenklichkeit ein, ob man über die Frage einer zentralen oder dezentralen Abwicklung der Vergabeverfahren überhaupt ernsthaft streiten sollte. Denn egal aus welcher Perspektive man die Organisation auch betrachtet, die Antwort wird – je nach Phase des Vergabeprozesses – immer „sowohl als auch“ lauten!
Wenn es um die finale Zuständigkeit für die Vergabeverfahren nach außen, d.h. den Bietern gegenüber, geht, muss man allerdings unmissverständlich sagen: „Zentral“. Nur die zentrale Vergabestelle vertritt die auftraggebende Behörde in allen Vergabefragen nach außen, nur sie, sonst niemand. Dies betrifft auch die Zuständigkeit für eventuelle Nachprüfungsverfahren.
Eines muss allerdings allen Beteiligten klar sein und akzeptiert werden:
Eine zentrale Vergabestelle hat – trotz aller Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten – keine originären Aufgaben, sie ist Servicebetrieb für alle Fachbereiche, sowohl hinsichtlich ihrer generellen Aufgaben, als auch der Beteiligung an jedem Vergabeverfahren!
Im Innenverhältnis der Fachbereiche untereinander spielt eine zentrale oder dezentrale Aufgabenzuordnung (sowohl organisatorisch, als auch fachlich) mit den Möglichkeiten der E-Vergabe ohnehin keine Rolle mehr, denn
- die bisherigen, organisationsbedingten Probleme im Zusammenwirken werden aufgelöst,
- Vergabeverfahren sind keine Black Box mehr, denn Transparenz und Übersichtlichkeit werden gewährleistet,
- eine wirksame Steuerung ist möglich und
- auch temporäres Herrschaftswissen hat ausgedient.
Alle am Vergabeverfahren beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich der Vorgesetztenebene und egal ob in den beteiligten Fachbereichen oder der zentralen Vergabestelle
- sind jederzeit vollständig über Inhalt und Fortgang informiert,
- können ihre Fachlichkeit einbringen,
- können ihre Auffassungen für alle sichtbar begründen,
- sehen Entwicklungen oder Entscheidungen anderer unmittelbar,
- können Entscheidungen schnell nachvollziehen oder hinterfragen.
Die sich durch Anwendung der E-Vergabe ergebenden Vorteile in der Zusammenarbeit und die absolute Transparenz der Vergabevorgänge ermöglichen eine ganz andere Kultur der Zusammenarbeit, diese muss allerdings gewollt sein und gelebt werden. Sicher, das geht nicht von einer Stunde zur anderen, das bedarf, neben einer ordentlichen Organisation, einer gewissen Übung und dem Willen zur Zusammenarbeit.
Zum guten Schluss: Stellen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, auch einmal die Frage, ob diese Betrachtungen speziell zu elektronischen Akten – ganz unabhängig von Vergabeverfahren – auch in anderen Prozessen, die eine intensive Zusammenarbeit verschiedener fachlicher Disziplinen erfordert, ein erfolgreiches Modell sein kann, das eine Vielzahl von Schwierigkeiten und Problemen minimiert.
Die übrigen Teile der Reihe:
- Teil 1: Zentralisierung von Vergabeverfahren
- Teil 2: Aufgaben der zentralen Vergabestelle
- Teil 3: Zusammenarbeit von zentraler Vergabestelle und Fachbereich
- Teil 4: Dokumentation, Signaturen und Schnittstellen
Über den Autor
Werner Adams ist Dipl. Verwaltungswirt und Leitender Stadtdirektor a.D.. Er leitete 25 Jahre einige große Ämter der Stadt Köln, so das Schulverwaltungsamt, Wohnungsamt, Grünflächenamt, Amt für Stadtsanierung, das Bezirksamt Innenstadt, aber auch die Organisationsabteilung im damaligen Hauptamt und zuvor das Büro des Stadtdirektors. Zuletzt war er Chef des Zentralen Vergabeamtes.
Seit einigen Jahren unterstützt Hr. Adams Vergabestellen insb. aus dem Bereich der Kommunalverwaltung als Coach und Berater rund um die (Re-)Organisation aber auch zur Einführung der E-Vergabe.
Als Mitherausgeber der im Bundesanzeiger erscheinenden Zeitschrift „VergabeFokus“ betreut er die ständige Rubrik E-Vergabe.
Bildquelle: Julien Eichinger – fotolia.com
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