In einem mehrteiligen Beitrag von Herrn Michael Wankmüller befassen wir uns mit den anstehenden Änderungen auf Basis der aktuellen Entwürfe der neuen „Vergabeverordnungen“. Im ersten Teil ging es um die Grundsätze der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren auf Grundlage der in der sog. Mantelverordnung zusammengefassten, neuen Vergabeverordnungen (VgV, SektVO und KonzVgV), im zweiten Teil um die Anforderungen an die elektronischen Mittel unter anderem im Hinblick auf Sicherheitsaspekte bzw. Anforderungen an die Sicherheitsniveaus. Der vorliegende dritte Teil befasst sich nun mit dem Grundsatz der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen und insbesondere seinen Ausnahmen.

1. Einführung

Wenn auch landläufig immer wieder von der „verpflichtenden E-Vergabe“ nach den neuen EU-Richtlinien gesprochen wird und damit der Eindruck entsteht, die Wahlfreiheit der Kommunikationsmittel gehöre der Vergangenheit an, so muss man sich doch vor Augen halten, dass die EU-Richtlinien lediglich den Grundsatz der elektronischen Kommunikation regeln, der unter bestimmten Voraussetzungen durchbrochen werden

kann. So gesehen ist der Wechsel von der Wahlfreiheit der Kommunikationsmittel zum Grundsatz der elektronischen Kommunikation weniger dramatisch als vermutet. Fakt ist allerdings, dass künftig, wenn es um die Frage geht, ob und in welchem Umfang auf die elektronische Kommunikation im Vergabeverfahren verzichtet werden kann, geprüft werden muss, ob eine Ausnahme vorliegt, die den Verzicht erlaubt. Diese Prüfung ist nicht trivial, hat doch der europäische Gesetzgeber sehr enge Anforderungen an die Begründung von Ausnahmetatbeständen geknüpft. Auch der im Teil II Kapitel 4 thematisierte Einsatz sog. alternativer elektronischer Mittel bei der Kommunikation macht bei aller Nebulosität der Formulierungen deutlich, dass der Wille zum Durchbruch der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren sehr ausgeprägt ist. Der Hinweis im Grünbuch der EU-Kommission zum Ausbau der e-Beschaffung in der EU zur „Beschleunigung von e-Procurement »mit Zuckerbrot und Peitsche«“ lässt grüßen.1 Der deutsche Verordnungsgeber hat es sich mit der Umsetzung nicht einfach gemacht.

Die Ausnahmetatbestände sind restriktiv und erschöpfend geregelt, für die Zukunft jedoch nicht unbedingt zwingend festgeschrieben. Die Richtlinien übertragen der EU-Kommission nämlich die Befugnis, die Liste der geregelten Ausnahmen durch delegierte Rechtsakte zu ändern, wenn technische Entwicklungen weiter bestehende Ausnahmen von der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel unangemessen erscheinen lassen oder wenn aufgrund technischer Entwicklungen neue Ausnahmen vorgesehen werden müssen.2

In den Rechtsverordnungen finden sich die Ansätze in den Paragraphen, die sich mit dem Bereitstellen der Vergabeunterlagen und der Form und Übermittlung der Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote befassen.3

Der heutige Beitrag befasst sich zunächst mit dem Grundsatz der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen und den geregelten Ausnahmen.

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2. Grundsatz der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen in allen drei Vergabeverordnungen4

Der Grundsatz der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen wird in allen drei Rechtsverordnungen einheitlich geregelt. Die Verordnungsbegründung zu § 17 Abs. 1 KonzVgV weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Umsetzung in der VgV und der SektVO für die KonzVgV Vorbild war.

a) Elektronischer Abruf über die elektronische Adresse des Auftraggebers

Der öffentliche Auftraggeber muss in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung eine elektronische Adresse angeben, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können. Der Konzessionsgeber muss diese Angaben in der Konzessionsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Angebotsabgabe machen.

Die Verordnungsbegründungen gehen an dieser Stelle sehr detailliert auf diese Grundsatzregelung ein. Zusammengefasst handelt es sich im Wesentlichen um folgende Punkte:

  • Die Bestimmung dient der Umsetzung der Artikel 53 Abs. 1 UAbs. 1 VRL, Artikel 73 SRL und Artikel 34 Abs. 1 KVR. Die Verordnungsbegründung zu § 17 KonzVgV verweist wegen des Vorbildcharakters auf die Begründungen in VgV und SektVO.
  • Des Weiteren geht die Verordnungsbegründung auf den Begriff der Vergabeunterlagen im Kontext zur Regelung ein. Die Begründung zu § 41 Abs. 1 VgV nimmt ausdrücklich Bezug auf § 29 VgV der bestimmt, welche Bestandteile die Vergabeunterlagen umfassen. Zu den Vergabeunterlagen gehören sämtliche Unterlagen, die von öffentlichen Auftraggebern erstellt werden oder auf die sie sich beziehen, um Teile des Vergabeverfahrens zu definieren. Sie umfassen alle Angaben, die erforderlich sind, um dem interessierten Unternehmen eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Da die Richtlinien in diesem Zusammenhang nicht von Vergabe- sondern von Auftragsunterlagen sprechen, gehört hierzu auch die Auftragsbekanntmachung.5
  • Unentgeltlich abrufbar sind die Vergabeunterlagen dann,
  • wenn kein an den Vergabeunterlagen Interessierter für das Auffinden, den Empfang und das Anzeigen von Vergabeunterlagen einem öffentlichen Auftraggeber oder einem Unternehmen ein Entgelt entrichten muss.
  • Von dem Merkmal der Unentgeltlichkeit sind sämtliche Funktionen elektronischer Mittel, die nach dem jeweils aktuellen Stand der Technik erforderlich sind, um auf Vergabeunterlagen zuzugreifen, umfasst.
  • Der Unentgeltlichkeit steht nicht entgegen, wenn öffentliche Auftraggeber oder Unternehmen über das Auffinden, den Empfang und das Anzeigen von Vergabeunterlagen sowie die dafür erforderlichen Funktionen elektronischer Mittel hinaus weitere, entgeltpflichtige Dienste anbieten, die zum Beispiel das Auffinden von Bekanntmachungen im Internet erleichtern. Allerdings darf nicht ausgeschlossen werden, dass solche entgeltpflichtigen Dienste auch unentgeltlich angeboten werden.
  • Uneingeschränkt und direkt abrufbar sind die Vergabeunterlagen dann,
  • wenn die Bekanntmachung mit der anzugebenden Internetadresse einen eindeutig und vollständig beschriebenen medienbruchfreien elektronischen Weg zu den Vergabeunterlagen enthält. In der Bekanntmachung sind alle Informationen anzugeben, die es einem Bürger oder einem Unternehmen ohne wesentliche Zwischenschritte und ohne wesentlichen Zeitverlust ermöglichen, mit elektronischen Mitteln an die Vergabeunterlagen zu gelangen.
  • Uneingeschränkt und direkt abrufbar sind Vergabeunterlagen im Rahmen der auf elektronische Mittel gestützten öffentlichen Auftragsvergabe ausschließlich dann, wenn weder interessierte Bürger noch interessierte Unternehmen sich auf einer elektronischen Vergabeplattform mit ihrem Namen, mit einer Benutzerkennung oder mit ihrer E-Mail-Adresse registrieren müssen, bevor sie sich über bekanntgemachte öffentliche Auftragsvergaben informieren oder Vergabeunterlagen Vorabfassung abrufen können. Beides muss interessierten Bürgern oder interessierten Unternehmen ohne vorherige Registrierung möglich sein. Aus dieser Freiheit resultiert allerdings auch die Pflicht zur selbständigen, eigenverantwortlichen Information interessierter Bürger und Unternehmen über etwaige Änderung der Vergabeunterlagen oder die Bereitstellung zusätzlicher Informationen, z.B. durch Antworten des öffentlichen Auftraggebers auf Bieterfragen. Die öffentlichen Auftraggeber müssen solche Änderungen allen Interessierten direkt und uneingeschränkt verfügbar machen. Sie müssen jedoch nicht dafür sorgen, dass sie tatsächlich zur Kenntnis genommen werden (siehe hierzu auch Teil I, Kapitel III Buchst. c).
  • Vollständig abrufbar sind die Vergabeunterlagen dann, wenn über die Internetadresse in der Bekanntmachung sämtliche Vergabeunterlagen und nicht nur Teile derselben abgerufen werden können

Im späteren Verlauf muss bei nicht offenen Verfahren, Innovationspartnerschaften, Verhandlungsverfahren und wettbewerblichen Dialogen nach VgV und SektVO in den Aufforderungen zur Abgabe von Angeboten bzw. zur Teilnahme am Dialog nochmals die elektronische Adresse angegeben werden, unter der die Vergabeunterlagen aus der zuvor veröffentlichten Auftragsbekanntmachung heraus abgerufen wurden.6

b) Vollständige elektronische Verfügbarkeit der Vergabeunterlagen ab dem Tag der Bekanntmachung ?

Die vorgenannte retrospektive Formulierung könnte auch die Antwort auf die gegenwärtig diskutierte Frage liefern, ob – wie in der Verordnungsbegründung zum Kriterium der „Vollständigkeit“ ausgeführt – ab dem Tag der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen bereits vollständig zum Abruf bereitstehen müssen oder ob (nur) der Zugang zu den Vergabeunterlagen vollständig sein muss? So kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass noch Einzelfragen geklärt werden müssen oder die Festlegung der Zuschlagskriterien noch nicht abgeschlossen ist, so dass zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen noch nicht vollständig sind, weil sie den finalen Stand noch nicht erreicht haben. Ein Abwarten mit der Auftragsbekanntmachung bis zur endgültigen Finalisierung der Vergabeunterlagen würde in diesen Fällen zu einer Verzögerung des Beschaffungsvorhabens führen. Insbesondere beim wettbewerblichen Dialog, der ja erst die Ermittlung und Festlegung der Mittel zum Ziel hat, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können, liegt es in der Natur der Sache, dass die Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung noch nicht vollständig sind.

Hintergrund dieser vom Ansatz her sehr frühzeitigen elektronischen Bereitstellung der Auftragsunterlagen dürfte auch in der Absicht liegen, die Verfahren zu beschleunigen und effizienter zu machen, was sich auch in den verkürzten Fristen im Teilnahmewettbewerb niedergeschlagen hat. In diesem Zusammenhang ist auch die elektronische Bereitstellung der Auftragsunterlagen zu sehen, wie es sich auch aus den Erwägungsgründen ergibt. 7

Wenn bisher einige Auftraggeber die Zeit des Teilnahmewettbewerbs genutzt haben, die Vergabeunterlagen erst zu erstellen, müssten sie nach der Verordnungsbegründung diesen Arbeitsschritt vorziehen. Andererseits könnte – wie ausgeführt – das Risiko der Verzögerung durch ein Abwarten mit dem Beginn des Vergabeverfahrens entstehen, so dass sich die als Verfahrensbeschleunigung gedachte Regelung in der Praxis als kontraproduktiv erweisen würde.

Daher machen die Verordnungsbestimmungen unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinienartikel8 nur Sinn, wenn ab dem Tag der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung oder dem Tag der Aufforderung zur Interessenbestätigung die (endgültigen) vollständigen Vergabeunterlagen noch nicht zwingend zur Verfügung stehen müssen, sondern gfl. nur die (jeweils aktuell) dem Auftraggeber vorliegenden und noch nicht finalisierten Vergabeunterlagen. Ausschlaggebend ist, dass aus den frühzeitig zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen so viele Informationen ersichtlich sein müssen, um den Unternehmen eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen. Erst über die Aufforderung zur Abgabe von Angeboten müssen die Vergabeunterlagen für eine verlässliche Angebotskalkulation vollständig sein. Bezüglich der Aufforderung zur Teilnahme am Dialog kann sich dies nur auf den Stand der Vergabeunterlagen beziehen, die zum Zeitpunkt des Beginns der Dialogphase vorliegen und die die Bedürfnisse und Anforderung des öffentlichen Auftraggebers aktuell wiedergeben.9 Die elektronische Verfügbarkeit der endgültigen Vergabeunterlagen wird sichergestellt über die Angabe der elektronischen Adresse in der Angebotsaufforderung, die bereits in der Bekanntmachung die elektronische Verfügbarkeit der damals aktuellen Vergabeunterlage sichergestellt hat. Damit wird auch gewährleistet, dass die Bewerber durch den Zugriff über die elektronische Adresse im Besitz der neuesten und aktuellsten Vergabeunterlagen sind.

Bei Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ergibt sich die Möglichkeit des Abrufs der Vergabeunterlagen mangels Auftragsbekanntmachung erst aus der Aufforderung zur Angebotsabgabe, ohne dass dies ausdrücklich geregelt ist. Dass im Falle von Vorinformationen die Angabe der elektronischen Adresse für den Abruf der Vergabeunterlagen erst in der Aufforderung zur Interessenbestätigung verlangt wird, ist nachvollziehbar, da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorinformation, über einen Zeitraum von längstens 12 Monaten vor der Aufforderung zur Interessenbestätigung, die Vergabeunterlagen noch nicht zur Verfügung stehen dürften. Andererseits beinhaltet Anhang V Teil B. I.2. VRL (Bekanntmachung der Vorinformation) bereits im Bekanntmachungsstadium die Vorgabe zur obligatorischen Angabe der E-Mail- oder Internet-Adresse, über die die Auftragsunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und unmittelbar abgerufen werden können. Danach ist wiederum zu vermuten, dass sich die Vollständigkeit auf die Auftragsunterlagen bezieht und nicht auf den Zugang. In Anbetracht der widersprüchlichen Richtlinienvorgaben zu deren Erhellung auch die Verordnungen nicht wesentlich beitragen, empfiehlt sich der aufgezeigte pragmatische Weg, wohl wissend, dass die Vergabekammern und Gerichte durchaus zu anderen Ergebnissen kommen können.

Wenngleich die Verordnungsbegründungen in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel sprechen, dürfte das Herunterladen der Vergabeunterlagen von der Webseite öffentlicher Auftraggeber als solches bereits heute keine technische Herausforderung mehr darstellen und von daher nicht ungewöhnlich sein. Neu ist, dass diese Möglichkeit nicht mehr in das freie Ermessen der Auftraggeber gestellt ist, sondern grundsätzlich erfolgen muss.

3. Ausnahmen von der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen nach der VgV und der SektVO.10

Die Bestimmungen regeln zunächst einheitlich in VgV und SektVO, dass der öffentliche Auftraggeber die Vergabeunterlagen auf einem anderen geeigneten Weg übermitteln kann, wenn die erforderlichen elektronischen Mittel zum Abruf der Vergabeunterlagen

a) aufgrund der besonderen Art der Auftragsvergabe nicht mit allgemeinverfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sind,

b) Dateiformate zur Beschreibung der Angebote verwenden, die nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Programmen verarbeitet werden können oder die durch andere als kostenlose und allgemein verfügbaren Lizenzen geschützt sind, oder

c) die Verwendung von Bürogeräten voraussetzen, die dem öffentlichen Auftraggeber nicht allgemein zur Verfügung stehen.
Die Angebotsfrist muss in diesen Fällen um 5 Tage verlängert werden, sofern nicht ein Fall hinreichend begründeter Dringlichkeit gem. § 5 Abs. 3, § 16 Abs. 7 oder § 17 Abs. 8 vorliegt.

Die Verordnungsbegründungen führen hierzu aus:

„Es wird klargestellt, dass die Pflicht, die Vergabeunterlagen grundsätzlich mithilfe elektronischer Mittel zur Verfügung zu stellen in den genannten Fällen nicht besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein unentgeltlicher, uneingeschränkter, vollständiger und direkter Zugang zu den Vergabeunterlagen angeboten werden kann. Die Angebotsfrist verlängert sich in diesen Fällen nach Satz 2 allerdings zwingend um fünf Tage. Andere als elektronische Mittel sollen ausschließlich in Bezug auf jene Bestandteile der Vergabeunterlagen verwendet werden, die ausdrücklich zu den in den Nummern 1, 2 und 3 geregelten Fällen zu zählen sind.“

Die Regelung setzt ausweislich der Verordnungsbegründung Artikel 53 Abs. 1 UAbs. 2 in Verbindung mit Artikel 22 Abs. 1 VRL bzw. Artikel 73 Abs. 1 UAbs. 3 in Verbindung mit Artikel 40 Abs. 1 UAbs. 2 SRL um. Die Ausnahmetatbestände in den Richtlinien sind damit identisch mit denen, die die Ausnahmen von der elektronischen Angebotsabgabe bestimmen und in der VgV und der SektVO an anderer Stelle umgesetzt sind.11

Obwohl die Verordnungsbegründung behauptet, dass die Regelung letztlich eine Klarstellung bedeutet, lässt sie offen, um welche Fälle es sich beispielsweise handeln könnte. Der Hinweis, dass dies „insbesondere dann gilt, wenn kein unentgeltlicher, uneingeschränkter, vollständiger und direkter Zugang zu den Vergabeunterlagen angeboten werden kann“, stellt lediglich die gegensätzliche Beschreibung des Normalfalls dar, der in den §§ 41 Abs. 1 VgV, SektVO als Grundsatz geregelt ist. Zur eigentlichen – wenn auch nur teilweisen – Klarstellung bedarf es eines Blicks in die Verordnungsbegründung zu § 53 Abs. 2 VgV und § 43 Abs. 2 SektVO, da – wie bereits ausgeführt – die dort geregelten Ausnahmetatbestände von der elektronischen Angebotsabgabe identisch sind mit denen von der elektronischen Verfügbarkeit der Vergabeunterlagen.

Klarstellend ist allerdings der Hinweis in den Verordnungsbegründungen, dass das Ausweichen auf andere als elektronische Mittel nicht automatisch den gesamten Umfang der Vergabeunterlagen umfasst, sondern nur auf die Bestandteile der Vergabeunterlagen beschränkt werden darf, die ausdrücklich zu den in den Nummern 1, 2 und 3 geregelten Fälle (hier: Buchst. a, b und c) zu zählen sind.

Des Weiteren wird bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung angeben muss, welche Maßnahmen er zum Schutz der Vertraulichkeit von Informationen anwendet und wie in diesen Fällen auf die Vergabeunterlagen zurückgegriffen werden kann.12

Die Verordnungsbegründung führt hierzu aus:

„Es wird klargestellt, dass in Fällen, in denen zwar bei Verwendung allgemein verfügbarer elektronischer Mittel das erforderliche Datenschutz- oder Sicherheitsniveau nicht sichergestellt werden, in denen jedoch die kombinierte Verwendung elektronischer, alternativer elektronischer und/oder anderer als elektronischer Mittel dieses sichern kann, es den öffentlichen Auftraggebern gestattet ist, so zu verfahren. Die Verwendung anderer als elektronischer Mittel ist öffentlichen Auftraggebern nur hinsichtlich des Schutzes besonders sensibler Daten gestattet. Genügt der Rückgriff auf alternative elektronische Mittel, um das nötige Schutzniveau zu sichern, müssen alternative elektronische Mittel genutzt werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die öffentlichen Auftraggeber die Verwendung spezieller, sicherer elektronischer Kommunikationskanäle vorschreiben, zu denen sie den Zugang gewähren.“

Hier werden 3 Szenarien beschrieben, die zum Schutz der Vertraulichkeit von Informationen eingesetzt werden sollen:

i. Datenschutz oder Sicherheitsniveau können nicht durch allgemein verfügbare elektronische Mittel sichergestellt werden.
a) Ausweg: Kombination der Kommunikationsmittel (per Post oder direkt, mit elektronischen incl. alternativen elektronischen Mitteln

ii. Schutz besonders sensibler Daten.
a) Ausweg: per Post oder direkt

iii. Genügt in den Fällen i. und ii. der Rückgriff auf alternative elektronische Mittel zur Gewährleistung des nötigen Sicherheitsniveaus, dann müssen alternative elektronische Mittel beispielsweise durch spezielle sichere Kanäle (s. auch Teil II Kapitel 4 e) genutzt werden.

Ausweislich der Verordnungsbegründungen dienen die Regelungen der Umsetzung der Artikel 53 Abs. 1 UAbs. 3 VRL und 73 Abs. 1 UAbs. 3 SRL. Diese Artikel regeln den Fall, in denen ein unentgeltlicher, uneingeschränkter und vollständiger direkte Zugang zu den Auftragsunterlagen deshalb nicht angeboten werden, weil öffentliche Auftraggeber den Unternehmen Vorgaben machen, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens (den Unternehmen) zur Verfügung stellen. 13 Damit wird ein ganz spezieller Fall des Vertraulichkeitsschutzes beschrieben, in dem der öffentliche Auftraggeber eigene, als vertraulich, geheim oder streng geheim eingestufte Informationen an die Bewerber oder Bieter in einem Vergabeverfahren weiterleitet, weil diese Informationen z.B. für die Angebotsgestaltung oder die weitere Teilnahme am Vergabeverfahren erforderlich sind. In diesem Zusammenhang müssen die öffentlichen Auftraggeber darüber informieren, welches von den o.a. aufgeführten 3 Szenarien für den Zugriff auf die Vergabeunterlagen in Frage kommt. Die vorgenannten Richtlinienartikel sind in §§ 5 Abs. 3 VgV und SektVO umgesetzt. Deren Formulierung stellt allerdings nicht alleine auf den geschilderten speziellen Fall des Vertraulichkeitsschutzes ab, sondern spricht allgemein vom „Schutz der Vertraulichkeit der Informationen im Rahmen des Vergabeverfahrens“. Allerdings weist der Hinweis auf die Abgabe einer Verschwiegenheitserklärung (durch die Bewerber oder Bieter) auf diesen speziellen Fall hin. Beispielhaft könnte es sich hierbei um die Vergabe von Bewachungsleistungen in sicherheitsempfindlichen Liegenschaften handeln, bei denen der öffentliche Auftraggeber eigene als vertraulich oder geheim eingestufte Lagepläne den Bietern oder Bewerbern zur Verfügung stellt und sich bescheinigen lässt, dass diese Informationen vertraulich behandelt werden und Stillschweigen garantiert wird.

4. Ausnahmen von der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen nach der KonzVgV 14

Wenngleich § 17 Abs. 1 KonzVgV nach dem Vorbild der §§ 41 Abs. 1 VgV, SektVO formuliert wurde, ergeben sich Unterschiede bzgl. der Ausnahmetatbestände. Während VgV und SektVO klar zwischen zwei Ausnahmebereichen unterscheidet und zwar

a) Ausnahmen wie in den Fällen des Verzichts auf die Abgabe elektronischer Angebote15 und
b) Ausnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit von Informationen16

regelt § 17 Abs. 2 zusammenhängende Ausnahmetatbestände, die sich aus der Umsetzung des Artikels 34 Abs. 2 KVR ergeben. Hierbei geht es um solche Ausnahmen, die die Übermittlung der Vergabeunterlagen auf einem anderen geeigneten Weg rechtfertigen, wenn aufgrund hinreichend begründeter Umstände

i. aus außergewöhnlichen Sicherheitsgründen oder
ii. technischen Gründen oder
iii. aufgrund der besonderen Sensibilität von Handelsinformationen, die eines sehr hohen Datenschutzniveaus bedürfen,

ein unentgeltlicher, uneingeschränkter und vollständiger elektronischer Zugang nicht angeboten werden kann. Die fehlende Unterscheidung wie in VgV und SektVO ist dem Umstand geschuldet, dass die KVR – im Gegensatz zu den beiden anderen Richtlinien – den Grundsatz der elektronischen Kommunikation nicht vorschreibt und daher auch keine Ausnahmebereiche wie in Artikel 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL bzw. Artikel 40 Abs. 1 UAbs. 2 SRL regelt. Da der deutsche Verordnungsgeber aber in allen drei Verordnungen gleichermaßen den Grundsatz der elektronischen Kommunikation bestimmt, aber für die KonzVgV Ausnahmen für den Verzicht auf die Abgabe elektronischer Angebote gem. Kapitel 4 a) nicht ausdrücklich regelt, fehlt in der KonzVgV diese Unterscheidung. Die Verordnungsbegründung zu § 17 Abs. 2 KonzVgV verweist lediglich darauf, dass die Bestimmung der Umsetzung von Artikel 34 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU (KVR) dient, in dem diese Ausnahmetatbestände gleichlautend geregelt sind. Der Verordnungsgeber wollte daher trotz der gezogenen Option nach Artikel 29 Abs. 1 UAbs. 2 KVR und der damit zum Ausdruck gebrachten Verpflichtung der Konzessionsgeber grundsätzlich bei Konzessionsvergaben nur noch elektronisch zu kommunizieren, in der KonzVgV nicht mehr regeln, als die Richtlinie selbst hergibt. Andererseits dürfte der Konzessionsgeber insbesondere durch den Ausnahmetatbestand „technische Gründe“ größere Bewegungsfreiheit bei Bestimmung der konkreten Sachverhalte erhalten, als dies Sektoren- und öffentliche Auftraggeber bei Beachtung der Anforderungen nach Kapitel 3 Buchst. a) – c) haben. Dies entspräche auch der Zielsetzung des europäischen Gesetzgebers, der durch die neue KVR einen eindeutigen, aber einfachen Rechtsrahmen bestimmen wollte, der die Besonderheit von Konzessionen im Vergleich zu öffentlichen Aufträgen gebührend widerspiegelt und keinen übermäßigen bürokratischen Aufwand verursachen sollte.17

Zum Autor

Michael Wankmüller

Dipl. Verwaltungswirt Michael Wankmüller war als Mitarbeiter des zuständigen Referates für nationales und europäisches Vergaberecht BMWi mit dem Rechtsrahmen der elektronischen Auftragsvergabe befasst. Zuletzt war er maßgeblich mit der Reform der VOL/A 2009 betraut. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst befasst sich Herr Wankmüller mit aktuellen Fragen des Vergaberechts bis heute in Form von Seminarleitungen, Kommentierungen und Beratungen.

Fussnoten

  1. KOM(2010) 571 endgültig, Kapitel 7.1. Prioritäten für Maßnahmen auf EU-Ebene
  2. Artikel 22 Abs. 7 UAbs. 2 i.V.m. Artikel 87 VRL, Artikel 40 Abs. 7 UAbs. 2 i.V.m. Artikel 103 SRL
  3. § 41 VgV, SektVO, § 17 KonzVgV, § 53 VgV, § 43 SektVO, § 28 KonzVgV
  4. § 41 Abs. 1 VgV, SektVO, § 17 Abs.. 1 KonzVgV
  5. Artikel 2 Abs. 1 Nr. 13 VRL, Artikel 2 Nr. 9 SRL, Artikel 5 Nr. 12 KVR (hier: Konzessionsunterlagen)
  6. Artikel 54 Abs. 2 VRL, § 52 VgV, Artikel 74 Abs. 2 SRL, § 42 SektVO
  7. Erwägungsgrund 80 VRL, 89 SRL (analog):

    „Es sei daher daran erinnert, dass die öffentlichen Auftraggeber bei der Fristsetzung für den Eingang von Angeboten und Teilnahmeanträgen vor allem die Komplexität des Auftrags und die für die Angebotserstellung erforderliche Zeit berücksichtigen sollten, auch wenn dies eine Festlegung von Fristen bedeutet, die über die Mindestfristen nach dieser Richtlinie hinausgehen. Die Nutzung elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel, insbesondere die vollständige elektronische Bereitstellung von Auftragsunterlagen an Wirtschaftsteilnehmer, Bieter und Bewerber und die elektronische Übermittlung von Bekanntmachungen führen jedoch andererseits zu mehr Transparenz und Zeitersparnis.“

  8. §§ 41 Abs. 1, 52 Abs. 3 Nr. 4 VgV i.V.m. Artikel 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 VRL, §§ 41 Abs. 1, 42 Abs. 3 Nr. 4 SektVO i.V.m. Artikel 73 Abs. 1, 74 Abs. 2 Satz 1 SRL
  9. § 18 Abs. 5 – 9 VgV, § 17 Abs. 5 – 9 SektVO
  10. § 41 VgV, SektVO
  11. § 53 Abs. 2 VgV, § 43 Abs. 2 SektVO
  12. § 41 Abs. 3 VgV, § 41 Abs. 4 SektVO
  13. Artikel 21 Abs. 2 VRL, Art. 39 Abs. 2 SRL
  14. § 17 KonzVgV
  15. Z.B. § 41 Abs. 2 i.V. mit § 53 Abs. 2 VgV
  16. Z.B. § 41 Abs. 3 i.V. mit § 5 Abs. 3 VgV
  17. Erwägungsgrund 2 Richtlinie 2014/23/EU (KVR)