Bewertungsmethoden

„Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt“ – dies schreibt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in § 97 Abs. 5 vor. Doch hinter dieser knappen Formulierung versteckt sich geradezu eine Wissenschaft, denn das Aufspüren des wirtschaftlichsten Angebots ist alles andere als trivial. Welche Methode ist die richtige, um Angebote zu werten und zu vergleichen? Vergabestellen können leicht den Eindruck gewinnen, den so ermittelten Ergebnissen ausgeliefert zu sein und greifen daher noch zu häufig auf den Preis als einziges Zuschlagskriterium zurück. Dabei sollte neben der Leistungsbeschreibung als Herzstück der Vergabe dem Kriterienkatalog und der Auswahl der geeigneten bzw. „richtigen“ Bewertungsformel besondere Bedeutung zukommen. Immerhin bestimmt diese nach einer Wertung letztendlich das Ergebnis der Ausschreibung.

Daher haben wir mit Herrn Thomas Ferber, Diplom-Mathematiker und Autor eines neuen Buches zu diesem Thema zu den Vor- und Nachteilen der Bewertungsmethoden und -kriterien gesprochen.


Zum Thema Wertungsmethoden empfehlen wir die Beitragsreihe unseres Autoren Dr. Stefan Krusenbaum. Er stellt die verschiedenen Ansätze vor und gibt einen Überblick, welche Methoden unter welchen Anforderungen geeignet erscheinen.

  • Teil 1 befasst sich neben einer Einführung mit der Wertungsmethode niedrigster Preis.
  • Teil 2 gibt einen Überblick über die Methoden der Wertungsklasse Preis-Kriterien-Gewichtungen.
  • Teil 3 analysiert die Wertungsklasse der Richtwert-Methoden.
  • Teil 4 stellt weitere, im Bereich des öffentlichen Auftragswesens noch nicht gängige, Wertungsmethoden vor.

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cosinex: Sehr geehrter Herr Ferber, Sie sind Diplom-Mathematiker und haben viele Jahre als Key-Account-Manager für den Geschäftsbereich „Forschung und Lehre“ bei Sun Microsystems gearbeitet. Wie kommt man da zum Vergaberecht?

Hr. Ferber: Die Kunden im Bereich Forschung und Lehre sind öffentliche Auftraggeber und müssen nach den Regeln des Vergaberechts ausschreiben. Mein damaliger Chef bei Sun Microsystems hatte die Idee, dass wir einen Experten im Vergaberecht in unserem Vertriebsteam bräuchten, der die Kollegen in schwierigen Fragestellungen unterstützten sollte. Vielleicht kennen Sie das ja mit solchen Freiwilligen-Meldungen… Auf jeden Fall hat mir das Thema sehr viel Spaß gemacht und ich habe mir über die Jahre ein sehr umfangreiches Wissen aus der Praxis erarbeiten können. Nachdem meine praxisorientierten Schulungen bei Kollegen, Partnerunternehmen und auch Kunden auf sehr positive Resonanz gestoßen waren und die Nachfrage immer größer wurde, war der Schritt in die Selbständigkeit eine logische Konsequenz. Um mein Profil abzurunden, studiere ich Wirtschaftsrecht an der Universität des Saarlandes.

cosinex: Wie kamen Sie auf die Idee, Bücher zum Vergaberecht zu schreiben?

Hr. Ferber: Es gibt sehr viele und sehr gute Bücher zum Vergaberecht. Viele dieser Bücher waren mir in den letzten Jahren eine große Hilfe. Gefehlt hatte mir aber die ganzen Jahre ein Buch, dass sich im Detail mit allen Facetten der Fristen im Vergaberecht beschäftigt und diese griffbereit zur Verfügung stellt. So entstand schließlich die Idee zu meinem ersten Buch. Dieses Buch habe ich so geschrieben, wie ich es selbst für die Praxis gebraucht habe: viele Grafiken und viele Tabellen sowie eine klare Strukturierung. Für das Buch „Fristen im Vergabeverfahren“ habe ich im November 2010 auch meinen eigenen Verlag gegründet, den Fachverlag Thomas Ferber. Und dann ist etwas passiert, mit dem ich nicht gerechnet habe: Auch viele andere Praktiker im Vergaberecht hatten den Bedarf an solch einem Buch, so dass ich von den Verkaufszahlen mehr als überrascht war.

cosinex: Ihre Bücher erscheinen mittlerweile im Bundesanzeiger Verlag.

Hr. Ferber: Im Frühjahr 2014 bin ich eine Kooperation mit dem Bundesanzeiger Verlag eingegangen, die sehr konstruktiv, erfolgreich ist und sehr viel Spaß macht. Hier kann ich nur ein großes Lob an meine Ansprechpartner beim Bundesanzeiger Verlag aussprechen. Der erste gemeinsame Titel im Dezember 2014 war „Bieterstrategien im Vergaberecht„, im Oktober 2015 kam der Titel „Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren“ hinzu. Die nächsten Titel in diesem Jahr sind „Schwellenwerte und Schätzung des Auftragswertes im Vergaberecht“ sowie „Fristen im Vergabeverfahren, 4. Aufl.„. Durch diese Kooperation kann ich den Fokus meiner Arbeit neben dem Schreiben von Büchern auf meine Seminartätigkeit richten.

cosinex: Auch Ihr letztes Buch Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahrenfällt durch sehr viele Grafiken und durchgerechnete Beispiele auf.

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Hr. Ferber: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Unter diesem Motto habe ich auch dieses Buch geschrieben. Ich brauche die Grafiken aber auch für mein eigenes Verständnis, da ich gerne in Bildern denke. Und für das Thema Bewertungskriterien und -matrizen halte ich es auch für besonders wichtig. Die verwendeten Darstellungsformen Preis-Leistungsdiagramm sowie gewichtetes Preis-Leistungsdiagramm helfen die Zusammenhänge, Vor- und Nachteile sowie Stärken und Schwächen der Bewertungsmethoden zu verstehen. Die zahlreichen durchgerechneten Beispiele sollen das Verstehen dabei unterstützen. Nur derjenige, der die verschiedenen Bewertungsmethoden beherrscht und deren Vor- und Nachteile sowie deren Schwachstellen kennt, kann am Ende des Vergabeverfahrens ein – aus seiner Sicht – optimales Ergebnis erzielen.

cosinex: Welche Fehler werden nach Ihrer Erfahrung am meisten gemacht?

Hr. Ferber: Der größte Fehler aus meiner Sicht wird gemacht, wenn man eine Bewertungsmethode verwendet, die man nicht versteht und auch nicht beherrscht. Am Ende kommen dann sehr oft Ergebnisse heraus, die für viel Erstaunen sorgen und nicht wirklich etwas mit dem wirtschaftlichsten Ergebnis zu tun haben. Dies führt zu viel Frust, sowohl beim Auftraggeber als auch bei den Bietern. In meinen Seminaren sage ich dann immer zu den Teilnehmern: „In solchen Fällen ist weder die Mathematik noch das Vergaberecht schuld, sondern der, der dies so anwendet“. Der zweitgrößte Fehler besteht in der Verwendung von ungeeigneten bzw. ungeschickten Benotungssystemen. Die Wahl der Notenskala hat einen größeren Einfluss auf die Bewertung als meistens geglaubt wird. Die Verwendung von verschiedenen Notenskalen für unterschiedliche Kriterien führt zu einer versteckten Bewertungsverzerrung. Der drittgrößte Fehler besteht meines Erachtens in der mangelnden Transparenz. Nur wenn die Bieter die Zuschlagskriterien inklusive eventueller Unterkriterien und deren Gewichtung kennen, können diese ihr Angebot entsprechend den Wünschen des Auftraggebers optimieren.

cosinex: Benötigt man jetzt für jede Ausschreibung ein abgeschlossenes Mathematikstudium oder muss man einen Mathematiker einstellen?

Hr. Ferber: Auch wenn ein Mathematikstudium sicherlich nicht schadet, ein klares NEIN. Alles, was man braucht, ist ein gesunder Menschenverstand, ein wenig Schulmathematik und den Mut auch einmal nachzufragen, wenn man etwas nicht versteht. Mehr nicht! Verwenden Sie nur die Verfahren, die sie wirklich verstehen und beherrschen. Lassen sie sich nicht von komplexen Formeln, die einfach nur „magic“ aussehen, und wichtig klingenden mathematischen Ausdrücken, die einschüchternd wirken, beeindrucken. Ein Verfahren, das ich nicht verstehe, kann ich nicht beherrschen und wird in nicht seltenen Fällen zu unsinnigen Ergebnissen führen, da ich die Schwachstellen nicht kenne. In meinem Buch „Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren“ gehe ich deshalb sehr detailliert mit vielen durchgerechneten Beispielen auf die verschiedenen gängigen Bewertungsmethoden ein.

cosinex: Gibt es denn keine Methoden ohne Schwachstellen?

Leistungspunkte vergeben

Hr. Ferber: Ein klares Nein! Soll neben dem Preis bzw. den Kosten auch die Leistung in Form von Leistungspunkten berücksichtigt werden, dann kann die Wirtschaftlichkeit nur über eine Zuschlagsformel ermittelt werden. Entscheidet man sich jetzt für eine Bewertungsmethode, dann wird die Entscheidung über den Zuschlag über die Zuschlagsformel der Bewertungsmethode ermittelt.
Beispielhaft soll die einfache Richtwertmethode betrachtet werden. Bei der einfachen Richtwertmethode nach der Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen (UfAB) wird das wirtschaftlichste Angebot durch ein Leistungs-Preis-Verhältnis gebildet. Die Kennzahl zur Leistung-Preis-Bewertung wird aus dem Quotienten der Leistungspunkte des Angebots und dem Angebotspreis berechnet.
Auch eine geringe Leistungspunktzahl kann bei entsprechend günstigem Angebotspreis zu einer hohen Kennzahl, d.h. zu einem hohen Preis-Leistungs-Verhältnis führen. Das folgende Beispiel soll das verdeutlichen:
Bei einer Ausschreibung werden maximal 1.000 Leistungspunkte vergeben. Insgesamt werden sieben wertbare Angebote abgegeben. Die sieben Angebote unterscheiden sich sehr deutlich im Angebotspreis und in der Leistungspunktzahl. Zwischen dem günstigsten Angebot A mit 100.000 Euro und dem teuersten Angebot G mit 1.000.000 Euro liegt ein Faktor von 10. Ebenso einen Faktor von 10 gibt es zwischen dem leistungsschwächsten Angebot A mit 100 Leistungspunkten und dem leistungsstärksten Angebot G mit 1.000 Leistungspunkten.

Das Leistungs-Preis-Verhältnis führt hier aber zu einem Gleichstand, alle sieben Angebote haben die gleiche Kennzahl.

Leistungs-Preis-Verhältnis

Welches der sieben Angebote soll den Zuschlag erhalten? Sehr oft liest man bei Ausschreibungen die Regel: „Bei Gleichstand gewinnt das günstigste Angebot“. In diesem Beispiel wäre dies das Angebot A. Angebot A hat aber nur 100 Leistungspunkte von maximal möglichen 1.000 Leistungspunkten erreicht. Der Zuschlag würde folglich auf ein billiges und qualitativ schlechtes Angebot erteilt. Um diese Schwäche der Bewertungsmethode zu beseitigen, muss zwingend eine minimale Leistungspunktzahl vom Auftraggeber vorgegeben werden. Und dies gilt für alle Bewertungsmethoden. Wer Preis und Leistung bewerten möchte, muss eine Mindestleistungspunktzahl vorgeben. Nur so kann man sich vor leistungsschwachen Angeboten schützen.

cosinex: Würden Sie empfehlen jede Ausschreibung nach Preis und Leistung auszuschreiben?

Hr. Ferber: Bei der Ausschreibung von standardisierten Produkten bzw. bei Ausschreibungen, bei denen die zu beschaffende Leistung sehr detailliert beschrieben werden kann, kann der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium ausreichend sein. Auftraggeber sollten also immer prüfen, ob das alleinige Zuschlagskriterium „Preis“ sinnvoll und anwendbar ist, da somit der Bearbeitungsaufwand stark reduziert werden kann. Die Zuschlagsentscheidung nur nach dem Preis erfordert eine detaillierte Beschreibung des zu beschaffenden Gegenstands. Die Qualität des Beschaffungsobjekts wird durch die Leistungsbeschreibung vom Auftraggeber vorgegeben und wirkt als Ausschlusskriterium. Je weniger detailliert die Leistungsbeschreibung ist, umso stärker sind die zu erwartenden Qualitätsunterschiede der Angebote und umso weniger sind die Angebote sinnvoll vergleichbar. Am Ende besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber den Zuschlag auf ein qualitativ schlechtes Angebot erteilen muss.
Qualität und Leistungsstärke können auch durch eine Kostenbetrachtung bewertet werden. Im Gegensatz zur reinen Bewertung der Anschaffungskosten (Preisbewertung) können bei einer Kostenbetrachtung auch die Folgekosten mit berücksichtigt werden. Diese Kostenbetrachtungen sind unter den Begriffen Lebenszykluskosten, Vollkostenbetrachtung, Total Cost of Ownership (TCO) bekannt.

cosinex: Gibt es eine Bewertungsmethode, die Sie empfehlen können?

Hr. Ferber: So einfach ist die Antwort leider nicht. Grundsätzlich würde ich aber empfehlen, wenn möglich die Preis- bzw. Kostenmethode anzuwenden, um den Aufwand zu minimieren. Möchte man Preis und Leistung bei der Zuschlagsbewertung berücksichtigen, empfiehlt sich bei einer Gewichtung von 50% Preis und 50% Leistung die einfache Richtwertmethode. Überall dort, wo der Wunsch bzw. die Notwendigkeit besteht, Preis und Leistung unterschiedlich bei der Zuschlagsbewertung zu gewichten, muss man einiges mehr beachten. Einige gängige Methoden sollten nach meiner Empfehlung keine Anwendung finden, wie z.B. die einfache gewichtete Richtwertmethode, die lineare Interpolation mit Preisspanne sowie die lineare Interpolation um einen Median bzw. Mittelwert. Unter Berücksichtigung wichtiger Randbedingungen sind z.B. die lineare Interpolation mit dem 2-fach niedrigsten Angebotspreis oder auch die modifizierte UfAB-II-Methode nutzbar.

cosinex: Hat die UfAB-II-Methode nicht das Problem mit dem sogenannten Flipping-Effekt?

Hr. Ferber: In besonderen Konstellationen kann es bei der UfAB-II-Methode (und auch bei einigen anderen Methoden) zu dem sogenannten Flipping-Effekt kommen, bei dem ein drittes abgeschlagenes Angebot die Rangfolge der führenden Angebote verändert. Trotz aller Kritik und aufgezeigter Schwächen erfreut sich die modifizierte UfAB-Methode aber weiterhin großer Beliebtheit und wird meist unter anderem Namen verwendet. Der Grund liegt sicherlich in der einfachen Nachvollziehbarkeit der Methodik. Sofern man sich der Schwächen der Methodik bewusst ist und diese durch die Verwendung einer geeigneten Mindestleistungspunktzahl und Preisobergrenze einschränkt, sowie die Gewichtung in einem moderaten Bereich verwendet, kann die Methode aus meiner Sicht weiterhin Anwendung finden. Die Effekte durch ungeschickte Notenskalen und mangelnde Transparenz haben in den allermeisten Fällen einen wesentlich stärkeren Einfluss.

cosinex: Sehr geehrter Herr Ferber vielen Dank für das Interview, Ihre Zeit und die interessanten Einblicke.

Unser Interview-Partner

Portraitfoto von Thomas Ferber

Thomas Ferber (Diplom-Mathematiker) war viele Jahre Key-Account-Manager für den Geschäftsbereich „Forschung und Lehre“ bei Sun Microsystems mit der Sonderaufgabe Vergaberecht. Zur Zeit studiert er parallel zu seinen sonstigen Aktivitäten Wirtschaftsrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist Hr. Ferber Autor verschiedener Bücher, wie z.B. „Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren“, „Fristen im Vergabeverfahren“, „Bieterstrategien im Vergaberecht“ und „Schwellenwerte und Schätzung des Auftragswertes“. Mit der Buch- und Seminarreihe Praxisratgeber Vergaberecht vermittelt er die komplexen Sachverhalte des Vergaberechts anschaulich und praxisorientiert und versteht es, das die betrachteten Aspekte des Vergaberechts aus dem Paragrafen-Dschungel zu befreien. Seine Schulungen richten sich an öffentliche Auftraggeber wie an Bieter.