Ein in Newslettern und verschiedenen Portalen zur Zeit viel beachteter Beschluss der VK Südbayern aus Herbst letzten Jahres (AZ: Z 3-3-3194-1-36-09/16) befasst sich mit der ausgesprochen praxisrelevanten Frage der Informationspflichten beim Einsatz von E-Vergabeplattformen. Im Kern geht es um die Grenzziehung, ob bzw. unter welchen Umständen die Vergabestelle Bieter über Änderungen an den Vergabeunterlagen einer elektronischen Vergabe, die auf einer E-Vergabeplattform bereitgestellt wurden, nochmals per E-Mail informieren muss oder ob die Bieter sich selbst auf der Plattform über etwaige Änderungen informieren müssen.

Der Beschluss zeigt auch, dass – wohl zukünftig verstärkt – eine Bewertung der vergaberechtlichen Aspekte der elektronischen Kommunikation nicht unabhängig von der konkreten Funktionalität der eingesetzten E-Vergabeplattform erfolgen kann.

Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Bauauftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens EU-weit aus. Im weiteren Verlauf änderte die Vergabestelle die am 29.06.2016 erfolgte Bekanntmachung auf der Vergabeplattform mehrfach. Unter anderem sollten nur noch fünf der ehemals acht Leistungsphasen beauftragt werden, woraus sich auch Änderungen bei den Eignungsnachweisen ergaben. Letztmalig änderte die Vergabestelle am 29.07.2016 die Bekanntmachung und verlängerte den Schlusstermin für die Teilnahmeanträge auf den 30.08.2016, 11.30 Uhr.

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Ein Bieter hatte am 28.07.2016 seinen Teilnahmeantrag an die E-Vergabeplattform elektronisch übermittelt. Die später auf der Plattform vorgenommenen Änderungen der Vergabestelle hatte er – mangels Kenntnis – nicht mehr berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 19.09.2016 rügte der Bieter, dass der Auftraggeber sämtliche Bieter informieren müsse, wenn er die Vergabeunterlagen ändere. Es reiche nicht, die geänderten Unterlagen stillschweigend auf der Vergabeplattform einzustellen und darauf zu vertrauen, dass die Bieter schon noch rechtzeitig nachsehen, ob sich womöglich Änderungen ergeben hätten. Der Auftraggeber sei – jedenfalls dann, wenn, wie hier, die Bewerbung bereits online hochgeladen worden sei (28.07.) – verpflichtet, diesen Bieter direkt zu informieren und ihn nicht „ins offene Messer laufen zu lassen“.

Die Vergabestelle wies die Rüge mit Hinweis darauf zurück, dass nach den neuen vergaberechtlichen Vorgaben alle Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt und direkt abrufbar zur Verfügung gestellt werden. Damit begründe sich eine Holschuld des Bewerbers.

Der anschließende Nachprüfungsantrag hatte sich zwischenzeitlich erledigt, sodass die Vergabekammer lediglich im Rahmen der Kostenentscheidung nach dem zu erwartenden Ausgang in der Hauptsache zu entscheiden hatte. Dabei nahm sie eine wichtige Differenzierung vor.

  • Zumindest bei einem registrierten Bieter, der seinen Teilnahmeantrag bereits vor Einstellung der Änderungsmitteilung auf der Plattform hochgeladen hatte und bei dem deshalb die erhöhte Gefahr bestünde, dass er sich nicht erneut auf der Plattform einloggt und die Änderungen zu Kenntnis nimmt, kann nicht von einer „Holschuld“ bzgl. der Änderung von Vergabeunterlagen ausgegangen werden.
  • Nicht registrierte Bieter hingegen könnten (auf der Vergabeplattform) auf Änderungen der Vergabeunterlagen oder Antworten des Auftraggebers auf Bieterfragen schlichtweg nicht hingewiesen werden. Damit läge das Risiko, einen Teilnahmeantrag, eine Interessensbestätigung oder ein Angebot auf Grundlage veralteter Vergabeunterlagen erstellt zu haben, und daher im weiteren Verlauf vom Verfahren ausgeschlossen oder abgewertet zu werden, bei ihnen.

Vorliegend sei die Vergabestelle nach Ansicht der Vergabekammer verpflichtet gewesen, den registrierten Bieter über die Änderung bei den Referenzen zu informieren (bspw. per E-Mail).

Fazit

Die Vergabekammer stützt ihre Differenzierung maßgeblich auf die Begründung der Vergabemodernisierungsverordnung zu § 9 Abs. 3 VgV. Nach dieser müssen (nur) solche Unternehmen sich im Sinne einer „Holschuld“ selbständig informieren (ob z.B. Vergabeunterlagen zwischenzeitlich geändert wurden oder die öffentlichen Auftraggeber Fragen zum Vergabeverfahren beantwortet haben), die von der Möglichkeit der freiwilligen Registrierung keinen Gebrauch machen.

Für die Vergabestelle dürfte diese auf den ersten Blick sachgerechte Entscheidung leider Ausgangspunkt weiterer Fragestellungen sein. Beispielsweise geht die Vergabekammer davon aus, dass der Informationsfluss in Richtung der registrierten Bieter regelmäßig per E-Mail erfolgt. Damit wirft sie weitere Fragen der Beweislast auf, wenn etwa die E-Mail einem Bieter (vorgeblich) nicht oder mit einem veränderten Inhalt zugeht. Gerade dieser Fall war Gegenstand des Beschlusses der VK Bund vom 03.02.2014 (VK Bund 2-1/14). Im Fazit dieses Beschlusses wurde klar, dass der Einsatz von E-Mails, die im Hinblick auf die Vertraulichkeit häufig auch mit „Postkarten“ verglichen werden, für die Kommunikation zumindest im Rahmen förmlicher Vergabeverfahren nicht empfehlenswert sind: Weder ist durch den Absender der Zugang einer E-Mail verlässlich beweisbar, noch der zugegangene Inhalt (Fälschungssicherheit bzw. Integrität der Daten). Auch aus diesem Grund bieten insbesondere E-Vergabeplattformen die Vorteile verbindlicher und für die Vergabestellen beweisbarer Kommunikation.

Wenn nun zwar Änderungen an den Vergabeunterlagen in der E-Vergabeplattform (sicher und nachweisbar) zur Verfügung gestellt werden müssen, eine Benachrichtigung über Änderungen aber zwingend per E-Mail erfolgen muss, wird eines der Ziele bei Einsatz einer qualifizierten E-Vergabeplattform unterlaufen. Mit fortschreitender Anwendung der E-Vergabe wird diese – bereits 2014 von der VK-Bund erstmals beantwortete – Frage wohl demnächst auch im Lichte des neuen Vergaberechts zu entscheiden sein.

Hinweise für die Praxis bei Änderungen an den Vergabeunterlagen

Die meisten qualifizierten E-Vergabeplattformen erlauben es, Nachrichten innerhalb der Plattform von der Vergabestelle an die Bieter je Vergabeverfahren einzustellen und umgekehrt entgegenzunehmen. Der Austausch der eigentlichen Nachrichten erfolgt innerhalb der E-Vergabeplattform. Diese sollte (zumindest als Komfortdienst) den Bewerber per E-Mail darüber informieren, dass eine neue Nachricht in die E-Vergabeplattform eingestellt wurde. Zwar bleibt in solchen Fällen immer noch das objektiv bestehende Problem der (quasi Nicht-)Erweislichkeit des Zugangs, allerdings lässt sich – abhängig von den Einstellungen der Betriebsumgebung – zumindest der erfolgreiche Abgang der E-Mail nachweisen und zwar ohne dass die Vergabestelle selbst E-Mails versenden sollte.

Vergabestellen sollten daher nach Änderungen an den Vergabeunterlagen darauf achten, diese den Bewerbern über eine Kommunikationsfunktion der E-Vergabeplattform mitzuteilen und hierbei solche E-Vergabeplattformen verwenden, die die Bieter über eine innerhalb der Vergabeplattform eingestellte Nachricht nochmals gesondert per E-Mail informiert.

Für den Bieter bzw. Bewerber im Vergabeverfahren ergibt sich somit ein weiterer Grund, sich nicht auf den anonymen Zugriff auf die Vergabeunterlagen zu verlassen, sondern sich zeitnah im Vergabeverfahren auf der betreffenden E-Vergabeplattform zu registrieren und „aktiv“ am Verfahren teilzunehmen, um so laut Beschluss der VK der wohl bestehenden Informationspflicht der Vergabestelle zu entsprechen bzw. die angebotenen Funktionen der E-Vergabeplattform nutzen zu können (soweit die genutzte Plattformen entsprechende Möglichkeiten anbietet).

Den Beschluss der Vergabekammer finden Sie als PDF-Download hier.

Autoren

Norbert Dippel ist seit 2005 Syndikusanwalt bei der HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH und leitet dort die Abteilung Recht und Vergabe. Seine Spezialisierung liegt im Vergaberecht sowie im Vertragsrecht. Erfahrungen auf diesen Gebieten hat er im Rahmen seiner mehrjährigen Tätigkeit in einer auf Vergaberecht spezialisierten Kanzlei sowie bei der cosinex GmbH erworben. Davor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag tätig. Rechtsanwalt Norbert Dippel ist Mitautor verschiedener vergaberechtlicher Kommentare (u.a. Juris-Kommentar zum Vergaberecht und des im Bundesanzwiger erschienenen GWB-Kommentars). Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift Vergabe-Navigator und des im Bundesanzeiger erschienenen VSVgV-Kommentars. Er hatte mehrere Jahre einen Lehrauftrag für europäisches Vergaberecht an einer Fachhochschule inne und hält regelmäßig Seminare zu aktuellen vergaberechtlichen Fragen.

Carsten Klipstein ist Geschäftsführer der cosinex GmbH sowie der DTVP Deutsches Vergabeportal GmbH. Als E-Government-Experte verantwortet er seit über zehn Jahren zudem den privaten Teil der Öffentlich Privaten Partnerschaft d-NRW. Als Projektleiter hat er unterschiedlichste E-Government-Projekte geleitet. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zu den Themen Vergaberecht, E-Government und Verwaltungsmodernisieurng.